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ANALYSE & KRITIK/439: Re-Schröderisierung


ak - analyse & kritik - Ausgabe 559, 18.03.2011

Re-Schröderisierung
Das Wahljahr 2011 sorgt für hitzige Debatten im rot-rot-grünen Spektrum

Von Tom Strohschneider


Der Auftakt zum Wahljahr heizt die innerparteilichen Debatten im rot-rot-grünen Spektrum an. Konflikt oder Kooperation? Vor allem in der SPD wird das Hamburger Ergebnis zur Akzentverschiebung genutzt. Als erste kam der Seeheimer Kreis aus der Deckung. Der Erfolg von Olaf Scholz, ließ der Sprecher des rechten SPD-Flügels, Horst Kahrs, wissen, sei nicht anders als eine Bestätigung alter Tugenden zu verstehen: ein Wahlsieg "in der Mitte". Die Orientierung wird nicht ohne Folgen für das linke Parteienlager sein.

Das Argument, die SPD müsse ihre Wirtschaftskompetenz wieder entdecken, dann klappe es auch bei Wahlen, wird man in Zukunft häufiger hören. So forderte der Bundestagsabgeordnete Garrelt Duin, die SPD müsse "in Zukunft wieder viel mehr über Dinge wie Investitionsklima oder Technikfreundlichkeit reden". Und Die Welt frohlockte über eine "kleine Revolte" und sieht die SozialdemokratInnen bereits vor einer "Re-Schröderisierung". Keine Linkswende bei der SPD in Sicht

Selbst jene, die wie Kurt Beck dereinst die millimeterhafte Abkehr von der Agenda-Politik betrieben haben, bekennen sich jetzt - im Wahlkampf - zu einer Politik der "ökonomischen Vernunft", die sich nicht immer durch Parteitagsbeschlüsse vorschreiben lasse. Eine klare Ansage gegen jene Wünsche an der Parteibasis, die nach der Pleite vom Herbst 2009 Gabriels Aufforderungen zur Neupositionierung der SPD ernst genommen und sich für mehr Umverteilung im Interesse einfacher ArbeitnehmerInnen und TransferbezieherInnen aussprachen.

In den Zeitungen wurde das bisweilen als Linkswende interpretiert. Das war es sicher nicht. Eher hat Gabriel vorübergehend eine Politik der taktischen Einbindung als links verstandener Positionen betrieben. An seiner Bereitschaft, den Kurs aus ebenso taktischen Gründen zu ändern, bestand nie ein Zweifel - die schnellen Adaption der neuen "Erzählung" von der Wirtschaftsfreundlichkeit zeigt nun einmal mehr Gabriels Geschmeidigkeit. Scholz und Beck schoben derweil nach: Sie inszenierten sich bei einer Buchvorstellung als "Vertreter der sozial-liberalen Tradition" und waren überzeugt, "dass diese Kräfte in der Partei künftig stärker werden".

Das wird man auch bei den Grünen, die jetzt den Fluch sinkender Umfragewerte fürchten, aufmerksam verfolgen. Kooperative Signale in Richtung FDP gab es zuletzt immer wieder aus der SPD, vor allem im Umfeld von Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wird das Thema gern lanciert.

Was den strategischen Spielraum der SozialdemokratInnen (nach rechts) erweitern soll, gräbt ihren "linken" VertreterInnen das Wasser ab. Einerseits als gegen die ökologischen Schnittstellen mit den Grünen gerichtet. Andererseits, weil unter "wirtschaftlicher Vernunft" bei Scholz und Co. nicht zuletzt das Lob der Schuldenbremse verstanden wird - was eine Hannelore Kraft als öffentliche Absage an ihren Kurs kreditfinanzierter Vorsorgepolitik und ein Klaus Wowereit, der die budgetrechtliche Selbstentmachtung der Parlamente als "abstrus" kritisiert hatte, als Tritt vors wahlkämpfende Schienenbein verstehen müssen.

In Schleswig-Holstein, wo bis 2012 neu gewählt werden muss, hat eine Woche nach der Wahl in Hamburg Torsten Albig, der frühere Sprecher von Peer Steinbrück und derzeitige Kieler Oberbürgermeister, das Kandidatenrennen gegen den SPD-Linken und Landeschef Ralf Stegner gewonnen. Albig, von dem es in der Öffentlichkeit stets heißt, er sei der nettere Kerl, hatte den Erfolg von Olaf Scholz als Ergebnis einer Politik gelobt, "die auf die Mitte und nicht nur auf die Ränder zielt". Das Argument ist deshalb interessant, weil man nicht gerade behaupten kann, die SozialdemokratInnen hätten sich in der Vergangenheit besonders um die VerliererInnen des Kapitalismus verdient gemacht. Der Popanz wird trotzdem aufgebaut - um damit die Bewegung in Richtung "Aufsteiger-Mitte" zu stärken.

Die Signale von Hamburg und Schleswig-Holstein werden auf dem linken SPD-Flügel eher reserviert verfolgt. "Wir sollten nicht nach jeder Landtagswahl über eine grundlegend neue Strategie für die Bundes-SPD nachdenken", warnt Juso-Chef Sascha Vogt vor hanseatisch geprägten Festlegungen. Parteilinke wie Karl Lauterbach und Stegner waren bemüht, die Rede von der "Wirtschaftsfreundlichkeit" mit dem Hinweis auf "sozialen Ausgleich" abzudämpfen. Und wieder einmal rückt das Verhältnis zur Partei DIE LINKE als ebenso symbolische wie machttaktische Fragestellung in den Fokus. Kooperative Signale in Richtung FDP

Nach Hamburg war aus den Reihen der Seeheimer erneut gefordert worden, Bündnisse mit der Partei DIE LINKE kategorisch auszuschließen. "Nur so schafft man das nötige Vertrauen bei den Wählern der Mitte", meint Duin. Auch der kommende Spitzenkandidat Albig hatte, anders als Stegner, rot-roten Kooperationen eine Absage erteilt. "Wir sollten ganz entspannt mit der Linkspartei umgehen", kontert Vogt. "Es hilft nicht weiter, Koalitionen mit ihr auszuschließen." Unterstützung erhält der Juso-Mann in Baden-Württemberg. Dort halten viele - die Umfragen im Auge - eine Tabuisierung der Linken für taktisch falsch: "Dann liefern wir uns der CDU aus", sagt ein Landtagsabgeordneter, "und bekommen in der eigenen Partei nur eine stressige Diskussion."

Diese Debatte wird so oder so kommen: Im Südwesten wird abgestimmt, wenn die Ergebnisse in Sachsen-Anhalt schon feststehen. Dort liegt die Partei DIE LINKE in Umfragen vor der SPD, deren Spitzenkandidat Jens Bullerjahn erklärt hat, nicht unter einem Ministerpräsidenten Wolf Gallert regieren zu wollen. Hier wird erstmals 2011 die rot-rote Regierungsfrage gestellt, im Herbst kommt sie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zur Wiedervorlage. Und im Westen könnte sich klären, ob die rot-grüne Strategie, die Linke aus den Landtagen zu halten, nicht doch endgültig gescheitert ist.


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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 559, 18.03.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2011