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ARBEITERSTIMME/370: Zu den Wahlen in Chile - Wenn sich zwei streiten ...


Arbeiterstimme Nr. 199 - Frühjahr 2018
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Zu den Wahlen in Chile
Wenn sich zwei streiten ...

von Emil Berger


In einem Klima der Agonie des Mitte-Links-Bündnisses Nueva Mayoría (Neue Mehrheit, NM) fanden im November 2017 eine Reihe von Wahlen statt. Kurz vor Weihnachten konnte schließlich der rechte Präsidentschaftskandidat die Stichwahl für sich entscheiden. Die sozialistische Präsidentin Michele Bachelet muss daher zum zweiten Mal ihre Amtsgeschäfte an Sebastián Piñera übergeben. Glücklicherweise verfügt er bisher über keine parlamentarische Mehrheit.

Wie konnte es dazu kommen? Chile ist inzwischen ein weitgehend entpolitisiertes Land. Dafür gibt es verschiedene Gründe, die sich gegenseitig verstärken. Am Anfang stand die Strategie der Militärdiktatur die Menschen mit dem Tratsch über Prominente auf andere Gedanken zu bringen. Heute wird das von den privaten Massenmedien fortgeführt, als Verstärker wirkt dabei der Neoliberalismus.

Ein weiterer Punkt ist die Perspektivlosigkeit. Sollte das bestehende ökonomische System ernsthaft in Frage gestellt werden, ist wieder mit einem Militärputsch zu rechnen. Das will niemand! Bisher gibt es keine Idee wie das zu verhindern wäre. Auch dieser Umstand trägt zur Entpolitisierung bei.

Nicht vergessen werden darf die Korruption. Man hat den Eindruck, dass die gesamte Gesellschaft in diesem Sumpf versinkt. Dieses Bild zeichnen zumindest die Massenmedien. Für den einfachen Bürger ist es schwierig festzustellen, wann tatsächlich ein Fehlverhalten vorliegt. Die rechten Medien, Linke gibt es nur am Rande, benutzen dieses Argument auch gerne im Kampf gegen ihre politischen Gegner. So klebt an Michele Bachelet der Fall Caval, in dem ihr Sohn die Hauptrolle spielt.(1) Auch neue Akteure sind schnell mit solchen Vorwürfen konfrontiert. Die Nutzung eines Privatjets durch Marco Enríquez-Ominami (MEO), er war vor einigen Jahren der Star der Progressiven außerhalb der NM, scheint ein Fall von illegaler Wahlkampffinanzierung zu sein.(2)

Ökonomisch machte der sozialistischen Präsidentin das Fallen des Kupferpreises zu schaffen. In den ersten drei Jahren ihrer Amtszeit verringerte sich sein Wert von knapp 7.000 USD/t auf ca. 5.000 USD/t.(3) Die dadurch hervorgerufenen Schwierigkeiten - dieses Metall ist immer noch das Rückgrat der chilenischen Wirtschaft - führten die Konzernmedien auf Fehler der Regierung zurück, nicht auf den von ihnen sonst so gelobten freien Markt.

Diese Medien produzierten auf allen Gebieten eine Hasskampagne gegen die angeblich linke Regierung. Gestützt auf christdemokratische Politiker wurde behauptet, dass die Kommunisten die NM zu einer UP 2.0 machen wollen. Damals wie heute glaubt eine Mehrheit der Chilenen, dass der Putsch notwendig war um ein angeblich von der UP produziertes Chaos zu beenden. Daher mobilisieren solche Behauptungen vorhandene Ängste in der Bevölkerung. Ängste, sowohl vor einer zu radikalen Linken, wie auch vor der dann folgenden brutalen Diktatur.

In diesem Feldzug wurde der kreuzbrave Kandidat des Regierungslagers mit dem venezolanischen Präsidenten Maduro in Verbindung gebracht. Dem schloss sich die Behauptung an, dass nach seiner Wahl Chilezuela droht, mit all den Schwierigkeiten die die Menschen in Venezuela heute haben.

Für diese Kampagne lieferte auch eine internationale Organisation die Munition. Im Januar 2018 entschuldigte sich die Weltbank, dass die Zahlen Chiles in einem viel beachteten Ranking zur Wettbewerbsfähigkeit der Länder gezielt nach unten manipuliert worden waren. So geschah es während der zwei Regierungen Bachelets während sich die Zahlen unter Piñera wieder verbesserten.(4, 5)

Daher machten viele Chilenen Bachelet für die schlechte ökonomische Situation verantwortlich. Das, obwohl sie tiefgreifende Reformen zu Gunsten der kleinen Leute umgesetzt hat. Unter anderem gehört dazu eine Bildungsreform, die das 2011 von der Studentenbewegung geforderte kostenlose Studium ermöglichen soll. Man darf aber nicht übersehen, dass alle diese Maßnahmen in die Logik des neoliberalen Systems eingepasst wurden. Das von der Diktatur eingeführte sozioökonomische System will oder kann man nicht verändern.

Wider Erwarten konnte das binominale Wahlrecht entschärft werden. In neu zugeschnittenen Stimmkreisen werden jetzt bis zu acht Abgeordnete gewählt. Damit haben jetzt mehr als zwei Allianzen die Chance auf Mandate. Auch das ist ein Grund für das Zerfallen der Nueva Mayoría, man ist nicht mehr so stark aufeinander angewiesen.

So hat sich die Christdemokratie aus diesem Bündnis verabschiedet. Als Grund wird eine Wendung nach links genannt. Doch auf diese moderate Kurskorrektur hatte man sich schon vor der letzten Wahl geeinigt. Konsequenterweise hätte sich diese Partei damals gar nicht erst an der NM beteiligen dürfen.

Die Zukunft wird zeigen welches die tatsächlichen Beweggründe für ihr Ausscheiden waren. Zur Auswahl steht eine Reaktion des antikommunistischen Flügels auf die Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Schließlich war diese Bewegung in ihren Anfängen, nach den Worten des US-Amerikanischen Politologen Federico C. Gil, "ziemlich nazistisch verseucht".(6)

Daneben können "Anregungen" der deutschen Schwester den Schwenk veranlasst haben. Als der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier Chile besuchte, wollte er die Nueva Mayoría nicht beurteilen, auch enthielt er sich Ratschlägen für die Zukunft. Doch prophezeite er: "Sagen wir es Folgendermaßen: Das in Chile ist wie in meinem Land. Jede Partei versucht so viele Stimmen wie möglich zu erhalten, und das wird hier auch so bei den Wahlen sein." Und weiter: "Es ist eine Kombination sehr weit weg vom üblichen die es hier gibt, Chile ist etwas spezielles. Natürlicherweise ist es nicht der Normalfall das Christdemokraten und Kommunisten zusammenarbeiten."(7)

Der Grund für die linken Elemente im Programm der NM war die Studentenbewegung von 2011. Aus Bewegungen wie dieser speist sich die Frente Amplio (Breite Front). Für viele war deren gutes Abschneiden eine große Überraschung. Doch hatten das die Kommunalwahlen schon angekündigt. In Valparaíso konnte ein Zusammenschluss aus Bürgerinitiativen und außerparlamentarischen Gruppen der Rechten das Bürgermeisteramt entreissen.

Wer ist die Frente Amplio?

Sie repräsentiert die Strömung auf der linken Seite der chilenischen Gesellschaft, die zur Erreichung ihrer Ziele keine Kompromisse eingehen will. Während der Regierung von Salvador Allende stellten ihre Anhänger etwa die Hälfte der Mitglieder der Sozialistischen Beharren auf einer sofortigen sozialistischen Revolution bereiteten sie Allende große Schwierigkeiten. Notwendige Kompromisse mit der DC scheiterten. Das erleichterte der Rechten die Organisation des Militärputsches.

Aufgrund dieser Geschichte war sie nach 1990 von der Bildfläche verschwunden. Im Laufe der Zeit hob sie langsam wieder ihren Kopf. Durch die Studentenbewegung von 2011 strömten ihr wieder Massen zu. Darunter befanden sich auch einige ihrer jetzigen Anführer wie der Kopf des Movimiento Autonomista (MA), Gabriel Boric, oder der starke Mann von Revolución Democrática (RD), Giorgio Jackson.

Heute werden natürlich keine revolutionär-sozialistischen Positionen vertreten sondern das was in alternativen Milieus gerade populär ist. Im November zählte Wikipedia folgende ideologische Bestandteile der FA auf: demokratischer Sozialismus, partizipative Demokratie, Marxismus, Progresismo,(8) ökologisches Gedankengut und Humanismus.(9)

Formal ist die FA ist ein Zusammenschluss von 14 Organisationen. Einige von ihnen wurden erst kürzlich gegründet, so der MA (2016), andere wie die RD (2012) gibt es schon etwas länger, während die Humanistische Partei (HP) im Widerstand gegen die Diktatur entstanden ist. Zu Revolución Democrática ist noch zu sagen, dass sie bei den Wahlen von 2013 durchaus auch Kandidaten der Nueva Mayoria unterstützte. Und bis zur Gründung der Frente Amplio arbeiteten führende Mitglieder der RD an entscheidenden Stellen im Erziehungsministerium mit.(10)

In den deutschen Medien wurde der FA das Etikett "links" (junge Welt) oder sogar "linksradikal" (Süddeutsche Zeitung) angeheftet. Das überrascht! Schließlich befindet sich in ihren Reihen auch die Liberale Partei (LP), ein Mitglied der Liberalen Internationale.(11)

Möglicherweise gehört das zu den üblichen Anlaufschwierigkeiten von sich neu formierenden Bewegungen. Dort mischen in der Regel auch Kräfte mit, die dort nichts zu suchen haben. Schließlich spricht sich RD, die stärkste Kraft der Frente Amplio, ganz klar gegen den Neoliberalismus aus. "Revolución Democratica wünscht die neoliberale Ordnung zu überwinden, die der Gesellschaft aufgezwungen wurde."(12) Das verbietet eigentlich eine Zusammenarbeit mit Freunden der deutschen FDP. Doch in den Leitsätzen findet man auch das: "Das Ziel von Revolución Democratica ist die Ermächtigung der Bevölkerung."(13) Das ist klassisches liberales Denken.

Daher ist die Integration der Liberalen in die FA aus deren Sicht durchaus sinnvoll. Sie können dort als Bremse wirken wie das die Christdemokraten ehedem in der Nueva Mayoría gemacht haben. Dieses Spiel starteten die Liberalen schon mit ihrem Beitritt. Sie haben ihn mit der Bedingung verbunden, dass sich die FA nicht nur als linker Pakt verstehen darf, "... weil sich sonst reformorientierte Sektoren der Mitte, wie wir, unwohl fühlen".(14)

Der Gerechtigkeit halber muss man sagen, dass es einfach Spaß macht die Kritik aus den Reihen der FA an den chilenischen Zuständen zu lesen. Doch wie man sie verändern kann findet sich da nicht. Viel mehr als eine, eigentlich notwendige, verfassunggebende Versammlung ist nicht zu entdecken. Vor dieser verfassunggebenden Versammlung verliert aber die Rechte nach diesem Wahlergebnis ihre Furcht. So wie die Abschaffung des binominalen Wahlrechts ihr nicht geschadet hat, könnte das mit einer neuen Verfassung ähnlich laufen. Ein demokratisch legitimiertes Dokument das weiterhin dem Neoliberalismus huldigt.

Die Präsidentschaftswahl

In diesem für altgediente Linke schwierigem Umfeld wurde gewählt. Es kandidierten so viele Parteien und Bündnisse wie noch nie seit dem Ende der Diktatur. Über das Land verteilt gab es 17 Allianzen von denen aber nicht jede überall zu finden war.

Um die Präsidentschaft bewarben sich nur acht Kandidaten. Mit José Antonio Kast ein rechtsradikaler, homophober Rassist, der sich ausdrücklich zur Diktatur bekennt. Im Vergleich dazu präsentierte sich Piñera als Mann der Mitte, obwohl sein Bruder einst Minister Pinochets war. Dieser bewahrte ihn damals vor dem Gefängnis das ihm wegen Betrugs im Fall der Bank von Talca drohte.(15)

Alle weiteren Bewerber standen mehr oder weniger links davon. Die verbliebenen Parteien der NM, jetzt nannten sie sich "La Fuerza de la Mayoría" (Die Kraft der Mehrheit, FM) präsentierten den ehemaligen Fernsehmoderator und jetzigen Senator Alejandro Guillier. Politisch steht er den Radikalen nahe. Aufgrund der Zerwürfnisse im Bündnis ging er als Unabhängiger ins Rennen. Zu seinem Wahlkampfstab gehörten aber bekannte Politiker der Parteien der FM.

Unter strategischen Gesichtspunkten war Guillier eigentlich ein idealer Bewerber. Als Radikaler vertritt er ähnliche Positionen der Mitte wie die Christdemokraten. Damit hätte es möglich sein sollen die christdemokratische Bewerberin Carolina Goic klein zu halten. Gleichzeitig war er auch ein Angebot an die potenziellen Wähler der Frente Amplio. Hatte doch die RD vor vier Jahren seine Kandidatur zum Senat unterstützt.

Doch leider sprach seine Persönlichkeit gegen ihn. Viele haben ihm nicht abgenommen, dass er wirklich Präsident werden will. Sie waren auch nicht davon überzeugt, dass er dazu geeignet ist. In einer Kandidatenrunde soll die Interaktion zwischen ihm und Piñera der zwischen Angestelltem und seinem Chef geglichen haben. Das entspricht ihrer früheren Stellung zueinander. Guillier wurde als Moderator bei einem Fernsehsender von Piñera bekannt.

Die Frente Amplio ging mit der Journalistin Beatriz Sánchez ins Rennen und auch MEO hat wieder sein Glück versucht. Zwei weitere Kandidaten von linken Kleinstgruppen rangierten unter "ferner liefen".

Im Wahlkampf spielten natürlich auch die Meinungsforscher eine Rolle. In der Tabelle 1 werden die Prognosen von GfK-Adimark(16) und MORI-CERC(17) mit den tatsächlichen Ergebnissen verglichen. Die letzte Umfrage von MORI-CERC, sie sah Piñera bei 44%, prägte die Erwartungen der Medien bezüglich des Wahlausgangs. Daher hielt es die Rechte sogar für möglich, dass Piñera schon nach der ersten Runde gewählt ist.

 Tabelle 1: Vergleich Prognosen - Wahlergebnis 
Institut
MORI-CERC
GfK-Adimark
MORI-CERC
Präsidentschaftswahl
Zeitpunkt
Juni
Juli
September
19.November 2017
Kandidat
in %
in %
in %
in %
Pinera
26
32
44
36,6
Guiller
18
16
30
22,7
Sánchez
10
17
11
20,3
Kast
1
2
7,9
Goic
5
1
8
5,9
MEO
2
1
4
5,7


Aufgrund der von den Prognosen geschürten Erwartungen waren alle über die tatsächlichen Ergebnisse sehr erstaunt.(18) Besonders der Kandidatin der Frente Amplio hatte man keine 20,3% zugetraut. Vergleicht man die Zahlen der einzelnen Kandidaten mit den Resultaten der sie unterstützenden Listen bei der Parlamentswahl stößt man auf interessante Unterschiede.

Bei letzterer gab es deutlich mehr ungültige Stimmen. Über eine halbe Million Menschen wollte sich nur an der Präsidentschaftswahl beteiligen. Möglicherweise handelt es sich dabei um die Gefolgsleute des rechtsradikalen Bewerbers. Keine der antretenden Parteien lag auf seiner Linie. Das wird in vier Jahren wohl anders sein. Sein Potential dürfte für ein paar Mandate reichen und damit das rechte Lager möglicherweise entscheidend stärken.

Daneben sticht der große Unterschied bei den christdemokratischen Kandidaturen ins Auge. Die damalige Parteivorsitzende Goic konnte nur 2/3 der Wähler ihrer Liste für sich gewinnen. Darin spiegelt sich das Zerwürfnis im christdemokratischen Lager wieder. Soll man Teil der NM bleiben oder mit der Rechten paktieren? Wie die Zahlen des zweiten Wahlganges zeigen, hat der linke Flügel schon in der ersten Runde für Guillier gestimmt. Im Gegensatz zu den Kräfteverhältnissen an ihrer Basis hat die Partei nach einer lebhaften Diskussion ohne Einschränkungen öffentlichen zur Wahl Guilliers aufgerufen.

Nicht nur die Christdemokraten mussten für die Stichwahl eine Empfehlung abgeben. Der rechtsradikale Aspirant erklärte ohne Wenn und Aber seine Unterstützung für Piñera und bot seine Mitarbeit in dessen Wahlkampfstab an. Dort wurde er sofort mit offenen Armen aufgenommen.

Aus vergangenen Wahlen schlau geworden, verzichtete MEO auf die Wiederholung seines Eiertanzes und stellte sich sofort hinter Guillier. Der Eiertanz beinhaltete die Aufforderung an seine Wähler bei der Stichwahl wählen zu gehen, verbunden mit der Bitte, nicht für den rechten Bewerber zu stimmen. Doch der daraus folgenden Konsequenz, sich für die Wahl des Kandidaten der Mitte auszusprechen, ging er aus dem Weg.

Dieses Verhalten legte nun die Frente Amplio an den Tag. Als Bündnis agierte sie wie vormals MEO. Doch der Öffentlichkeit präsentierten ihre führenden Vertreter ein dissonantes Konzert. Nach einer langen Zeit der Weigerung, sich überhaupt zu positionieren, erklärte Beatriz Sánchez, dass sie "persönlich" Guillier unterstützen werde weil Piñera "ein Risiko für Chile ist". Als Aufruf an ihre Wähler wollte sie das aber nicht verstanden wissen.

Die Liberale Partei überließ die Wahlentscheidung ihren Anhängern. Giorgio Jackson von Revolución Democrática erklärte: "Es wird sehr schwierig sein, dass die Wähler, die den Unterschied ausmachen um die zweite Runde zu gewinnen, von dem begeistert sind was Guillier heute beabsichtigt."(19) Das zeugt von einer großen politischen Naivität. Wie kann man von einem Kandidaten einen Schwenk nach links fordern, der Stimmen in der Mitte gewinnen muss.

Treffend wurde die Lage Guilliers von einem Kommentator einer bürgerlichen Zeitung beschrieben. Guillier gehe es wie einer Person die mit einer zu kurzen Decke im Bett liegt. Zieht sie sich die Decke über die Schultern friert es sie an den Füßen, deckt sie ihre Füße zu liegen die Schultern frei.

In einer solchen Situation müssen die Anführer von linken Bewegungen erklären, warum es wichtig ist das kleinere Übel zu wählen. In diesem Fall hätte das. nicht so schwer sein sollen, schließlich hat die Studentenbewegung schon ihre Erfahrungen mit einer Regierung Piñera gemacht.

Je näher der Tag der Stichwahl kam, desto zahlreicher wurden in den Reihen der FA die erklärten Wähler von Guillier. Anscheinend konnten sie sich nicht dem Druck ihrer Basis entziehen. Doch das leitende Gremium korrigierte seine Wahlaussage nicht.

In dieser Zeit forderte Radio Nuevo Mundo, ein der KP nahestehender Sender, seine Hörer auf, unbedingt wählen zu gehen. Sollte jemand nicht mehr an dem Ort wohnen, an dem die Person registriert ist, muss er oder sie dorthin reisen. So wichtig ist die anstehende Abstimmung, um das politische Erbe Bachelets zu verteidigen. Diese Aufgabe wird nun den sozialen Bewegungen zukommen. Wir werden sehen wie erfolgreich sie dabei sein werden.

Der Sieg Piñeras

In der Stichwahl triumphierte Piñera. Er konnte bei einer etwas höheren Wahlbeteiligung 54,6% der Stimmen verbuchen. Addiert man die Ergebnisse der linken Kandidaten aus dem 1. Wahlgang und vergleicht sie mit dem jetzigen Resultat von Guillier fehlen gut 100.000 Voten. Das heißt, dass viele linke Wähler der ersten Runde zu Hause geblieben sind. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Anhänger der Frente Amplio, doch ihre Teilnahme hätte Guillier auch nicht geholfen.

Piñera, Kast und Goic haben im ersten Wahlgang zusammen über 3,3 Millionen Stimmen erhalten, das waren fast 60.000 mehr als die Summe der linken Kandidaten. Zusätzlich konnte Piñera nun über 330.000 "neue" Stimmen gewinnen, eine Folge der gestiegenen Wahlbeteiligung. Da wir nicht wissen, wie viele Wähler von Goic dem christdemokratischen Wahlaufruf gefolgt sind wird die Zahl der "neuen" Wähler wohl beträchtlich höher gewesen sein.

Daraus lässt sich schließen, dass für immer mehr Menschen die politische Auseinandersetzung zwischen Volkstribunen ausgetragen wird. Steht eine einfache Entscheidung zwischen zwei Personen an, geht man wählen. Handelt es sich um eine verwirrende Vielfalt von verschachtelten Kandidaturen, bleibt man zu Hause.

Die Rechte als Profiteur des neuen Wahlrechts

Die Rechte erzielte bei der Parlamentswahl 72 Mandate was 46,5% der Abgeordneten entspricht. Ihre Liste hat aber nur 38,7% der Stimmen erhalten. Dagegen brachten ihr die 36,2% die sie vor vier Jahren erzielte nur 40,8% der Abgeordneten. Damals stand ihr zum ersten Mal die breite Einheitsliste gegenüber die ihre 47,7% in einen Anteil von 55,8% der Mandate übersetzen konnte.

Diese Zusammenarbeit ist dahin. Jetzt holten ihre Bestandteile, zusammengerechnet, ein etwas besseres Ergebnis (51,2%), das reichte aber nur für 49,6% der Abgeordneten. Im folgenden die Werte für die Einzelnen Listen: Die FM holte 24% der Stimmen was zu 43 Abgeordneten führte und einem Anteil von 27,7% der Mandate entspricht. Hier ist die Sozialistische Partei mit 19 Vertretern am stärksten. Für die FA lauten diese Werte 16,5% / 20 / 12,9% und für die Christdemokraten 10,7% / 14 / 9%.

Der Senat setzt sich aus 19 Vertretern der Rechten, 15 der FM, sechs der DC, einem der FA und zwei Unabhängigen zusammen. Die schwache Vertretung der FA ist die Folge der nur teilweisen Erneuerung dieses Gremiums, sowie der Spaltung der Linken. Das sieht man ganz gut in Arica. Dort kommt die FA auf 18,9% und die NM auf 31,7%, zusammen sind das 50,6%. Die Rechte erzielt nur 25%. Nach dem binominalen Wahlrecht gehen beide Mandate an die Liste die doppelt so viele Wähler auf sich vereinigt wie die zweitplatzierte. Ein Bündnis von FA und NM hätte sich die Mandate geteilt, so geht ein Mandat an die Rechte.

Das Abschneiden der Kommunisten

Für die KP ist das Ergebnis durchwachsen. Ein Ziel war die Steigerung der Stimmen bei der Parlamentswahl. Das ist mit einer Steigerung um knapp 20.000 auf jetzt 275.000 (4,6%) gelungen. Die damit verbundene Hoffnung auf eine Stärkung der Fraktion aber nur teilweise. Sie ist zwar von sechs auf acht Abgeordnete gewachsen, daraus ergibt sich aber kein größerer politischer Einfluss. Mit der Wahlrechtsreform wurde das Parlament vergrößert so dass die zahlenmäßige Zunahme der Fraktion recht genau der größeren Volksvertretung entspricht. Die dazu gewonnenen Sitze hat man im übrigen Camila Vallejo und Karol Cariola zu verdanken. Sie erhielten so viele persönliche Stimmen, dass sie damit jeweils einem weiteren Genossen zu einem Mandat verhalten.

Ein weiteres Ziel war der Wiedereinzug in den Senat. Seit dem Militärputsch sind die Kommunisten dort nicht mehr vertreten. Aufgrund einer Absprache mit den Sozialisten machte man sich da Hoffnungen. Doch scheinbar haben viele Sozialisten lieber für eine linke Christdemokratin gestimmt.

Bei den Wahlen zu den Regionalräten konnte die KP ihre Mandate verteidigen doch hat sie hier fast 15.000 Stimmen verloren. Landesweit erzielt sie mit 4,65% ein ähnliches Ergebnis wie bei der Parlamentswahl. Alles zusammen genommen ist das kommunistische Ergebnis stabil. Das ist erfreulich da mit der FA ein nicht unattraktiver Wettbewerber aufs Spielfeld gekommen ist.


Anmerkungen

(1) https://es.wikipedia.org/wiki/Caso_Caval

(2) https://es.wikipedia.org/wiki/Marco_Enriquez-Ominami#Caso_SQM

(3) https://www.finanzen.net/rohstoffe/kupferpreis

(4) https://www.elciudadano.cl/chile/indignacion-la-moneda-manipulacion-datos-del-banco-mundial-una-verdadera-estafa/01/13/

(5) siehe dazu auch: "Links regiert? Runterstufen!", Süddeutsche Zeitung vom 16. Januar 2018
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ranking-links-regiert-runterstufen-1.3825853

(6) El Sistema Politico de Chile. Santiago de Chile, 1967, S. 288

(7) http://www.economiaynegocios.cl/noticias/noticias.asp?id=285897

(8) Progressivismus bezeichnet intellektuelle Strömungen in Politik, Bildung, Sozialwesen und Kultur. Er ist vor allem mit der Geschichte der Vereinigten Staaten verknüpft, wo der Progressivismus im 19. Jahrhundert eine linksliberale Antwort auf die Industrialisierung und den sozialen Wandel war. Nach: http://www.enzyklo.de/Begriff/Progressivismus

(9) https://es.wikipedia.org/wiki/Frente_Amplio_(Chile) Zugriff am 21.11.2017

(10) http://www.latercera.com/noticia/el-desembarco-del-movimiento-revolucion-democratica-en-el-ministerio-de-educacion/

(11) https://de.wikipedia.org/wiki/Liberale_Internationale

(12) https://revoluciondemocratica.cl/definiciones-ideologicas/

(13) https://revoluciondemocratica.cl/definiciones-ideologicas/

(14) http://www.aricamia.cl/partido-liberal-condiciona-participacion-en-el-frente-amplio/

(15) https://es.wikipedia.org/wiki/Sebastian_Pinera#Negocio_bancario_y_de_tarjetas_de_crédito

(16) https://www.adimark.cl/es/estudios/dinamica.asp?id=426

(17) http://morichile.cl/wp-content/uploads/2017/10/INFORME-DE-PRENSA-BAROMETRO-POL-SET-2017.pdf

(18) Alle Ergebnisse nach http://www.servelelecciones.cl/ und den entsprechenden Seiten von https://es.wikipedia.org

(19) http://www2.latercera.com/noticia/georgio-jackson-antipinerismo-no-le-basta-guillier-ganar-balotaje

*

Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 199 - Frühjahr 2018, Seite 26 bis 29
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2018

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