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AUFBAU/368: Franca Rame - Militanz auf der Bühne und im Leben


aufbau nr. 74, sept/okt 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Franca Rame: Militanz auf der Bühne und im Leben



NACHRUF Wenige Monate nach ihrem Tod erinnern wir an einige Stationen im Leben Franca Rames, die nicht nur in Italien für ihr engagiertes Theater, ihren Widerstand gegen Repression und ihre feministische Militanz bekannt wurde.


(rabs) Die Werke aus den 60er und 70er Jahren widerspiegeln besonders das politische Engagement von Franca Rame und Dario Fo, Francas Partner im Leben und im Theater. Diese Jahre führen das Theaterpaar ins italienische Fernsehen und sehr bald auch in die Zensur, als die politische Satire die Ausbeutungsbedingungen aufs Korn nimmt, denen die ArbeiterInnenklasse unterworfen ist. Ende der 60er Jahre arbeiten die beiden mit dem PCI(1) zusammen und spielen in den von lokalen Sektionen zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten, wobei es jedoch immer wieder zu Konflikten kommt. Als die Konflikte mit einigen kommunistischen Funktionären, welche die Werbung für Vorstellungen sabotieren, zu gross werden, weichen Franca und Dario auf besetzte Fabriken und soziale Zentren aus, wo Tausende Arbeiter, Hausfrauen und Studentinnen ins Theater gehen, viele von ihnen zum ersten Mal. Franca und Dario erklären, nicht mehr die Hofnarren der Bourgeoisie, sondern die Hofnarren des Volkes sein zu wollen. So beginnen sie, das Konzept eines revolutionären Theaters zu entwickeln, das sie zu neuen Sprach- und Theaterformen und einer radikalen Veränderung des eigenen Lebens führt. Das Theater soll Teil eines gemeinsamen Kampfes sein und dazu beitragen, "den Italienern die Augen zu öffnen für die Dinge, die in Italien und auf der Welt geschehen; es soll das Klima der faschistischen Repression denunzieren und die staatliche Desinformation bekämpfen, die das zivile Zusammenleben bedroht". Vor diesem Hintergrund entsteht 1970 "La Comune", das unabhängige kollektive Theater von Franca und Dario, das die Commedia dell'arte, die alte Volkskomödie, bei der aus dem Stegreif gespielt wird, mit brennenden zeitgenössischen Themen verbindet. Viele Hindernisse überwindend, darunter faschistische Bombenanschläge aufs Theater und staatliche Verfolgung, setzt "La Comune" einige revolutionäre Stücke in Szene, darunter "Zufälliger Tod eines Anarchisten" (1970) und "Volkskrieg in Chile" (1973).


Zufälliger Tod eines Anarchisten

Das Stück "Zufälliger Tod eines Anarchisten" wird von einer Begebenheit angeregt, die sich 1921 im Polizeipräsidium von New York ereignet: Ein wegen Diebstahl verhafteter Italiener fällt während einer polizeilichen Befragung aus dem Fenster und stirbt. Die zeitgenössische Aktualität bezieht das Stück aus einem Attentat, das am 12. Dezember 1969 auf der Piazza Fontana in Mailand verübt wird; 17 Menschen sterben dabei. Heute ist klar, dass das Attentat im Rahmen der sogenannten "Strategie der Spannung" den Beginn einer langen Reihe von staatlichen Terroranschlägen ("strage di stato") darstellt, die den fortschrittlichen linken Bewegungen untergeschoben werden. Das Ziel der geheimdienstlich vorangetriebenen Politik ist das Schüren von Verunsicherung und Panik in der Bevölkerung, damit diese selbst nach einem reaktionären Regime ruft. Zur Zeit, als Dario "Zufälliger Tod eines Anarchisten" schreibt, ist die Wahrheit über den Staatsterrorismus jedoch noch nicht bekannt. Von der Polizei wird anstelle des faschistischen "Ordine Nuovo" eine Gruppe von Anarchisten für das Attentat verantwortlich gemacht, deren Mitglied Giuseppe Pinelli einen Tag später verhaftet wird. Nach drei Tagen Befragung in der Mailänder Quästur stürzt Pinelli aus dem Fenster des vierten Stockes und stirbt. Pietro Vaipreda, ein Freund von Franca und Dario, wird als zu Unrecht Beschuldigter nach drei Jahren Gefängnis entlassen. Aufgrund der offensichtlichen Lügen der Polizei beginnt bald nach dem Attentat eine Gruppe von JournalistInnen, Intellektuellen und AnwältInnen zu recherchieren und stellt ihre Ergebnisse "La Comune" zur Verfügung, die sie in den folgenden beiden Jahren laufend in das Stück einarbeitet. Diesem wird wegen seiner Bühnensprache, der Kritik an den Geheimdiensten und der Polizei vierzig Mal der Prozess gemacht. In Süditalien werden Dario und einige Schauspieler sogar von der Bühne weg verhaftet. Franca verarbeitet die Erfahrungen über das künstlerische Engagement hinaus, indem sie eine Rote Hilfe gründet, die in erster Linie die politischen, aber auch die sozialen Gefangenen unterstützt.


"Volkskrieg in Chile" und "Die Vergewaltigung"

Auch das Stück "Volkskrieg in Chile" entsteht unter dem Eindruck extremer Anspannung, wenige Monate nach dem Putsch in Chile. Das Stück beginnt mit einer Radiodurchsage, die den GenossInnen den Tod von Allende ankündigt und Verhaltensanweisungen wegen des Putsches gibt; schliesslich endet die Sendung in einer Schiesserei, bei der alle Radioangestellten getötet werden. Der Theatersaal wird von (fingierter) Polizei überfallen und einige SchauspielerInnen und stadtbekannte Linke werden verhaftet, sodass der Eindruck entsteht, auch in Italien finde ein (in diesen Jahren real befürchteter) Staatsstreich statt. Dem Theater gelingt es, extreme Spannung zu erzeugen und das Publikum emotional für die Gefahr der Repression zu sensibilisieren.

Franca wird jedoch nicht nur auf der Bühne und im Gericht mit der staatlichen Gewalt konfrontiert, sondern auch an ihrem eigenen Körper: 1973 wird sie Opfer eines gezielten faschistischen Überfalls, bei dem sie in Mailand auf offener Strasse von mehreren Männern in einen Bus gezerrt und vergewaltigt wird. Franca sagt, sie habe über die Vorfälle in diesen Stunden nie sprechen können, auch gegenüber Dario nicht. Erst Jahre später übergibt sie einer Frauenzeitung einen szenischen Einfall mit dem Titel "Aussage einer Frau", den sie später selbst aufführt, erstmals in einer bekannten italienischen Fernsehsendung. "Die Vergewaltigung" trägt Franca sitzend und stehend vor, jede zur Identifikation einladende Gestik, Mimik und Stimmlage vermeidend. Sie widmet das kurze Stück im Rahmen einer Kampagne für die Annahme eines Gesetzes gegen sexuelle Gewalt dem christdemokratischen Abgeordneten Casini, einem bekannten und von der Kirche gesponserten Abtreibungsgegner.

Erst Ende der 90er Jahre führt die italienische Justiz eine Untersuchung gegen Bewegungen der politischen Rechten in den 70er Jahren durch. In 92 Bänden, auf 60.000 Seiten und in mehr als 400 Vernehmungsprotokollen sind die Aktivitäten rechter Organisationen wie "Avanguardia Nazionale", "La Fenice", "Ordine Nuovo" und deren Zusammenarbeit mit dem Staat rekonstruiert. Dank dieser Akten ist nachweisbar, dass Franca von fünf Faschisten vergewaltigt wurde. Laut italienischer Justiz wurde der Überfall von einigen Carabinieri-Offizieren der Division Pastrenga angeregt und von fünf namentlich bekannten Faschisten durchgeführt. Die Akten stellen für die Verbrecher aufgrund der Verjährung jedoch keine Gefahr mehr dar, und den vielen Hinweisen auf die Drahtzieher hinter der Vergewaltigung wird nicht mehr nachgegangen.


Bella Ciao

Ende Mai 2013 ist Franca im Alter von 83 Jahren gestorben. Auf ihren letzten Wunsch hin zieht am 30. Mai ein Trauerzug ins Mailänder Piccolo Teatro, angeführt von rot gekleideten Frauen, die das Partisanenlied "Bella Ciao" singen. Die Trauerfeier wird zur letzten grossen Abschiedsvorstellung, in der Dario einen von Franca verfassten Text rezitiert. Er handelt vom Liebesglück Evas, die es wagt, vom Baum der verbotenen Früchte zu essen: "Um der Erkenntnis und des Bewusstseins willen, um Zweifel und Liebe zu erfahren [...]. Danach kann der Tod ruhig kommen!"

Auch wenn Franca Rame zuletzt mit ihrer Sympathie für Beppe Grillo eine Protestbewegung unterstützte, die Welten von einer linken Perspektive entfernt ist, so bedeutet der 30. Mai doch den Abschied von einer Genossin, die während eines langen Lebens mit grossem Engagement für die kommunistische Sache stritt und den Mächtigen unerschrocken ins Gesicht lachte.


(1) Partito comunista italiano, die italienische kommunistische Partei.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau nr. 74, sept/okt 2013, Seite 16
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Basel@aufbau.ch
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2013