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AUFBAU/330: Interview - "Ich bin Palästinenser, ein jüdischer Palästinenser"


aufbau Nr. 70, sept/okt 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Ich bin Palästinenser, ein jüdischer Palästinenser"



In PäläStina existieren Organisationen, die den gemeinsamen Kampf von arabischen und jüdischen Militanten für einen von Imperialismus und Zionismus befreiten palästinensischen Staat führen. Wir befragten einen Genossen der Organisation Revolutionary Communist Progressive Labor Party.


agkk: Die "Revolutionary Communist Progressive Labor Party" (P.L.P) ist eine arabisch-jüdische Organisation, die den gemeinsamen Kampf im besetzten Palästina gegen den zionistischen Staat Israel führt. Kannst du uns etwas zur Entstehung und Geschichte dieser Organisation sagen?

P.L.P.: Die Organisation ist Teil der internationalen P.L.P., die als eine revolutionäre kommunistische Partei auf globaler Ebene arbeitet. In Palästina wurde erstmals 1972 versucht, die Partei zu formieren (mehr zu unserer Geschichte und der Entwicklung unserer politischen Linie könnt ihr auf www.plp.org lesen). Dieser Versuch endete, als das zionistische Regime die Konsolidierung derselben von Anfang an zerstörte, indem es die Gründungs-GenossInnen fälschlich der Spionage für Syrien beschuldigte. Obwohl es nur eine relativ kleine Gruppe war, fühlte sich das zionistische Regime bedroht (siehe Kasten). Offiziell wurde die P.L.P. in Palästina vor fast 3 Jahren gegründet.

agkk: Welche politischen Positionen und Ziele liegen der Organisation zugrunde?

P.L.P.: Unser Ziel ist eine Gesellschaft im historischen Palästina, die von einer revolutionären kommunistischen ArbeiterInnenklasse geführt wird, mit der Methode der Diktatur des Proletariats, als Teil der kommunistischen Revolution der arabischen Welt, als Teil der kommunistischen Weltrevolution. Kurz, wir kämpfen für eine vereinigte ArbeiterInnenklasse, eine kommunistische Partei und eine weltweite kommunistische Revolution. Ausserdem setzen wir uns konsequent für den proletarischen Internationalismus ein.

agkk: In welchen Gebieten arbeitet ihr? Und wie ist die Klassenzusammensetzung in diesen Gebieten?

P.L.P.: Wir arbeiten vor allem in den Regionen, die wir die 1948er Territorien nennen, und wir versuchen, in den realen Kämpfen der bewussten ArbeiterInnenklasse involviert zu sein und darin eine revolutionäre Basis zu entwickeln: in Arbeitskämpfen, in Kämpfen gegen die faschistische und zionistische Apartheid und unter StudentInnen.

agkk: Ihr redet von Israel als einem Apartheid-Staat - wie begründet ihr dies konkret? Und kannst du uns auch etwas über die ethnischen Diskriminierungen innerhalb der jüdischen Bevölkerung sagen?

P.L.P.: Der Zionismus beging zwei grosse "ethnische Säuberungen". Zuerst in dem blutigen Geburtsjahr 1948, als etwa 700.000 PalästinenserInnen aus ihren Häusern deportiert wurden, viele von zionistischen Leuten in Pogromen getötet wurden und andere verhungerten. Eine zweite "ethnische Säuberung" wurde 1967 während der Besetzung des Gazastreifens und der Westbank gemacht. Der Staat Israel weigert sich, die Verantwortung für dieses Töten zu übernehmen oder das Recht auf Rückkehr der aus ihren Heimen Vertriebenen zu gewähren.

Selbst in der jüdischen Bevölkerung gibt es ethnische und Klassen-Unterschiede. Die meisten der bourgeoisen regierenden Klasse sind osteuropäischer Abstammung, während die meisten Menschen der ArbeiterInnenklasse arabisch-jüdischer Abstammung sind. Diese arabisch-jüdischen Menschen wurden durch die zionistische Organisation nach Palästina gebracht, um die ausgeschlossenen arabischen Arbeitskräfte zu ersetzen. In anderen Worten, JüdInnen aus arabischen Ländern wurden als billige Arbeitskräfte gebraucht. Dasselbe wurde in der Mitte der 1980er Jahre gemacht, als die äthiopischen Gemeinden geholt wurden. Diese leiden unter offener rassistischer Diskriminierung. Ausserdem hängt die Staatsbürgerschaft in Israel von der Religion ab. Die palästinensische Bevölkerung mit israelischem Bürgerrecht wird wie eine fünfte Kolonne behandelt und ist nicht gleichberechtigt, während dessen ihre Schwestern und Brüder im Gazastreifen und in der Westbank täglich hungern und getötet werden. Jedermann muss einen speziellen Ausweis auf sich tragen, in dem der rechtliche Status sowie die ethnische Herkunft ersichtlich sind.

agkk: Israels staatliche Existenz gründete vom ersten Tag an auf Krieg. Auch heute kann sich der Staat Israel nur mit militärischen Mitteln und imperialistischer Hilfe erhalten. Demzufolge nimmt die Rüstungsindustrie in der israelischen Produktion einen breiten Raum ein und das gesamte wirtschaftliche Wachstum ist davon abhängig. Welche Rolle spielt heute Israels Rüstungsindustrie, auch global gesehen?

P.L.P.: Der israelische Militärkomplex kontrolliert das Land auf viele Arten. Es gibt eine heilige Allianz zwischen KapitalistInnen, Armee-Generälen und PolitikerInnen. Die ökonomischen Daten dieser Industrie sind top secret. Aber es ist bekannt, dass Israel reaktionäre Regimes in aller Welt unterstützte. Wo die Reaktion ist, wird man wahrscheinlich auch zionistische Hilfe finden. Israel ist eine imperialistische Kriegsmaschine, ein Vorposten der imperialistischen Expansion.

agkk: In Palästina/Israel existieren aufgrund der vielfältigen Widersprüche an verschiedenen Fronten verschiedene Kämpfe. Revolutionäre, reformistische, nationalistische und reaktionäre Kräfte existieren nebeneinander. Wie sieht euer Verhältnis zu anderen politischen Kräften aus?

P.L.P.: Wir arbeiten mit anderen zusammen an einer neuen Initiative für eine unabhängige Gewerkschafts-Vereinigung, um eine Alternative zum Staats-Korporatismus, auch als "Histadrut" bekannt, zu haben. Wir arbeiten mit verschiedenen ArbeiterInnen an ihrem Arbeitsplatz, aber wegen der faschistischen kolonialistischen Situation die wir hier haben, unterstützen wir auch Kämpfe gegen den zionistisch kolonialistischen Ausschluss von Menschen im ganzen Land, vor allem gegen die Zerstörung von Häusern und gegen die Apartheid-Mauer.

agkk: Kannst du uns etwas zum Kampf der Frauen in eurer Organisation sagen? Ist dies Kampfthema und Bestandteil eures Programms? Habt ihr besondere Strukturen dafür? Wie hoch ist der Frauenanteil in der Organisation?

P.L.P.: Es gibt einen starken Kampf von arabisch-palästinensischen und jüdischen Frauen der ArbeiterInnenklasse, die in Pflegejobs für privatisierte Sozialdienst-Firmen arbeiten. Dieser Kampf wird von ein paar tausend Frauen der ArbeiterInnenklasse geführt und die Einzigartigkeit ist, dass arabisch-palästinensische und jüdische Frauen der ArbeiterInnenklasse zusammen kämpfen. Sie versuchen, die Privatisierung der Sozialdienste zu bekämpfen und ihre eigene Gewerkschaft zu gründen.

agkk: Welche Formen und Mittel benutzt ihr in euren Kämpfen? Welche konkreten Interventionsmöglichkeiten habt ihr angesichts der extremen Repression des israelischen Staates?

P.L.P.: Wir versuchen, in realen aktuellen Arbeitskämpfen eine Basis aufzubauen. Wir glauben, dass Kämpfe das Bewusstsein entwickeln. Wir versuchen klar zu machen, dass Arbeitskämpfe oft nur zu kurzfristigen Erfolgen führen, wenn sie überhaupt Erfolg haben. Nur eine vereinte ArbeiterInnenklasse, die in einer demokratisch-zentralistisch kommunistischen Partei organisiert ist, geführt von einer gut entwickelten revolutionären marxistisch-leninistischen Linie, wird das erreichen, was die ArbeiterInnenklasse braucht: die Zerstörung des kapitalistischen Systems, ersetzt durch eine von ArbeiterInnen geführte Gesellschaft. In anderen Worten, die einzige Lösung ist eine kommunistische Revolution.

agkk: 1973 gab es in Haifa einen Prozess gegen 33 Mitglieder einer kommunistischen arabisch-jüdischen Organisation, die mit dem Konstrukt von Spionagetätigkeit für den syrischen Geheimdienst zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Gab es danach weitere Bewegungen und Prozesse?

P.L.P.: Ich denke, wir sehen uns als die NachfolgerInnen jenes Anfanges. Die "Rote Front", die Zeitung jener Gruppe, und anderes Material gehören zur stärksten marxistischen Literatur, die ich je in hebräisch gelesen habe. Soviel ich weiss, gab es während der ersten Intifada eine marxistisch-trotzkistische Gruppe, die sich "der Weg des Funkens" nannte und eine palästinensische kommunistische Gruppe. Sie kamen ins Gefängnis, weil sie den Widerstand unterstützten und Verbindungen zu der demokratischen Front für die Befreiung Palästinas (D.F.L.P.) hatten.

agkk: Wie schätzt ihr die Bedeutung der internationalen Konferenzen ein, wie 2011 in Haifa? Und/oder wie kann unsere Solidarität aussehen?

P.L.P.: Die internationale Solidarität ist eine essentielle Sache, wie Sauerstoff. Ich denke, dass die, die in Palästina kämpfen, mehr in die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse weltweit involviert sein sollten. Die Konferenz war gut, da sie das Thema aufgriff. Aber wir müssen die Frage, wie wir eine solide antikolonialistische Bewegung innerhalb der 1948er Territorien aufbauen, und die Dialektik zwischen Klassenkampf und antikolonialistischem Kampf weiter entwickeln.


KASTEN

ARABISCH-JÜDISCHER KLASSENKAMPF IN DEN 70ER JAHREN

Mit dem Prozess in Haifa 1973 gegen Mitglieder einer arabisch-jüdischen Organisation wurde erstmals bekannt, dass JüdInnen und AraberInnen den gemeinsamen Kampf für ein befreites Palästina aufgenommen haben. Um ihren Kampf zu diskreditieren, wurden die Angeklagten zu (von Syrien) angeworbenen Spionen und kommunistischen Wirrköpfen abgestempelt.

Der Prozess galt einer sich im Aufbau befindlichen revolutionären Organisation, die das zionistische System und den Kapitalismus/Imperialismus grundlegend bekämpfte. Sie benutzte klandestine und halblegale Kampf- und Organisationsformen mit dem Ziel, die Kampffront gegen den israelischen Rassismus zu erweitern. Diese sollten mit dem bewaffneten Kampf des palästinensischen Volkes und seiner Entwicklung zu einem langandauernden Volkskrieg verbunden bleiben und zu seiner Entwicklung und Konsolidierung beitragen. "Ich bin Palästinenser, ein jüdischer Palästinenser" ist ein Zitat von Ahoud Adiv, einem in Israel geborenen Juden, Fallschirmjäger im Junikrieg, und einer der sechs Genossen, die zu sehr hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, ohne dass es ein einziges Attentat gegeben hätte oder Waffen und Sprengstoffe gefunden wurden. Es ist klar, dass es einzig darum ging, die Inhalte der revolutionären Gruppe zu vernichten, die statt Nationalismus die Klassensolidarität aufbaute. Dies ist nicht gelungen, die Inhalte leben in der P.L.P. weiter.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 70, sept/okt 2012, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2012