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DAS BLÄTTCHEN/1114: Finanzkrise. Ein Szenario


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
14. Jahrgang | Nummer 15 | 25. Juli 2011

Finanzkrise. Ein Szenario

Von Heerke Hummel


Die Finanzkrise gerät außer Kontrolle, EU-Rettungsschirme vermögen die Pleite europäischer Staaten nicht mehr zu verhindern. Jetzt geht es nicht mehr um Milliarden, sondern um Billionen Euro, die kurzfristig aufzubringen sind. Gemunkelt wird von ganz außergewöhnlichen Maßnahmen. Um den 8. August, ist zu hören, werden sich die EU-Finanzminister treffen. Mehrere Tage lang werden sie beraten und ausarbeiten, was die Regierungschefs dann entscheiden und voraussichtlich am 13. August (!) verkünden werden. Dieser Tag wird ein Sonnabend sein, als Wochenende prädestiniert für Überraschungen und neue Situationen, auf die sich die Bürger Europas zum Wochenbeginn einstellen können. Was ist zu erwarten?

Die Finanzminister werden vor der Aufgabe stehen, das Problem der Staatsverschuldung grundsätzlich, sozusagen ein für allemal zu lösen. Keine Flickschusterei an Europas Finanzsystem, sondern ein Paar neue Schuhe! Nicht nur ein Staat muss schuldenfrei gemacht werden, sondern alle 27 Mitglieder der EU. Allein in Deutschland standen die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden am 31. Dezember 2010 nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes vor einem Schuldenberg in Höhe von 1.998,8 Milliarden Euro! Gemessen am Bruttoinlandsprodukt lag Deutschland mit seiner "allgemeinen Staatsverschuldung" 2010 über dem Durchschnitt der Europäischen Union, hinter Griechenland, Italien, Belgien, Irland und Portugal, gefolgt von Frankreich, Ungarn und Großbritannien, die ebenfalls noch über dem Durchschnitt rangierten. Die "großen Drei" der europäischen Staaten nehmen sich also nicht viel in Sachen Haushaltsdisziplin und müssten ein starkes, gemeinsames Interesse an einer nachhaltigen Veränderung der Staatsfinanzierung in Europa haben.

Die Frage wird sein, woher das notwendige Geld kommen soll, damit die Staatsfinanzen saniert werden können. Will man den allgemeinen öffentlichen (Gesamt-)Schuldenberg Europas nicht noch weiter wachsen lassen, bleibt nur die Möglichkeit einer generellen Lösung des Problems zu Lasten der privaten Gläubiger, in erster Linie von Banken und Versicherungsgesellschaften. Gegen einen solchen Schritt werden sich die Gläubiger mit allen Mitteln zur Wehr setzen und damit drohen, dass Europas Wirtschaft und sein Währungssystem funktionsunfähig werden, das allgemeine Vertrauen in den Euro dahin ist und ein ökonomisches Chaos nicht nur in Europa, sondern möglicherweise in der Welt ausgelöst wird - von der Frage des bestehenden Rechts und der Gerechtigkeit ganz zu schweigen. Dem könnten die Finanzminister entgegen halten, dass die Gläubiger durch die in der Vergangenheit erhaltenen Einnahmen aus Zins und Zinseszins bereits zum großen Teil entschädigt wurden. Und wer sein Geld verleiht - an wen auch immer - muss sich des Verlustrisikos bewusst sein. Das Recht ist etwas von Menschen Gesetztes und nicht unveränderlich. Es hat Ordnung zu schaffen, die der ganzen Gesellschaft Sicherheit und Stabilität gewährleistet. Was nun zu beschließen ist, würde dem entsprechen.

Um den Staaten der EU finanzielle Stabilität und Planungssicherheit zu geben, ist zu erwarten, dass die öffentlichen Haushalte von ihrer Abhängigkeit von der Wirtschaftskonjunktur (und damit vom Auf und Ab der Steuereinnahmen) sowie von privaten Gläubigern befreit und direkt durch die Europäische Zentralbank finanziert werden. Ausgehend vom jetzigen Ist-Zustand der Haushalte wird so - mit noch auszuarbeitenden Kennziffern für die Bereitstellung der Euro-Beträge - schrittweise ein gleiches Recht auf öffentliche Mittel in den Staaten der EU eingerichtet. Bei Verstößen gegen dieses Gesetz müssen die Betreffenden dann damit rechnen, sofort persönlich und drastisch (einschließlich Freiheitsstrafen) zur Verantwortung gezogen zu werden.

Als Dreh- und Angelpunkt der europäischen Finanzen wird die EZB zu einer europäischen Oberfinanzbehörde umgestaltet und mit Kompetenzen ausgestattet, die es ihr ermöglichen, das europäische Banken- und Finanzsystem in einer optimalen Einheit von Zentralismus und Eigenständigkeit zu dirigieren. Sie emittiert die europäische Währung und sorgt durch ein System von Abgaben der Wirtschaft (etwa in Form einer allgemeinen Umsatzsteuer) für ein Gleichgewicht zwischen dem vorhanden verfügbaren Finanzvolumen der Wirtschaft und ihrem Finanzbedarf.

Die EZB vergibt die europäische Währung zinslos und verbietet jegliche Zinsnahme im europäischen Banken- und Finanzsystem. Dabei geht sie davon aus, dass der Euro eine Arbeitsleistung bestätigt und gleichermaßen den Anspruch auf eine solche ausdrückt. Das Geld hat Reichtum auszudrücken und soll nur durch die Schaffung von Reichtum, also durch Arbeit entstehen bzw. sich vermehren. Damit - und durch Ausschluss jeglicher Finanzspekulation - gewährleistet die EZB die Stabilität der europäischen Währung und schafft so allgemeines Vertrauen und ökonomische Stabilität. Sie schafft gleichzeitig Zukunftssicherheit, weil künftiger Reichtum späterer Generationen zwar in Euro zu messen ist, aber nicht darin bestehen kann. Denn er kann und muss als Sachreichtum erst dann und von jenen (durch Arbeit) erzeugt werden, weil alles Irdische nur von kurzer Dauer ist.

Und eben weil wir vom Irdischen leben und nicht vom Imaginären - auch wenn es sich um Billionen-Beträge handelt -, wird die bevorstehende Operation am Finanzsystem auch kein Chaos und keinen Zusammenbruch der Wirtschaft verursachen. Alles Leben und Wirtschaften kann und wird weitergehen wie bisher, denn die sachlichen Voraussetzungen dafür sind vorhanden. Nur der Vernunft und der Ruhe bedarf es, und dazu wird es begleitende Maßnahmen und Aktivitäten geben. Als Erstes wird man wohl die Börsen schließen, vielleicht auch einen allgemeinen, vorübergehenden Preisstopp verfügen, bis Richtlinien für ein neues Wirtschaften beschlossen sind. Denkbar ist auch, dass Konten ab einer bestimmten Höhe eingefroren werden, um dann nach und nach zur Ankurbelung der Wirtschaft wieder freigegeben zu werden, immer mit dem Ziel, Produktion und Verbrauch im Gleichgewicht zu halten und die soziale Stabilität der Gesellschaft zu wahren. Darum dürften auch Regelungen für Mindestlöhne und Maximaleinkommen in absehbarer Zeit zu erwarten sein.

Die Minister Europas werden lernen müssen, europäisch zu denken. Denn Europa ist nicht nur ein Kontinent, sondern vor allem eine Gemeinschaft von Menschen, die auf diesem Erdteil leben, arbeiten, wirtschaften - mit derselben Währung, mit gleichen Erwartungen und Ansprüchen und deshalb auch nach notwendigen gleichen Regeln sowie mit gleicher Verantwortung. Aber sie sind nicht allein auf dem Globus und müssen ihre Beziehungen zur übrigen Welt regeln. Im Vordergrund stehen dabei, was Wirtschaft und Finanzen betrifft, die USA, China und andere Wirtschaftsriesen. Besonders die Hochfinanzkreise der Vereinigten Staaten dürften Europas Vorhaben nicht nur mit Skepsis begegnen, sondern solchen Überlegungen heftigen Widerstand entgegensetzen. Gerade ihnen wird ein ökonomisches Umdenken schwerfallen, werfen doch die amerikanischen Konservativen ihrem Präsidenten, der die Haushaltskrise der USA mit dem herkömmlichen (auf Dauer allerdings untauglichen und sogar verschlimmernden) Mittel einer weiteren Erhöhung der gesetzlichen Schuldenobergrenze lösen will, eben gerade Knüppel zwischen die Beine. Nicht auszuschließen ist aber, dass eine finanzpolitische Wende in Europa Obamas Position in der amerikanischen Öffentlichkeit stärkt und der Präsident sich zu einem Kraftakt nach europäischem Muster aufrafft, der in seiner Bedeutung noch denjenigen übertreffen würde, den Präsident R. Nixon genau vor vierzig Jahren, ebenfalls Mitte August, mit der Kündigung des Abkommens von Bretton Woods und der Abkopplung des US-Dollars vom Goldstandard unternahm, womit erst die Schleusen der amerikanischen Finanzschwemme und des Schuldenmachens - nicht nur in Amerika - geöffnet wurden. Die Weltöffentlichkeit wurde damals von dem völlig unerwarteten Schritt ebenfalls an einem Wochenende durch eine Fernsehansprache des Präsidenten überrascht. Heute kommt es darauf an, die Finanzströme, auch weltweit, wieder entsprechend den realen Bedürfnissen der Wirtschaft zu regulieren und der Spekulation unzugänglich zu machen.


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 15/2011 vom 25. Juli, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 14. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2011