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AUFBAU/404: GDL-Sreik - Gewerkschaftsbund-Zombie wurde geweckt


aufbau Nr. 79, januar / februar 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

GDL-Sreik: Gewerkschaftsbund-Zombie wurde geweckt


TARIFEINHEIT Politiker, Medien und Gewerkschaftsführungen - alle taumelten sie im November in einer Hetzjagd sondergleichen. Der mehrtägige Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) zieht den ganzen Hass der Herrschenden auf sich. Das hat gute Gründe.


(az) Die Forderungen der Berufsgewerkschaft GDL sind relativ bescheiden, wenn auch bitter nötig. Sie fordert unter anderem 5% mehr Lohn, eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 2 Stunden und eine Überstundenbegrenzung auf 50. Dies nach einer massiven Personalreduktion von 350.000 auf 190.000 Angestellte von 2002 bis 2012, damit einhergehender Arbeitsbelastung und einer Anhäufung von insgesamt 8 Millionen Überstunden jährlich. Dass die Basis mit ganzen 91% für Streik gestimmt hat und die GDL-Führung sich bei den Eliten mit der tatsächlichen Umsetzung des Streiks unbeliebt macht, hat jedoch auch andere Gründe.


Re-De-Regularisierung mal anders

Schon als wir die Berliner KollegInnen der GDL an ihrem Warnstreik im Mai besucht haben, wurde die politische Dimension der aktuellen Tarifverhandlungen diskutiert. Ironisch bemerkte ein Lokführer: "Da sagen uns die Privatisierer die ganze Zeit, Konkurrenz komme den Kunden zugute, doch wenn wir die Konkurrenz unter den Gewerkschaften wollen, wollen sie das Monopol einführen". Tatsächlich stehen die GDL und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in Konkurrenz. War die GDL ursprünglich nur für LokführerInnen zuständig, hat sie neuerdings auch Ambitionen, andere Berufsgruppen bei der Deutschen Bahn (DB) zu vertreten, für welche die EVG - als traditionell grösste Bahngewerkschaft und Teil des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) - bisher Tarifverträge abschloss. Diese Entwicklung wurde damit eingeläutet, dass 2010 das Bundesarbeitsgericht das Prinzip der Tarifeinheit aufhob. Ähnlich der Funktion der Allgemeinverbindlichkeitserklärung bei GAVs in der Schweiz hatte die Tarifeinheit immer nur einen Tarifvertrag für jeweils einen Betrieb vorgesehen. Plötzlich waren die meistens mit den dominanten DGB-Gewerkschaften ausgehandelten Tarife nicht mehr für den ganzen Betrieb geltend, sondern konnten von anderen kleineren Gewerkschaften in Frage gestellt werden. Natürlich erhoffte sich eine Kapitalfraktion damit eine Schwächung der grossen, etablierten DGB-Gewerkschaften. Es kam aber an neuralgischen Punkten - nämlich dort, wo die ArbeiterInnen Macht haben - zu einer anderen Entwicklung.


SPD: Frieden im Betrieb...

Die Konkurrenz führte bei der Bahn dazu, dass ein Kampf um "Marktanteile" bei der Basis und um "Marktzugänge" in neuen Berufsgruppen geführt wird. Die GDL ist dabei gezwungen ihren "KundInnen" - also ihren Mitgliedern - offensive Forderungen und ein kämpferisches Image zu verkaufen. Schon in den Streiks 2007 und 2011 zeigte sich dabei schnell, wieviel ArbeiterInnenmacht im Bahnsektor liegt. So krebste die GDL-Führung - gerade weil sie zu viel Druck ausübte - jeweils auch immer wieder schnell zurück vor der DB. Für die Koalitionsregierung von CDU und SPD und den Arbeitgeberverband stand deshalb schnell fest, dass diese Macht auch kleiner Minderheits- oder Spezialgewerkschaften gebrochen werden muss. So entwickelten Regierung, Arbeitgeber und DGB den aktuellen Gesetzesentwurf zur Wiedereinführung der Tarifeinheit, die faktisch das Streikrecht einschränken soll. Zukünftig soll in einer Berufsgruppe nur noch diese Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschliessen - und damit streiken - dürfen, die am meisten Mitglieder hat. Die Speerspitze dieses Angriffs auf die Gewerkschaftsbewegung führt heute die SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles, wenn sie die "Befriedungsfunktion" des Entwurfs bewirbt. Es solle künftig einfacher sein, ein Streikverbot auszusprechen. Dass dies eine Bedrohung für kämpferische Gewerkschaftspolitik wäre, haben diese 91% GDL-Mitglieder verstanden.

Um diese Einschränkung der gewerkschaftlichen Rechte durchzusetzen, haben die DB, die CDU-SPD-Regierung und die Gewerkschaftsführung des DGB die aktuellen Tarifverhandlungen dementsprechend von Beginn an eskalieren lassen. Die DB verweigerte Verhandlungen und die EVG - selbst im Aufsichtsrat der DB - distanzierte sich von der GDL. Das Ergebnis war eine mediale Hetzkampagne sondergleichen gegen die GDL. In der Hoffnung die beträchtliche Zustimmung der Bevölkerung für den Streik zu schmälern, liess die DB schon 14 Stunden vor dem Streik Züge nicht fahren und wollte die KundInnen damit gegen die Streikenden aufbringen. Die mediale Agitation gipfelte sogar darin, dass die Wohnadresse des GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky veröffentlicht wurde.


...dafür betriebsam für den Krieg

Diese Radikalität des Klassenkampfs von oben ist ein klarer Ausdruck der tiefen Krise des bürgerlichen Herrschaftsregimes. Wir erinnern uns, vor eher zufällig genau hundert Jahren musste die deutsche Bourgeoisie die damalige SPD und deren Gewerkschaftsbewegung in den Staat integrieren. Nur weil die SPD - als weltweit mitgliederstärkste Sozialdemokratische Partei - in die Kriegskredite einwilligte und in die nationalistische Burgfriedenpolitik einschwenkte, konnte sich das deutsche Kapital für den ersten imperialistischen Weltkrieg wappnen. Aus der Gewerkschaft als Gegenmacht der ArbeiterInnen wurde eine Kontrollmacht gegenüber den ArbeiterInnen. Das Wertvollste, was SPD der Bourgeoisie bieten konnte. Heute stehen wir historisch an einem ähnlichen Punkt. Das deutsche Kapital rüstet wieder auf für den Krieg. Doch die Gewerkschaftsbewegung sieht heute anders aus. Der einst mächtige Gewerkschaftsbund leidet seit Jahrzehnten an Mitgliederschwund. Das sozialdemokratische Regierungsmodell mit ihrer korporatistischen und sozialpartnerschaftlichen Ideologie hat die Grundlage der grossen Gewerkschaften erodieren lassen. Die Führungen der grossen Gewerkschaften, die selbst in Verwaltungsräten hocken, haben die Krise erfolgreich auf die ArbeiterInnen abwälzen können, dafür haben sie damit aber ihre eigene Machtgrundlage in Frage gestellt. So spriessen schon lange überall gewerkschaftliche Initiativen, die den DGB-Gewerkschaften auf dem gewerkschaftlichen Markt Konkurrenz machen. Und es ist klar, dass sich diese kleineren Konkurrentinnen zu nutze machen, dass der DGB politisch und ideologisch an die Regierungspartei SPD gebunden ist. So gebärden sie sich kämpferisch und offensiv. Damit erklärt sich die absurde Situation, dass eine GDL, dessen Vorstand in der CDU ist, plötzlich sein Nest der deutschen Eliten beschmutzt und mit Streiks die Wirtschaft in Unruhe bringt.

Für die SPD steht historisch aber viel auf dem Spiel. Will sie ihre Machtbasis erhalten und für das Kapital attraktiv bleiben, muss sie heute den realen betrieblichen Kontrollverlust ihrer DGB-Gewerkschaften kompensieren. Genau das kommt nämlich in Nahles' aktuellem Einsatz für die Tarifeinheit zum Vorschein, wenn sie sagt, es dürfe nicht darum gehen, "dass der Erfolg in Tarifverhandlungen sich allein danach bemisst, welche Stellung und Streikmacht jemand im Betrieb hat". Vielmehr ist für die SPD und den DGB in Tarifverhandlungen offenbar ausschlaggebend, dass die Lüge gemeinsamer Interessen zwischen ArbeiterInnen und Kapitalisten gewahrt wird. Deshalb wurden schon beim GDL-Warnstreik 2007 bei den Kapitalisten offene Türen eingerannt. So warnte Kannegiesser, der Arbeitgeberpräsident der Metallbranche, schon damals vor einer "Aufspaltung des Gewerkschaftslagers" und dass gesetzliche Regelungen notwendig seien, "falls es den Tarifparteien nicht in eigener Regie gelinge, die Entwicklung unter Kontrolle zu halten". Bevor die deutschen Kapitalisten also auf die Idee kommen, der DGB und damit die SPD seien für die Herrschaftssicherung mittlerweile verzichtbar, will die SPD mit dem Gesetz zur Tarifeinheit ihre DGB stärken. Nachdem sie den DGB also jahrzehntelang absterben liessen, wollen wie ihn jetzt als Untoten wieder ausgraben.


Einheit zeigen statt Einheit feiern!

In diesem Kontext hat die aktuelle Tarifauseinandersetzung der GDL - aber auch der Kampf der Cockpit-PilotInnen - objektiv eine zentrale politische Bedeutung für die Gewerkschaftsbewegung. Doch weil sie von der GDL-Führung und anderen Gewerkschaften nicht politisch geführt wird, ist zu befürchten, dass sie in einem faulen Kompromiss endet. So liess Bundes-Claus - wie der GDL-Vorsitzende an der Basis genannt wird - den geplanten viertägigen Streik ab 6. November, schon nach zwei Tagen wieder abbrechen. Denn am 9. November hätten die BahnarbeiterInnen ihre ganze Macht zeigen können, indem sie die Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag des Mauerfalls sabotiert hätten. Die LokführerInnen gehen fest davon aus, dass Bundes-Claus deshalb direkt von Bundes-Merkel unter Druck gesetzt wurde.

Der Kampf ist indes noch nicht vorbei. Die EVG hat mittlerweilen - wohl auf Druck ihrer eigenen Basis - die verbale Distanzierung etwas zurückgenommen. Vor allem aber hat die Koalitionsregierung inzwischen Nahles' Gesetz zur Tarifeinheit beschlossen. Entsprechend markig droht nun auch der Deutsche Beamtenbund (DBB) - der Dachverband der GDL - für das nächste Jahr mit "einem der schlimmsten Arbeitskämpfe aller Zeiten", wenn die DB nicht Kompromisse eingehe. Es bleibt zu zweifeln, wie weit die Gewerkschaftsführung des DBB und der GDL gehen und vor allem, ob sie noch Vertrauen bei der Basis geniessen. Auch im November wurde der Streikabbruch über die Köpfe der entschlossenen Streikenden hinweg entschieden. Die ArbeiterInnen hatten es über die Medien erfahren. Schon im Mai hörten wir Stimmen von KollegInnen, die nicht streiken wollten, um ein Zeichen gegen die Instrumentalisierung durch Bundes-Claus zu setzen. Andere entgegneten, man müsse ja nicht für den Apparat, sondern für die eigenen Forderungen streiken. Bleibt zu hoffen, dass sich ein Kampf entwickelt und dass die KollegInnen die relevanteste Frage beantworten, die sie selbst immer wieder diskutierten: "Wie können wir die Spaltung zwischen den Gewerkschaften überwinden und mit KollegInnen der EVG zusammen für die gleichen Ziele kämpfen?"

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 79, januar / februar 2015, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2015

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