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DAS BLÄTTCHEN/1268: Italien hat gewählt


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
16. Jahrgang | Nummer 5 | 4. März 2013

Italien hat gewählt

von Erhard Crome



Wenn der Herrenmensch spricht, haben die Knechtsmenschen zu spuren. Ganz in diesem Sinne kommentierte ein Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung am 26. Februar 2013 das Ergebnis der Wahlen in Italien. Er befand, Mario Monti habe "Italien vor dem anstehenden Staatsbankrott" gerettet, "den die Märkte mit ihrem Misstrauensvotum ausgelöst hätten." Und er setzte hinzu: "Ohne Montis Seriositäts-Versprechen gäbe es heute das Euro-Land Italien nicht mehr." Er vergaß hinzuzufügen: Ohne das Euro-Land Italien gäbe es die ganze Euro-Zone nicht mehr, auch den Euro nicht, die D-Mark-Preise wären um über 40 Prozent teurer als die derzeitigen Euro-Preise, die deutschen Exporte würden in den Keller rutschen und die großmäuligen Regierer in diesem Lande hätten es mit sieben Millionen Arbeitslosen in Deutschland spätestens Ende des Jahres 2013 zu tun.

Der Herrenmensch weiß davon nichts, besteht aber darauf, die Knechte und Mägde müssten erzogen werden. Deshalb ist eine Wahl im Knechtsland auch keine demokratische Veranstaltung, sondern eine Erziehungsanstalt. In diesem Sinne quäruliert Kornelius weiter: "Aber diese Botschaft ist in all ihrer Härte in Italien nicht angekommen. Nein, es waren nicht die sparbesessenen Deutschen, die Italien zu einer Kur zwangen. Es waren die Umstände, es waren die Märkte, es waren die politischen und ökonomischen Verhältnisse im Lande selbst, die Monti keine andere Option ließen, als endlich den Reformstau anzugehen und die aberwitzige Verschuldung zu reduzieren." Die renitenten Italiener aber, die die "Botschaft" empfangen und verinnerlichen sollten, haben falsch gewählt: Grillo und Berlusconi, statt des braven Bersani (plus Monti). "Nun regieren wieder der Populismus, das Geschrei und die Lüge", meint der Herrenmensch. Ist das wirklich ein italienisches Problem? Oder eines der Vermittlung? Es fehlt quasi, in einem "ur-leninistischen Sinne" die Einsicht in die Notwendigkeit dessen, was die Herren des derzeitigen Europas "sparen" nennen, nämlich Kürzung, Sozialabbau, Armut per Gesetz oder per Vertrag (der gegebenenfalls aus Brüssel kommt)?

Heleno Sana hat vor einigen Jahren in einer sehr tiefgründigen Diagnose der Herrschaft des Westens ("Macht ohne Moral. Die Herrschaft des Westens und ihre Grundlagen") darauf aufmerksam gemacht, dass wir es mit einer "Welt ohne Moral" zu tun haben: "Ethische Überlegungen spielen im Leben des heutigen Menschen keine nennenswerte Rolle, weder in personaler noch in gesellschaftspolitischer Hinsicht ... Wichtig für den Durchschnittsmenschen ist nicht ethisch begründete Erfüllung, sondern Erfolg, Genuss, Macht und ähnliche materialistische Güter. Es sieht tatsächlich so aus, als empfänden die Menschen kein Bedürfnis mehr, in einer ethisch orientierten und organisierten Gesellschaft zu leben, obwohl sie andererseits höchst unzufrieden mit dem Bestehenden sind und sich darüber laufend beklagen. Sie wünschen sich schon eine Umkehr des Systems, aber die wenigsten glauben, dass dieses Ziel mit ethischen Mitteln zu erreichen sei."

In diesem Sinne haben wir es heute mit einer Konkurrenz der Amoralität zu tun. Der Neoliberalismus hat die europäischen Wohlfahrtsstaaten und damit die sozialen Sicherungssysteme für Millionen Menschen zerstört, um damit den Reichtum einiger Weniger zu befördern. Die Spekulanten, die Unsummen gescheffelt haben, und als es zum Zusammenbruch kam, mit Milliarden Euro "gerettet" wurden, hatten keinerlei moralische Skrupel beim Scheffeln. Ganze Volkswirtschaften, wie die Griechenlands, Irlands, Portugals und Zyperns, wurden in den Abgrund gerissen. Die von Brüssel verordnete Armut ist handgreiflich und in Zeiten der modernen Medien europaweit bekannt. Die deutsche Formation von Kapitalinteressen und Regierung hat keine Skrupel, die eigene Machtposition in Europa auf Kosten der anderen Staaten und Völker auszubauen.

Warum also sollen die italienischen Wähler moralischer sein, als die Spekulanten und die derzeitigen Herrinnen und Herren Europas? Italien hat ein Drohpotential, das Griechenland und Portugal (von Irland und Zypern ganz zu schweigen) nicht haben. Wenn Italien fällt, fallen der Euro und die EU. Und eine deutsche Vorherrschaft akzeptieren weder die italienischen Wähler, noch die politische Klasse - die in Griechenland auch nicht, aber die können das nicht erzwingen.

Die erneuten Wählerstimmen für Berlusconi und die für Grillo sind Ausdruck dessen: der Amoralität der Kapitaleigner und ihrer Regierer sowie Ideologen wird die amoralische Alternative entgegengestellt. Man könnte vermeinen, es sollte doch eine wirkliche Alternative geben. Diese Idee ist mit dem Realsozialismus 1989 dahingeschieden und konnte bisher nicht reanimiert werden. Wenn aber die große Umkehr, die den ethischen Ansprüchen entspricht, nicht sichtbar ist, bleibt nur eines: die kapitalistische Amoralität mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Das ist die Wahl Berlusconis. Und Grillo ist der halbe Weg dorthin.

Für den deutschen Machtkomplex heißt dies: Die anderen sind zwar schwach, haben aber noch immer eigene Handlungsmöglichkeiten. Die deutsche Weltgeltung im 21. Jahrhundert gibt es nur in der und mit der EU. Anderen ist das Schnurz. Insofern ergeben sich Handlungsmöglichkeiten auch dadurch, den deutschen Weltmachtambitionen Sand ins Getriebe zu streuen. Die italienischen Politiker, die in Berlin katzbuckeln, tun so, als wüssten sie das nicht. Aber die Wähler haben es an der Wahlurne deutlich gemacht. Sie wissen, die Vermeidung der griechischen Verarmung führt über einen harten Konflikt mit der deutschen Politik.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 5/2013 vom 4. März 2013, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2013