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ARBEITERSTIMME/299: Pegida in Dresden - Wir ticken hier anders ...


Arbeiterstimme Nr. 187 - Frühjahr 2015
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

PEGIDA in Dresden

Wir ticken hier anders...


Vielleicht wurde die so genannte Pegida-Bewegung in Dresden nach ihrer Spaltung im Januar des Jahres von den Medien zu schnell totgesagt. Nachdem im Internet ein Foto des Pegida-Anführers Lutz Bachmann aufgetaucht war, trat dieser Mitte Januar bekanntermaßen als Vereinsvorsitzender der Pegida zurück. "Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Bürgern, die sich von meinen Postings angegriffen fühlen ...", erklärte er damals. Doch nach nur knapp vier Wochen war er wieder da. In einer Versammlung der verbliebenen sechs Pegida-Vereinsmitglieder wurde er wieder zum ersten Vorsitzenden gewählt. Und seither hetzt er wieder und macht mit seiner Anhängerschaft so genannte Montagsspaziergänge durch die Dresdner Altstadt. Bei der 17. Pegida-Demonstration am 2. März waren es, nach Polizeiangaben, wieder mehr als 6.000 Teilnehmer, nachdem es eine Woche zuvor "nur" 4.800 waren. Bachmann sprach sogar von 10.000. Es ist unerheblich, welche Zahl nun wirklich stimmt. Fakt ist, dass der Spuk noch andauern wird, selbst wenn, wie das jetzt der Fall ist, das mediale Echo geringer wird.

Wenn es nach Bachmann geht, soll der März "unser Monat werden". Und deshalb rief Bachmann bei besagter Kundgebung seine Anhänger dazu auf, dass jeder der Anwesenden nächste Woche wieder einen weiteren mitbringen möge, damit "wir die da oben so richtig in den Arsch treten können".

Trotz des aktuellen Erfolges wird die Bewegung auf Dauer keinen Bestand haben. Dazu ist sie im Moment zu isoliert. Ihr Aktionsradius beschränkt sich im Grunde allein auf Dresden. Auch ihre Forderungen sind nicht plausibel. Diese sind zum Teil bereits Programm der etablierten Parteien oder sogar bereits umgesetzt. Auf den Veranstaltungen von Pegida hört man neben der allgemeinen Hetze gegen Ausländer und Asylbewerber im Wesentlichen sechs Forderungspunkte, wenn man diese überhaupt als Forderungen bezeichnen kann. So wollen sie die gesetzliche qualitative Zuwanderung von Ausländern und deren Integrationspflicht. Sie wollen ein Einreiseverbot für Dschihadisten; mehr Geld für die Polizei und ein gutes Verhältnis zu Russland. Und schließlich wollen sie direkte Demokratie und Volksentscheide, um auf "die da oben" konkret Einfluss nehmen zu können. Diese sechs Punkte sind nichts anderes als ein konfuser Katalog von "Jetzt wünsch dir was"! Trotzdem mobilisiert Pegida mit diesen Plattheiten Woche für Woche Tausende. Aber wie schon erwähnt, gelingt ihr das im Grunde nur in dieser Stadt. Die Versuche, außerhalb von Dresden ähnliches zu etablieren, scheiterte bislang am demokratischen Widerstand der Menschen.

Nur in Dresden erreicht die Pegida also eine nennenswerte hohe Beteiligung an ihren Veranstaltungen. Drei Viertel der Teilnehmer sind nach einer Untersuchung von Wissenschaftlern der TU Dresden zwischen 40 und 59 Jahre alt. Geschlecht: mehrheitlich männlich. Die Teilnehmer sollen zu 36 Prozent aus Dresden kommen und weitere 38 Prozent aus anderen sächsischen Städten und Gemeinden. Inzwischen gibt es auch einen ausgeprägten Demo-Tourismus. Wie die Fahnen und Transparente zeigen, kommen reaktionäre Dumpfbacken aus allen Teilen der Republik: aus Hamburg, Bayern, Berlin, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Selbst norwegische und schwedische Fahnen waren zu sehen. Aber trotzdem, getragen wird die Bewegung hauptsächlich von Sachsen und das sind in ihrem Kern Dresdner. Und da stellt sich schon die Frage, was in Dresden anders ist als anderswo.

Soziologen, Psychologen, Politologen und Journalisten rätseln und versuchen zu analysieren, warum gerade Dresden ein so hohes Potential für eine rechte politische Mobilisierung hat. Sie kommen bei ihren Bemühungen auf eine ganze Reihe von Faktoren, die in der Summe zu diesem Ergebnis führen, aber plausibel sind sie im Einzelnen nicht.

Dresdens Opfermythos

Dresden hat den Nimbus, etwas "Besonderes" zu sein. Diesen Ruf pflegte man in der Stadt, begonnen mit der Bombardierung am 13. Februar 1945 bis heute. Dabei spielen die jährlichen Gedenkfeiern an die barbarische Zerstörung der Stadt eine nicht unerhebliche Rolle. Es entstand ein Opfermythos, in dessen Zentrum die von den Faschisten in die Welt gesetzte Zahl von mehr als 100.000 Bombentoten stand. Goebbels sprach nach dem Angriff sogar von 200.000 Toten. Er wollte damit die letzten Reserven des in Agonie liegenden deutschen Faschismus mobilisieren. Auch in der DDR wurde mit dem beginnenden kalten Krieg an diesem Mythos mehr oder weniger festgehalten. Hier hatte er die Funktion, die antiimperialistische Politik des sozialistischen Lagers zu unterstützen. Erst in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts kam es durch eine Historikerkommission zur Richtigstellung der Zahlen. Danach kamen bei den Bombenangriffen circa 25.000 Menschen ums Leben. Immer noch eine ungeheuerliche Zahl, aber Dresden verlor mit dieser Zahl seine Opfer-Sonderstellung im faschistischen zweiten Weltkrieg. Das änderte allerdings nichts an den jährlichen Trauer-Ritualen der Stadt mit Kranzniederlegungen auf dem Heidefriedhof (dort sind die meisten Opfer des Angriffs begraben), unter Anwesenheit des Ministerpräsidenten und der örtlichen Parteienvertreter. Auch die NPD und deren gesamte Landtagsfraktion standen, solange sie im sächsischen Landtag vertreten war, offiziell mit dabei.

Das Dresdner Bündnis Nazifrei - Dresden stellt sich quer, das den Widerstand gegen die jährlichen Nazi-Aufmärsche anlässlich der Bombardierung Dresdens und auch jetzt die Widerstandsaktionen gegen Pegida organisiert, stellt sich seit vielen Jahren gegen diesen Mythos, den die Nazis und andere Reaktionäre für ihre Ziele instrumentalisieren. Mit einem so genannten "Mahngang Täterspuren" demonstriert das Bündnis an den Orten, an denen nazistische Organisationen ihre verbrecherische Politik organisiert hatten. Tausende nehmen jedes Jahr an den Mahngängen teil, bevor sie dann im Anschluss versuchen, die Nazidemo zu blockieren. Das gelang in den vergangenen Jahren in zunehmendem Maße.

In einem offenen Brief an Bundespräsident Gauck anlässlich der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Bombardierung der Stadt (Gauck besuchte aus diesem Anlass Dresden) schreibt das Bündnis:

"Der in Dresden offiziell gepflegte Opfermythos lieferte und liefert den perfekten Nährboden für jegliche Veranstaltungen dieser Art. Die Stadt sprach nie gern darüber, dass die Garnisonsstadt Dresden ein wesentlicher Teil von Nazideutschland und keine unschuldige Kunst- und Kulturstadt war. Vergessen waren die Geschichte von Taten und Täter_innen, Rassenwahn und Antisemitismus, Denunziation und Verfolgung, Zwangsarbeit und Rüstungsproduktion. Erst mit dem seit 2011 jährlich stattfindenden Mahngang 'Täterspuren' haben wir, das Bündnis Dresden Nazifrei, gemeinsam mit tausenden Menschen die Forderung auf die Straße gebracht, dem Geschichtsrevisionismus in Dresden ein Ende zu bereiten".

Antifa nicht gern gesehen

Die konservativen Stadtoberen und die sächsische Justiz sehen das Bündnis nicht gerne. Blockaden von Naziaufzügen werden bekämpft und man macht alles, um die Aktionen des Bündnisses Dresden Nazifrei zu behindern oder, noch besser, zu verhindern. So wird regelmäßig von der Stadt die Anmeldung der Nazidemo und deren Routenverlauf geheim gehalten. Stattdessen setzt man eine Menschenkette um die Altstadt der Blockade entgegen. Die OB Helma Orosz versteifte sich vor einigen Jahren zu der lächerlichen Behauptung, die Menschenkette hätte die Nazis von ihrem Aufmarsch abgehalten. Dabei war es unübersehbar, dass es die tausenden blockierenden Demonstranten waren, die den Marsch der Nazis unmöglich machten.

An diesem 13. und 14. Februar jährte sich die Bombardierung Dresdens zum 70sten Mal. Es war deshalb mit besonders vielen braunen Aktivitäten zu rechnen. Doch die Nazis blieben erst einmal passiv. An den eigentlichen Jahrestagen geschah von ihrer Seite gar nichts. Offensichtlich trauten sie sich nicht am eigentlichen Termin der Bombardierung Dresdens aufzumarschieren. Der Grund: in den zurückliegenden Jahren hatten sie immer wieder negative Erfahrungen mit den Gegendemonstranten gemacht, die sie nicht marschieren ließen.

So wäre es für die Nazis auch in diesem Jahr wieder zu einer Niederlage gekommen. Um das zu vermeiden, gaben sie ihre Aufmarschabsicht und den Termin der Öffentlichkeit bis zuletzt nicht bekannt (der Termin muss bekannt gewesen sein, aber die Stadt hielt ihn offensichtlich geheim). Dann aber kam für die Öffentlichkeit die Überraschung. Die Nazis hatten den Aufmarsch auf den 15. Februar verlegt. So gelang es ihnen in diesem Jahr mit 500 Personen durch Dresdens Straßen zu ziehen. Eine ausreichende Gegenmobilisierung war kurzfristig für Dresden Nazifrei nicht mehr möglich. Trotzdem war es für die Nazis kein Sieg. Sie marschierten zwar, aber nur weil sie tricksten! Und sie marschierten nicht an diesem 70. Jahrestag!

Nicht die Nazis - die Antifa wird in Dresden bekämpft.

In den vergangenen Jahren hatten die Auseinandersetzungen am 13./14. Februar immer wieder Schlagzeilen in den Medien erzeugt. Nicht zuletzt durch das repressive Vorgehen der Dresdner Behörden, Polizei und Staatsanwaltschaft gegen antifaschistische Demonstranten. So wurde bundesweit der Fall des Jenaer Jugendpfarrer Lothar König bekannt. Ihm wurde vorgeworfen, über seinen Lautsprecherwagen zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen zu haben. Seit 2011 zog sich das juristische Verfahren gegen König hin, das vor kurzem eingestellt wurde. Dazu erklärte Silvio Lang, Sprecher des Bündnisses Dresden Nazifrei: "Diese Einstellung ist in Wirklichkeit die Kapitulationserklärung der Dresdner Staatsanwaltschaft in einer mehrjährigen Justizposse! Hier wurden über Jahre Unsummen an Steuergeld verschwendet, um einen offensichtlich Unschuldigen, einen engagierten Demokraten und Antifaschisten zu kriminalisieren - zur Abschreckung, aus politischer Motivation und reiner juristischer Willkür!". Ein weiterer Fall, der Wellen schlagen wird, ist der von Bodo Rammelow, des neuen Ministerpräsidenten Thüringens. Gegen ihn hat das Amtsgericht Dresden die Aufhebung der Immunität beantragt wegen seiner Beteiligung an der Blockade einer Nazi-Versammlung in Dresden im Jahre 2010. Ende Januar des Jahres folgte der Thüringer Landtag der Forderung des Dresdner Amtsgerichtes und hob seine Immunität auf, nachdem Ramelow selbst um den Schritt gebeten hatte. Es wird interessant werden, wie sich dieser Fall weiterentwickelt. Auf jeden Fall zeigen die beiden exemplarische Vorgänge, denen sich weitere anfügen ließen, dass für die sächsischen Behörden, die Landesregierung und die Justiz der Feind "links" steht. Deshalb lässt man hin und wieder auch "fünfe einmal gerade sein" und ordnet wie 2011 die flächendeckende Funkzellenabfrage an, bei der alle Handydaten der Antifa-Demo erfasst, gespeichert und (wahrscheinlich auch) ausgewertet wurden, oder verbietet kurzerhand, wie jetzt im Januar geschehen, alle Demonstrationen im Zusammenhang mit den Pegida-Aktivitäten.

Konservativer Mief

In diesem, von den Konservativen geschaffenen politischen Klima sehen viele Analysten eine Ursache für den Pegida-Aufschwung. André Schollbach, Fraktionsvorsitzender der Linken im Dresdner Stadtrat stellt in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung fest: "Die jahrelange CDU-Hegemonie und der damit verbundene konservative Mief haben das Entstehen von Pegida begünstigt". Und in der Tat, in kaum einem anderen Bundesland ist das reaktionäre Potential so hoch wie in Sachsen. Bei der Landtagswahl am 31. August vergangenen Jahres stimmten 160.000 Menschen (9,7 Prozent) für die AfD und zusätzlich 81.000 (4,9 Prozent) für die NPD. Das sind zusammen über 240.000 Menschen. Die CDU erreichte fast 40 Prozent der Stimmen. Alleine in Dresden bekam bei der Stadtratswahl am 25. Mai 2014 die NPD 18.341 Stimmen und die AfD 46.309 Stimmen. Das entspricht 2,8 und 7,0 Prozent. Die reaktionäre Basis für die Pegida ist in der Bevölkerung Dresdens also da. Aber das Abstimmungsverhalten bei Wahlen erklärt nicht alles. Sicherlich gibt es eine ausgeprägte Ausländer- und Islamfeindlichkeit unter der Bevölkerung, sonst gäbe es die Pegida nicht. Aber sie ist sicher nicht wesentlich ausgeprägter als in anderen ost- und westdeutschen Bundesländern. Das zeigt eine Umfrage von YouGov im Auftrag von ZEIT ONLINE im Dezember. Danach unterstützen 29 Prozent der befragten Bundesbürger die Pegida-Proteste in Dresden und knapp die Hälfte der Befragten (49 Prozent) gibt an, Verständnis für diese Demonstrationen zu haben. Auch antworteten insgesamt 59 Prozent der Befragten, Deutschland nehme "deutlich zu viele" (30 Prozent) oder "eher zu viele" (29 Prozent) auf. Besonders problematisch bewertet wird die Zahl der Flüchtlinge von den Menschen in den Altersklassen zwischen 25 und 54. Natürlich müssen Umfragen im Hinblick auf ihre Richtigkeit mit Vorsicht betrachtet werden. Und es gibt auch nicht nur diese Umfrage. Andere weisen niedrigere Zustimmungswerte für die Pegida aus. Aber in der Tendenz weisen sie alle in die gleiche Richtung: das Potential für eine reaktionäre Bewegung und Politik in Deutschland ist riesig. Den konservativen und reaktionären Mief gibt es bundesweit!

Die Pegida-Versteher

Das erkennen auch zunehmend die etablierten Parteien und reagieren, je nach der eigenen Selbstverortung, von "aufgescheucht", "zurückweisend" bis "sich anbiedernd". Besonders die CDU steht vor einem großen Problem. Jetzt hat sie neben der AfD, die sie von rechts unter Druck setzt, auch noch die Pegida an der Backe. Besonders in Sachsen ist das für sie schwierig. In der sächsischen CDU, sowohl in der Mitglied- als auch der Wählerschaft, gibt es nicht viel Ablehnung zu dem kruden Forderungsmischmasch der Pegida. Das weiß auch der Ministerpräsident Tillich: ein großer Teil der Pegida-Sympathisanten kommt aus dem eigenen Klientel. Deshalb das große Verständnis für die Pegidaisten und die Warnung der CDU-Landtagsfraktion, nur ja nicht die Demonstranten zu diskreditieren, vielmehr ihre Sorgen und Ängste ernst zu nehmen. Versteher der Pegida gibt es deshalb viele. Sie alle nehmen angeblich "berechtigte Sorgen" von "ganz normalen Leuten" wahr, bei denen es sich durchaus nicht um Ausländerfeinde handle und schon gar nicht um "Rechtsextremisten". Deshalb will man auf die Pegida-Anhänger zugehen, in einen Dialog mit ihnen kommen. Das gilt allerdings nicht für deren Führung. Hier gab es die kategorische Ablehnung der Landesregierung, mit denen zu sprechen. Sachsens Innenminister Markus Ulbig wendete sich anfangs besonders scharf gegen Pegida. Die Anführer der Pegida, Bachmann und Co. bezeichnete Ulbig als Rattenfänger. Anfang Februar kommt aber zu Tage, dass sich Ulbig heimlich mit Pegida-Anführern getroffen hat. Die Sächsische Zeitung schreibt dazu: "Dann geht er (Ulbig) her und spricht an einem geheimen Ort, hinter verschlossenen Türen mit zwei Personen aus der Pegida-Führung. Er habe nicht inhaltlich über ihre Forderungen gesprochen, sondern an die Verantwortung der Frau Örtel appelliert, die sie als Veranstalter von solchen Demonstrationen trage. Was wirklich stattfand, bleibt im Dunkeln. Nur soviel ist sichtbar: Ulbig tritt bei der OB-Wahl (in Dresden) im Juni des Jahres an. Da scheint es aus seiner Sicht schon nützlich, mit der Pegida ins Gespräch zu kommen". In opportunistischem Verhalten steht MP Tillich seinem Innenminister in nichts nach. In einem Interview in der Welt am Sonntag lässt er den Satz fallen, dass der Islam nicht zu Sachsen gehöre. Damit stellt sich die einstige DDR-Blockflöte Tillich gegen seine Kanzlerin, die kurz zuvor meinte, dass der Islam durchaus zu Deutschland gehöre. In der sächsischen Staatskanzlei muss man aktuell schon sehr verzweifelt sein. Der Kniefall des Ministerpräsidenten aber wird von Pegida gerne angenommen. Triumphierend verkündigte Kathrin Oertel auf der Kundgebung am 25. Januar des Jahres: "Wir haben es geschafft, dass die Politik über unsere Themen redet".

"Lichtelläufe" in Schneeberg

Überrascht hätte man in der Staatsregierung nicht sein müssen, dass sich fremdenfeindliche Zusammenrottungen bilden. Im Dezember 2013 begannen die Proteste gegen Asylbewerber in Schneeberg, einer kleinen Stadt mit 15.000 Einwohnern im Vogtland, in der Nähe zur bayerischen Grenze. Dort befindet sich in einer ehemaligen Bundeswehrkaserne das Asylbewerberheim, das 2010 zu einer Zweigstelle der Chemnitzer Erstaufnahme gemacht wurde. Das Heim war zwischenzeitlich geschlossen, wurde aber im September 2013 von der Landesdirektion wieder geöffnet. Rund 250 Flüchtlinge, hauptsächlich Tschetschenen, wurden kurzfristig dorthin gebracht und leben inzwischen dort.

Im Oktober 2013 dann beginnen die fremdenfeindlichen Aktionen der Rechten mit einem Flashmob, an dem 50 Personen teilnehmen. Weitere vier Demos folgen bis Dezember, wobei die Teilnehmerzahlen auf bis zu 1.800 anwachsen. Sie veranstalten so genannte Lichtelläufe, das heißt, im Schein von Fackeln ziehen die Ausländerfeinde durch die Stadt und brüllen Parolen wie, "Schneeberg wehrt sich", "Nein zum Heim" und "Wir sind nicht das Sozialamt der Welt". Auch sind, wie jetzt bei Pegida in Dresden, die Wir-sind-das-Volk-Sprechchöre zu hören. Im Januar 2014 schließlich bricht die Bewegung zusammen. Fast erscheinen einem die Schneeberger Vorkommnisse wie das Präludium zur Pegida-Bewegung ein Jahr später. Im Unterschied zu Dresden aber sind die "Lichtelläufe" in Schneeberg eindeutig von der NPD organisiert. Organisator des Spuks ist der Kleingewerbetreibende Stefan Hartung. Er sitzt im benachbarten Bad Schlema im Gemeinderat und ist zudem noch Kreisrat im Erzgebirgskreis. In Dresden dagegen befinden sich in der Pegida-Führung mehrheitlich parteilose Figuren. Sie sind, wie in Schneeberg, der NPD-Hartung, kleine Gewerbetreibende, also typische Kleinbürger. Zum Teil sind sie auch verkrachte und, wie Bachmann, kriminelle Elemente.

Ganz normale Bürger?

Wer sind nun aber die Teilnehmer an den Pegida-Demonstrationen, die sich selbst weder als Rassisten noch als Faschisten sehen, sondern als ganz "normale Bürger"? Der Soziologe Dieter Rucht, vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, versuchte das herauszufinden. Er verteilte unter Pegida-Anhängern Fragebögen, die aber nur von wenigen beantwortet wurden. Das heißt, die Ergebnisse sind nicht repräsentativ. Trotzdem zeigen sie eine Tendenz auf. Die abgegebenen Fragebögen bestätigen eine deutliche Affinität der Teilnehmenden zu nationalistischen und chauvinistischen Denkmustern, wie sie auch von den Pegida-Organisatoren propagiert werden. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung stimmen die Befragten deutlich häufiger Aussagen zu, mit denen Merkmale wie Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus gemessen werden. Bei Wahlen würden 89 Prozent die AfD unterstützen. Deshalb sieht der Brandenburger AfD-Vorsitzende Gauland zu Recht in der Pegida den "natürlichen Verbündeten" der AfD. Nach einer weiteren Studie der TU Dresden (ebenfalls nicht repräsentativ) ist der typische Pegida-Demonstrant "gut ausgebildet, gehört zur Mittelschicht, verdient gut und stammt aus Sachsen". Aber auch diese Klassifizierung ist nicht sehr aussagekräftig. Für einen Betrachter von außen zeigen sich die Pegida-Teilnehmer als eine wütende Masse auf "die da oben", in der jeder einen anderen politischen Vorgang kritisiert (oftmals berechtigte Kritik) und die geeint sind in ihrem diffusen Hass auf Ausländer, Asylbewerber und Islamgläubige und eben "die da oben".

Angst vor gesellschaftlichem Abstieg

In der Arbeiterstimme Nr. 186 (Winter 2014) gingen wir im Zusammenhang mit den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg auf die soziale Lage der Bevölkerung ein. Danach haben in den zurückliegenden 20 Jahren die Menschen viele negative Erfahrungen gemacht. In diesen Jahren ging es für die Mehrheit der Bevölkerung immer nur abwärts. Nichts wurde besser, aber vieles schlechter. Und es scheint auch so zu bleiben. Begonnen bei den Hartz-IV-Gesetzen bis zu drastischen Verschlechterungen der Bezüge zukünftiger Rentner und der Entwicklung der Löhne und Gehälter. Wenn in der Studie der TU Dresden gesagt wird, der typische Pegida-Demonstrant "verdient gut", so ist das relativ zu betrachten. In der BRD sind inzwischen 25 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse prekär. In Ostdeutschland liegt dieser Prozentsatz noch deutlich höher. Noch immer gibt es ein hohes Einkommensgefälle zwischen West und Ost. Durch die Tarifflucht in Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes liegt in vielen Betrieben die Entlohnung am Boden. Oftmals gibt es keine Betriebsräte oder die Betriebsräte sind von Geschäftsführungen in ihrem Sinne gesteuert. Löhne auf der Grundlage des Flächentarifvertrages sind heute die Ausnahme und nicht die Regel. Ein Beispiel verdeutlicht das bei Opel in Eisenach. Durch die Wiedereinführung der Nachtschicht soll es zu 400 Einstellungen kommen (unbefristet, befristet und Leiharbeitskräfte). Die Resonanz ließ nicht auf sich warten. Der Personalabteilung dort liegen tausende Bewerbungen für diese Stellen vor. Sicher alleine nur aus einem Grund: bei Opel wird nach Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie bezahlt. Wenn die TU Dresden bei diesem Hintergrund zu dem Ergebnis kommt, dass der typische Pegida-Anhänger gut verdiene, so stimmt das schlichtweg nicht. Die Vergleiche werden von den Betroffenen zwischen Ost und West gezogen. Und zusammen mit der gemachten Erfahrung, dass nichts besser wird, sondern alles immer nur schlechter, entsteht Wut. Und diese wird von Pegida kanalisiert. Dort kann man sich vortrefflich abreagieren und nach denjenigen treten, denen es noch schlechter geht als einem selbst. Es ist das Verhalten des Kleinbürgers, der immer bestrebt ist gesellschaftlich aufzusteigen und gleichzeitig gequält wird von der Angst des gesellschaftlichen Abstiegs. Und leider ist dieses kleinbürgerliche Bewusstsein und Denken heute in großen Teilen der arbeitenden Klasse vorhanden. Das gilt besonders dort, wo in den Betrieben keinerlei politische Orientierung durch Gewerkschaften, Vertrauensleute und Betriebsräte vermittelt wird. Es gibt viele Betriebe, die gewerkschafts- bzw. betriebsratsfrei sind. Um schlechte Lohn- und Arbeitsbedingungen zu überwinden, sucht man sich dort meistens individuelle Wege. Der Weg des kollektiven, solidarischen Kampfes zur Durchsetzung der eigenen Interessen wird dagegen kaum beschritten.

Wenn es dem Bürger ans Geld geht wird er aktiv

Der Ruf Dresdens ist inzwischen ziemlich ramponiert. Die regelmäßigen Naziaufmärsche und "Pegida-Spaziergänge", das feige und opportunistische Verhalten der Stadt-Oberen und Landespolitiker haben Dresden international negativ bekannt gemacht. Schon gibt es durch das US-Außenministerium Warnungen vor dem Besuch der Stadt. In der Geschäftswelt befürchtet man den Rückgang der Besucherzahlen und damit Umsatzeinbußen. Die Angst ist besonders im Tourismus-Geschäft groß, weil wegen der Wirtschaftssanktionen gegen Russland inzwischen die russischen Touristen wegfallen (während der Weihnachtszeit landete täglich ein Sonderflug aus Moskau). Wenn es dem Bürger ans Geld geht, wird er aktiv. Von Privatinitiativen (Tourismusverband, City Management und anderen, die vom Tourismus leben) wird plötzlich "Weltoffenheit" propagiert. Man organisiert Bürgerkonferenzen oder Konzerte. Wie zum Beispiel am 26. Januar, einem Montag. Das Konzert, getragen von hochkarätigen Künstlern und privat finanziert, richtet sich nicht explizit gegen Pegida, sondern steht für "Offen und bunt - Dresden für alle". Prompt lässt Pegida den geplanten "Spaziergang" ausfallen, um ihren Sympathisanten die Teilnahme an dem Konzert zu ermöglichen. Schließlich kamen rund 20.000 Besucher. Pegida alleine brachte zu diesem Zeitpunkt schon deutlich mehr Menschen auf die Beine. Die Stadt selbst reagiert auf solche Aktivitäten lediglich mit wohlwollender Zurkenntnisnahme. Eigene Initiativen gibt es nicht. Die Oberbürgerin Orosz meinte in der Sächsischen Zeitung lediglich: "Pegida repräsentiert nicht die Stadt. Weil wir anders ticken. Weil wir für Weltoffenheit und Internationalität, für Diskussion und Miteinander stehen". Das sieht ein Großteil der Einwohnerschaft aber offensichtlich anders. Aber das ist genau die Art und Weise, wie die Konservativen in Dresden solche Probleme behandeln - ignorieren, passiv bleiben und die Stadt schönreden. Die Sächsische Zeitung stellt, wie andere Medien auch, die Frage, was in Dresden eigentlich anders läuft. Sie kommt zu der Antwort, die sicher ein Teil der Wahrheit ist: "... Stadt und Land[geben] dem Affen des Lokal- und Regionalpatriotismus pausenlos Zucker. Sie schmeicheln und streicheln die Untertanenseele mit immerwährenden Bekundungen, Sachsen und Dresden seien das Beste, Tollste, Größte, was sich nur denken lässt."

Pegida - ein Alarmsignal

Ungeachtet der Frage, wie lange in Dresden Pegida noch Zustrom hat, wann und ob sie zerfällt, ist festzustellen, dass die Pegida ein beunruhigendes gesellschaftliches Alarmsignal ist, das weit über Dresden hinausgeht. Sie ist die reaktionäre Antwort auf die andauernde Aushöhlung demokratischer Rechte und sozialer Standards und die anhaltende Kriegstreiberei. Zunehmend werden die politischen Fehlentwicklungen sichtbar. Die Glaubwürdigkeit der Berliner Politik wird immer geringer und gleichzeitig schwindet die Legitimität der Parlamente, wenn nur noch die Hälfte der Bürger an Wahlen teilnimmt. Gewinner werden reaktionäre und faschistische Parteien sein. Bei den Europa- und Landtagswahlen in Ostdeutschland ist der Trend sichtbar geworden. Und er wird sich fortsetzen, insbesondere wenn es zu konjunkturellen Einbrüchen kommt und die Krise offen ausbricht. Dagegenwirken können nur die linken Kräfte, die der abhängig beschäftigten Mehrheit im Lande eine wirkliche Orientierung geben können. Dazu gehört auch, Pegida als fünfte Kolonne des Kapitals zu entlarven. Deren Islam- und Fremdenfeindlichkeit hat die Funktion, von den wirklichen gesellschaftlichen Fragen abzulenken. Der Parteivorstand der PdL beschloss als Antwort auf Pegida am 24. Januar, "eine gesellschaftliche Bewegung für soziale Gerechtigkeit" zu initiieren. Man muss gespannt sein, was geschieht. Nur wenn es gelingt, die Lufthoheit des Neoliberalismus zu brechen und die wirklich relevanten Fragen zu stellen, wie die Verteilungs- und die Eigentumsfrage, kann es zu einer breiten Unterstützung einer alternativen Politik kommen, die die reaktionären Bewegungen austrocknet.

Dresden 8. März 2015

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 187 - Frühjahr 2015, Seite 1, 3 bis 7
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2015

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