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ARBEITERSTIMME/368: Tschechische Linke - Was nun?


Arbeiterstimme Nr. 199 - Frühjahr 2018
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Tschechische Linke: Was nun?

von Stepán Steiger


Die Bürger der Tschechischen Republik hatten in den letzten vier Monaten dreimal zur Wahl zu gehen: am 20. und 21. Oktober vorigen Jahres wählten sie 200 Abgeordnete für die Abgeordnetenkammer des Parlaments, dieses Jahr im Januar - in der ersten Runde am 12. und 13., in der zweiten Runde am 26. sowie 27. Januar - konnten sie ihr Staatsoberhaupt wählen. Für beide linken Parteien, sowohl die Sozialdemokraten wie die Kommunisten, waren die Ergebnisse fast katastrophal.

Das zeigten erstens die Zahlen. Hatte die Sozialdemokratische Partei (CSSD) in der vorherigen Legislaturperiode 50 Abgeordnete und stellte neben dem Ministerpräsidenten auch die Mehrheit der Regierungsmitglieder, "gewann" sie jetzt ein Grüppchen von 15 Abgeordneten. Ähnlich verloren die Kommunisten (KSCM) 18 Abgeordnete und haben ebenfalls nur 15 neue. Noch eindrücklicher sind die absoluten Zahlen ihrer Wähler. Gemessen an der Zahl der Wähler des Wahlsiegers, der ANO-Partei des Milliardärs Andrej Babis, für die 1.500.113 Wähler gestimmt hatten, sind die 368.347 Stimmen für die Sozdem sowie die 393.100 für die Kommunisten fast lächerlich. (Besonders wenn man sieht, dass die Piratenpartei, die das erste Mal im Parlament erscheint, 546.393 Stimmen erhielt und die extreme Rechte - Partei der Direkten Demokratie - 538.574 Wähler gewann.)

Die Situation im Parlament ist zweitens für die Linke auch deshalb völlig neu, weil sie, mit ihren zusammengerechnet 30 Parlamentariern, von der rechten Mehrheit nicht "ernst" genommen wird. Außerdem hat der Vorsitzende der ANO-Partei einen sehr ernstzunehmenden Verbündeten gefunden - nämlich den wiedergewählten Präsidenten.

Milos Zeman, obwohl einst Vorsitzender der Sozialdemokraten, ist politisch ("gedanklich") eigentlich nie ein Linker gewesen. Besonders in den letzten Jahren seiner sechsjährigen Amtsperiode zeigte er wie machthungrig er ist. Da die Verfassung dem tschechischen Präsidenten keine große reale Macht zuschreibt, versucht er ihre mögliche Lücken soweit auszulegen wie möglich. Daher erlaubt er seinem freundlichen Verbündeten, dem Sieger der letzten Wahlen, eine unbegrenzte Zeitspanne zu nutzen, um seine Regierung zu formieren. Da zuerst keine der im Parlament vertretenen Parteien willens war mit seiner ANO-Partei zusammenzuarbeiten und der Milliardär das nötige Vertrauensvotum nicht erreichte, musste er abdanken und einen zweiten Versuch unternehmen. Es gilt als sicher, dass sowohl der Präsident als auch Andrej Babis alles in ihrer Macht stehende tun werden, um diesen zweiten Versuch erfolgreich beenden.

Es ist allerdings eine langwierige und schwierige Bemühung. Die Parteien der Rechten bestehen weiterhin auf der Ablehnung der ANO-Partei. Es erscheint daher ziemlich sonderbar, dass es zwei ganz verschiedene Parteien gibt, die zwar der ANO-Führer nicht in seine Regierung aufnimmt, deren Unterstützung er jedoch zu gewinnen versucht: es sind dies einerseits die Kommunisten, andererseits die extreme Partei der Direkten Demokratie. Die Kommunisten verfolgen mit ihrer erklärten parlamentarischen Zusammenarbeit offensichtlich zwei Ziele. Da sie nicht der Regierung beitreten können - keiner Regierung in der Republik, da ihre außenpolitische Zielsetzung wie Ausstieg aus der NATO und nicht unbedingt Mitgliedschaft in der EU von keiner anderen politischen Partei akzeptiert würde - sind sie doch imstande für die von der Milliardärspartei in der Abgeordnetenkammer vorgeschlagenen Gesetze zu stimmen. Dies gilt besonders wenn sie im voraus die mit dieser Partei abgesprochenen Sozialmaßnahmen betreffen. Im Grunde wird jedoch die KP an eine Regierung gebunden, die keine linke Politik betreibt.

Eine ähnliche Falle steht für die Sozialdemokraten bereit. Nach der Wahlkatastrophe wurden in der Partei viele Stimmen laut, es sollten zuerst Gründe analysiert werden, warum das Wahlergebnis das schlimmste in der jüngsten Geschichte war. Doch der eintägige (!) Kongress, der am 18. Februar stattfand, begnügte sich mit der Wahl einer neuen Parteispitze - d. h. des Vorsitzenden und seines Stellvertreters - und verschob gründliche Änderungen auf den 7. April. Es scheint wahrscheinlich, dass dann ein neugewähltes Zentralkomitee die "alte" Politik fortführen wird und diejenigen Mitglieder, die eine radikale Wende vorschlagen, nur eine Minderheit bleiben. Wie notwendig jedoch tiefgreifende Änderungen innerhalb der Partei sind zeigt u. a. eine lange Analyse des ehemaligen ersten Stellvertreters des Parteivorsitzenden Karel Machovec, die am 21. Februar online veröffentlicht wurde.

Machovec glaubt die meisten Gründe des miserablen Wahlresultats in der Vergangenheit zu finden. Ein wichtiger ist der allmähliche Verlust des Einflusses der Basis auf die Politik der Führung sowie die Verbreitung der Korruption. Deshalb ist es nötig, die innerparteiliche Demokratie wieder herzustellen. Soll die neue Führung in der Erneuerung erfolgreich sein, sind auch folgende Bedingungen zu nennen: ein modernes, neues, langfristiges Programm, eine erneuerte politische Diskussion und zumindest eine Teilerneuerung des Parteipersonals.

In der Zwischenzeit begann die neue Spitze - der neue Vorsitzende sowie sein Stellvertreter - mit der Regierung ("Regierung in Demission") zu verhandeln. Obwohl zuerst mögliche Programmpunkte diskutiert werden, worauf beide Seiten übereinstimmen könnten - unabhängig davon hat der Ministerpräsident, getreu seinem populistischen Programm, bereits Erhöhung der Altersrenten und ähnliche Sozialmaßnahmen angekündigt - würden die Sozialdemokraten gerne einige Ministerien besetzen. Auf diese Weise möchten sie in der Öffentlichkeit auftreten. Es wird ein langer, schwieriger Weg. Auf jeden Fall wird es eher Monate als nur Wochen dauern. Sollten sie einigen Erfolg haben, werden sie die Ergebnisse den Parteimitgliedern in einem Referendum vorlegen. Niemand weiß, wie die breite Mitgliedschaft entscheiden wird. Es wird eine Entscheidung nicht nur über eine mögliche Regierungsbeteiligung, sondern auch über die, zumindest nächste, Zukunft der Sozialdemokratischen Partei sein.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 199 - Frühjahr 2018, Seite 20
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2018

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