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AUFBAU/476: Schwestern, zur Freiheit, zu den Waffen


aufbau Nr. 86, September/Oktober 2016
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Schwestern, zur Freiheit, zu den Waffen


COMIC Drei Bände erzählen Frauengeschichten aus der Pariser Kommune. Sie schaffen den Spagat zwischen Alltagsproblemen, Brutalität und Niederlage einerseits und Emanzipation, Behauptung und Optimismus andererseits. Lehrreich und unterhaltsam zugleich.


(az) In der deutschen Übersetzung heisst die Comic-Trilogie "Auf die Barrikaden", was möglicherweise ansprechend ist, doch titelt das französische Original treffender: "Communardes", denn es geht um die Pariser Kommune von 1871: erzählt wird diese aus der Sicht dreier Frauen. Wie im ersten Band schön illustriert wird, waren Frauen keineswegs selbstverständlich auf den Barrikaden erwünscht. Sie waren zwar von Anfang an dabei, sie hatten den Kampf ja sogar ausgelöst, als sie am 18. März 1871 den Abtransport der Kanonen aus Montmartre verhinderten und diese den rebellischen Nationalgarden übergaben. Aber ihre Rolle war die ganze Zeit hindurch umstritten. Einige schafften es, sich zu organisieren und nahmen sich das Recht, mit Waffen mitzukämpfen. Wenige gelangten sogar in die Lage, politische Entscheidungen mitzugestalten. Die grosse Mehrheit arbeitete aber weiterhin als Bestreiterinnen der Alltagsprobleme, die im belagerten Paris zahlreich waren. Für die Commune machten sie sich als Köchinnen, Krankenpflegerinnen und Arbeiterinnen in den Ateliers verdient.

Die drei Bände decken verschiedene Phasen der Pariser Kommune ab und beleuchten auch unterschiedliche Aspekte. Während sich der erste Band auf bekannte politische Personen und auf politisch-ideologische Kämpfe während des kurzen Bestehens der Commune konzentriert, legt der zweite Band das Schwergewicht auf die Zeit vor der Ausrufung der Commune, als Paris durch die preussische Armee belagert war und es einerseits schwierig war, das Überleben zu sichern, gleichzeitig aber auch die Entschlossenheit wuchs, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Der dritte Band erzählt die Niederschlagung: er ist wütender, militanter und klassenkämpferischer. Das Dienstmädchen Marie Bréban hat Demütigungen durch die Bourgeoisie und durch Männer ihrer eigenen Klasse erlebt und mag nicht mehr diskutieren, sie greift an.

Gemeinsam ist den Bänden, dass sie hingebungsvoll gezeichnet sind und uns für einen kurzen Moment an den Ort des Geschehens zurücktragen. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie kein Happy End haben können, dafür hat die Geschichte gesorgt. Aber sie schaffen es, ein Gefühl der Stärke zu vermitteln, einen erlebbaren Einblick in die Sinnhaftigkeit des Kampfes und in die Hoffnung auf Befreiung.

Der Szenarist Wilfrid Lupano hat das Projekt ersonnen und mit zwei Künstlern und einer Künstlerin zusammen gearbeitet. Dass sich der Stoff für eine Comic-Serie eignet, leuchtet unmittelbar ein: Momente der alltäglichen Not und des Streits sind genauso in der Commune angelegt wie jene der Selbstermächtigung und der Emanzipation, die die AkteurInnen mobilisieren, in schweren Zeiten antreiben und mit Stolz erfüllen. Einleuchtend ist die Wahl von Frauenfiguren, die existiert haben (könnten). Frauen, die die bürgerliche Justiz und Alexandre Dumas (den Sohn) die Fassung verlieren liessen, weil sie gekämpft hatten. Dumas schrieb in "Figaro": "Uber ihre Weibchen schreiben wir nichts, aus Respekt gegenüber den Frauen, denen sie erst ähneln, wenn sie tot sind." Es schien dermassen unvorstellbar und "abartig", dass sich die Frauen erhebten, dass man sie lieber verschwieg. Und doch ist offensichtlich: Zahlreiche Frauen lebten in der Commune und viele davon kämpften für die Commune. Lupano erdenkt sich das Leben von dreien unter ihnen und siedelt es in einem gut recherchierten, historischen Kontext an. Die Trilogie ist also fiktional, doch beleuchtet sie meisterhaft eine historische Begebenheit.

Im ersten Band spielt die Russin Elisabeth Dmitrieff, die die "Union des femmes" gründete, die Hauptrolle. Dieser Band dient der politischen Lageklärung der Frauen in der Pariser Commune. Elisabeth Dmitrieff war zwar erst 20, aber bereits sehr gut innerhalb der Linken vernetzt. Und sie war eine Frau der Tat: kaum hatte sie von der Commune gehört, liess sie sich vom Generalrat der Internationalen zur offiziellen Repräsentantin wählen und reiste hin, wobei sie sich offen über alle ärgerte, die es ihr nicht gleich taten. Es war ihr erklärtes Ziel, die Frauen zu organisieren und zu bewaffnen, ausserdem versprach sie Karl Marx, regelmässig zu berichten, weshalb über ihre Aktivitäten viel mehr bekannt ist als über viele andere.

Der zweite Band ist oberflächlich betrachtet die leichtfüssigste der drei Geschichten, doch bei genauerer Betrachtung auch die hoffnungsloseste. Erzählt wird die gesellschaftliche Ungleichheit, die während der Belagerung noch verstärkt wird. Während die Mehrheit der Bevölkerung hungert und friert, verspeisen die Bonzen im Restaurant die Tiere aus dem zoologischen Garten. Das Leben ist schwer für die alleinerziehende Arbeiterin und ihre 13 jährige Tochter, die selbstbewusste Victorine. Sie will von Louise Michel und André Léo inspiriert zunächst mit ihrer Bande zusammen fantastische Beiträge zur Befreiung von Paris leisten, tatsächlich wird sie aber von der harten Realität eingeholt.

Der dritte, noch nicht auf Deutsch publizierte Band, beginnt 1859 und dreht sich um das Dienstmädchen Marie Bréban. Ihre Erniedrigungen, Frustrationen und Mühsale verfolgt die Geschichte grob, aber bildhaft: Die Wut der jungen Frau ist spürbar, ihre Militanz nicht nur der Kampf für ein besseres Leben, sondern auch nachvollziehbare Rache. Am Ende wird sich aber die Justiz an ihr rächen. Dafür, dass sie es gewagt hat, sich zu erheben, sie, eine Frau und Proletin! Für sie haben die Herren Richter nichts als Verachtung und Psychologisierung übrig. Doch Marie ist längst über den Punkt hinweg, sich einen Dreck um deren Meinung zu scheren.

Wilfried Lupano: Auf die Barrikaden. Splitter

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 86, September/Oktober 2016, Seite 16
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2016

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