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AUFBAU/432: Die Stadtaufwertung als Kampffeld bewahren


aufbau Nr. 82, September/Oktober 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Die Stadtaufwertung als Kampffeld bewahren


STADTENTWICKLUNG Der Kampf gegen Stadtaufwertung ist Alltag, dennoch kann sie selten aufgehalten werden. Warum ist es dennoch wichtig, dass wir uns mit dem Kampf gegen die Stadtaufwertung auseinandersetzen?


(agj) Rund um das Feld des Widerstandes gegen Stadtaufwertung ist zu beobachten, wie in den letzten Jahren immer wieder eine grosse Anzahl Menschen auf der Strasse zusammenkamen. Beispiele wie "Reclaim the Streets", Kämpfe um besetzte Häuser, Stadtspaziergänge oder illegale Partys sind in Zürich als Ausdruck jener Bewegung gegen die Stadtaufwertung zu verstehen und zeigen deren vielfältigen und mobilisierenden Charakter.

Weshalb hat der Kampf gegen Aufwertung eine derartige Zündkraft? Einerseits ist es die Sichtbarkeit der Stadtentwicklung, die keinen Zweifel darüber zulässt, in welche Richtung sich die Stadt entwickelt. Unzählige Beispiele von der aufgewerteten Neufrankengasse über die Europa-Allee bis hin zu den verschiedenen Neubauten im Kreis 5 zeugen in Zürich von jener Entwicklung und machen die rasante Stadtaufwertung im Alltag greifbar (andere Städte haben ihre eigenen Beispiele). Nebst der unmittelbaren Nähe der Entwicklung, sind viele Teile der Bevölkerung auch direkt von deren Auswirkungen betroffen.

Denn Stadtaufwertung ist mehr als nur architektonische Erneuerung mittels moderner Bauten. Die Stadtentwicklung tritt den Leuten in Form der steigenden Mieten und in Form der Wohnungsnot entgegen. Nach der Sanierung einer Wohnung in den neuen Trendquartieren der Kreise 4 und 5 steigt der Mietpreis für gewöhnlich um ein Vielfaches an, wodurch die weniger zahlkräftigen StadtbewohnerInnen aus dem Quartier verdrängt werden.

Dass die Stadtentwicklung gleichzeitig sichtbar und spürbar ist, empört und lässt Kritik laut werden. Die kapitalistische Profitlogik hinter den steigenden Mieten und der damit verbundenen Wohnungsnot wird erkennbar. Der grundsätzliche Widerspruch zwischen privater Aneignung und kollektiven Bedürfnissen wird im Falle der Stadtaufwertung deutlich. Daher ist es wenig erstaunlich, dass der politische Widerstand sich immer wieder auf dieses Phänomen bezieht und die unterschiedlichsten Kräfte versuchen mit verschiedenen Kampfformen eine Antwort auf diese Entwicklung zu finden.

Es sind Schwierigkeiten rund um die Kämpfe gegen Stadtaufwertung zu beobachten. Tatsächlich sind solche Kämpfe oftmals sehr kurzlebig, wobei Ansätze von mehr Beständigkeit in der Bewegung ausbleiben. Zusätzlich verschleiern reformistische Deutungs- und "Lösungsansätze" den aggressiven Charakter der Stadtaufwertung und versuchen stets Kämpfe aus dem Untergrund zu zähmen und zu integrieren. Zuletzt bleibt ein Gefühl der Ohnmacht, da die Stadtentwicklung weiter voranzieht und durch jene Kämpfe nicht konkret gestoppt oder nachhaltig bekämpft werden kann.

Diese Schwierigkeiten führten dazu, dass sich zwar immer wieder Menschen gegen die Stadtaufwertung mobilisieren, aber schlussendlich keine Bewegung mit einer bestimmten Beständigkeit entsteht. Während gewisse Formen des Widerstands durch Integration ihres kämpferischen Charakters beraubt werden, kommen einem andere im ersten Moment vor als wären sie lediglich Tropfen auf den heissen Stein.

Wie es der einstmals marxistische Soziologe Manuel Castells formulierte, ist es entscheidend, den jeweils spezifischen Kampf um die Stadt auf jene Rolle zu beziehen, die er hinsichtlich der kämpfenden Klasse im allgemeinen spielt (M. Castells, Kampf in den Städten, 1970). Aber was bedeutet das konkret und wie ist mit den eben genannten Schwierigkeiten umzugehen?


Gegenmacht im erkämpften Raum

Innerhalb von Kämpfen gegen Stadtaufwertung oder Bewegungen für Freiräume entsteht immer wieder die Möglichkeit, sich politisch klar zu positionieren. Zusätzlich sind diese Kämpfe auch Orte der Konfrontation mit repressiven Behörden, Teile des Widerstands setzen sich militant zur Wehr. Innerhalb solch einer militanten Verteidigung eines temporär erkämpften Raumes kann greifbar werden, wozu Bewegung und Organisierung fähig sein können. Gemeinsam verteidigt man Räume, die auch als Experimentierfelder dienen, gegen die Instanzen des bürgerlichen Staats. Da sind die Bruchlinien. klar.

Und dennoch: Die meisten Versuche, besetzte Häuser militant zu verteidigen oder die Stadtaufwertung zu verhindern, werden scheitern. Wird der erkämpfte Raum früher oder später polizeilich geräumt, wodurch die Besitzverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft wieder hergerichtet werden, werden dem Widerstand seine Grenzen aufgezeigt.

Beispielhaft hierfür ist die Räumung des über Jahre besetzten Binz-Areals in Zürich: Trotz einer der grössten und militantesten unbewilligten Demonstrationen, mit der der Stadt ein Denkzettel gegen Kapitalinteressen und Aufwertungsspekulanten verpasst wurde, wurde das Gelände dennoch geräumt.

Diese Erfahrung kann den Kampf auch vorantreiben: Während die reformistische Linke in dieser Ausgangslage versucht Verträge und Legalisierungen mit den Besitzenden auszuhandeln, welche die Bewegung schlussendlich einschränken und ihres kämpferischen Ausdrucks berauben würden, eröffnet sich eben auch die Möglichkeit, eigene Grenzen zu erkennen und daraus weiter aufbauend Schlüsse zu ziehen, ohne einfach alles in Frage zu stellen, was Ausdruck spontaner Bewegungen ist.

Angesichts der Defensiven, in der sich die revolutionäre Linke befindet, können derartige Kämpfe im Konkreten kaum gewonnen werden, aber die Kämpfe an sich zeigen auf, dass trotz des massiv ungleichen Kräfteverhältnisses zwischen ihrer und unserer Seite Gegenwehr möglich ist.


Was in den Köpfen zurückbleibt

Wir haben also auf der einen Seite eine massive, sicht- und spürbare Stadtaufwertung und auf der anderen Seite äusserst heterogene Inhalte, Kräfte und Widerstandsformen, die sich rund um den öffentlichen Raum bewegen. Weil in der jetzigen Situation die Kämpfe um den öffentlichen Raum in den allermeisten Fällen nicht unmittelbar erfolgsgekrönt sein werden, gilt es die einzelnen Konflikte zu verallgemeinern und in das allgemeine Kräfteverhältnis einzuordnen. Dadurch kann der vielfältigen Widerstandsbewegung rund um die Stadtentwicklung eine tatsächliche Perspektive geboten und aufgezeigt werden.

Anders gesagt sollte der einzelne Fall, beispielsweise die Räumung eines besetzten Hauses, nicht an sich als Niederlage gewertet werden. Vielmehr sollen im Kampf um den öffentlichen Raum die Erfahrungen, welche die Beteiligten gewonnen haben, im Zentrum stehen. Jene Kampferfahrung ist es, die schlussendlich von der Auseinandersetzung übrig bleibt und unsere Seite stärkt, stabilisiert und sich zu unseren Gunsten auf das allgemeine Kräfteverhältnis auswirkt. So bleibt beispielsweise die Binz-Demo oder "Reclaim the Streets", obwohl weder eine Räumung verhindert, noch der Quartieraufwertung ein Strich durch die Rechnung gemacht werden konnte, als ein Ereignis (grösstenteils) positiver Erfahrung in den Köpfen derjenigen zurück, die sich daran beteiligten.


Wie weiter?

Wir können die Stadtaufwertung in Zürich, aber auch sonstwo, vorerst wohl nicht verhindern. Aber wir können dafür sorgen, dass sie ein Kampffeld bleibt. Die Auseinandersetzung um den öffentlichen Raum wird auch weiterhin ein Brennpunkt bleiben in dem Organisierung, eine klare Position und eine zuspitzende Praxis nötig sein werden. Hierbei gilt es, nicht nur auf die Aufwertung zu reagieren, sondern auch aktiv zu agieren, im öffentlichen Raum Präsenz zu markieren und sich auch weiterhin Räume zu erkämpfen. Gerade weil uns Stadtaufwertung aggressiv und ungeschminkt entgegentritt, müssen dort, wo die Veränderungen sichtbar sind, Brennpunkte geschaffen und Reibung erzeugt werden.

Auf jeden Fall müssen die integrierenden Vorschläge der reformistischen Linken abgelehnt werden, da diese lediglich eine kurzfristige Entspannung herbeiführen, um schlussendlich den Kampf gegen kapitalistische Profitlogik auf eine reine Symptombekämpfung zu reduzieren.

Ferner muss jede Auseinandersetzung rund um die Stadtentwicklung verallgemeinert und nicht als Spezialfall gehandhabt werden. Es ist schliesslich nicht ein einzelnes Haus, das als Freiraum verteidigt werden soll, oder ein einzelnes Aufwertungsprojekt, wie die Europa-Allee, die es zu verhindern gilt. Ziel muss es sein, den Kampf gegen den Kapitalismus als Ganzes in jedem dieser Kämpfe ansatzweise sicht- und greifbar werden zu lassen.

Die entscheidenden Fragen sind somit, welches Bild in den Köpfen des Widerstands haften bleibt, welche Erfahrungen aus den Kämpfen gewonnen wurden und welche Rolle der Kampf gegen Stadtentwicklung im Klassenkampf ganz allgemein einnimmt. Sorgen wir dafür, dass die Kämpfe um den öffentlichen Raum nicht verkürzt als Niederlagen gewertet werden, sondern die zurückbleibenden Kampferfahrungen und die Entwicklung der Bewegung an sich ins Zentrum gerückt werden.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 82, September/Oktober 2015, Seite 11
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
aufbau-Jahresabo: 30 Franken, Förderabo ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2015

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