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DAS BLÄTTCHEN/1082: Machtkämpfe im arabischen Raum


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
14. Jahrgang | Nummer 6 | 21. März 2011

Machtkämpfe im arabischen Raum

Von Peter Petras


Die Dominotheorie war schon immer fragwürdig, erst recht wenn sie in den bürgerlichen Großmedien diskutiert wird. Das gilt auch für die "Revolution", wenn sie plötzlich und unerwartet gelobt wird, wo sie doch gerade einen Despoten gestürzt hat, der bis eben noch ein williger Vollstrecker der Interessen des Westens war. Ägyptens langjähriger Präsident Hosni Mubarak ist nun also gestürzt, der tunesische Präsident Ben Ali ebenfalls.

Die Mutmaßungen, es könnte sich um eine Wellenbewegung handeln, die von Tunesien ausgehend Ägypten erreichte und von da aus auf den gesamten arabischen Raum übergreift, verbanden sich bei den einen mit Hoffnung, bei anderen mit Befürchtungen. Hoffnungen dort, weil nun die arabischen Völker wieder in Bewegung waren. Die Revoltierenden in Tunesien waren jung, modern, gebildet, säkular. Der Islamismus, der im Westen immer als Hort des Reaktionären und Brutstätte des Terrorismus angesehen wurde, war in den Bewegungen nicht zu sehen, die Träger und Nutznießer des alten Regimes in ihren Löchern verschwunden.

Bereits nach dem zweiten Weltkrieg hatte es eine säkulare, national orientierte Bewegung in wichtigen arabischen Ländern gegeben. 1952 stürzten die "Freien Offiziere" in Ägypten den vom Westen eingesetzten König. Unter Präsident Gamal Abd el-Nasser wurden der Suezkanal verstaatlicht und der Versuch unternommen, dem Land eine eigene wirtschaftliche, auch industrielle Basis zu geben. Die tunesische Destur-Partei (Destur war das Wort für Konstitution, der Anspruch auf die eigene Verfassung als Mittel des anti-kolonialen Kampfes), die unter Habib Bourgiba 1956 die Unabhängigkeit erkämpfte, verstand sich als sozialistisch und verkündete ein Programm des "Tunesischen Sozialismus"; ausländischer Grundbesitz war verstaatlicht worden und es wurde ein breiter staatlicher Sektor in der Industrie geschaffen. Die algerische Befreiungsfront FLN, die seit der Unabhängigkeit 1962 das Land regierte, entwickelte unter Houari Boumediène, der 1965 die Macht übernommen hatte, ebenfalls ein sozialistisch genanntes Programm nationaler Entwicklung, dessen Grundlage die nationalisierte Erdölindustrie und ein starker staatlicher Sektor in der Wirtschaft sein sollten. Auch die Baath-Partei, auf die gestützt Hafiz al-Assad 1970 in Syrien die Macht übernahm, sah sich als sozialistische Partei, ebenso die irakische Baath-Partei, die 1968 die Macht übernommen hatte. Die Ölindustrie im Irak war verstaatlicht worden und es wurde versucht, auf der Grundlage zentraler staatlicher Planung die Industrialisierung des Landes voranzubringen. In Libyen stürzte eine Gruppe junger Offiziere den König und verkündete die Republik; Oberst Muammar al-Ghaddafi, der sich ausdrücklich an Nasser orientierte, war fortan der entscheidende Machthaber. Der nationalisierte Erdölsektor ist die Grundlage der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes.

Diese "sozialistischen" Bewegungen führten dazu, dass die Entwicklungen in diesen Ländern von der Sowjetunion und den realsozialistischen Ländern unterstützt und von den Ländern des Westens bekämpft wurden. Die einen sahen die "Nationale Befreiungsbewegung" als natürlichen Verbündeten im Kampf gegen "den Imperialismus", die anderen als verkappte Variante des Kommunismus. Tatsächlich festigten diese Machthaber mit allen Mitteln ihre persönliche Macht, islamistische und die kommunistischen Parteien wurden verfolgt, ihre Mitglieder ins Gefängnis geworfen, gefoltert und oft ermordet. Aus Gründen der "Bündnisräson" schwiegen die sich kommunistisch verstehenden Parteien in der Sowjetunion, der DDR und anderen Ländern Osteuropas in aller Regel dazu und leisteten ihren Genossen nur stillschweigend Hilfe.

Mit dem Ausgang des Systemwettbewerbs und dem Untergang des Realsozialismus 1989/91 standen die arabischen Nationalisten ohne strategischen Verbündeten da. Es fand ein "Rückbau" der sozialistischen Programme statt, die Wirtschaft wurde in den meisten Ländern schrittweise privatisiert und neoliberal geöffnet. Zugleich jedoch hatten die politischen Regime ihre innere Macht gefestigt, durch Folter und Mord Gegner ausgeschaltet und durch oft gelenkte oder gar offen gefälschte Wahlen eine scheinbare demokratische Legitimität erlangt. Die Machthaber waren von innen heraus unabsetzbar und es herrschte eine große "Kontinuität" der Macht. Im Falle des Irak bedurfte es des Krieges der USA mit all seinen Folgen, um Saddam Hussein zu stürzen und den US-Ölfirmen wieder direkten Zugang zum irakischen Öl zu verschaffen. Hosni Mubarak regierte seit 1981 und war nach Nasser und Sadat der dritte von der Armee getragene Präsident seit den 1950er Jahren. Ben Ali (seit 1987) war nach Bourgiba der zweite Präsident seit der Unabhängigkeit. In Syrien hat Hafiz al-Assad es vermocht, seinen Sohn Baschar als Nachfolger zu installieren. Das wollte Mubarak auch, hat es angesichts der Umwälzungen aber nicht mehr realisieren können. Ghaddafi herrscht seit 1969, obwohl er in dem von ihm geschaffenen politischen System Libyens offiziell keine Funktion hat, außer "Führer der Revolution" zu sein. Seine Söhne haben in den jetzigen Bürgerkriegsauseinandersetzungen ebenfalls agiert, als seien sie Teil der Macht.

Wenn man jetzt nach Unterschieden zwischen den arabischen Ländern sucht, gibt es zunächst zwei: Länder mit reichlich fließenden Einnahmen aus der Förderung und dem Verkauf von Erdöl und Erdgas (Saudi-Arabien, die meisten Golfstaaten, Algerien, Libyen), und Länder, die solche Einnahmen nicht haben; Länder mit großer Bevölkerungszahl - Ägypten hat etwa 80 Millionen Einwohner - und Länder mit geringerer Bevölkerung. So entsteht die Besonderheit, dass Regierungen reicher Ölländer vergleichsweise übersichtliche Bevölkerungen alimentieren können. Das tun Ghaddafi in Libyen wie die Emire der Golfstaaten, auch wenn im einen Falle verkündet wurde, das sei sozialistisch, im anderen nicht.

Dabei entsteht jedoch eine Besonderheit: Libyen hat einen beachtlichen Zuwachs an Sozialleistungen, ein entwickeltes Bildungssystem, ein modernes Gesundheitswesen. Unter diesen Bedingungen ist die Bevölkerung des Landes von 1,9 Millionen Einwohnern 1970, also zur Zeit der Machtübernahme Ghaddafis, auf jetzt 6,5 Millionen gestiegen, hat sich also mehr als verdreifacht; 90 Prozent leben in den Städten, darunter allein zwei Millionen in der Hauptstadt Tripolis und eine Million in Benghasi. Es gibt jedoch keine Industrie. Etwa 28 Prozent der Bevölkerung sind zwischen 15 und 24 Jahre alt, dreißig Prozent von ihnen arbeitslos. Sie sind trotz vergleichsweise hoher staatlicher Alimentierung nicht nur ohne Arbeit, sondern auch ohne Perspektive. Darin unterscheiden sie sich nicht von ihren Altersgenossen in Tunesien oder Ägypten. Und so erklärt sich auch, weshalb in Libyen wie in den anderen Staaten große Demonstrationen zum Sturz des Regimes stattgefunden haben.

In Tunesien wie in Ägypten war eine entscheidende Voraussetzung der "friedlichen Revolution", dass die Armee ein eigenständiger Faktor in der Innenpolitik ist und nicht bereit war, auf die Demonstranten zu schießen. In Libyen verfügte der Alleinherrscher weiter über entscheidende Teile der Armee, insbesondere die Luftwaffe und die Panzereinheiten. So gab er das Fanal, der Wellenbewegung der arabischen Revolutionen mit Gewalt ein Ende zu bereiten. Jemen und Jordanien folgen. In Bahrain wird der Aufstand der Bevökerung auch mit Hilfe saudi-arabischer Truppen niedergeschlagen, das seinerseits keinen Aufruhr von Schiiten in seinem Nordosten haben will. Es gibt keinen Unterschied zwischen selbsternannten Sozialisten und den angestammten Königen, wenn es um die Macht geht.

Und der Westen? Eigentlich will er Ruhe und Ordnung in der Region, seine Ordnung, das heißt dass das Öl pünktlich fließt, dass die Flüchtlinge aus dem Süden auch künftig in der Sahara festgesetzt werden, dass die israelische Regierung von neuen Anwandlungen arabischen Nationalismus' und ernsthafter Unterstützung der Palästinenser unbehelligt bleibt. Ghaddafi ist ihm seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge. Deshalb wollen die einen Krieg führen, welche Opfer das auch haben mag, die anderen warnen vor der Logik der Eskalation, die nicht mehr beherrschbar ist. Krieg wird jedoch alles nur noch schlimmer machen. Es ist dann der dritte, den der Westen in der muslimischen Welt führt.


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 6/2011 vom 21. März, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 14. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2011