Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

CORREOS/057: El Salvador - Hoffnungen auf Veränderung mit dem FMLN


Correos des las Américas - Nr. 156, 22. Dezember 2008

EL SALVADOR
"... nicht nur Plakate kleben und Pfosten bemalen"

Im Wechselbad der Gefühle - eine Reise zu Menschen mit grossen Hoffnungen auf Veränderung mit dem FMLN und grossen Ängsten vor der Antwort der Machthabenden.

Von Karin de Fries


"Entweder wir raffen es und schaffen den Regierungswechsel oder wir brechen wirklich zusammen!", so ein Bauer aus dem Norden San Vicentes an einem Austauschtreffen verschiedener ländlicher Organisationen. Diese Wahlanalyse trifft den Kern der Herausforderung für den FMLN. 17 Jahre Nachkriegszeit konnten die Verelendung grosser Teile der Bevölkerung nicht verhindern, im Gegenteil, sie ermöglichten den Vormarsch des neoliberalen Wirtschaftsprojektes und der konservativen Gesellschaftsentwicklung. Doch jetzt stehen Wahlen vor der Tür, für die lokalen Regierungen, das Parlament und die Exekutive des Landes, die Präsidentschaft. Für den FMLN, der seit 1992 als politische Partei und Oppositionskraft für eine Demokratisierung des Landes kämpft, eine historische Herausforderung: die Urnengang-Logik mit Transformation und Revolution zu verbinden. Mehr noch - das Terrain der Wahlprozesse zur Stärkung der sozial-politischen Organisation, Mobilisierung und Sensibilisierung zu nutzen. Oder wie es Santiago Flores von der Politischen Kommission des FMLN sagt: "... nicht nur Plakate kleben und Pfosten bemalen, in der Wahlkampagne geht es auch darum, soziale Kräfte aus- und aufzubauen (...) in den Hausbesuchen, von Tür zu Tür, über die Krise und Alternativen zu diskutieren und nicht nur, wo das Kreuz zu zeichnen ist."


Eine andere Kampagne gegen die grosse Angstmache

Der FMLN hat eigentlich bereits ein Jahr Wahlkampagne in diesem Sinne hinter sich. Die fórmula, das Kandidatenpaar, hat sich im November 2007 öffentlich vorgestellt und seither nehmen Mauricio Funes und Salvador Sánchez Cerén - Präsidentschaftskandidat und Vize - praktisch jedes Wochenende an Dorf- oder Stadtversammlungen teil. Das Regierungsprogramm wurde an über 30 thematischen Runden Tischen während Monaten mit verschiedenen Bevölkerungssektoren diskutiert. Auch der offizielle Walkampfbeginn, Mitte November, wurde vom FMLN anders gestaltet, als dies die anderen Parteien taten: nicht eine Grossveranstaltung, nicht ein Kongress, sondern eine zweitägige Rundreise quer durchs Land. La caravana de la esperanza, die Karawane der Hoffnung, wurde sie genannt. Während zwei Tagen, von morgens früh bis spät in die Nach hinein, warteten Tausende von Frauen, Männer und Kinder an den Strassen, um die Karawane zu begrüssen, um ein Stück mitzugehen. Bis zu 4.500 Autos nahmen gleichzeitig an der Karawane teil. Dieser Auftakt hatte viel symbolischen Charakter, im lebendigen Sinne des Wortes: Bewegung, gemeinsam mit den Leuten und dies auch mitten in "Feindesland". So fuhr am ersten Tag die Karawane auch an Izalco vorbei, wo 1932 das indigene Bauernmassaker von der Oligarchen-Diktatur verübt wurde und über 30.000 Menschen in wenigen Tagen abgeschlachtet wurden. Izalco, der Ort, wo die extrem rechte Regierungspartei traditionell ihre Wahlkampagne startet. ARENA wurde von den gleichen Personen gegründet, welche die Todesschwadronen organisiert hatten. Ihre Logik ist sich gleich geblieben: Ihre Regierung verwaltet das Land als ihre Hacienda. Etwas anderes ist für sie kaum denkbar. Auf der Hauptstrasse unterhalb von Izalco empfingen am Samstagnachmittag Hunderte von Menschen die Karawane des FMLN, nachdem sie mehrere Stunden auf 'Mauricio und Salvador' gewartet haben.

ARENA besitzt die grossen Medien und schaltet penetrant Spots gegen die Bürgermeisterin von San Salvador, gegen den FMLN und für ihre Regierung, die Arbeitsplätze schaffen werde. Ein Hohn nach 20 Regierungsjahren! Die schmutzige Wahlkampagne von ARENA wird massiv zunehmen, denn sie ist eine der Strategien, um den Regierungswechsel zu verhindern; dazu die Angstmache, der Kauf von Stimmen, Machtdemonstrationen. Regierungsprogramme (z.B. Armutsbekämpfung) werden als ARENA-Kampagne umgesetzt und im Obersten Wahlrat waltet ARENA praktisch alleine. Trotzdem liegen FMLN/Mauricio Funes Anfang Dezember weiterhin 13 bis 14 Punkte vor ARENA/Rodrigo Ávila.

Während meiner Zeit in El Salvador nahm ich mir vor, die Medienkampagne im TV mitzuverfolgen. Doch eine Dosis frühmorgens, eine halbe Stunde zappen durch die nationalen Sender, reichte mir, um ob der Lügen, Manipulation und Unverschämtheiten hässig zu werden und auf weitere TV-Verheissungen zu verzichten. Eine Dosis pro Tag. Die Medienkampagne der Rechtspartei ist bis jetzt nicht aufgegangen, doch es fehlen noch vier Monate bis zu den Präsidentschaftswahlen; die Macht des Fernsehens und damit die Möglichkeit, mittels Medienwahlpsychologie die Kraft des Wechsels abzuschwächen, ist nicht zu unterschätzen.


Gewerkschaftshoffnungen

Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Schweizerischen Arbeiterhilfswerk SAH und salvadorianischen Sozial- und Frauenorganisationen, NGOs und FMLN-Gemeindebehörden nahm ich an drei Austauschtreffen teil und besuchte die Zentralregion des Landes. An allen Treffen und Gesprächen stiess ich auf die Gleichzeitigkeit hoffnungsvoller Projektionen auf die kommende, alles lösende FMLN-Regierung, auf den 'das-Unmögliche-möglich-machende' Mauricio Funes, mit dem ebenfalls klaren Bewusstsein, dass, falls der FMLN die nächste Regierung stellen wird, kurzfristig nur kleine Schritte möglich sein werden, dass die Mobilisierung der Sozialbewegungen für die Umsetzung des FMLN-Regierungsprogrammes ausschlaggebend sein wird.

So diskutierten die Gewerkschaften des Service public, dass mit dem FMLN in den Ministerien zwar eine Anti-Privatisierungspolitik vorherrschen werde, dass aber für deren Umsetzung und für die Einhaltung von würdigen Arbeitsrechten weiter gekämpft werden müsse, denn zu viele Dienstleistungen sind bereits privatisiert und die internationalen Gewerkschaftsrechte der ILO wurden als verfassungswidrig erklärt. Eine weitere Hoffnung der Gewerkschaften besteht darin, mit der FMLN-Regierung eine reale 'Tripartiten-Struktur' aufbauen zu können.


Die Grausamkeit des Grossgrundbesitzers

Südlich der Kantonshauptstadt Zacatecoluca liegt ein weites Gebiet mit grossen Zuckerrohrplantagen und Viehwirtschaft. Drei Landwege führen von der Küstenstrasse in dieses Gebiet und an diesen Wegen wohnen Familien. Mit der lokalen Organisation fahre ich in eine der Landstrasse Richtung Küste. Das Land ist flach und weit, doch die Hütten sind an den Wegrand gedrängt, der Boden gehört dem Grossgrundbesitzer. Die Familien wohnen ohne Landtitel am Rande der Plantagen, denn sie sind Taglöhner und arbeiten bei Ernte auf dem Feld, schauen dem Vieh des 'Patrón'. Chronische Unterernährung, besonders der Kinder, und Durchfall wegen unsauberem Wasser sind akute Probleme. Letrinen und Brunnen müssen speziell gebaut werden, da dieses Gebiet in der Regenzeit oft überschwemmt wird. Dadurch werden die bestehenden Brunnen unterspült und verseucht. Es gibt ein Verfahren - die Hermetisierung von Brunnen - welches die Brunnen bei Überschwemmung schützt und dies wollten wir gemeinsam tun (die lokale Organisation ADISZ, die Gesundheits- und Wasser-NGO PROVIDA und das SAH). Doch der Grossgrundbesitzer weigerte sich, das Stückchen Land, wo der Brunnen steht, in Pacht abzugeben! So ist die Grausamkeit der Grossgrundbesitzer - ihre unmenschliche, klassistische Logik, die Menschen in absoluter Abhängigkeit zu fesseln, um sie als billige Arbeitskraft manipulieren zu können. Der Brunnen steht den Leuten zur Verfügung, denn so sind sie auch jederzeit abrufbar; doch bereits ein kleiner Ansatz von Autonomie - ein Dokument, das einen Anspruch legitimiert - wird abgewürgt. Die Männer und Frauen dieser Region organisieren sich, doch der Alltag, die Abhängigkeit, vereinnahmt viele Kräfte. In ähnlichen Situationen leben die Familien der Taglöhner der Kaffeeplantagen im Westen des Landes. Die Herausforderungen für eine FMLN-Regierung sind immens, denn strukturell haben sich die Besitzverhältnisse im Land mit den Friedensabkommen nicht geändert.

Weit positivere Eindrücke hinterliessen die Erlebnisse im Norden des Landes, in Las Vueltas. In dieser Gemeinde, in den Hügeln Chalatenangos, trafen sich Dorfverbände, Frauenorganisationen und Vertreter von FMLN-Lokalregierungen aus der Region und aus dem benachbarten Departement Cabañas sowie die nationale, feministische Organisation 'Las Mélidas'. Der Austausch verschiedener Erfahrungen in der Organisations- und Gemeindearbeit sowie in der Gleichstellungspolitik als integraler Teil der Gemeindeentwicklung stand im Zentrum des Treffens. Dabei fand die Arbeit der Jugendgruppen in Cabañas speziell Anerkennung, ebenso die Kreativität in den Lokalradios und 'Sonidos' (Radio am Computer und über Lautsprecher ins Dorf) sowie die richtungweisenden Erfahrungen der Mitbestimmung der organisierten Bevölkerung in FMLN-Gemeinden, inklusive die Integration der Gleichstellungspolitik. In Nueva Trinidad und Nombre de Jesús, zwei FMLN-Gemeinden in Chalatenango, wurden im Rahmen einer Zusammenarbeit Lokalregierung-Mélidas eine Genderpolitik erarbeitet. Diese Prozesse beinhalten nicht nur die aktionsorientierte Bestandesaufnahme der Situation der Frauen in der Gemeinde, sondern auch die Errichtung eines Gleichstellungsbüros, Sensibilisierungsarbeit durch die Gemeinde, Weiterbildung der Angestellten, Stärkung der lokalen Frauengruppen und Budgetierung von konkreten Aktionen zur Verminderung der Frauendiskriminierung.


Erinnerungen und Hoffnung

In verschiedenen Momenten meines kurzen Aufenthaltes war der Krieg Gesprächsthema, auch 17 Jahre nach Kriegsende. Die Trauer, der Schmerz der Verluste, die schwer aussprechbaren Gräueltaten der salvadorianischen Armee, der "Sicherheitskräfte", Todesschwadronen und Elitebatallons haben in kollektiven Erinnerungszeremonien in den letzten Jahren an Worten und Kraft für die Überlebenden gewonnen. Gleichzeitig aber auch die Erinnerung des gemeinsamen Kämpfens und Lachens. Dies erlebte ich speziell in Gebieten, wo die Guerilla ihre Lager hatte. In Kaffeegesprächen in Las Vueltas z.B. wurde an die lustigen Erlebnisse im 'campamento' der Guerilla erinnert, ebenso an die Kraft und Schwierigkeit, als sie mitten im Krieg gegen den Willen der Regierung und der Armee das zerstörte Las Vueltas wieder aufbauten. Damals hiess es: "Das Wasser kehrt zum Fisch zurück". An meinem diesjährigen Besuch wurde speziell an das Massaker von 'Sumpul' erinnert, bei dem ein Grossteil der Bevölkerung von Las Vueltas umgebracht wurde. Am 14. Mai 1980 wurden von der salvadorianischen und der honduranischen Armee am Grenzfluss ca. 600 Frauen, Männer und Kinder umgebracht. Am Austauschtreffen wurde der Verstorbenen gedacht. Zwei Überlebende waren mit dabei: Esperanza, heute Gemeinderätin von Las Vueltas und Tobias, Gemeinderat von San José Las Flores. Die Hoffnung, dass mit einer FMLN-Regierung symbolisch und konkret Gerechtigkeit gesprochen werden wird, ist nicht nur in den ehemaligen Kriegsgebieten stark.

Zahlreiche Erwartungen und Forderungen stehen hinter dem Wort esperanza oder cambio (Hoffnung und Veränderung); dies in allen Bevölkerungsteilen und auf ganz unterschiedliche Weise. Die Wahlen gewinnen, heisst, mit den Menschen und Hoffnungen neue Realitäten schaffen, heisst Transformation ermöglichen. Dies meine Hoffnung, die ich aus El Salvador mitgebracht habe.


*


Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 156, 22. Dezember 2008, S. 23-24
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Röntgenstrasse 4, 8005 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch

Correos erscheint viermal jährlich.
Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2009