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ARBEITERSTIMME/270: Die Demontage des Sozialstaates


Arbeiterstimme Nr. 180 - Sommer 2013
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Die Demontage des Sozialstaates wirksam in Gesellschaft und Parlament entgegentreten

von Hubert Zaremba


Anlässlich einer Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik im September 2012 in Göttingen zog der Regierungschef der SPD/Grünen-Koalition von 1998 bis 2005 "positive Bilanz" seiner Amtszeit. Mit dem Aufbrechen verkrusteter Strukturen sei in dieser Zeit die "müde Deutschland AG revitalisiert" worden. Da fragen wir: Zu wessen Lasten, zu wessen Nutzen? Und befand sich die deutsche Gesellschaft im Ermüdungszustand? Die amtliche Statistik wirft ein anderes Licht auf die Aussagen des Ex-Kanzlers Schröder (SPD):

 Jahr

Volkseinkommen(1)

 Bruttolöhne/
 -gehalt(1)
Unternehmer- u.
Vermögenseinkommen(1)
 1970
 1980
 1990
 1995*
 2000
 2005
 2008
 2010
282,1
609,3
1017,9
1397,2
1524,4
1694,6
1886,0
1897,8
185,0
445,9
689,9
997,0
1100,0
1129,8
1225,0
1262,0
97,0
228,9
327,9
400,2
424,3
564,8
660,9
635,0

(1) Alle Angaben in Mrd. Euro / * ab hier BRD gesamt


Direkte Steuerbelastung Arbeits- u. Kapitaleinkommen
(Privathaushalte) in Prozent
 Jahr
Lohnsteuer
Einkommensteuer
 1960
 1970
 1980
 1990
 1995*
 2000
 2005
 2008
 2010
6,3
11,8
15,8
16,2
18,3
17,4
15,5
16,7
15,3
20,0
16,1
15,3
9,3
5,3
7,8
5,8
8,6
8,2

* ab hier BRD gesamt

Daten nach Statistisches Bundesamt/WSI-Mitteilungen 12/2011


Trotz der Begünstigung von Kapital- und Vermögenseinkommen durch geringere Steuersätze und verdeckte Lohnkürzung mittels reduzierter Bruttolohnbestandteile für Renten-, Kranken-, und Erwerbslosenkassen sind Wachstumsraten von mehr als zwei Prozent durch höhere Investitionsneigung der Kapitaleigner auf Dauer nicht mehr zu induzieren. Entsprechend mäßig fallen Steuerzuflüsse an den Staat und das Beitragsvolumen für die Sozialversicherungssysteme aus. Produktivitätsfortschritte durch Rationalisierung sowie aufgegebene oder jenseits der Landesgrenzen verlagerte Produktionsstätten reduzieren das zu erbringende Arbeitsaufkommen in hoch technisierten Volkswirtschaften wie der BRD.

Einige Kennziffern zu Arbeitsvolumen insgesamt und Erwerbstätigen ohne Selbstständigen:

 Jahr

Arbeitsvolumen/
Mrd.Std.
Vollzeitarbeitnehmer/
Mio./männlich/weiblich
Teilzeitarbeitnehmer/
Mio./davon weiblich
 1960
 1970
 1980
 1990
 1991*
 2000
 2005
 2009
56,34
52,29
48,01
47,97
59,79
57,66
55,69
55,98
19,3 / 13,1 / 6,2
20,1 / 14,4 / 5,7
21,0 / 14,5 / 6,5
21,3 / 14,6 / 6,7
29,6 / 18,6 / 10,7
25,7 / 16,4 / 9,2
23,2 / 14,7 / 8,5
23,4 / 14,9 / 8,5
0,78 / 0,58
2,05 / 1,84
2,83 / 2,41
4,15 / 3,70
5,52 / 4,75
9.58 / 7,53
11,28 / 8,46
12,39 / 9,29

Quelle: BMAS Statistisches Taschenbuch 2010

*ab hier BRD gesamt

An sich eine positive Entwicklung, veranlasst die tendenziell fortschreitende Reduktion des gesellschaftlichen Arbeitsaufkommens prokapitalistische Parteien dazu, zur Sicherung der Profitinteressen des Kapitals fast ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung, davon drei Viertel Frauen, in Teilzeitarbeit mit verringertem Einkommen und späterer Altersrentenminderung abzudrängen. Die bewusst herbei geführte Spaltung innerhalb der Klasse der Lohn- und Gehaltsempfänger befördert die negative Lohndrift, eine allgemeine Absenkung des Werts der Arbeitskraft, weil Statusangst der Vollzeitbeschäftigten zu Verzichtbereitschaft führt. Diesem als "Reformpolitik" kaschierten Klassenkampf von oben ist Wille und Aktion zu einer Neuordnung der gesellschaftlichen Arbeit entgegenzusetzen. Die Formel "Kurze Vollzeit für Alle" von sechs Stunden täglicher Arbeitszeit bietet die Lösung für eine hellere Zukunft der auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft Angewiesenen, die mit der Parole "Betriebe in Belegschaftshand - dann bleibt die Arbeit hier im Land" zu ergänzen ist.

Wer die Einkommen von Millionären steuerpolitisch nur "rück"-verteilen will - das Konzept der neosozialdemokratischen Partei Die Linke - akzeptiert großen Vermögensbesitz als Ergebnis privater Aneignung erheblicher Teile des gesellschaftlichen Gesamtprodukts. Die Grundstruktur der Klassengesellschaft tastet das nicht an. Der Mehrheitswille zum Übergang in eine Gesellschaft ohne Wachstumszwang erwächst aus dem Kampf um ein besseres Alltagsleben. Darauf orientieren folgende Kernsätze:

Allgemeiner 6-Stundentag unter Beibehaltung bisheriger Lohnhöhe, bzw. Lohnzuwachs vormaliger Teilzeitarbeiter. Umstellung der täglichen Arbeitsabläufe auf Vier-Schicht-Regime. Dadurch sind Schichtarbeiter weniger physisch beansprucht. Die Beschäftigten können in Zeitkorridoren von sechs Stunden die Betriebs- und Geschäftszeiten mit ihren weiteren Tagesverpflichtungen besser vereinbaren.

Erwerbslosenunterstützung wird nach Beitragsdauer und Alter bis zu drei Jahren in Höhe von sechzig Prozent des vorher erzielten Einkommens gewährt. Über diesen Zeitrahmen hinaus bleibt eine etwas niedrigere Lohnersatzleistung aus Steuermitteln gewährleistet. Fürsorgebedürftige erhalten eine pauschalisierte Grundsicherung, ergänzt durch ein regional differenziertes Wohngeld.

Der Anspruch auf volle Ruhestandsbezüge von sechzig Prozent des vorherigen Einkommens wird nach vollendetem 63. Lebensjahr wirksam. Beiträge für Renten-, Kranken- und Erwerbslosenversicherung werden als Teil des Bruttolohnes in einer Höhe erhoben, die zusätzliche Vorsorge- oder Finanzanlagen in privater Form an sich nicht nötig machen.

Einheitlicher Bildungsgang mit berufsqualifizierenden Anteilen in der Oberstufe für alle Schüler. Eine ausgewogene Anzahl von Lehrkräften zu Schülern (1:15) ist Grundvoraussetzung individueller Förderung im Unterricht. Allgemein zugängliches Hochschulwesen ohne Studiengebühren.

Ausweitung der Eingriffs- und Kontrollrechte der Beschäftigten in die Betriebsführung. Produktangebot, Produktplanung und -entwicklung sind im Hinblick auf die Beschäftigungssicherung in Einklang zu bringen. Übergangsformen zur Kontrolle der Betriebe durch die Beschäftigten im Rahmen einer gesellschaftlichen Gesamtplanung sind anzustreben.

Dezentrale und möglichst regenerative Energieversorgung in öffentlicher, Hand. Desgleichen allgemeiner Verkehrsverbund vertaktet unter betrieblicher Kontrolle der Beschäftigten. Nutzung von Schienen und Wasserwegen vor Straßentransport.

Steuerfinanziertes öffentlich-rechtliches Informationsangebot ohne Beitragszwang und Quotentrend.

*

Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 180 - Sommer 2013, Seite 7 bis 8
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org

Die Arbeiterstimme erscheint viermal im Jahr.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2013