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ANALYSE & KRITIK/354: Die Saat für eine Klimagerechtigkeitsbewegung


ak - analyse & kritik - Ausgabe 546, 22.01.2010

Die Saat für eine Klimagerechtigkeitsbewegung
Über unerfüllte Erwartungen, neue Hoffnungen und die Frage nach Erfolgen

Von Alexis Passadakis und Tadzio Müller


Zumindest was ihre praktische Umsetzung anging scheiterten fast alle größeren Aktionen in Kopenhagen im Dezember. Dennoch rekonstituierten die Proteste beim Klimagipfel das Terrain Klimakrise als ein Feld international vernetzter sozialer Auseinandersetzungen. Sie waren durchaus ein Schritt für eine neue Bewegung für Klimagerechtigkeit - wenn auch auf wackligen Füßen.

Weltweit wurden Millionen am 18. Dezember vergangenen Jahres AugenzeugInnen eines fulminanten Sieges einer Bewegung für ökologische Gerechtigkeit. In dem an diesem Tag in tausenden Kinos gestarteten Hollywood-Werbeclip - Pardon, Kinofilm - "Avatar" gelingt es den blauhäutigen Aliens den profitgetriebenen fossilistischen Überfall der Menschenrasse auf ihren Mond auf ganzer Linie abzuwehren. Mit Pfeil und Bogen statt Kalaschnikow werden die Invasoren zur Strecke gebracht und die extraterristrischen gesellschaftlichen Naturverhältnisse des Regenwald-Mondes Pandora wieder ins Lot gebracht. Am selben Tag startete eine virale Marketing- und Merchandising-Kampagne, in freundlicher Kooperation mit dem Burgerbrater McDonalds - eine "visionäre Partnerschaft", wie der Produzent des milliardenschweren Streifens, Jon Landau, betonte.


Von Avatar zu Avaaz - wer gewinnt am Ende?

Eine andere Kampagne lief trotz ebenfalls visionärer Partnerschaft an eben jenem 18. Dezember in ein vorläufiges totes Ende. Die miteinander verflochtenen "open-source" Kampagnen tcktcktck, 350.org und die Aktivitäten von Avaaz hatten zwar nach einigen Angaben weltweit ca. 15 Mio. Unterschriften gesammelt, unzählige großformatige Anzeigen gestaltet und hunderte Aktionen durchgeführt, das Ziel aber wurde verfehlt: nämlich ein "faires, ambitioniertes, rechtsverbindliches Klima-Abkommen". Im Vorfeld des Gipfels gelang es, eben diese Formel - als hoffnungsgeladener Appell an die Staatschefs gerichtet - in der veröffentlichten Meinung als Forderungshorizont "der Zivilgesellschaft" zu verankern.

Originell an diesen Kampagnen ist die Koalition, die sich z.B. unter dem Label tcktcktck zusammenfindet: von WWF, Oxfam und Greenpeace bis zu der Bank HSBC, Volvo, MTV und der Prince of Wales' Corporate Leaders Group, die ihrerseits Unternehmen wie Shell, Allianz, Phillips vereint. Betreut wird das Ganze von der transnationalen PR-Agentur Euro RSCG Worldwide, die ihre Fähigkeiten sonst Kunden wie eben McDonalds zur Verfügung stellt. (1) Dieser transnationale NGO/PR-industrielle Komplex trug dazu bei, die Erwartungshaltung an die Fähigkeit der versammelten Staatschefs zu schüren, die Klimakrise mit einem diplomatischen Willensakt bewältigen zu können. Politische Interessenslagen und Konflikte wurden dabei völlig ausblendet.

Vor diesem Hintergrund war es das Ziel des internationalen sozialen Bewegungs- und insbesondere Süd-NGO-Netzwerks Climate Justice Now!, des nord- und westeuropäischen AktivistInnen-Zusammenhangs Climate Justice Action, aber auch der Koalition um den Gegengipfel "Klimaforum", dem eine alternative Agenda entgegenzusetzen. (2) Der gipfel-typische Fokus höchstmöglicher globaler öffentlicher Aufmerksamkeit sollte das Sprungbrett für eine neue Klimagerechtigkeitsbewegung sein. Und es wurde gesprungen - etwas zu kurz, unsachte gelandet, mit einem Fuß im Knast, aber immerhin auf beiden Beinen. Denn zum einen wurde der Klimagerechtigkeitsdiskurs dort auf eine breitere soziale Basis gestellt und zum anderen neue Netzwerke zwischen aktivistischen Netzwerken, sozialen Bewegungen und NGOs vor allem aus dem Süden geknüpft.

Zunächst aber ein Blick zurück in die Vorgeschichte: Eine Demonstration mit 1.000 TeilnehmerInnen aller politischer Couleur war der Höhepunkt der Aktionen in den Straßen der polnischen Stadt Poznan während der Klimaverhandlungen (COP14) im Dezember 2008. Genau ein Jahr zuvor fanden auf Bali (COP13) zwar vor dem Tagungsgebäude zahlreiche Medien-Aktionen diverser Nichtregierungsorganisationen statt, von einer größeren Mobilisierung und ungehorsamen/militanten Aktionen war jedoch nichts zu sehen. Wer noch ein paar weitere Jahre zurück gehen möchte: Während der COP6.5 im Sommer 2001 in Bonn war die einzige sichtbare Aktion eine Demonstration von Friends of the Earth/BUND mit ca. 2.500 Personen mit der Hauptstoßrichtung, die USA unter George Bush für die Nichtunterzeichnung des Kyoto-Protokolls anzuklagen.


Eine Love Parade für den Umweltschutz

Aus der Perspektive derjenigen, die seit 15 Jahren oder mehr das Thema Klimakrise und andere Verheerungen des fossilistischen Energiesystems beackern, ist in der dänischen Hauptstadt eine neue Stufe erklommen wurden. Klar ist aber auch, dass das zentrale Ziel nicht erreicht wurde: die Inhalte der UN-Klimaverhandlungen zu politisieren und einen antagonistischen und öffentlich weithin wahrnehmbaren kapitalismuskritischen/antikapitalistischen Pol gegenüber der liberalen und daher marktorientierten Klimapolitik des UN-Prozesses zu etablieren.

Als zentrales Bild der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung nach Kopenhagen bleibt die Großdemonstration am Samstag, genau in der Mitte der zweiwöchigen Verhandlungsperiode. 40.000 TeilnehmerInnen wurden erwartet, 100.000 kamen. Wenn die taz für diesen Tag das Label "Love Parade der Umweltschützer" findet, dann trifft sie damit allerdings einen wahren Punkt: denn die Demo war mehr Bekenntnis als Politik. Unter dem Motto "Planet first - people first" wurde von den "world leaders" ein "faires, ambitioniertes, rechtsverbindliches Abkommen" gefordert. Einen politischen Gegner gab es für die meisten der Klima-MarschiererInnen nicht. Hoffnung und der Appell an die Staatschefs von Obama über Merkel bis Berlusconi nun "mutig" die Umwelt zu schützen, reichte der Mehrheit als Ausdruck und Botschaft aus.

Diejenigen, wie insbesondere Climate Justice Now! und Climate Justice Action, die mit einer Agenda der Klimagerechtigkeit und einer wachstums-, markt- und UN-kritischen Orientierung angetreten waren, hatten keine Form gefunden, diese Position sichtbar zu machen. Pläne autonomer und anarchistischer Gruppen mittels einer Schwarzer-Block-Taktik Riots anzuzetteln, endeten mangels Vorbereitung in dem Debakel von 900 Ingewahrsamnahmen. Diese Großdemo zeigte einerseits, dass im von der Klimakrise bisher vergleichsweise kaum betroffenen Norden von vielen eine eigene Betroffenheit wahrgenommen wird und auch mobilisiert werden kann. Anderseits fehlte der politische Kitt, der die globalisierungskritischen Demos der vergangenen zehn Jahre ermöglichte: nämlich eine demonstrative Einigung unterschiedlichster sozialer Bewegungen auf einen minimalen und pluralistischen, aber wirkungsvollen politischen, konkret antineoliberalen, Grundkonsens. Verbunden war diese breite altermondialistische Position damals mit der Identifizierung von Gegnern wie der WTO, dem Internationalen Währungsfonds und den transnationalen Konzernen. Von einer Klimabewegung kann heute deshalb kaum gesprochen werden: Die Spaltung zwischen den BefürworterInnen einer marktbasierten Klimapolitik à la Kyoto-Protokoll, inklusive Emissionshandel, und den VertreterInnen des Konzeptes von Klimagerechtigkeit ist deutlicher als je zuvor.

Während der folgenden Aktionstage waren nicht mehr als 3.000 AktivistInnen unterwegs - inklusive dem 16. Dezember, als bei der "Reclaim-Power! - Pushing for Climate Justice"-Aktion versucht werden sollte, auf das Gelände der UN-Konferenz zu kommen. Eine strategische Tiefe hatte die Mobilisierung also nicht, obwohl in den europäischen Ländern mit den größten "aktivistischen Szenen" (also der BRD, Italien, Großbritannien aber auch Dänemark) seit mindestens einem Jahr mobilisiert wurde. Abwesend waren vor allem die vielen DänInnen, von denen auf internationalen Treffen immer wieder berichtet wurde, dass sie mit Sicherheit auftauchen würden. Es ist aber auch klar, dass die präventive Polizeitaktik viele potenzielle Aktive von den Aktionen abschreckte. Dies belegen mehrere Umfragen in Dänemark im Vorfeld des Klimagipfels. Vor allem für aktionsorientierte soziale Bewegungen liegt hierin sicherlich einer der wichtigsten Effekte von Kopenhagen: Wenn der Staat es schafft, potenziell Aktive davon zu überzeugen, dass sie verhaftet werden, wenn sie auf eine Aktion gehen, dann verlieren wir eine zentrale Existenzbedingung, die nämlich in der kollektiven Selbstermächtigung durch massenhafte Regelübertritte besteht. In diesem Kontext wurde das Defizit nicht ausreichender politischer Kommunikationsstrukturen deutlich, um auf diese Repression jenseits von Pressearbeit zu reagieren.


Der Ausbruch aus der Konferenz

Trotzdem: Für viele NGOs, die seit über einem Jahrzehnt im UN-Prozess mitarbeiten und für die es im Bezug auf die UNFCCC nur zwei Optionen gab, nämlich auf kritische Lobbyarbeit oder symbolische Aktionen zu setzen, hatte die Aktion das Verdienst, einen dritten Weg aufzuzeigen: Und zwar ungehorsame Aktionen zu setzen. Die Aktion bestand aus zwei Bewegungen: Einerseits sollte sich von außen, also von der Straße, eine große Menge durch die Polizeiketten drängen; andererseits sollten sich hunderte Menschen von innen, also aus dem Gipfel heraus kommend, draußen mit den radikalen AktivistInnen treffen und eine gemeinsame "Gegen-Versammlung" direkt vor dem Konferenzzentrum abhalten. Zwar wurde es nicht geschafft, massenhaft auf das Gipfelgelände zu gelangen - aber der bloße Versuch eines Ausbruchs aus der Konferenz, der dann wiederum brutal von der dänischen Polizei zurückgeschlagen wurde, signalisierte eine neue Taktik. Die Taktik einer neuen Art der Zusammenarbeit von innen und außen in transnationalen Politikprozessen. So schuf dieser Ausbruchsversuch Bündnisse, die so vor Kopenhagen nicht existierten.

Anders als die Aktionen war der Gegengipfel "Klimaforum" mit nach eigenen Angaben 50.000 BesucherInnen ein überraschender Erfolg. Politisch kulminierte er in der Verabschiedung einer Erklärung, die inzwischen von 500 Organisationen unterzeichnet wurde und den augenblicklichen Stand einer alternativen Klimapolitik skizziert. Formuliert wird eine Abkehr von marktbasierten Lösungen. An deren Stelle steht eine demokratische Kontrolle der Ressourcen und der Wirtschaft, Ernährungssouveränität und eine Ablehnung des (grünen) Wachstumswahns. Natürlich ist Papier geduldig. Dennoch zeigt sich hier ein neuer sozialer Resonanzboden für eine Umweltgerechtigkeitspolitik, die mit dem liberalen Nachhaltigkeitsdiskurs bricht, der seit Anfang der 90er Jahre dominiert.

Der de-facto Kollaps der UN-Verhandlungen hat den positiven Effekt, dass die Skepsis gegenüber diesem Prozess weitere Kreise zieht. Zudem geraten Auseinandersetzungen um die Bearbeitung der Klimakrise auf anderen Ebenen als den "Global Governance"-Strukturen verstärkt in den Fokus. Dies ist bitter nötig, da absehbar ist, dass die Klimakrise in den kommenden Jahrzehnten die Rahmenbedingungen für alle anderen sozialen Kämpfe um soziale Rechte massiv verschlechtern wird. Lokale Auseinandersetzungen - national und transnational vernetzt - sind zur Zeit der einzige Weg, dem derzeitigen fossilistischen und zusätzlich grün-finanzialisierten Kapitalismus effektive Schläge zu versetzen.

Schlussendlich hat "Kopenhagen" auf keiner Seite die hohen Erwartungen, die an den Gipfel und die Proteste darum und dagegen gesetzt wurden, erfüllt: Wo sich einerseits der UN-Klimaprozess durch sein Scheitern weitgehend selbst delegitimiert hat, konnten die globalen Bewegungen andererseits nicht ausreichend an den oft zitierten Erfolg von Seattle anknüpfen. Scheinbar aus dem Stand eine neue Bewegung auf die globale öffentliche Tagesordnung zusetzen, konnte ebenso wenig gelingen, wie einen neuen zentralen globalen Antagonismus zu konstruieren. Gleichzeitig sollten auch die durchaus signifikanten Erfolge nicht kleingeredet werden: Die Saat einer neuen transnationalen Bewegung für Klimagerechtigkeit ist gesät worden. Fortsetzung folgt.


Anmerkungen:
1) Vgl. www.eurorscg.com
2) Vgl. www.climate-justice-now.org, www.climate-justice-action.org sowie www.klimaforum09.org


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2010