Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

ANALYSE & KRITIK/397: Der Weg in die Kombirente


ak - analyse & kritik - Ausgabe 553, 17.09.2010

Der Weg in die Kombirente
In der Debatte um die Rente ab 67 werden grundlegende Veränderungen ausgeblendet

Von Christian Brütt


Mitten in der Sommerpause wartete die SPD mit einem politischen Klassiker auf: sie sprang als Tiger und landete als schnurrende Hauskatze. Sie schleicht um die Rente ab 67 Jahre herum wie die vollgefressene Hauskatze um die Maus: launisch im Spiel und zu träge zum fressen. Vor dem Hintergrund des für und wider der Rente mit 67 verschwindet jedoch eine Entwicklung, die bereits schon jetzt abzusehen ist: Der Weg in die Kombirente.

Die Rente ab 67 ist eine im Umfang und Wirkung bisher nicht dagewesene Rentenkürzung. Und nicht nur das: Die Zielsetzung der Alterssicherung wird so nach und nach grundsätzlich geändert. Aus einer Lohnersatzleistung, die - wie problematisch auch immer - an dem vormaligen auf dem Arbeitsmarkt erreichten Status anknüpft und ihn im Alter sichert, wird nach und nach eine Lohnergänzungsleistung. Aus der gesetzlichen Rentenversicherung droht letztlich das zu werden, was Hartz IV bereits heute für Jüngere ist: ein Kombilohn.

Zwei Argumentationsmuster werden hier wie da bemüht, den Kombilohn zu rechtfertigen. Das eine zielt direkt auf das Verhältnis von Angebot und Nachfrage an Arbeitskraft, das andere auf die Würde des Menschen als Zielsetzung staatlicher Sozialpolitik.


Willig und billig bis ins hohe Alter

Hinter dem Würde-Argument steht ein Paternalismus mit "Marktzufuhreffekt". Paternalistisch ist das Argument, weil es nicht dem wohlverstandenen Eigeninteresse der Einzelnen überlassen bleibt, zu wissen und zu entscheiden, was gut für einen selbst ist. Mehr noch: Es wird den Einzelnen schlicht nicht zugetraut, das zu wissen und zu entscheiden. Deswegen müsse die Politik diese Aufgabe übernehmen und sie den Menschen abnehmen. Hauptsache Arbeit ist hier das Motto.

Arbeit wird sozialromantisch verklärt, indem stets behauptet wird, dass - egal in welcher Form - Arbeit stets mehr Anerkennung von den anderen und vor sich selbst verschaffe. In dieser Logik der Anerkennung wäre jedes Jahr Rentenbezug, jedes Jahr Arbeitslosigkeit ein verschenktes Jahr. "Altersfeindlich", so ist aus CDU-Kreisen zu hören, sei eine Arbeitsmarktpolitik, die Ältere "ausgrenze". Die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen will sogar den "Silberschatz des Alters heben" und damit ihre Wertschätzung vor der Lebens- und Berufserfahrung älterer Menschen zum Ausdruck bringen. Der Kern des Arguments beruht stets auf dem gleichen Missverständnis: Das menschliche Bestreben, sich die Umwelt durch Arbeit anzueignen, wird schlicht gleichgesetzt mit einer bestimmten Form der Arbeit, nämlich der Lohnarbeit und dem dazugehörigen Ort des Geschehens, dem Arbeitsmarkt. Arbeit ist für viele sinnstiftend. Das stimmt. Aber es ist ein fundamentaler Irrtum zu glauben, dass das auf jede Arbeit, geschweige denn jede Lohnarbeit zuträfe. Aktives Altern auf die Teilnahme am Arbeitsmarkt zu verkürzen, verletzt die Würde des Menschen. Insbesondere dann, wenn jene, die aus gesundheitlichen Gründen oder mangels Jobs nicht teilnehmen, mit Rentenkürzungen in Form der sogenannten Abschläge bestraft werden.

Wo bleibt die Würde, wenn knapp die Hälfte all jener, die vorzeitig, also aktuell vor dem 65. Lebensjahr, in Rente gehen müssen, durchschnittlich mit 115 Euro weniger Rente pro Monat bestraft wird? Wo bleibt die Würde, wenn ein Fünftel der 60 bis unter 65-Jährigen und nicht einmal mehr zehn Prozent der 64-Jährigen in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht? Wo bleibt die Würde, wenn weniger als ein Fünftel der 60 bis unter 64-Jährigen und weniger als zehn Prozent der 64-Jährigen Erwerbslosen es schaffen, wieder einen sozialversicherungspflichtigen Job zu ergattern? Unter diesen Bedingungen bleibt Würde ein uneinlösbares Versprechen, kurzum: Sie bleibt ein auf der Strecke.


Von Lohnersatz zur Lohnergänzungsleistung

Nochmals: Die Rente erst ab 67 ist ein Paternalismus mit "Marktzufuhreffekt". "Marktzufuhr" ist eine Funktion des Sozialstaates für den Arbeitsmarkt. Staatliche Sozialpolitik reguliert den Arbeitsmarkt sowohl quantitativ, qualitativ als auch preislich. Bisher galt die gesetzliche Rente als der zentrale sozialpolitische Mechanismus, Arbeitskräfte kontinuierlich für den Arbeitsmarkt zu motivieren und zu mobilisieren. Denn eine kontinuierliche Erwerbsbiografie versprach ein zumindest auskömmliches Leben im Alter. Die Rente galt als Bilanz der erwerbsfähigen Phase des Lebens. Sie war zentriert um den männlichen Familienernährer, versorgte Frauen als Ehefrauen und später auch als Mütter mit arbeitsmarktfernen Positionen und schob en passant die Müßiggänger zur Seite. Am Anfang des Erwerbslebens winkte bereits aus der Ferne die Rente: Nach jahrzehntelanger Beitragszeit stellte sie ein Alterseinkommen in Aussicht, das den Lohn zwar nicht im vollem Umfange, so doch auf einem passablen, den Einzahlungen und der gesamtwirtschaftlichen Lohnentwicklung angepassten Niveau ersetzen sollte.

Bereits Rot-Grün verschob die gesetzliche Rente auf einen anderen Pfad. Indem sie das Rentenniveau politisch absenkten und im Gegenzug begannen, die private Altersvorsorge staatlich zu subventionieren, verschob die rot-grüne Bundesregierung das Ziel der gesetzlichen Rente weg von einer Lohnersatzleistung hin zu einer Ergänzungsleistung. Die Mischung soll es machen: ein bisschen aus gesetzlicher, ein wenig aus betrieblicher und zunehmend Einkommen aus privater Vorsorge - das ist das Bild, das - ausgehend von der Weltbank - über die Europäische Kommission längst auch die nationale Alterssicherungspolitik bestimmt.

Doch es funktioniert nur einseitig, und auf der Verliererseite stehen die Rentnerinnen und Rentner: Das Einkommen der 65-Jährigen und Älteren setzt sich zu 96 Prozent aus Alterssicherungsleistungen und zu nur vier Prozent aus zusätzlichen Einkommen wie Erwerbseinkommen und privater Vorsorge zusammen. Dabei hat an den gesamten Alterssicherungsleistungen Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung den mit Abstand größten Anteil (89 Prozent, in Ostdeutschland sind es sogar 99 Prozent). Die Menschen können also mehrheitlich die Kosten des vorzeitigen Ruhestandes nicht kompensieren. Auch in Zukunft wird sich dieser Zustand - trotz oder wegen der Riester-Rente - nicht ändern. 37 Prozent derjenigen, die einen Anspruch auf Förderung hätten, haben einen Vertrag abgeschlossen. 60 Prozent von diesen haben nicht die vollen Zulagen erhalten, weil sie die Eigenbeiträge nicht aufbringen konnten oder wollten.


Arbeitsmarktpolitik mit der Rente ab 67

Der ökonomische Anreiz, der mit der Rentenkürzungspolitik gesetzt wird, ist deutlich: Die Einzelnen sollen länger ihre Arbeitskraft auf dem Markte anbieten. Das ist der "Marktzufuhreffekt". Bei entsprechend miserablen Aussichten auf dem Arbeitsmarkt bedeutet das für die Einzelnen, dass sie Ihre Lohnerwartungen senken müssen, um einen Job zu ergattern. Doch das ist nicht alles; auch das abgesenkte Rentenniveau sowie das auf 67 erhöhte Renteneintrittsalter wirken auf den Preis der Arbeitskraft. Beide Maßnahmen zielen zunächst darauf, die so genannten Lohnnebenkosten zu regulieren, indem die Beiträge zur Rentenversicherung stabil gehalten und wenn möglich gesenkt werden.

Doch wer von Lohnnebenkosten redet, hat für gewöhnlich die Löhne insgesamt im Blick. Und das gilt insbesondere dann, wenn klar wird, dass die 0,5 Prozentpunkte weniger Beitragsatz, die die Bundesregierung mit der auf 67 angehobenen Altersgrenze bis 2030 erreichen will, nach heutigen Maßstäben bei einem Durchschnittsverdienst nicht einmal sieben Euro Beitragsersparnis brächte. Für sieben Euro im Monat zwei Jahre länger arbeiten oder Abschläge in Kauf nehmen zu müssen, das ist für ArbeitnehmerInnen ein schlechter Deal. Auf ihre Kosten kommt hingegen die ArbeitgeberInnenseite. Vorschläge, wie sie derzeit vor allem aus der FDP vorgebracht werden, verfestigen diesen Eindruck: Künftig sollen die Grenzen zwischen Rente und Arbeitsmarktteilnahme gänzlich fallen. Das Zauberwort hierfür heißt "Hinzuverdienstgrenzen".

Doch genau das ist die Logik der Kombilöhne: Mit den Hinzuverdienstgrenzen verschwimmen und verschwinden die Grenzen zwischen Markt- und Transfereinkommen wie der Rente, aber auch der Mindestsicherung. Die Transfereinkommen werden so nach und nach zu Mitteln, den Preis, den die ArbeitgeberInnen für die Arbeitskraft zahlen müssen, zu drücken. Das geht jedoch nur, wenn die Transfereinkommen gesenkt werden. Das was der Plan bei Hartz IV, das ist derzeit Gesetz mit der Rente ab 67. In der Konsequenz bedeutet das: mehr Gedränge auf dem Arbeitsmarkt bei geringeren Löhnen - und Schweigen über die Qualität der Arbeitsverhältnisse. Die Kombirente folgt dem Kombilohn auf dem Fuße.


Christian Brütt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag



Anmerkungen:

1) Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst et al. und der Fraktion DIE LINKE. "Beschäftigungssituation Älterer, ihre wirtschaftliche und soziale Lage und die Rente ab 67". Drucksache 17/2271

2) Ebd.

3) Kornelia Hagen, Riesterrente: Politik ohne Marktbeobachtung, in: DIW Wochenbericht 8/2010


*


Weiterveröffentlichung in gedruckter oder elektronischer Form
bedarf der schriftlichen Zustimmung von a.k.i. . -
Verlag für analyse, kritik und information Gmbh, Hamburg

Auf Kommentare, Anregungen und Kritik freuen sich AutorInnen und ak-Redaktion.


*


Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 553, 17.09.2010
Zeitung für linke Debatte und Praxis
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion
Herausgeber: Verein für politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.
Redaktion: Rombergstr. 10, 20255 Hamburg
Tel. 040/401 701 74 - Fax 040/401 701 75
E-Mail: redaktion@akweb.de
Internet: www.akweb.de

analyse & kritik erscheint monatlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2010