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CORREOS/092: Schwierigkeiten und Perspektiven der Campesinabewegung


Correos des las Américas - Nr. 160, 21. Dezember 2009

Schwierigkeiten und Perspektiven der Campesinabewegung
Interview mit Jorge Galeano vom Movimiento Agrario y Popular in Paraguay.

Von Reto Sonderegger(*)


Jorge Galeano ist einer der wichtigsten Köpfe im Movimiento Agrario y Popular (MAP). Das hat ihm auch schon einmal fast das Leben gekostet. Seit dem Machtwechsel in Paraguay im August 2008 ist der MAP Teil des Frente Social y Popular, wo die wichtigsten Bauernorganisationen und Gewerkschaften zusammengeschlossen sind. Sie begleiten die Regierungstätigkeit Lugos kritisch, bislang sehr kritisch, konnten den Bruch mit dem Präsidenten aber bis heute verhindern. Der MAP ist ebenfalls Teil der paraguayischen Via Campesina. Jorge weilte vom 25. November bis zum 3. Dezember in Genf als Teil einer Bauerndelegation aus dem Süden, die zur WTO-Konferenz angereist war und anschliessend an die Klimakonferenz nach Kopenhagen weiter zog.

RETO SONDEREGGER: Jorge, kannst du uns einen kurzen Abriss über die aktuelle politische Situation in Paraguay geben?

JORGE GALEANO: Paraguay ist in einer sehr schwierigen Situation, die aber auch ein grosses Potential birgt. Das Wichtigste, was wir mit dem Wahlsieg Lugos am 20. April 2008 gewonnen haben, ist, dass die Leute ihre Angst verloren haben. Die Angst, den Mund aufzumachen, sich zu beschweren und vor allem, sich zu organisieren. Die sozialen Bewegungen in Paraguay, allen voran die Kleinbauern und -bäuerinnen, haben einen enormen Aufschwung erlebt. In unserer Organisation stellen wir vor allem fest, dass es Frauen und Jugendliche sind, die für diesen neuen Schwung verantwortlich sind.

Aber jetzt zu deiner eigentlichen Frage. Auf institutioneller Ebene sieht es für uns sehr schwierig aus. Dies betrifft sowohl die Exekutive, die Legislative als auch die Judikative. Innerhalb der Exekutive, also der Regierung Lugos, gibt es wenigstens ein paar Ansprechpartner, die offen sind und unsere Vorschläge mit uns diskutieren. Doch vielfach bleibt es beim Reden. Bislang ist dabei materiell nicht sehr viel herausgesprungen, ist also kaum für die Basis auf dem Land spürbar geworden. Am ehesten noch in den Bereichen Gesundheit, Umwelt und mit dem Agrarreforminstitut INDERT im zweithintersten Kaff. Da wäre der politische Wille wohl da, doch das Parlament hat grad fast das ganze Budget für 2010 gestrichen. Die Regierung ist ziemlich zerrissen. Die meisten Posten sind von Liberalen besetzt, vor allem die makroökonomischen Schlüsselministerien sind fest in neoliberaler Hand. Daneben gibt es aber ein paar gute Armutsverwalter, die Pflaster verteilen. Es ist also klar, dass eine wirkliche Veränderung von unten kommen muss und nur aufgrund eines veränderten Kräfteverhältnisses auch umgesetzt werden kann. In diesem Sinne hegen wir grosse Hoffnungen auf die Gemeindewahlen im nächsten Jahr. Wenn es uns gelingt, viele Gemeinden zu gewinnen, können wir selber anfangen, die Dinge vor Ort zu verändern, weil wir dann über die Budgets verfügen können.

Das Parlament ist fast schon wie eine feindliche Macht. In der Abgeordnetenkammer haben wir 3 Leute, die uns unterstützen, und im Senat nur Sixto Pereira von der Partei Tekojoja. Vor kurzem hat das Parlament ja auch massive Kürzungen im Sozialbudget durchgesetzt: Soziale Aktion, Agrarreformministerium und andere Institutionen, die sich für die Ärmsten einsetzen, bekamen ihren Haushalt derart zusammengestrichen, dass sie praktisch handlungsunfähig sind. Dies wird die soziale Unrast vergrössern, die dann die Rechte politisch ausschlachten will, um den Armen zu sagen, dass Lugo nichts für sie tut.

Die Justiz als letzte der drei Gewalten ist total korrumpiert und in den Händen der Mafia. Nach wie vor sind illegale Räumungen von Landbesetzungen an der Tagesordnung. Dabei kam es mehrfach zu absoluten Exzessen der Polizeigewalt. Die Leute werden nicht nur zusammengeschlagen, sondern ihnen wird von den Polizisten vielfach auch noch das Wenige gestohlen, das sie besitzen. Eine Matratze, Werkzeuge für den Feldbau, Handy oder Bargeld. Die Justiz versucht jegliche Reform zu verhindern und muss von Grund auf neu organisiert werden. wenn wir weiterkommen wollen. Deshalb haben wir auch an unserem Treffen mit dem UNO-Menschenrechtshochkommissariat hier in Genf spezifisch auf die paraguayische Justiz hingewiesen. Die Justizbeamten, Richter und Staatsanwälte sind heute die wichtigsten Instrumente im Kampf gegen die sozialen Bewegungen und garantieren den immensen Reichtum für die kleine Minderheit, die meint, Paraguay gehöre ihnen.

RETO SONDEREGGER: Kannst du für diejenigen, die Paraguay nicht so gut kennen, diese Ungleichheiten etwas präzisieren?

JORGE GALEANO: Paraguay ist wohl eines der Länder, wo der gesellschaftliche Reichtum am ungleichsten verteilt ist. Nehmen wir zum Beispiel den Landbesitz. 884 Personen, das sind 0,29% der Grundbesitzer, kontrollieren fast 17 Millionen ha Land (das ist fast viermal die Landesfläche der Schweiz, Anmerkung RS). Paraguay hat eine Fläche von etwas über 40 Millionen Hektar, ist also ein bisschen grösser als Deutschland. Weniger als tausend Leute besitzen also fast die Hälfte des Landes. Diese Fläche entspricht 56.16 % des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Viehzucht und dann der Gentechsojaanbau massiv ausgeweitet und die Wälder in der Ostregion fast gänzlich vernichtet. Im Westen im Chaco werden heute täglich 1500 Hektar Wald niedergemacht für die Viehzucht. Das Fleisch wird dann nach Russland, Chile und Israel exportiert. Aber auch in den Iran und nach Venezuela.

RETO SONDEREGGER: Und welche Bevölkerungsgruppe trifft es am härtesten?

JORGE GALEANO: Das sind ganz klar die Indigenas, also diejenigen, die schon am längsten hier leben. Ihr Lebensraum wird unwiederbringlich vernichtet, ihre Lebensgrundlagen Wald. Artenvielfalt und Wasser werden zerstört. Sie verlieren ihre Kultur. Allein in der Hauptstadt Asunción gibt es 3000 Guaraní-Indigenas aus meiner Gegend dem Departement Caaguazú, die mit Betteln auf den Strassen mehr oder weniger überleben. Vor einem Jahr wurde ein 2-jähriges Kind von der Strasse weg ins Spital eingeliefert. Es wog 5 Kilogramm.

Im September wurde der Tod von 12 Mbya-Guaranies aus dem Departement Caazapá gemeldet. Laut unseren Informationen starben sie an akuten Atemproblemen, weil sie den Pestiziden im Sojaanbau schutzlos ausgeliefert sind. Die Gemeinden heissen Tacuaruzú, Cerrito und Ypeti Tajy. Die Gemeinde Tacuaruzú liegt in einer riesigen Finca mit Baumwoll- und Sojaanbau und FSC-Holzexport. Diese Finca wurde an der zweiten grossen Konferenz für nachhaltige Soja, dem Runden Tisch des WWF, als positives Beispiel gepriesen. So gut kann es jedoch nicht gewesen sein, denn schon seit längerem wissen wir um die Lage der eingeschlossen Indigenas. Die staatliche Indianerbehörde INDI hat bei der Staatsanwaltschaft eine Anzeige gegen Unbekannt eingereicht, aber bislang sind die Ermittlungen nicht vom Fleck gekommen.

Am 6. November wurden die Indianergemeinden Kaaguy Roky, Loma Tajy, Formosa Kaatymi, Ysati und Kaa Poty im Departement Alto Paraná Opfer eines brutalen Übergriffs. Obwohl die Gemeinden seit 1996 einen Landtitel für die 2338 ha besitzen, erschien 2005 der brasilianische Sojaunternehmer Jackier Serdan mit einem Titel für dasselbe Land. Der Richter in Ciudad del Este hat nicht gezögert, ihm einen Räumungsbefehl auszustellen. Die Polizei schaffte es dann aber nicht, die Guaranies zu vertreiben. Diese setzten sich unter anderem mit Pfeil und Bogen zur Wehr und die Polizei zog sich unter dem Protest der ebenfalls anwesenden Brasilianer zurück. Diese rächten sich wenig später. Ein Sprühflugzeug überflog das Territorium der Indigenas und griff die BewohnerInnen mit einem bis heute unbekannten Pestizid an. Viele Leute mussten sich krampfartig übergeben. Auch in diesem Fall gab es Anzeigen, die bis heute noch zu nichts geführt haben. Aber es hat internationalen Druck ausgelöst. Etliche Menschenrechtsgruppen auch aus Europa haben darauf reagiert und Protestbriefe geschrieben. Für uns ist diese Solidarität aus dem Norden sehr wichtig. Sie gibt uns politischen Raum und kann im wahrsten Sinne des Wortes Leben retten bei akuten Bedrohungslagen.

RETO SONDEREGGER: Wie seid ihr denn als Campesinos mit der Repression konfrontiert?

JORGE GALEANO: Seit dem letzten Jahr, also seit dem Amtsantritt Lugos, ist die Gewalt gegen Landlose explodiert. Das hat sicher auch damit zu tun, dass es viel mehr Bewegung gibt. Aber die Übergriffe sind zum Teil von einer äussersten Brutalität, die es so vorher nicht so regelmässig gab. Dabei muss man aber auch sagen, dass bei vielen Polizeiaktionen und Räumungsbefehlen die Regierung keine grosse Verantwortung trägt, denn die Justiz agiert hier selber als politischer Akteur, um die Privilegien ihrer eigenen Klasse zu verteidigen. Vielfach bezahlen Grossgrundbesitzer Richter, Staatsanwälte und Polizeikommandanten für Räumungen im Voraus. Noch nie gab es eine Untersuchung, geschweige denn Bestrafung, wegen Polizeigewalt im Zusammenhang mit Repression gegen Landlose. Die Landlosen hingegen werden verhaftet und dann wird ihnen der Prozess gemacht. Zwischen August 2008 und Juli 2009 kam es zu 52 Räumungen mit 819 Verhafteten und 347 Prozessen. Unter den Prozessierten befinden sich 511 Frauen und 16 Minderjährige.

Und noch schlimmer: Seit Oktober 2008 wurden sechs Bauernführer ermordet. Dabei starben drei bei Polizeiaktionen, "zufällig" immer ein Basiskader. Bienvenido Melgarejo, 45 Jahre alt, wurde in Alto Paraná am 3. Oktober 2008 aus 80 Meter Distanz erschossen. Cesar Álvarez starb in Coronel Oviedo und Ramón González am 11. Januar 2009. Die anderen drei Compañeros waren erst verschwunden und wurden dann tot aufgefunden. Alejandro Amarilla fand man am 8. November 2008 tot. Er wurde ebenso von Wachpersonal von Grossgrundbesitzern ermordet wie Martín Ocampo am 12. Januar 2009 und Enrique Brítez. In keinem der Fälle kam es zu einer Verhaftung und Bestrafung der Mörder. Die Straflosigkeit ist ein fundamentaler Bestandteil des Systems.

RETO SONDEREGGER: Wer ist denn verantwortlich für diese Repression?

JORGE GALEANO: Zum einen Teil die Regierung. In ihren polizeilich-militärischen Grossaktionen auf der Suche nach zwei angeblich von einer linken Splittergruppe entführten Grossgrundbesitzern kam es zu brutalen Übergriffen auf ganze Bauerngemeinden. Die Verantwortung dafür tragen der sozialdemokratische Innenminister Rafael Filizola und der Generalstaatsanwalt Rubén Cándido Amarilla.

Doch auch die Ultrarechte der Grossgrundbesitzer organisiert sich, um direkt gegen uns loszuschlagen. Am 25. Oktober bestätigte der Exilchilene Eduardo Áviles, dass er zur Bildung von paramilitärischen Gruppen aufrief, um Kommunisten zu töten. Er habe Allende in Chile erlebt und so was soll ihm in seiner neuen Heimat nicht noch mal passieren. Er schlug die Bildung der Paraguayischen Antikommunistischen Aktion vor, dem Comando Anticomunista Paraguayo CAP. Dazu müsse man auch Geld sammeln, um automatische Waffen zu kaufen. Áviles wird in Chile mit der Ermordung des Allende-treuen Generals Schneider 1970 in Verbindung gebracht. Áviles war Mitglied der ultrarechten Terrorgruppe Patria y Libertad und pflegt heute gute Verbindungen mit den rassistischen Separatisten in der bolivianischen Tiefebene um Santa Cruz.

RETO SONDEREGGER: Jorge, vielen Dank für das Interview. Ich hoffe, das nächste Mal kommen wir mehr dazu, über positive Sachen zu reden, wie eure alltägliche Basisarbeit, die ja zu einem schwindelerregenden Anwachsen eurer Organisation geführt hat.

JORGE GALEANO: Ja, das sollten wir machen. Wir dürfen uns von der Repression nicht depressiv und passiv machen lassen. Sie wird uns nicht lähmen. Denn wir haben eine feste Vorstellung davon, wie unser Land aussehen könnte und auch, wie wir dahin kommen können. Diesen Weg müssen wir bis zum Ende gehen. Vor zwei Jahren waren wir als MAP eine departementale Organisation in Caaguazú, heute sind wir schon in sechs Departementen präsent. Was mich am meisten positiv stimmt, ist der Elan der Jugend und der Frauen. In vielen Haushalten hat das schon viel verändert.


(*) Commission Internationale von Uniterre, der Agrargewerkschaft in der Romandie, die bei Via Campesina Mitglied ist. www.uniterre.ch


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 160, 21. Dezember 2009, S. 24-25
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2010