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AUFBAU/241: Generalstreik in Basel und Zürich 1919


aufbau Nr. 59, Dezember/Januar 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Generalstreik in Basel und Zürich 1919

GESCHICHTE DER ARBEITERINNENBEWEGUNG - Vor rund 90 Jahren kam es in Basel zu einem Generalstreik. Mit einem Militäreinsatz wurde er blutig niedergeschlagen. Fünf Menschen wurden dabei erschossen und viele verletzt.


(agkk-bs) Die Not in der Basler Bevölkerung war damals enorm. Im Juli 1919 waren über 21.000 Personen notstandsberechtigt. Der Reallohn war zwischen 1914 und 1919 um etwa 30 Prozent gesunken, da während des Ersten. Weltkrieges die Preise stark anstiegen, die Löhne aber nicht annähernd mithielten. 1918 fand der landesweite Generalstreik statt, der von der Gewerkschaftsführung verraten wurde, im Jahr darauf wurde in Basel und Zürich noch einmal der Generalstreik ausgerufen. Es war die Zeit des grossen Umbruchs und ein nicht unbedeutender Teil der ArbeiterInnen, auch in der Schweiz, hatte durch die sozialistische Revolution in Russland grosse Hoffnungen auf einen baldigen Sturz der Bourgeoisie. Denn nicht nur in Russland bewegte sich das revolutionäre Proletariat. In Berlin wurde die Räterepublik ausgerufen und im Januar Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet. In Bayern gab es im Frühjahr eine starke revolutionäre Bewegung und in Ungarn wurde im Sommer eine Räterepublik gegründet.


Färbereistreik als zündender Funke

In Basel war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, eine Aussperrung von Arbeitern in einem Färbereibetrieb. Nach einer Protestaktion gegen die absolut prekären Arbeitsverhältnisse wurden die Arbeiter ausgesperrt. Als die Bosse des Betriebes sich weigerten, die Färber wieder einzustellen, erhielten diese Unterstützung von den restlichen Färbereien in Basel und schon bald traten alle Basler Färbereiarbeiter in den Streik. Diese Situation haben die Arbeiterunionen von Basel und Zürich, die beiden Zentren der revolutionären Arbeiterschaft, als Chance gesehen, eine grosse Streikbewegung zu initiieren.

Am folgenden Tag, dem 30. Juli, wurde an einer Sitzung des Arbeiterbundes beschlossen, die Färbereiarbeiter zu unterstützen. Noch am selben Tag wurde der Generalstreik in Basel ausgerufen. Es sollte jedoch nicht nur ein Unterstützungsstreik werden, sondern ein Streik, der die Interessen der gesamten Arbeiterschaft ins Zentrum stellt. So waren denn auch die Forderungen allgemein: Senkung der Preise für Grundgüter, Anhebung der Reallöhne sowie Maßnahmen gegen den Mietzinswucher.

Am 31. Juli legten die Streikenden Betriebe still, in denen noch gearbeitet wurde. Es kam zu ersten Zusammenstössen mit der Polizei, und auch das Militär war in den Strassen schon präsent. In der Innenstadt kam es zu grossen Menschenansammlungen, die mit Warnschüssen immer wieder aufgelöst wurden. Diese "Warnschüsse" verursachten die ersten Verletzten.


Blutvergiessen auf dem Claraplatz

Der 1. August 1919 sollte dann als schwarzer Freitag in die Basler Geschichte eingehen. Den ersten Toten gab es an diesem Tag, als DemonstrantInnen einen Militärwagen mit Steinen bewarfen. Dieser holte vier weitere Lastwagen bei der Kaserne. Wieder zurück eröffneten die Soldaten auf dem Claraplatz das Feuer auf die Masse. Kurz darauf wurde eine Frau niedergeschossen, die ihr Kind von der Strasse holen wollte; die Soldaten hatten sie für ein "rotes Flintenweib" gehalten. Die Militärwagen fuhren dann die Rebgasse entlang, in der sie weiter wild umherschossen. Derweil trug ein Teil der DemonstrantInnen den Toten zur Kaserne und verlangte dort, dass dieser in der Kaserne aufgebahrt werden solle. Plötzlich schossen die Soldaten in die Menge, drei Menschen wurden im Kugelhagel getötet, Dutzende verletzt.

Die erhoffte Unterstützung der restlichen Schweiz blieb aus. Der Streik brach nach acht Tagen in Basel und nach vier in Zürich u.a. wegen der massiven Repression zusammen. Keine der Forderungen wurde erfüllt, im Gegenteil: Über 500 Arbeiter wurden entlassen, die Regierung richtete eine schwarze Liste ein (wer auf ihr fungierte, hatte keine Aussicht auf eine Anstellung mehr), und die Redaktion der Zeitung "Vorwärts" wurde militärisch besetzt. Ein wichtiger Grund für die Niederlage war auch die Zurückhaltung der Sozialdemokratie und die damit zusammenhängende schlechte Ausdehnung des Streiks ausserhalb der kämpferischen Zentren. Der Reformismus erstarkte und mit ihm natürlich der bürgerliche Staat. Diese Entwicklung innerhalb der ArbeiterInnenbewegung musste zur endgültigen Spaltung führen, auf der einen Seite die Sozialdemokratische und auf der anderen Seite die Kommunistische Partei.


Momentaufnahme

Der Augenzeuge Paul Thalmann in seinen Lebenserinnerungen: In einem schweigenden Marsch, gesenkte rote Fahnen voran, begab sich eine grosse Menschenmenge vor die Kaserne, wo das Militärkommando seinen Sitz hatte. Das Kasernentor war geschlossen, dahinter standen schussbereite Soldaten. (...) Der Offizier hatte keinen Befehl, lehnte ab und verlangte, die Leute sollten sich vom Kasernentor zurückziehen, sonst müssten seine Soldaten von der Schusswaffe Gebrauch machen. Wütende Empörung packte uns, wir rüttelten am Tor, einige versuchten hinüberzusteigen. H.L. riss sein Hemd auf und schrie den Soldaten zu: "So schiesst doch!" Sie schossen.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 59, Dezember/Januar 2010, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2009