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AUFBAU/383: Mit Fussball die Welt verbessern?


aufbau Nr. 77, mai / juni 2014
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Mit Fussball die Welt verbessern?

FIFA - Grossanlässe sind das Herz der FIFA und sie sind politisch, ob die Organisatoren das wollen oder nicht.



(rabs) Sport ist unpolitisch! Mit Vehemenz wird dieser Leitspruch von Institutionen wie dem Internationalen Olympischen Kommitee IOC und der "Internationalen Föderation des Verbandsfussballs" FIFA propagiert, doch dass dem nicht so ist, sollte seit dem berühmten lateinischen Sprichwort panem et circenses (Brot und Spiele) klar sein. Dieser Satz stammt vom römischen Satiredichter Juvenal (ca. 60-138). Juvenal kritisierte in seiner Satire, dass das römische Volk ängstlich und entpolitisiert nur noch diese beiden Dinge wünsche: Brot und Spiele. So haben sportliche Grossereignisse nicht nur die Funktion die Verwertungs- und Verdrängungslogik voranzutreiben (vgl. Artikel S. 1, [siehe im Schattenblick unter www.schattenblick.de → Medien → Alternativ-Presse: AUFBAU/382: Die FIFA und das Kapital - die wahren Gewinner der WM in Brasilien]), sondern es kommt ihnen auch eine konkret politische Komponente in der Bewusstseinsbildung der Bevölkerung zu.


"Soziale Verantwortung"

Dass die Mär vom unpolitischen Sport nicht länger haltbar ist, hat sogar schon die FIFA selbst eingesehen. So schreibt sie auch auf ihrer offiziellen Website ein ganzes Kapitel über ihre soziale Verantwortung. Eröffnet wird dieses Kapitel mit einem selbstherrlichen Versprechen, das die FIFA der Welt gegenüber macht: "Die Welt ist von natürlicher Schönheit und kultureller Vielfalt geprägt, aber auch voller Ungerechtigkeit, da viele noch immer ihrer Grundrechte beraubt sind. Die FIFA hat deshalb die Pflicht, der Welt die Hand zu reichen und sie über den Hoffnungsträger Fussball zu berühren und zusammenzuführen."(1) Das Bild einer ursprünglich schönen Welt, die leider durch imaginäre Kräfte versaut wurde und nun durch die FIFA wieder harmonisiert wird, mit diesem idealistischen Anspruch definiert sich die FIFA selbst. Ihre Interaktionsmöglichkeit für eine "bessere Welt" sieht die FIFA durch den Fussball an und für sich oder im eigenen Wortlaut: "Mit dem Fussball und all seiner Kraft wollen wir für unsere Welt eine bessere Zukunft gestalten. Das ist unsere Mission, die die ganze Arbeit der FIFA antreibt und den Fussball als festen Bestandteil unserer Gesellschaft optimal zur Geltung bringt." Letztendlich sieht die FIFA ihre Turniere als Kernelement ihrer sozialen Verantwortung und will damit die Menschen faszinieren und verbinden.


Schirmherrin des Produkts Fussball

Ursprüngliche Spielformen des Fussball waren in China schon im zweiten Jahrtausend v. u. Z. verbreitet. Erst im 19. Jht., als Seeleute des kolonialistischen England das Spiel kennenlernten, gelangte es nach Europa und erfreute sich besonders in der proletarischen Klasse hoher Beliebtheit. So waren auch die ersten Fussballvereine meist aus Arbeitergemeinschaften entstanden(2). Die Zeit des organisierten Fussballs begann 1863 mit der Gründung der englischen Football Association in London. Darauf folgend bildete sich in anderen europäischen Ländern eine Vielzahl von Nationalverbänden. Das IOC unternahm erste Versuche, internationale Wettspiele zu veranstalten. Schon 1898 entfielen sie jedoch wieder aus ihrem Programm, da es keine typische Wettkampfsportart und somit ungeeignet für die olympischen Spiele sei. Um wieder internationale Fussballspiele zu organisieren, gründete sich 1904 die FIFA, die ein Jahr später bereits die erste Weltmeisterschaft durchführen wollte. Die Pläne kamen jedoch nicht voran, da der damals rein europäische Verband wegen den zunehmenden Spannungen innerhalb Europas vor dem 1. Weltkrieg zerfiel. Der Ursprung der modernen Fussball-Weltmeisterschaft ist auf 1924 zurück zu datieren, das IOC nahm das Spiel vorübergehend wieder in den Wettkampfplan auf. Da der Fussball mittlerweile auch in Südamerika die Massen begeisterte, nahmen an den olympischen Spielen 1924 erstmals südamerikanische Teams teil. Die FIFA erkannte jedoch die Notwendigkeit, nun eigenständige Spiele mit der Beteiligung der neu dazu gestossenen südamerikanischen Verbänden auszutragen. 1930 lud die FIFA zur ersten Weltmeisterschaft nach Uruguay. die sich hoher Beteiligung erfreute.


Zunehmender Verwertungszwang

Seit jeher steht der Fussball unter der Schirmherrschaft der FIFA, diese wiederum entwickelte ihre Turniere zu hoch profitablen Veranstaltungen. Neben des exklusiven Rechts auf den Ticketverkauf ist hier vor allem auch das 1982 aufkommende Fussballsponsoring zu nennen. Dieses kam zur Zeit der Ölkrise 1980 dem kapitalistischen Interesse nach neuen Investitionspotentialen gerade recht. So mag es auch nicht verwundern, dass die gängigen Sponsoren der FIFA die ganz grossen Marktstrategen sind (Coca-Cola, Adidas, Emirates etc.). Ebenfalls pikant ist die Rolle, welche sportliche Grossevents auf die städtische Aufwertung ausüben.

Immer noch präsent ist hier die EM08 in der Schweiz, unter deren Vorwand unzählige neue Stadien gebaut, die herumliegenden Quartiere aufgewertet und der Repressionsapparat aufgerüstet wurde. So wurde in der Schweiz unter dem Deckmantel des Hooliganismus die Bundesgesetze zu Wahrung der inneren Sicherheit erlassen. Mit dieser Gesetzesgrundlage können seither Personensicherheitsdaten vom Bund an Private weitergegeben werden. Was nun in Brasilien vor sich geht ist der gleiche Vorgang, jedoch in einer stärkeren Ausprägung.

Das Prinzip ist dasselbe. Ganze Stadtgebiete sollen aufgewertet werden. Wenn sich aus diesen Stadtgebieten Widerstand regt, wird er mit einem gut ausgerüsteten Repressionsapparat niedergeschlagen, all dies um den Schein des schönen Volksfests aufrecht zu erhalten.

Wer nun aber an die zuerst hochgelobte soziale Verantwortung der FIFA appelliert, stösst auf taube Ohren. Auf die Proteste angesprochen, sagte FIFA-Präsident Sepp Blatter: "Der Fussball ist Opfer seiner Beliebtheit und seines Erfolgs. Wir müssen das Spiel vor politischen Einflüssen schützen(3)." Denn Fussball solle das entpolitisierte Produkt bleiben, das ein enormes Vermarktungspotential besitzt. So hatte Blatter auch die Idee, den Frauenfussball beliebter zu machen, indem die Tenues der Spielerinnen "erotischer" gestaltet werden, als Vorbild hierfür sah er die Kleidung der Bach-Volleyball-Frauen(4).

Zu oft wird der Fussball und der Sport im allgemeinen als Vorwand für soziale Verschärfungen und vorantreiben der Verwertungslogik missbraucht. In dieses Bild passt, dass in Basel ernsthaft die Idee erwogen wurde, dass der besetzte Wagenplatz zwei Fussballfeldern weichen sollte. Doch stellt sich die Frage, wie die revolutionäre Linke mit dem Massenphänomen Fussball umgeht. Die Antwort ist, so denken wir, wie in jedem anderen Bereich kultureller Produktion: Kultur ist dann proletarisch, wenn sich die Ausübung nicht an der unmittelbaren Verwertung orientiert, es geht also um die Wiederaneignung des hoch populären Spiels.


Anmerkungen:

(1) http://de.fifa.com

(2) z.B. Manchester United, das 1878 als Newton Heath L&Y Railway Football Club von Bahnarbeitern gegründet wurde.

(3) http://www.spiegel.de

(4) Berliner Morgenpost, 18. Januar 2004.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 77, mai / juni 2014, Seite 7
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2014