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ARBEITERSTIMME/296: Wahlen in Sachsen-Thüringen-Brandenburg - Viel Frust und wenig Lust, zu wählen


Arbeiterstimme Nr. 186 - Winter 2014
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Wahlen in Sachsen-Thüringen-Brandenburg

Viel Frust und wenig Lust, zu wählen



Bei den Landtagswahlen im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg hatten, 25 Jahre nach dem Anschluss der DDR an die BRD, die Bürger die Wahl, die Zusammensetzung eines neuen Landtages zu bestimmen. Es waren auch die ersten Wahlen nach der Bundestagswahl im vergangenen Jahr. Die Wahlen zeigen das Stimmungsbild der Ostdeutschen, das zum Teil auf die ganze BRD übertragen werden kann, allerdings nicht in jedem Punkt. Es gibt immer noch erhebliche Besonderheiten im Wählerverhalten der Ostdeutschen, das sich von dem der Westdeutschen unterscheidet.

So schneidet die PdL im Gegensatz zu Westdeutschland erheblich besser ab. Infratest Dimap hat ermittelt, dass Die Linke weit über die eigene Wählerschaft hinaus als Vertreterin ostdeutscher Belange gesehen wird. Auch wird von einer Mehrheit ihre Haltung zu den Vorgängen in der Ukraine positiv gesehen. Hier wirkt die DDR-Sozialisierung der Ostdeutschen nach.

Die Wahlergebnisse schließlich waren für viele politisch Etablierte geradezu ein Schock.

In allen drei Bundesländern lag die Wahlbeteiligung um die 50 Prozent, in Brandenburg sogar nur noch bei 47,8 Prozent.

Ebenso schockierend waren für die etablierten Parteien die bis zu zweistelligen Wahlerfolge der Alternative für Deutschland.

Die FDP flog aus allen drei Landtagen raus. Sie hatte auch die richtigen Vorahnungen: in Brandenburg plakatierte sie "Keine Sau braucht die FDP" und in Thüringen "wir sind dann mal weg"! Und so kam's dann ja auch und nur wenige klagen darüber.

In Sachsen flog endlich auch die NPD aus dem Landtag. Ihr fehlten 800 Stimmen zu den erforderlichen 5 Prozent. Auch gut.

Desaströse Stimmeneinbrüche erlitten die SPD in Thüringen, wo sie an der Landesregierung beteiligt war und gleichermaßen Die Linke in Brandenburg, die ebenfalls mit in der Regierung saß.

Die SPD verlor in Thüringen ein Drittel der Stimmen und landete gerade einmal bei 12,4 Prozent.

Noch schlimmer erging es der Linkspartei in Brandenburg. Sie erreichte 18,6 Prozent der Stimmen. Vor fünf Jahren waren es noch 27,2 Prozent gewesen.

Eindeutige Wahlsieger waren in Brandenburg die SPD und in Sachsen die CDU, der allerdings ihr Koalitionspartner FDP abhanden kam.

In Brandenburg kommt es inzwischen zur Wiederauflage der SPD/Linke-Koalition und in Sachsen wird es wohl zu einer Koalition von CDU und SPD kommen.

In Thüringen aber könnte es zu einer neuen Konstellation kommen, nämlich zu einer "rot-rot-grünen" Koalition, mit einem Ministerpräsidenten Ramelow an der Spitze.

Jedenfalls ist Die Linke, oder besser gesagt Ramelow, dort fast zu allem bereit, um dieses Ziel zu erreichen. Das zeigt nicht zuletzt die abgegebene Erklärung der Partei, die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen. Offensichtlich ist Die Linke in Thüringen bereit, über jedes Stöckchen zu springen, das man ihr hinhält, um nur ja den Ministerpräsidenten zu stellen.

Am Wahlabend gaben im Fernsehen die "Wahlsieger" ein Schauspiel wie immer. Zwischen "hocherfreut" und "total zerknirscht" verwiesen sie auf ihre "Erfolge" oder "Defizite" und sie taten, als wären die Wahlen ganz normal abgelaufen. Hätten sie aber die absoluten Zahlen ihrer Wahlergebnisse betrachtet, hätten sie festgestellt, dass sie so wenig Stimmen wie noch nie erhalten hatten.

Die absoluten Zahlen zeigen schockierender als die prozentual ausgedrückten Ergebnisse, welche Frustrationen in der Bevölkerung vorhanden sind. Sie zeigen das Misstrauen gegenüber den etablierten Parteien und deren Politikern. Und sie zeigen, wie ausgehöhlt inzwischen der Parlamentarismus ist. Bei einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent verliert dieser zunehmend an Legitimität.


Neue Rechtspartei gewinnt an Boden

Der eigentliche Paukenschlag jedoch waren die Ergebnisse der AfD. In Sachsen erreichte sie 12 Prozent, in Thüringen 13 Prozent und in Brandenburg 15 Prozent.

Die FAZ schreibt dazu: "Die Sachsen-Wahl ist ein Grund zur Sorge: Rechts von der CDU gibt es mittlerweile Platz für zwei Parteien - von denen eine nur hauchdünn scheiterte. Die FDP ist das Opfer dieser Entwicklung. Das alles, während es Deutschland so gut geht wie nie." Allerdings lässt das Blatt offen und konkretisiert nicht, welchem "Deutschland es gut geht". Doch dazu später.

Und weiter meint die FAZ "Nicht zu übersehen ist, dass die AfD Bedürfnisse einer rechtsliberal, konservativ und national eingestellten Klientel bedient, die in der FDP nur im wirtschaftsliberalen Kostüm noch gepflegt wurden und woanders kaum noch eine salonfähige Heimat haben."

Wählerwanderung zur AfD

Sachsen
Thüringen
Brandenburg
CDU
Die Linke
SPD
Grüne
FDP
NPD
Andere
Nichtwähler
 33.000
 15.000
  8.000
  3.000
 18.000
 13.000
 39.000
 16.000
 18.000
 16.000
 12.000
  1.000
 11.000
   k.A.
 23.000
 12.000
 18.000
 20.000
 12.000
  1.000
 17.000
   k.A.
 27.000
 12.000


Allgemein geht die Mehrheit der Wahlanalysten davon aus, dass die AfD eine dauerhafte Erscheinung in den Parlamenten sein wird. Dass sie so ein Parteigebilde werden wird, wie es in Frankreich der Front National ist oder in Österreich die FPÖ und wie es andere rechtspopulistische Parteien in Europa sind. Auf der anderen Seite zeigen die Wählerwanderungen zur AfD, dass sie bei diesen Wahlen als reine Protestpartei gesehen wurde. Sie zog nämlich nicht nur aus dem konservativen und braunen Lager Stimmen ab, sondern auch aus allen anderen Lagern.

Am ehesten kann man mit der FAZ-Analyse in Sachsen mitgehen. Dort wanderten 33.000 Wähler von der CDU zur AfD. Das waren deutlich mehr als die Abwanderung von den anderen Parteien. Bei der Linken waren es aber auch nicht gerade wenige, nämlich 18.000 Wähler.

Und schon anders sieht es in Thüringen und Brandenburg aus. In Thüringen gingen 18.000 von der CDU zur AfD. Bei der Linken waren es nur 2.000 weniger. Insgesamt 16.000 Wähler gingen zur AFD.

Noch krasser war es in Brandenburg. Dort verlor die CDU 18.000 Wähler und die Linke 20.000 Wähler an die AfD.

Es ist kaum anzunehmen, dass es sich bei ehemaligen Linke-, SPD- und Grüne-Wählern um ein mehrheitlich rechtsliberal, konservativ und national eingestelltes Klientel handelt. Hier handelt es sich um Protestwähler, die bei einer zukünftigen Wahl sich durchaus wieder anders entscheiden können.

Dafür spricht auch die Wählerstruktur der AfD. 15 Prozent der Arbeiter, 10 Prozent der Angestellten und 12 Prozent der Arbeitslosen haben diese Partei gewählt (Sachsen). Hier handelt es sich also um rein lohnabhängig Beschäftigte. Deren Interessen aber kann eine neoliberale Hardcore-Partei, wie es die AfD ist, grundsätzlich nicht bedienen.

AfD-Wähler nach Tätigkeit in Prozent

Arbeiter
Angestellte
Selbständige
Rentner
Arbeitslose
Sachsen
Thüringen
Brandenburg
15
16
19
10
11
12
15
13
17
6
7
8
12
10
14



Keine überzeugenden Konzepte

Für die Linkspartei waren die Wählerverluste besonders bitter. Gehören doch die drei Bundesländer zu ihren Wählerhochburgen. Der Grund für ihre schwindende Wählerbasis ist sicher in der seit langem zu beobachtenden schleichenden Anpassung an die Politikangebote der anderen etablierten Parteien zu suchen. In Sachsen z.B. waren die Parteien nicht an unterschiedlichen Forderungen auf den Wahlplakaten zu erkennen, sondern alleine an ihren Partei-Logos. Das reicht für eine linke Alternative allerdings nicht aus.

Das heißt, wenn die Linke keine überzeugenden Konzepte für eine Politik entwickelt, die sich eindeutig an den Interessen der abhängig Beschäftigten orientiert, wird sich der Niedergang fortsetzen.

Im Moment ist eine grundsätzliche Änderung der Richtung nicht erkennbar. Wenn man die Koalitionsverhandlungen in Thüringen betrachtet, ist eher das Gegenteil zu befürchten. Selbst wenn es dort zu einer von Ramelow geführten Koalition kommt, wird es ihr kaum möglich sein, den versprochenen politischen Richtungswechsel zu realisieren. Eine mögliche "rot-rot-grüne" Koalition hätte nur eine Stimme Mehrheit. Um diese zu halten, müsste die Linke weitgehende Zugeständnisse an SPD und Grüne machen, die zu großen Teilen eine neoliberale Ausrichtung haben. Unter einer solchen Konstellation die bestehenden Macht- und Gesellschaftsverhältnisse zu verändern, wird kaum möglich sein.

Seit der Europawahl im Juni hat die AfD einen rasanten Aufschwung erlebt. Sie sitzt jetzt im Europaparlament und in drei ostdeutschen Landtagen. Weitere Wahlerfolge (die nächste Wahl ist im Februar 2015 in Hamburg) werden wahrscheinlich sein. Aber selbst, wenn diese Erfolge nur eine vorübergehende Erscheinung sein sollten, wird die AfD die Republik weiter nach rechts rücken.

Obwohl die AfD bei den Wahlen aus allen politischen Lagern Stimmen geholt hat, tut sie der CDU ganz besonders weh, weil sie, rechts von ihr angesiedelt, eine direkte Konkurrenz darstellt. Die CDU wird sich an das Jahr 1989 erinnern, als die CSU-Abspaltung, die Republikaner, Furore machten. Ebenfalls rechts von der CDU angesiedelt, kamen sie ins Europaparlament, ins Berliner Abgeordnetenhaus und in den Stuttgarter Landtag. Damals grenzte sich die CDU scharf von den Republikanern ab, was zum Erfolg führte, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Reps ins faschistische Lager abdrifteten.

Ob diese Taktik, auf die AfD angewendet, erfolgreich sein wird, darf bezweifelt werden. Offensichtlich sieht man das im Unionslager ähnlich. Dort mehren sich die Stimmen, die in der AfD einen möglichen Koalitionspartner sehen.

Gleichzeitig aber steht die CDU unter dem politischen Druck der AfD. Um ihr traditionelles konservatives Klientel an sich zu binden, wird sie versuchen, die AfD teilweise rechts zu überholen, was zu einem generellen Rechtsruck führen wird.


Was will die AfD?

Kommen wir nun zur AfD selbst. Was will diese Partei eigentlich? Die AfD sieht sich selbst als so etwas wie eine deutsche Tea-Party-Partei. Sie versucht, die herrschende Unsicherheit und Unzufriedenheit mit der Wirtschafts- und Europapolitik der Bundesregierung in ein rechtsnationales Fahrwasser zu lenken.

Mit ihrem Programm bedient sie die Ängste und Vorurteile derjenigen Schichten, die etwas zu verlieren haben und die deshalb Angst vor dem sozialen Abstieg haben. Das sind der so genannte Mittelstand, der heute auch Facharbeiterkreise umfasst, und das traditionelle Kleinbürgertum.

Zentraler Punkt im AfD-Programm ist die Forderung "Raus aus dem Euro". Die Partei fordert "eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes. Deutschland braucht den Euro nicht. Anderen Ländern schadet der Euro." (so Parteichef Bernd Lucke am Gründungsparteitag).

Weitere Forderungen betreffen das Steuerrecht mit dem Ziel, die "Besserverdiener" und Reichen zu entlasten.

Im Wahlkampf setzte die AfD auch erfolgreich auf das Thema Innere Sicherheit. Gerade das Thema Kriminalität habe ihr an der polnischen Grenze teilweise sogar "20 Prozent und mehr" Wählerstimmen beschert, sagte Lucke. Das seien die Gegenden, "in denen die Kriminalität besonders viel Unmut bei den Wähler verursacht hat".

Auch die Sorge, dass die Deutschen aussterben, war Thema. In einer Analyse der Wahlergebnisse sagte AfD-Sprecher Lucke, das Bekenntnis der AfD zur Drei-Kind-Familie sei gut angekommen.

Weiter meinte Lucke, dass auch die Aussagen der AfD zur Zuwanderung und Asylpolitik gezogen hätten. "Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass es den Menschen Angst macht, was an Aufnahmebereitschaft von ihnen verlangt wird".

AfD-Vize Alexander Gauland, der als Spitzenkandidat in Brandenburg angetreten war, bestätigte Luckes Einschätzung und fügte hinzu: "Wir brauchen eine Steuerung der Zuwanderung. Wir müssen darauf achten, dass wir qualifizierte und integrationswillige Zuwanderer zu uns lassen und dass wir keine Form von Zuwanderung zulassen, die unsere Gesellschaft ablehnt und sich gegen sie wendet, wie dies beispielsweise in manchen Bereichen des politischen Islamismus der Fall ist. (Die Menschen) ... wollen ganz deutlich hörbar von den Politikern eine Aussage haben: Wer passt zu uns und wer nicht?"


Wer ist die AfD?

Ein Großteil des Führungspersonals stammt aus dem rechts-konservativen Flügel der Unionsparteien und FDP. Andere Gründungsmitglieder wie der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel oder der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Thyssen-AG, Dieter Spethmann, kommen aus der Wirtschaft.

Die wichtigen Parteiämter werden nahezu ausschließlich von Akademikern wie Juristen, Professoren, Zahnärzten, Diplomkaufleuten sowie von mittelständischen Unternehmern besetzt. Und diese bestimmen jenseits des Parteiprogramms die Politik der Partei.

Das steht natürlich im Widerspruch zur Wählerstruktur der Partei, die mehrheitlich getragen wird von Arbeitern, Angestellten und Arbeitslosen.

Und dieser Wählerschaft ist auch sicherlich nicht in Gänze bekannt, welche politischen Positionen dieses Führungspersonal vertritt.

So vertritt Lucke weitere Lohnsenkungen. 2005 initiierte er den Hamburger Appell. Dort heißt es: "Wer behauptet, Deutschland könne und müsse ein Hochlohnland bleiben, handelt unredlich oder ignorant. ... Die unangenehme Wahrheit besteht deshalb darin, dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage nur durch niedrigere Entlohnung, also durch eine verstärkte Lohnspreizung, möglich sein wird. Eine Abfederung dieser Entwicklung ist durch verlängerte Arbeitszeiten, verminderten Urlaubsanspruch oder höhere Leistungsbereitschaft möglich".

Hans-Olaf Henkel tritt ein für "weniger Staat im Staat", gegen "Gleichmacherei" und für "mehr Wettbewerb". Er ist für die Minimierung des Sozialstaates und für die Senkung von Steuern. Henkel gibt heute in der AfD den Ton an und wollte als BDI-Präsident Ende der 90er Jahre schon mal "Tarifverträge und das Betriebsverfassungsgesetz verbrennen".

Im Vorstand der Partei ist neben Lucke unter anderen auch Konrad Adam (Altphilologe und Journalist), einer der drei Gründungssprecher der Partei. Adam ist Anhänger von Friedrich August von Hayek ("Vater des Neoliberalismus") und bezweifelt wie dieser das Wahlrecht für Arbeitslose und andere "Unproduktive". In der Welt offenbarte er 2006 sein Denken, bezogen auf einen Artikel von André Lichtschlag, Herausgeber des marktradikalen Magazins eigentümlich frei. Er stimmt der Forderung von Lichtschlag, das Wahlrecht für bestimmte Bevölkerungsgruppen zu beseitigen (Entzieht den Nettostaatsprofiteuren das Wahlrecht!), ausdrücklich zu und meint: "Nur der Besitz schien eine Garantie dafür zu bieten, dass man vom Wahlrecht verantwortlich Gebrauch machte. ... Erst später, mit dem Aufkommen der industriellen Revolution und seiner hässlichsten Folge, der Massenarbeitslosigkeit, ist die Fähigkeit, aus eigenem Vermögen für sich und die Seinen zu sorgen, als Voraussetzung für das Wahlrecht entfallen. Ob das ein Fortschritt war, kann man mit Blick auf die Schwierigkeiten, die der deutschen Politik aus ihrer Unfähigkeit erwachsen sind, sich aus der Fixierung auf unproduktive Haushaltstitel wie Rente, Pflege, Schuldendienst und Arbeitslosigkeit zu befreien, mit einigem Recht bezweifeln. Das Übergewicht der Passiven lähmt auf die Dauer auch die Aktiven und zerstört den Willen zur Zukunft" Die Welt, 16.10.2006, Konrad Adam: Wer soll wählen?

Konrad Adam steht in der AfD mit seiner Idee, den so genannten "unteren Schichten" das Wahlrecht abzuerkennen, nicht allein. Auch der zum wissenschaftlichen Beirat gehörende Volkswirtschaftsprofessor Roland Vaubel stellte Überlegungen in diese Richtung an. In seinem Beitrag "Der Schutz der Leistungseliten in der Demokratie" diskutierte er, wie die so genannten Leistungseliten vor der Tyrannei der Mehrheit geschützt werden können. Er kam ebenfalls zu dem Ergebnis, das Wahlrecht einzuschränken.

Dann gibt es einen Hermann Behrend, der in NRW stellvertretender Landesvorsitzender ist. Behrend fordert, dass die Parlamente auf Bundes- und Landesebenen abgeschafft werden, weil die derzeitige Politikform "Arbeitsscheue" begünstige.

Soviel zum Personal dieser AfD. Es ist nationalistisch, fremdenfeindlich und reaktionär. Aber nicht faschistisch, wie die AfD häufig von manchen Linken verortet wird. Unbestritten gibt es Anknüpfungspunkte an die faschistische Ideologie. Das zeigt ihre Fremdenfeindlichkeit, die Ausgrenzung von Minderheiten und die Positionen zur Familienpolitik.

Aber es fehlt bei der AfD ein wichtiges Element der faschistischen Ideologie, nämlich die Forderung nach der Schaffung einer Volksgemeinschaft. Sie will das Gegenteil einer Volksgemeinschaft. Sie will die Ausgrenzung großer Bevölkerungsteile an der gesellschaftlichen Teilhabe und erhebt für eine Elite den Führungsanspruch. Zweifellos aber rückt sie mit ihrer reaktionären Politik und Ideologie die Bundesrepublik weiter nach rechts und ist damit ein Wegbereiter der tatsächlichen Faschisten.


Deutschland geht es gut?

Und die etablierten Parteien wundern sich. Die SPD wundert sich, dass sie trotz ihrer "erfolgreichen" Politik im Bund und dort, wo sie in den Ländern regiert oder mitregiert, nicht aus ihrem Tief herauskommt. Die Linke wundert sich, dass sie in Brandenburg so desaströs verloren hat und trotz Krise keinen stärkeren Rückhalt erzielt. Die FDP versteht nicht, dass sie trotz ihrer "Erfolge" in Sachsen aus dem Landtag geflogen ist. Und die CDU wundert sich, dass sie keinen stärkeren Widerhall bei der Wählerschaft gefunden hat und absolut sogar Stimmen verloren hat.

Und alle zusammen wundern sich, dass die Hälfte und mehr der Wählerschaft am Wahlsonntag zu Hause geblieben ist. Was die SPD- Generalsekretärin Fahimi auf den glorreichen Gedanken brachte, bei zukünftigen Wahlen die Urnen doch auch in Einkaufszentren und Sportstätten aufzustellen.

Allerorten rätselt man über den Wähler, der als unbekanntes Wesen erscheint. Und besorgt fragt die FAZ: "Das alles geschieht zu einer Zeit, da es Deutschland - und nicht auch Sachsen? - so gut geht wie selten zuvor. Protestparteien hat es immer wieder gegeben - aber meist zu Zeiten, als sie sich auf ein Thema stürzen konnten, über dessen Brisanz kein Zweifel bestand. Aber jetzt?"

"Deutschland geht es gut", diese Auffassung vertrat Merkel bereits während des zurückliegenden Bundestagswahlkampfes und das vertreten offensiv CDU und SPD, sowie, wie das FAZ-Beispiel zeigt, die bürgerlichen Medien.


Die Realität ist anders

Lassen wir einmal beiseite, dass es in einem Land höchstens den Menschen, die darin leben, gut oder schlecht gehen kann, dann stellen wir fest, dass die Aussage "Deutschland geht es gut" für eine verschwindende Minderheit der Deutschen stimmt. Die übergroße Mehrheit der Menschen hat aber in den zurückliegenden 20 Jahren völlig andere Erfahrungen gemacht. In diesen Jahren ging es nur abwärts für die Mehrheit der Bevölkerung. Nichts wurde besser, aber vieles schlechter. Von der bürgerlichen und sozialdemokratischen Politikermehrheit wird das schlichtweg ignoriert. Sie leben in einer Scheinwelt, in der sie offensichtlich die Realitäten nicht mehr wahrnehmen.

Wäre es nicht so, dann würde sich die SPD nicht wundern, dass sie von ihrer eigenen Klientel nicht mehr gewählt wird. Da hilft ihr auch nicht, dass sie sich heute wieder ein soziales Mäntelchen umhängt.

Unvergessen bleibt bei vielen Menschen, dass die SPD die "Heuschrecken" ins Land geholt hat. Dass sie eine Steuerpolitik mit der Folge betrieben hat, dass große Konzerne heute keine Steuern mehr bezahlen, dass sie im Gegenteil, wie BMW oder der Daimler-Konzern, sogar noch Geld vom Staat zurück erhalten.

Oder die unsäglichen Hartz 4-Gesetze. Mit schreienden Ungerechtigkeiten, wie zum Beispiel in dem Fall, wo jemand nach 30 oder mehr Jahren Einzahlung in die Arbeitslosenversicherung arbeitslos wird und nach einem Jahr genauso behandelt wird, wie ein 17jähriger, der von zuhause auszieht und H4 beantragt.

Zu angekündigten drastischen Verschlechterungen wird es für die zukünftigen Rentner kommen. Es ist beschlossen, dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2030 auf 43 Prozent vom letzten Nettoeinkommen abgesenkt wird. Rechnet man auf der heutigen Basis, käme jemand mit dem heutigen durchschnittlichen Nettoeinkommen von 1.647 EUR auf gerade mal 708 EUR Rente. Aber auch das bei 45 Beitragsjahren, die nur wenige zusammenbringen.

Um dieses Problem zu lösen, hat die Schröder-Regierung die Riester-Rente eingeführt. Heute weiß man - und es wurde schon des Öfteren publiziert - dass von dieser "Rente" nur die Versicherungskonzerne profitieren. Die zukünftigen Rentner dagegen bekommen weniger zurück als sie selbst einbezahlt haben.

25 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse sind inzwischen prekär. Wie sollen diese Beschäftigten auch noch Geld zur Seite legen können, um einen Riester-Renten-Vertrag abzuschließen? Bei diesen Beschäftigten ist bereits heute klar, dass sie in die Altersarmut fallen.

Da hilft auch der Mindestlohn von 8,50 EUR nur wenig. Bei einer 40 Stunden-Woche sind das im Monat 1.473 Euro brutto. Es bleiben netto 1.173 EUR. Die Rente wird dann bei 40 Beitragsjahren bei 850 Euro liegen. Die Grundsicherung nach Hartz 4 liegt bei 749 EUR. Die 8,50 EUR sind sehr geschickt gemacht! Abhängig von den Beitragsjahren, liegen die meisten knapp über oder unter der Grundsicherung.


Talfahrt der Löhne

In Westdeutschland sind von 1995 bis 2012 die Reallöhne in allen Einkommensgruppen gesunken. Einen dramatischen Rückgang erlebten Geringverdiener: Ihre realen Stundenlöhne stürzten um 20 Prozent ab, Normalverdiener hatten 8,5 Prozent, Besserverdiener 2,3 Prozent weniger.

Im Osten Deutschlands gab es zunächst noch starke Zuwächse. Innerhalb von zwei Jahren stieg der mittlere Stundenlohn in manchen Branchen von 54 auf fast 70 Prozent des Westniveaus. Die Gewerkschaften setzten zum Teil zweistellige Prozentforderungen durch. Darauf begann die Tarifflucht der Unternehmer auf breiter Basis mit der Folge, dass heute nur noch wenige Unternehmen dort tarifgebunden sind und in vielen Betrieben die Entlohnung am Boden liegt.

Deshalb haben auch die Geringverdiener in Osten wie ihre Westkollegen Einbußen erlitten: Ihre Reallöhne sanken von 1995 bis 2012 um 6,3 Prozent. Dass der Rückgang nicht so stark war wie im Westen, lag nur daran, dass das Ausgangsniveau im Osten ohnehin sehr niedrig war.

Festzustellen ist darüber hinaus, dass die Arbeitsverhältnisse generell immer unsicherer werden. Leiharbeit, Werkverträge, Befristungen stehen inzwischen in den Betrieben überall auf der Tagesordnung, tariffreie Bereiche und ausgehöhlte Tarifverträge ebenfalls.

Soviel zu der These: "Deutschland geht es gut!"


Der Trend setzt sich fort

Es ist deshalb nur für die etablierten Politiker und deren Parteien verwunderlich, dass sich immer mehr Menschen von ihnen abwenden. Dass sie die Wahl verweigern oder Protest-Parteien wählen. Der bei den Europa- und Landtagswahlen in Ostdeutschland sichtbar gewordene Trend wird sich fortsetzen, insbesondere, wenn sich die Konjunktur weiter abschwächt und die nächste Krise offen zum Ausbruch kommt.

Es ist auch davon auszugehen, dass Rechtsparteien weiter an Zulauf gewinnen. Die abhängig Beschäftigten sehen mehrheitlich keine grundsätzliche Alternative zu den bestehenden Verhältnissen. Ihr Denken bewegt sich in kleinbürgerlichen Kategorien. Außerdem gibt es im Moment keine linke Kraft, die eine solche Alternative glaubhaft aufzeigt. Dafür hat die jahrzehntelange Sozialisierung der abhängig Beschäftigten sowohl in der BRD als auch in der DDR gesorgt. Was aber geschehen wird, ist, insbesondere wenn die kommenden Krisen wieder auf dem Rücken der arbeitenden Klassen ausgetragen werden, dass der formal-demokratische Charakter dieser kapitalistischen Republik deutlicher sichtbar wird, die versucht, ihnen ihre Lebensgrundlage zu entziehen. Aus dieser Erfahrung können sich neue Ansätze für eine systemüberwindende linke Politik ergeben. Noch aber ist das ein langer Weg.

Oktober 2014


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 12:
Als diese Text geschrieben wurde, war die "rot-rot-grüne" Koalition in Thüringen nur rein rechnerisch möglich. Hier präsentiert sich die neue thüringische Regierung.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 186 - Winter 2014, Seite 12 bis 16
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org

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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2015


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