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AUFBAU/515: Der unbekannte Che Afrikas


aufbau Nr. 90, September/Oktober 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Der unbekannte Che Afrikas


ANTI-IMPERIALISMUS Vor 30 Jahren, am 15. Oktober 1987, wurde Thomas Sankara ermordet. Er war der postkolonialen Ordnung in Afrika zu gefährlich geworden.

(rabs) Thomas Sankara wurde 1949 in Yako im damaligen Obervolta geboren, das 1960 politisch unabhängig wurde. Er wuchs in Gaoua im Süden des Landes als Sohn eines Spitalsoldaten, der im zweiten Weltkrieg auf der Seite Frankreichs gekämpft hatte, auf. Während seiner Zeit an der Militärschule in Ouagadougou kam er mit dem marxistisch-leninistischen Gedankengut in Berührung. Mit anderen linken Offizieren gründete er das "Regroupement des officiers communistes".

Er bildete sich in verschiedenen Richtungen weiter. Auf Madagaskar lernte er viel über Landwirtschaft, autodidaktisch bildete er sich auch in Soziologie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften weiter. 1980 putschte sich Saye Zerbo an die Macht, der ein Jahr später Thomas Sankara als Informationsminister verpflichtete. Da Sankara aber von Anfang an mit der Politik Zerbos unzufrieden war, trat er nach nur einem halben Jahr im Amt zurück. Seine Entscheidung verkündete er am Fernsehen, wo er sie mit der repressiven Politik der Regierung Zerbos begründete. Der Rücktritt fand grosse Beachtung in der Bevölkerung und machte ihn zu einer bekannten Person.

Als im November 1982 Jean-Baptiste Ouédraogo Zerbo stürzte, wurde Sankara Premierminister, obwohl der Staatschef in einer neokolonialen Tradition stand. Sehr bald wurde Sankara jedoch wieder entlassen, wohl auf Betreiben der ehemaligen Kolonialmacht. Er wurde zu Hausarrest verurteilt, bald darauf aber auf Druck der Strasse wieder freigelassen. Im August 83 marschierten die linken Militärs schliesslich zusammen mit unzähligen Personen aus der Bevölkerung von Pô in die Hauptstadt Ouagadougou. Da sich die Bevölkerung massenhaft am Aufstand beteiligte, handelte es sich nicht um einen Staatsstreich, was Sankara und seinen Mitstreitern eine grosse Legitimität gab.

Integre Menschen

Thomas Sankara änderte, sobald er an der Macht war, den Namen des Landes. Er verabschiedete sich vom kolonialen Namen Haute-Volta und taufte das Land in Burkina Faso um, eine Wortkreation aus zwei der drei Sprachen des Landes. Burkina Faso war nunmehr das "Land der integren Menschen". Neben dieser symbolischen Änderung, reformierte Sankara das Land fundamental. Seine Leitlinie dabei war, das Land aus der neokolonialen Unterdrückung durch Frankreich und andere Länder zu befreien, wobei die Ernährungssicherheit sehr wichtig war. An einer Konferenz sagte er dazu: "Wo der Imperialismus ist? Schaut in eure Teller: Wenn ihr ein importiertes Reis-, Mais- oder Hirsekorn esst, das ist er, der Imperialismus."

Die Regierung stützte den Weizenpreis, indem sie Überschüsse aufkaufte und für Brot und Bier Mindestmengen an einheimischen Zutaten festlegte, die verwendet werden mussten. Es wurde auch propagiert, dass mehr lokale Kleidung getragen werden sollte, also Kleider, die vom Baumwollbauer bis zur Schneiderin vollständig in Burkina hergestellt wurde. Die Alphabetisierung wurde vorangetrieben, indem in jedem Dorf einigen Menschen das Lesen und Schreiben beigebracht wurde. Es wurde auch eine Landreform initiiert: Der Boden wurde verstaatlicht und an die Menschen weitergegeben, die ihn bebauen wollten. Innerhalb von vier Jahren schaffte es Sankara, dass Burkina Faso selbsversorgend wurde.

Da das Land in der Sahelzone liegt, war auch der Kampf gegen das Vorrücken der Wüste wichtig. Dafür wurde die Bevölkerung sensibilisiert und dabei unterstützt, Büsche und Bäume zu pflanzen und bestehende Gehölze nicht abzuholzen. Auch auf der Ebene der Gesundheitsversorgung vollbrachte Sankara Grosses. Innerhalb von sehr kurzer Zeit wurden Masern, Hirnhautentzündung und Kinderlähmung ausgerottet, zwei Millionen Burkinabé wurden innerhalb einer Woche geimpft. Ausserdem wurde in jedem Dorf ein "poste de santé primaire", also so was wie ein Mini-Spital, aufgebaut. Darüber hinaus wurde der Verschwendung der Kampf angesagt: Die Dienst-Mercedes wurden durch einfache Autos ersetzt und die MinisterInnen durften nur noch 2. Klasse buchen, wenn sie sich mit dem Flugzeug fortbewegen mussten.

Ein wichtiger Punkt in Sankaras Agenda war schliesslich auch die Gleichberechtigung der Frauen. Sankara war einer der ersten Staatschefs der Welt, der für die Emanzipation der Frauen kämpfte. Er berief mehrere Ministerinnen in sein Kabinett und öffnete den Frauen auch sonst Türen, die bisher für sie verschlossen gewesen waren.

Die Schulden nicht mehr bedienen

Die wohl bekannteste Rede Sankaras ist diejenige, die er im Sommer 1987 am Gipfel der Organisation für afrikanische Einheit (OUA) hielt. Er erklärte, die afrikanischen Staaten sollten aufhören, die Schulden zu bedienen, die sie bei den imperialistischen Ländern hatten. Die Rede kam in Afrika gut an und das war wohl auch einer der Gründe, wieso Thomas Sankara kurz darauf, am 15. Oktober 1987, ermordet wurde. Die Todesumstände des Revolutionärs blieben einigermassen ungeklärt. Er wurde offenbar von der Nummer zwei in Burkina Faso, Blaise Compaoré, einem langjährigen Genossen, umgebracht. Dieser wurde danach auch Staatschef, was er bis 2014 blieb - er betrieb eine proneokoloniale Politik. Höchstwahrscheinlich war auch Frankreich direkt oder indirekt in die Ermordung Sankaras verwickelt. Es ist klar, dass die ehemalige Kolonialmacht mit dem wachsenden Einfluss Sankaras in Afrika langsam ihre Felle davonschwimmen sah. Nicht verstellbar, wenn die ehemaligen Kolonien die Schulden nicht mehr bedienen würden und sich gegen Importe wehren würden!

Auch Muammar al-Gadhafi, der noch im Frühling desselben Jahres Sankara bei einem Besuch in Lybien zum Oberst befördert hatte, wird verdächtigt, das Attentat unterstützt zu haben.

Thomas Sankara presente!

Seine Ideen haben Sankara bei weitem überlebt: Viele AktivistInnen in Afrika beziehen sich auf ihn, seine Ideen und Erfolge. Die Bedeutung Sankaras heute liegt darin, dass er ein Hoffnungsträger ist für alle, die das aktuelle System von Korruption, Machtmissbrauch und Despotismus überwinden möchten. Überall auf der Welt gab es immer wieder Menschen, die linke, fortschrittliche Ideale vertraten, sich aber davon abwandten, als sie an der Macht waren oder einen fragwürdigen Umgang mit der Machtausübung und -delegation hatten. Auf der anderen Seite gibt es viele, die ihre Ideale nie in Tat umsetzen konnten und sich deshalb nicht an ihren Taten messen lassen müssen.

Wenige sind die, die an die Macht kamen und wie Sankara Zeit hatten, mit der Veränderung der Gesellschaft zu beginnen. Natürlich weiss niemand, wie sich Sankara verändert und sich seine Revolution entwickelt hätte, wäre er länger an der Macht geblieben. Tatsache ist aber, dass er bis zu seinem Tod geblieben ist, was er versprochen hatte: ein burkinabé, ein integrer Mensch.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Thomas Sankara lebte bescheiden. Auf die Frage, worauf er niemals verzichten würde, antwortete er ohne zu zögern: seine Gitarre.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 90, September/Oktober 2017, Seite 12
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2017

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