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DAS BLÄTTCHEN/1093: Mythisches Ende


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
14. Jahrgang | Nummer 10 | 16. Mai 2011

Mythisches Ende

Von Erhard Crome


Osama bin Laden ist tot. Ist Osama bin Laden tot? Oder irgendwer anderes? Es wurde ein Mann erschossen, in einem einzeln stehenden, wie es hieß gut bewachten Gebäude in Pakistan in den Bergen, das dann wiederum nicht bewacht war, als es darauf ankam, und die Spezialkräfte der USA-Truppen als meuchelndes Mordkommando dort eindrangen. Ein Mann wurde erschossen. Er sei bewaffnet gewesen, hieß es erst. Des Nachts? Im Schlaf? Nein, er war nicht bewaffnet. Aber er hat Widerstand geleistet. Ein einzelner älterer Mann, aus dem Schlaf gerissen, im Bett, gegen ein schwerbewaffnetes, bestens durchtrainiertes Kommando junger Männer mit Hightech-Ausrüstung, das gerade durch seine Tür dringt? Nein, er hat nicht Widerstand geleistet, wurde dann gesagt, aber er hätte Widerstand leisten können. Also er hätte Widerstand leisten können, glaubten die eindringenden Meuchler, und damit sie nicht in Gefahr kämen, die vielen durchtrainierten jungen Männer mit den modernen Waffen gegen den einzelnen älteren Mann, haben sie ihn erschossen. Ein Bild werde nicht veröffentlicht. Es sehe so schrecklich aus, mit der Leiche des Erschossenen, und außerdem wolle man keinen Märtyrer. Das ist jetzt die Logik moderner Vorurteilsforschung: "Denken Sie nicht, der Mann sei Extremist!" Indem ich das denke, denke ich, er sei Extremist. Indem man sagt, man wolle keinen Märtyrer, schafft man ihn. Die Leiche wurde ausgeflogen. Sofort, unverzüglich, auf einen Flugzeugträger im Persischen Golf, dort in einen Sack gesteckt und ins Meer geworfen. Ins Meer, damit es keine Pilgerstätte gibt. Jetzt sind alle Meere der Welt Pilgerstätten, für die, die eine brauchen.

Hat es Osama bin Laden überhaupt gegeben? Am 11. September 2001 fielen die Twin Towers des World Trade Centers in New York in sich zusammen. Die Trümmer rauchten noch, und obwohl die US-Regierung dem Vernehmen nach nichts wusste von der Terrorgefahr, wussten die einschlägigen Dienste sofort, wer die Täter waren: 19 junge islamische Männer, die, wie verlautete, Terroristen waren, Flugzeuge entführt und in die beiden Türme gelenkt hatten. Weil sie einen tiefsitzenden Hass auf den Westen, seine Mächtigkeit und Kultur hatten, wurde rasch ermittelt. Es war, als hätte jemand das berüchtigte Huntington-Thema vom "Kampf der Kulturen" genommen, und den Anlass orchestriert, damit er auch ja stattfindet. Immerhin hat ja die Bush-Regierung daraus zwei Kriege, in Afghanistan und Irak, ein Heimatschutzministerium nebst massivem Abbau demokratischer Rechte und allerlei Vorwände produziert, sich im Ausland offen und unverschämt in alles Mögliche einzumischen, bis hin zu unseren Bankdaten, die die deutschen Behörden dienstbeflissen in den USA abliefern.

Der deutsche Geheimdienstexperte und ehemalige Bundesminister unter Helmut Schmidt, Andreas von Bülow, hatte schon bald jene Ereignisse zu rekonstruieren versucht und fand vielerlei Ungereimtheiten: Das Kerosin war in der Verbrennungshitze nicht heiß genug, um die Stahlträger solcher Hochhäuser so schmelzen zu lassen, dass die Häuser einstürzten; wenn sie schon durch die Hitze der sichtbaren Brände, die die hineinrasenden Flugzeuge verursacht hatten, einstürzten, hätten sie zur Seite kippen und nicht in sich zusammenrutschen dürfen - also war zu vermuten, dass man unten mit entsprechenden Explosionen nachgeholfen hatte - und schließlich waren die am Ende zusammengeräumten Stahlträger so rasch verschrottet und in den Schmelzofen geworfen worden, dass niemand sie mehr gutachterlich untersuchen konnte. Die Verschleierungen der US-Behörden nach dem Kennedy-Mord 1963 und bei der Konstruktion der Tonking-Affäre 1964, mit der man den Vorwand für den Vietnamkrieg geschaffen hatte, ließen grüßen. Der Verschwörungstheoretiker Mathias Bröckers schrieb zu jenem 11. September: "Ohne angemessene Verschwörungstheorien... lässt sich unsere hochgradig komplexe und konspirative Welt gar nicht mehr verstehen."

Bleibt die Frage, ob es Osama bin Laden je gegeben hat. Dieselben US-Dienste, die binnen Stunden damals die tatsächlichen oder vorgeblichen Täter der Anschläge ermittelt hatten, teilten ebenfalls sofort mit, dass es diesen Osama bin Laden gibt, der eine Terrororganisation al Qaida geschaffen habe, die für diese Anschläge verantwortlich sei. Die Legende klang schlüssig: der Mann kam aus gutem Hause in Saudi-Arabien, habe mit reichlich vorhandenem privaten Geld diese Organisation finanziert, zuvor eigene Kampfeinheiten formiert und ausbilden lassen, die in Afghanistan gegen die sowjetischen Truppen gekämpft hatten, und nachdem es dort zu Ende war, sich mit seinen Getreuen gegen den "ungläubigen Westen" gewandt. Wenn es um Religionskriege geht, braucht es bekanntlich keine Logik.

Eigens bin Laden zu fangen, sind die USA in Afghanistan eingefallen und führen dort seither Krieg. Die Toten sind kaum zu zählen, aber Osama bin Laden ist leider damals entwischt, aus den Höhlen in den Bergen des Hindukusch, wo man ihn fast hatte, er aber entwischen konnte, in letzter Minute, wohl nach Pakistan. Dann war er nicht auffindbar. Ab und zu gab es ein paar Bilder von Osama bin Laden, Filmschnipsel, Drohungen gegen die USA und den Westen, die immer dann kamen, wenn es besonders nützlich für die innenpolitische Fortsetzung der Stimmung war, die man für den "Krieg gegen den Terror" brauchte. Wie der "Fliegende Holländer" im Märchen über die Meere geistert, irrlichterte bin Laden durch die westlichen Medien als Geist, der den "Krieg gegen den Terror" ermöglicht hatte.

Und er sah auch so aus: die wallenden Kleider, die ernsten Augen beim Aussprechen der Drohungen gegen den Westen, der grau werdende Bart. Wenn jemand auf die Idee gekommen wäre, bei den Maskenbildnern in Hollywood den Bösewicht zu bestellen, der die Verkörperung des Bösen, das aus dem Orient kommend den Okzident überfällt, also den feindlichen Part im "Kampf der Kulturen" darstellt - so hätte er aussehen müssen, eine Mischung aus dem bösen Geist aus den Märchen von 1001 Nacht und dem schwarzen Zauberer aus dem Herrn der Ringe.

Nun ist er tot. Also ein Mann ist tot, von dem die Behörden sagen, es sei dieser Osama bin Laden mit dem Bart gewesen, von dem wir ja seit zehn Jahren wissen, dass er der besonders Böse ist bzw. jetzt: war. Bevor die Leiche in den Sack gesteckt wurde, hat man noch die DNA genommen und weiß deshalb, dass das bin Laden war. Und woher hatte man die "Gegenprobe", wenn man ihn doch nie gefasst hatte und nur von den Bildern kannte? Wir wissen jetzt also, dass ein Mann tot ist, der in einem Sack steckt, der im Meer liegt. So wie wir wissen, dass die Twin Towers zusammengestürzt sind.

Der römische Imperator musste seinerzeit in das Colosseum gehen, wenn er sehen wollte, wie Leute ums Leben gebracht werden. Der Präsident der USA, der qua Amt sich als Imperator im 21. Jahrhundert zu verstehen hat, kann das jetzt von seinem Dienstzimmer im Weißen Haus aus tun. Diese Bilder jedenfalls ließ Obama verbreiten, wie er mit den Augen seiner Meuchler bzw. durch die auf einem der Köpfe des Kommandounternehmens angeschraubte Kamera das Erschießen jenes Mannes im Bett am Bildschirm hautnah anschaut. Es war spannend. Er schaut gebannt. Um ihn die Getreuen, Hillary Clinton mit schreckgeweiteten Augen, Vizepräsident Joseph Biden einen Rosenkranz in der Hand. So wurde für den Erschossenen gebetet, vielleicht jedenfalls, fernab in Washington.

Ein paar Tage später fuhr der Präsident zum Ground Zero in New York und ließ sich feiern. Der von den Rechten so übel beleumdete erste Schwarze im Präsidentenamt hat vollbracht, was Bush II, dieses texanische Großmaul, das alles Mögliche angefangen, aber nichts ordentlich zu Ende gebracht hat, nur angekündigt, aber nie erreicht hat. Der Präsident ist auch der erste Patriot seines Landes, ebenfalls qua Amt. Die Chancen, dass er wiedergewählt wird, steigen jetzt. Die Frage, ob man nun sofort aus Afghanistan abziehen kann, hat er nicht beantwortet. Den Mann im Sack hätte man vielleicht auch festnehmen und vor Gericht stellen können. Dann wäre er als ein Verbrecher abzuurteilen gewesen, wenn er denn der Verbrecher war, von dem es hieß, er sei es, dieser Osama bin Laden. Jetzt ist er ein Mythos, schon durch das mythische Ende.


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 10/2011 vom 16. Mai, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 14. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2011