Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

CORREOS/150: Nestlé und die Schweizer Wasserpolitik


Correos des las Américas - Nr. 170, 26. Juni 2012

Nestlé und die Schweizer Wasserpolitik

von Franklin Frederick



Die DEZA fördert im globalen Süden eine privatisierende Wasserpolitik im Sinne von Nestlé und propagiert damit das Gegenteil dessen, was in der Schweiz vorbildlich funktioniert: die öffentliche Wasserversorgung. Leider scheint das Alliance Sud, der Lobby-Arm grosser Schweizer Hilfswerke, nicht zu bemerken.


Trotz mancher Rhetorik und Versprechen in den letzten zehn Jahren bezüglich Wasser bleiben die Tatsachen mit mehr als 800 Millionen Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitärer Grundversorgung leider unverändert. Es ist heute klar, dass das Milleniumsziel der Halbierung der Zahl von Menschen in extremer Armut und ohne Zugang zu sauberem Wasser bis 2020 nicht erreicht werden wird. Im Gegenteil schätzt die UNO, dass bis 2020 mehr als eine Milliarde Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser und eine noch viel grössere Zahl unter «Wasserstress» leben wird.

In Zeiten der Finanzkrisen gehen die doch sehr viel härteren Wasserkrisen vergessen. Doch ist die Zahl von Kindern, die, was leicht zu verhindern wäre, an über schmutziges Wasser übertragenen Krankheiten sterben, grösser als für alle anderen Todesursachen kombiniert. Ein wichtiger Schritt vorwärts stellte im Juli 2010 die Anerkennung des Menschenrechts auf Wasser durch die UNO-Vollversammlung dar. Doch die Umsetzung dieses Rechts stellt weiter ein ernsthaftes Problem dar; sie kann nur mit einer weltweiten Stärkung des öffentlichen Wassersektors erreicht werden, damit Wasser ein öffentliches Gut bleibe. Die Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser darf nicht den «Marktkräften» überlassen werden.

Wasser ist traditionell ein Gemeingut, wie im Fall der Schweiz. Doch im Gefolge der internationalen Finanzkrisen wurde weltweit eine neue Politik für die Wasserprivatisierung angestossen. Die Weltbank unterstützt über ihren Arm für den Privatsektor - die International Finance Corporation, IFC - die Wasserprivatisierungen in Asien und Afrika mit den Public Private Partnerships (PPP). 2008 gründete die IFC die Water Management Group, um die Wasserprivatisierung als Lösung des Wasserproblems zu propagieren. U. a. sind Nestlé und Coca Cola Partner bei dieser Initiative(1). Die Finanzkrisen werden auch in Ländern wie Griechenland und Portugal für die Promovierung von Wasserprivatisierungen benutzt, auch hier mittels der PPP. Die südamerikanischen Sozialbewegungen, die in den 1990er und frühen 2000er Jahren die Wasserprivatisierung in La Paz, Cochabamba oder Buenos Aires bekämpft haben, sind zum Symbol der internationalen Bewegung für Wassergerechtigkeit geworden. Ihrem Beispiel folgt die europäische Zivilgesellschaft, die ihre Mobilisierungen gegen die Unternehmenskontrolle des Wassers intensiviert und einige wichtige Siege errungen hat:

In Frankreich sind seit 2009 einige Städte, darunter Paris, nach Jahren der privaten Kontrolle via PPP zur öffentlichen Kontrolle der Wasserwerke zurückgekehrt.(2)

In Italien hat 2011 die Bevölkerungsmehrheit dank der Anstrengungen der italienischen Zivilgesellschaft in einem Referendum die Wasserprivatisierung abgelehnt.(3)

In Deutschland verlangt eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung die staatliche Kontrolle der Berliner Wasserwerke.(4)

Am 10. Mai 2012 akzeptierte die europäische Kommission, sich mit der Initiative europäischer BürgerInnen «Wasser und sanitäre Grundversorgung sind Menschenrechte» zu befassen, die vorhat, über eine Million Unterschriften für die Förderung der Wasser- und sanitären Versorgung als grundlegend öffentlicher Dienstleistung zu sammeln.(5)

Diese wenigen Beispiele genügen, um zu zeigen dass das PPP-Modell seine Ziele in Südamerika und Europa trotz grossen Drucks und vieler Pressionen seitens der Weltbank, des IWF und der Privatunternehmen, verfehlt hat. Man spricht auch vom «französischen Modell», da Frankreich mit Suez und Veolia zwei der grössten Wasserunternehmen hat und das Modell tatsächlich eine französische Schöpfung ist.

Die Alternative zum «französischen Modell» ist das «Schweizer Modell». Tatsächlich gilt dieses für alle Zivilgesellschaftsbewegungen weltweit und speziell die europäischen als vorbildlich. In der Schweiz ist Wasser ein öffentliches Gut und die Schweiz hat eines der weltweit besten öffentlichen Wassersysteme. Die Schweiz könnte - und sollte - in der internationalen Gemeinschaft eine führende Rolle für die Unterstützung der öffentlichen Wassersysteme einnehmen, vor allem über Public Public Partnerships.

Die staatlichen Schweizer Wasserwerke könnten in diesem Modell Partnerschaften mit staatlichen Wasserwerken in Ländern wie Bolivien eingehen und beispielsweise technische, finanzielle und andere Hilfe erbringen.

Aber die Schweiz ist auch das Heimland von Nestlé, dem führenden Unternehmen für abgefülltes Wasser und Advokaten der Wasserprivatisierung mit grossem Einfluss auf die Schweizer Politik in der internationalen Zusammenarbeit im Wasserbereich.

In der Juni 2010-Nummer des DEZA-Magazins «Eine Welt» schrieb DEZA-Direktor Martin Dahinden im Editorial «Swissness: Mit unseren Stärken Mehrwert schaffen»: «Unser Land ist das Wasserschloss Europas. Wasserbewirtschaftung, Wasseraufbereitung, Energiegewinnung aus Wasser gehören zu unseren Kernkompetenzen. (...) Nestlé - eines der weltweit wichtigsten Unternehmen und einer der grössten Investoren im Trinkwasserbereich - hat ihren Sitz in der Schweiz.» Das Editorial erwähnt Nestlé, aber nicht das hiesige öffentliche Wassersystem. Offenbar hat Nestlé gegenüber den Schweizer Wasserwerken ein Plus an «Swissness». Und die DEZA-«Botschaft über die Internationale Zusammenarbeit 2013-2016» liefert bedeutende Informationen. Sie enthält ein Kapitel über Wasser, das korrekt als Grundproblem charakterisiert wird. Doch im Kapitel «Privatsektor» (S. 44) steht: «Die Evaluation der Millenniumsentwicklungsziele 2010 bestätigt, dass die Überwindung der Armut und dringlicher globaler Probleme nur in Zusammenarbeit mit dem Privatsektor möglich ist. Von der Schweiz im Rahmen der Internationale Zusammenarbeit unterstützte öffentlich-private Partnerschaften (PPP), so genannte öffentlich-private Entwicklungspartnerschaften (PPDP)6 sowie der Dialog Bund-Privatsektor werden deshalb in den nächsten Jahren intensiviert».

Die DEZA erwähnt weder Public Public Partnerships noch noch die öffentlichen Schweizer Wasserwerke. Auch die DEZA promoviert das Modell PPP in der Wasserversorgung. Aber selbst in Frankreich hat sich das Modell PPP als Fehlschlag erwiesen, wie die zum «Schweizer Modell» zurückkehrenden Gemeinden zeigen. Zudem ist das grösste Erfahrungswissen über Wasser- und sanitäre Versorgung in der Schweiz im öffentlichen Schweizer Sektor angesiedelt, der aber genau nicht aufgerufen wird, seine Kompetenz für die Unterstützung anderer öffentlicher Wasserwerke einzubringen. Statt dem «Schweizer Modell» fördert die DEZA das «französische Modell», also die Wasserprivatisierung.

Der Fakt, dass die DEZA-Botschaft weder öffentliche Partnerschaften noch das staatliche Schweizer Wassersystem erwähnt, scheint völlig untergegangen zu sein. Alliance Sud kommentiert auf ihrer Webseite: «Alliance Sud begrüsst die Botschaft des Bundesrates zu den Rahmenkrediten der Internationalen Zusammenarbeit 2013-2016. Die Richtung stimmt inhaltlich wie finanziell (...).»(6) Weder Alliance Sud noch die Schweizer Hilfswerke scheinen realisiert zu haben, dass öffentliche Partnerschaften in diesem Dokument nirgends erwähnt und die Public Private Partnerships als EINZIGER Approach an die komplexen Wasserprobleme in Entwicklungsländern präsentiert werden. Hinzu kommt die am 27. Februar 2012 gegründete Swiss Water Partnership, entstanden kurz vor dem Treffen des World Water Management Forum in Marseille und dort im Schweizer Pavillon vorgestellt, die neben der DEZA Nestlé, Alliance Sud, Caritas, Helvetas, Eawag und mehrere Vertretungen des Privatsektors zusammenbringt.(7) Eine weitere Initiative, die klar die Public Private Partnerships, also die Wasserprivatisierung, unterstützen will.(8) DEZA-Chef Dahinden sagte bei der Gründungsveranstaltung: «Die Statuten des neuen Zusammenschlusses postulieren die Solidarität mit den Ärmsten und den Bedürftigen. Zugleich betrachten sie die Stärkung der wirtschaftlichen Position der Schweiz und von Schweizer Unternehmen im Wasser-Sektor als legitim.»(9)

2009 war Agua Publica Europea gegründet worden, eine europäische Vereinigung für die Unterstützung der öffentlichen Wasserverwaltung und Public Public Partnerships.(10) Ihre erste Generalversammlung fand in ... der Schweiz statt und die SIG, die Genfer Industriewerke, sind Mitglied. Agua Publica Europea vereint die wichtigsten staatlichen Wasserwerke vieler Länder - Deutschland, Belgien, Spanien, Frankreich, Italien und die Schweiz. Über Agua Publica Europea können zwischen diesen Wasserwerken und jenen aus Ländern wie Bolivien, Paraguay oder Nigeria Public Public Partnerships geschlossen und so ein wichtiger Beitrag zur Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser, Zugang zu sauberem Wasser und sanitärer Versorgung und Armutsbekämpfung MIT dem staatlichen Sektor geleistet werden. Die Kombination von Wissen, Kompetenz und Finanzressourcen dieser Gesellschaften kann konkrete Verbesserungen in den dringenden Wasserfragen in Städten wie La Paz, Cochabamba oder Lagos bewirken. Bisher sind nur die SIG Mitglied bei Agua Publica, aber diese Möglichkeit steht auch anderen Schweizer Wasserwerken offen. Es gibt auch kein Hindernis dafür, einen Teil der DEZA-Gelder für die internationale Zusammenarbeit für die Stärkung öffentlicher Wasserwerke einzusetzen. Die Schweiz hat dazu die Mittel, es fehlt einzig der politische Willen, die Public Public Partnerships konkret zu unterstützen und die Schweizer Wasserwerke ihren wichtigen Beitrag zum dringenden Problem des Zugangs zu Wasser in vielen Ländern geben zu lassen. Bisher hat jedenfalls die Nestlé-Lobby für die Wasserprivatisierung die Führung übernommen, in einem Land, in dem Wasser ein öffentliches Gut ist - eine bemerkenswerte Leistung.

Die DEZA-Botschaft wird im kommenden September in den Schweizer Räten diskutiert werden. Verlangen wir von der DEZA und der Schweizer Regierung eine klare und konkrete Unterstützung des «Schweizer Wassermodells» in anderen Ländern. Eine legitime und dringende Forderung!


(*) Brasilianischer Wasseraktivist. Er erhielt 2009 den Nord-Süd-Preis des Romero-Hauses für sein Engagement. Wohnt seit 2010 in Bern.


Anmerkungen:

 (1) www.globalmon.org.hk/en/084water/world-bank-partners-with-nestle-to-«transform-water-sector»
 (2) www.acme-eau.org/REMUNICIPALISATION-DANS-LE-MONDE_r64.html
 (3) www.waterjustice.org/?mi=1&res_id=296
 (4) www.berliner-wassertisch.net
 (5) www.right2water.eu
 (6) www.alliancesud.ch/de/ep/eza/bundesratsbotschaft-internationale-zusammenarbeit-2013-16
 (7) Der Bund, 3.3.2012, Romero Regenass: «Schwei-zer Kowhow soll globale Wasserprobleme lindern».
 (8) www.swisswaterpartnership.ch/en/Home/Members
 (9) www.deza.admin.ch/de/Home/Aktuell/News_ Detailansicht?itemID=208980
(10) www.aquapublica.eu/index.php?option=com_content&view=article&id=47&Itemid=68&lang=fr

*

Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 170, 26. Juni 2012, S. 6-7
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch
 
Correos erscheint viermal jährlich.
Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2012