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AUFBAU/488: Schlaue Städte


aufbau Nr. 88, März/April 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Schlaue Städte


SMART CITIES Digitalisierung ist in aller Munde. Wenn sich Digitalisierung mit Stadtentwicklung paart, entstehen sogenannte Smart Cities, also schlaue Städte.

(agj) Zürich, im Winter 2016-2017: Google eröffnet ihren neuen Europa-Hauptsitz an der Europaallee, während der Kioskbetreiber Valora bekanntgibt, dass er Kunden in seinen Läden mittels ihrer Mobiltelefone verfolgt. Setzt man diese Fragen in Verbindung mit Fragen der Stadtentwicklung und Digitalisierung, erscheint es klar, dass Zürich auf dem besten Wege ist, eine schlaue Stadt zu werden - eine Smart City.

Doch was bedeutet das? Die Entwicklung zu einer Smart City läuft in der Regel schrittweise. Kontinuierlich werden Sensoren und Rechner in Geräte und die Umwelt eingebaut, sie werden untereinander und mit dem Internet vernetzt. Wie mit einzelnen Bauklötzen setzt sich das grosse Bild langsam zusammen, zum Beispiel in Form eines Parkhauses, das mit automatisierter Beleuchtung dabei hilft, freie Parkplätze zu finden, Strassenlaternen, die nur dann leuchten, wenn jemand vorbeiläuft oder Abfallentsorgungskonzepten, die mittels Sensoren, die in Abfalleimern eingesetzt sind, stets wissen, wo was zu räumen ist.

Es ist ein fortlaufender Prozess, in dem immer mehr digital erfasst und zentral gesteuert wird. Diese Entwicklung verändert nicht nur unsere Arbeits- und Lebensverhältnisse, sondern auch den Raum, in dem wir aktiv sind. Ein Beispiel, um aufzuzeigen, was künftig möglich sein könnte: Firmen wie McKinsey beraten Detailhändler heute dabei, wie sie ihre Läden mit der Digitalisierung umbauen könnten. Ihre Konzepte beinhalten den Vorschlag, dass Leute, die in einen Laden kommen, biometrisch gescannt und individualisiert begrüsst werden. Eine Art Roboter fährt den Kunden hinterher, jedes Produkt, das in den Einkaufswagen gelegt wird, wird direkt erfasst und zur Rechnung hinzugefügt. Dabei wird gleichzeitig die Inventur erledigt, so dass Roboter mit der Spezialisierung "Regale-Füllen" dafür sorgen, dass es nirgends an Nachschub mangelt. Eine Kasse braucht's nicht mehr, schliesslich weiss das Geschäft, wer man ist (die Erfassung am Eingang) und was man kaufte (die Erfassung am Einkaufswagen), die Abrechnung erfolgt digital.

Diese Perspektive wirkt schon nur dann beunruhigend, wenn man sie im Rahmen eines einzelnen Ladens denkt. Smart Cities denken aber grösser, in Massstäben von Städten eben. Man überlege sich also, was es hiesse, wenn sich solche Formen der Erfassung von Personen und ihren Handlungen nicht nur auf private Räume beschränken würden, sondern sich im öffentlichen Raum ausbreiten würden.

Diese Perspektive ist nicht so abwegig. In Zürich hat die Stadtverwaltung offiziell ein Smart City Projekt lanciert. Eine ihrer Initiativen ist der Hackathon "Make Zürich", an dem verschiedene Ämter TeilnehmerInnen dazu einlud, Problemstellungen, die in sie formulierten, mittels digitaler Anwendungen zu beantworten. Später soll ein "Kickstart Accelerator" stattfinden, welches ein Startup-Förderprogramm von digitalswitzerland ist (die Nachfolgeorganisation von Digital Zürich 2025). Dreissig Startups sollen im Herbst während elf Wochen an verschiedenen Ideen zu schlauen Städten arbeiten, ihnen winkt später die Unterstützung durch grosse, etablierte Unternehmen aus der IT-Branche sowie ein Preisgeld.

Das Konzept hinter beiden Veranstaltungen ist das gleiche: Man aktiviert die Leute, die gerne an digitalen Anwendungen rumbasteln, lässt sie in eine bestimmte Richtung entwickeln und versucht dann dort abzusahnen, wo sich abzeichnet, dass eine Idee erfolgreich sein könnte. So wird heute kollektiv Neues geschaffen, während Gewinne privat angeeignet werden.

Akteure im "Smart City Game"

Wir haben es mit mindestens drei Akteuren zu tun, die wir kurz schematisch darstellen wollen: Die Community, die Städte und die Unternehmen. Sie alle haben untereinander mitunter widersprüchliche Interessen und sind natürlich in sich auch nicht völlig homogen, aber sie stehen in gegenseitiger Abhängigkeit zueinander. Die Community bildet das Talentpool für die Digitalisierung. ForscherInnen und TüftlerInnen treffen auf Selbstständige im digitalen Business, wobei oftmals eine gehörige Portion Selbstausbeutung dazugehört. Aus den hier entwickelten Ideen entstehen Startups, die danach in den meisten Fällen von grösseren Firmen übernommen werden, sofern sie sich in irgendeiner Form als erfolgsversprechend erweisen. Die Städte sind um eine gute Standortpolitik bemüht, sie wissen, dass solche Communities für Grossunternehmen attraktiv sind, die wiederum hohe Steuereinnahmen versprechen, und kümmern sich entsprechend darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die für Startups wie für Grosskonzerne günstig sind. Den Unternehmen geht's schliesslich primär um den Profit. Mottos wie "Tue nichts Böses" (offizielles Motto von Google) werden schnell zweitrangig, wenn der Gewinn gesteigert werden kann.

Ein Beispiel für diese Vermischung von Akteuren gibt es aus New York. Sidewalklabs, eine Tochterfirma von Google, baute dort rund 7000 alte Telefonkabinen um, um sie als WiFi-Spots einzusetzen. Natürlich förderte die Stadt das, weil sich erleichterter Zugang zum Internet wahltaktisch gut verkaufen lässt. Was sympathisch wirkt, hatte natürlich einen anderen Hintergrund. Google nutzte die erhobenen Daten, um ihre Werbealgorithmen weiter zu justieren, damit die richtigen potentiellen KonsumentInnen mit den richtigen Inhalten zum richtigen Zeitpunkt bombardiert werden können. Sie gingen danach noch einen Schritt weiter und boten die von ihnen erhobenen Daten wiederum der Stadt an, damit sie diese für urbane Probleme wie die Verkehrsplanung nutzen könnte.

Diese Beispiele zeigen, dass die Digitalisierung potenziell gehörig Zündstoff birgt. Es sind Entwicklungen, die man verfolgen sollte, schliesslich könnten die Folgen weitreichend sein. Zugleich muss man das Gerede von "Big Data", "Smart Cities" oder "Industrie 4.0" nicht überbewerten. Technologische Neuerungen gehören zur Produktivkraftentwicklung wie das Ei zum Huhn, es sind keine Völlig neuen Vorgänge. Entsprechend ist es unabdingbar, sich nicht von den Erscheinungen blenden zu lassen, sondern die Ursachen und Akteure dahinter zu identifizieren.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 88, März/April 2017, Seite 12
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2017

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