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AUFBAU/578: Klimabewegung - Es geht ums Ganze


aufbau Nr. 98, Sep/Okt 2019
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

KLIMABEWEGUNG

Es geht ums Ganze


Die Klimabewegung Schweiz befindet sich ein gutes Jahr nach den ersten Mobilisierungen in einer Konsolidierungsphase. Auf der einen Seite steht eine junge, breit aufgestellte und aktionistische Basisbewegung, andererseits versuchen etablierte Parteien vom Erfolg und der Präsenz zu profitieren und sich in die Thematik reinzudrängen.


(agw/raw) Die grosse Fragestellung innerhalb der Klimabewegung dreht sich im Moment darum, was ihre konkreten Forderungen an die parlamentarische Politik sein könnten. Können sie sich auf die "gewählten PolitikerInnen" verlassen und kann die Klimakrise innerhalb des kapitalistischen Systems überhaupt gelöst werden?

Die Antworten auf diese Fragen fallen, entsprechend den überaus heterogenen politischen Positionen der Klimabewegten, sehr widersprüchlich aus: Es gibt die Position, dass die Massenmobilisierungen bloss den Druck auf die "gewählten PolitikerInnen" erhöhen sollen, "damit diese ihre Arbeit machen", sprich bestehende Abkommen zum Klimaschutz wie das Pariser Abkommen konsequent durchsetzen sollen. Durch die grössere Präsenz der Jungparteien von Sozialdemokratie und Grünen innerhalb der lokalen wie überregionalen Klimastreik-Kollektive ist eine Tendenz zur "klassischen" reformistischen Politik mit Volksinitiativen und politischen RepräsentantInnen erkennbar. Im Widerspruch dazu steht eine gleichermassen in der Bewegung präsente, antikapitalistische Haltung, welche davon ausgeht, dass die Klimakrise im Kapitalismus nicht zu lösen ist und entsprechend auch die bürgerliche Demokratie mit ihren Institutionen ablehnt.

Während der reformistische Teil der Bewegung in der Schweiz im Moment vor allem Bezug auf die Parlamentswahlen nimmt und unter anderem eine "Klima-Charta" online gestellt hat, zu der Kandidierende Stellung nehmen können ("Wir wollen Themenpolitik, keine Parteipolitik"), sind aus dem antikapitalistischen Lager durchaus Tendenzen abzusehen, einen konfrontativeren Kurs einzuschlagen und klarer Position zu beziehen. Das zeigte sich beispielsweise bei den Bankblockaden durch das "Collective Climate Justice" in Basel und Zürich Anfang Juli oder im Entstehen von Bewegungen wie Extinction Rebellion (XR, "Rebellion gegen das Aussterben"). Die Bewegung entstand vor einem guten Jahr in Grossbritannien und stellt durchaus radikale Forderungen. XR traut den Regierungen schnelles Handeln aber nicht zu, zur Umsetzung sollen BürgerInnenversammlungen ("citizens assemblies") einberufen werden. Aktionen sind ein wichtiger Teil zur Erreichung ihrer Ziele, in Grossbritannien gab es durch XR massive Blockadeaktionen und Störungen von Parlamentssitzungen. Die Bewegung hat sich strikte Gewaltfreiheit auf ihre Fahnen geschrieben und soll analog zu den Klimastreik-Kollektiven offen für alle Positionen sein.


Klimaschutz im Kapitalismus?

Mittlerweile ist XR auch in der Schweiz angekommen. Bereits gibt es in einigen Städten Regionalgruppen. Aktuell sind sie, laut eigener Aussage, noch zu klein für grosse Aktionen. 2020 soll sich dies jedoch ändern. Dann sollen breite Aktionen von zivilem Ungehorsam stattfinden. Die inneren Widersprüche zeigen sich jedoch bereits jetzt. Zum Verhindern des Voranschreitens des Klimawandels hält XR eine radikale Reduktion der Güterproduktion und des Konsums für unumgänglich. Doch wie sich diese Forderungen im Kapitalismus tatsächlich umsetzen liessen, wird offen gelassen, andererseits wird aber auch keine klar antikapitalistische Position und Perspektive formuliert.

Dass die Bewegung in ihrer eigenen Widersprüchlichkeit gefangen ist, wird in vielen Belangen deutlich. Dies entspricht einerseits dem breiten Bewegungscharakter, andererseits ist die Klimafrage aktuell vielfach erstes Politisierungsmoment vieler Jugendlicher. Klare Positionierungen müssen also erst im Rahmen der Praxis und anhand der inneren Widersprüche gebildet werden.

Trotzdem ist es erstaunlich, dass gerade das Pariser Klima-Abkommen von 2015 weiterhin einen zentralen Bezugspunkt für die Klimabewegung darstellt. Das Abkommen beinhaltet zwar die Zielsetzung, die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Allerdings gibt das Abkommen weder einen weltweiten und gemeinsamen "Fahrplan" zur Erreichung dieses Ziels vor, noch wurden bindende nationale Reduktionsziele oder, im Falle des Nichterreichens, Sanktionsmechanismen vereinbart. Kein Wunder also, dass global die CO2-Emissionen weiterhin steigen statt sinken. Das Abkommen stellt also vor allein den fehlenden Willen und die Unfähigkeit der Herrschenden dar, im bestehenden Wirtschaftssystem die Herausforderungen des Klimawandels anzugehen. Umso widersprüchlicher, weiterhin auf einer "Umsetzung" dieses Abkommens zu beharren.


Forderungen an die Herrschenden

Der Widerspruch zwischen der eigentlich deutlich angebrachten Kritik an den RepräsentantInnen der bürgerlichen Demokratie sowie den (besonders) umweltverschmutzenden Konzernen und der tatsächlichen Praxis, welche mit konkreten Forderungen der Bewegung an die Herrschenden verbunden wird, zeigt sich auch andernorts. Allen antikapitalistischen Parolen zum Trotz werden auch bei Aktionen wie Bankblockaden hauptsächlich konkrete Forderungen an die Konzerne, wie der "sofortige Ausstieg der UBS aus Projekten und Unternehmungen im Bereich fossiler Brennstoffe" gestellt.

Die Forderung nach "nettonull" Emissionen bis 2030, also dass der Ausstoss und die Absorption von CO2 einander angepasst werden, bietet gar reichlich Anknüpfungspunkte für den "innovationsfreundlichen" Wirtschaftsflügel. Dieser beharrt stets darauf, dass es eine rein technologische Lösbarkeit für den Klimawandel gebe, ein politischer Wandel also keineswegs nötig sei.

In dieselbe Kerbe hauen, unter Einbezug der Forderung nach neuen Arbeitsplätzen, auch die Gewerkschaft Unia mit ihrem bereits vor einigen Jahren skizzierten "öko-sozialen Umbau" der Wirtschaft (Förderung von nachhaltigen Wirtschaftszweigen und damit Schaffung von Arbeitsplätzen in der Schweiz) und die SP Schweiz in Teilen ihres jüngst vorgestellten "Marshallplans".

Die letzte Forderung der Klimabewegung schliesslich, die der "Klimagerechtigkeit" bringt zwar ansatzweise die soziale Frage, beziehungsweise den Punkt, dass die Ärmsten am meisten unter dem Klimawandel zu leiden haben, und einen gewissen Internationalismus auf den Tisch.

Die Forderung bleibt aber diffus, weil eine Perspektive darin völlig fehlt. Dabei würde die aktuelle Debatte um die Auswirkungen des Klimawandels durchaus genügend Ansatzpunkte für die Verbindung von Ökologie und der Klassenfrage bieten.

Um einen tatsächlichen Wandel in Sachen Umwelt- und Klimazerstörung zu erreichen, müsste die Klimabewegung ihre oft formulierte Parole "system change not climate change" konsequenter politisch fassbar machen. Der richtige Impuls vieler Klimabewegten sollte seinen Ausdruck in einer antikapitalistischen, revolutionären Position finden. Statt weiterhin Appelle an die "gewählten PolitikerInnen" zu formulieren, braucht es einen Bruch mit der bürgerlichen Demokratie als Herrschaftsform des Kapitals.


Kämpfe verbinden

Den antikapitalistischen Kräften innerhalb der Klimabewegung kommt deshalb die wichtige Rolle zu, andere Ansatzpunkte mit der ökologischen Frage zu verbinden. Dass die Kriege um Ressourcen und Einflussgebiete überall auf der Welt immer auch mit massiven Umweltzerstörungen einhergehen, kommt kaum zur Sprache. Aktuellstes Beispiel sind die grossen Zerstörungen von Ackerland in Syrien durch Brandstiftungen. Ein anderes Beispiel ist die Verwendung von Uranmunition durch die US-Armee in den Kriegen gegen den Irak 1992 und 2003 oder beim NATO-Angriff auf Jugoslawien. Die Folgen davon sind bis heute zu sehen und spüren. Auch die Frage der Migration könnte angesichts der drastischen Auswirkungen des Klimawandels, welche unzählige Menschen zur Flucht zwingen, vermehrt mit der ökologischen Frage verknüpft und eine internationalistische Position formuliert werden. Entsprechend sollten auch die verheerenden Waldbrände im Amazonasgebiet in den Kontext der aktuellen faschistischen Regierung Jair Bolsonaros gesetzt und auf das Hofieren der europäischen Regierungen hingewiesen werden.

Neben dem Massencharakter der Klimastreiks liegt die Stärke der Bewegung beziehungsweise der von ihr aufgeworfenen Fragen darin, dass sie die Probleme, die der Kapitalismus tagtäglich produziert, so verallgemeinert auf den Punkt bringt. Es liegt an den antikapitalistischen Kräften innerhalb der Bewegung, ihre Position in aller Konsequenz in die Mobilisierungen hineinzutragen, den kapitalismuskritischen Instinkt der Bewegung, weiterzuentwickeln und sich so den Schönfärbereien eines "grünen Kapitalismus" entgegenzustellen. Dabei gilt es zu betonen, dass es in der jetzigen Situation keinesfalls bereits darum geht, sich an Fragen der konkreten perspektivischen Umsetzung - welche Energieressourcen sollen wie genutzt werden? - aufzureiben. Viel wichtiger ist es, dass mit dem Umsturz der bestehenden Produktionsverhältnisse überhaupt erst die Grundlage geschaffen werden kann für die Organisation einer Produktionsweise und Gesellschaftsform, die sich gleichermassen an den Bedürfnissen aller orientiert aber auch ohne die Zerstörung des Planeten funktioniert. Es bleibt keine Zeit, um auf die Umsetzung der Forderungen der Klimabewegung zu warten, der Systemwandel muss zuoberst auf die Agenda rücken.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 98, September/Oktober 2019, Seite 5
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2019

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