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VORSICHT/013: Atom und Strahlung - Leichtsinn der Vergangenheit ... (SB)



Mit der Inbetriebnahme des ersten deutschen Atomkraftwerkes, bei dem es sich noch um einen kleinen Forschungsreaktor handelte, der in Garching bei München erbaut wurde, fiel auch der erste Atommüll an. Hier zunächst nur in kleinen Mengen, doch schon 1962 nahm das Atomkraftwerk in Kahl seinen Betrieb auf und speiste erstmals Atomstrom in das Elektrizitätsversorgungsnetz. Dabei entstanden auch die ersten abgebrannten Brennstäbe, die zunächst noch in der Atomkraftanlage selbst in sogenannten Abklingbecken unter strenger Kontrolle gelagert wurden, bis sie kalt und inaktiv waren und man sie zerkleinert in Stahlfässer verpacken konnte. Doch wohin mit diesen Fässern? Hatte man beim Anfahren des Atomkraftwerkes nicht daran gedacht, dass bei seinem Betrieb unvermeidbar radioaktive Abfälle entstehen? Kann es wirklich sein, dass sich damals niemand Gedanken darüber gemacht hat, wo dieser Atommüll über viele Jahrtausende sicher gelagert werden kann?


Grafik: 2006, by User: Prolineserver, User: Nicolas Lardot [Public domain], via Wikimedia Commons

In der Grafik werden die Verfahrensschritte vom Uranabbau über AKW-Betrieb und Wiederaufarbeitung mit den dabei anfallenden radioaktiven Abfällen gezeigt
Grafik: 2006, by User: Prolineserver, User: Nicolas Lardot [Public domain], via Wikimedia Commons



Atommüll - aus den Augen aus dem Sinn?

Die schnellste Methode, die nach dem Motto "aus den Augen aus dem Sinn" funktionierte, sah vor, den radioaktiven Abfall in besagte Stahlfässer zu füllen, sie fest zu verschließen und dann einfach im Meer zu versenken. Es heißt, diese Art der Entsorgung wurde gewählt, weil man davon ausging, dass die radioaktiven Partikel sich in den riesigen Wassermassen der Weltmeere verteilen und letztlich nur noch so verdünnt vorkommen, dass für Mensch und Tier keine Gefahr besteht. Heute weiß man, dass diese Annahme nur zum Teil richtig ist. Zwar kam und kommt es zu einer Vermischung und durch die Meeresströmungen auch zu einer Verteilung, doch wurde außer Acht gelassen, dass im Meer Tiere und Pflanzen leben. Radioaktive Partikel gelangen beispielsweise über die Kiemenatmung der Fische in ihren Körper und lagern sich dort ein, das geschieht auch, wenn sie andere Pflanzen oder Meerestiere fressen, die ihrerseits bereits radioaktiv belastet sind. Es ist leicht vorstellbar, wie durch das Fressen und Gefressenwerden der Meeresbewohner letztendlich auch solche radioaktiv kontaminierten (belasteten) Fische in den Netzen der Fischer und auf den Tellern der Menschen landen. Hinzu kommt, dass an den sogenannten Verklappungsorten, also in jenen Gebieten, an denen die Atommüllfässer versenkt wurden, sich im Falle eines Lecks und eines Ausströmens von radioaktiven Partikeln, eine besonders hohe Konzentration von radioaktiver Strahlung befindet. Den Meerestieren, die sich dort aufhielten und aufhalten, nützt es gar nichts, wenn sich späterhin einmal eine Verdünnung einstellt. Sie sind bereits kontaminiert, erkranken, sterben oder werden gefressen.


Die Ozeane als Atommüllendlager?

Die Atommüll-Verklappung, wie die Entsorgung ins Meer offiziell genannt wird, fand nicht im Licht der Öffentlichkeit statt, kaum jemand wusste etwas darüber. So konnte der radioaktive Müll aus vielen Jahrzehnten (Ende der 1950er Jahre bis 1993) ins Meer gekippt werden. Ab 1993 wurde diese Art der Verklappung von Atommüll in Fässern verboten, nicht aber die Einleitung von radioaktiven Abfällen per Rohrleitung. So geschieht es bis heute beispielsweise in der Wiederaufbereitungsanlage (Windscale) in Sellafield (Großbritannien), die ihren Atommüll in die Irische See leitet. Zu verstehen ist das nicht, aber es gilt als legale Entsorgungsmöglichkeit.

Vorgesehen war, die Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Müll möglichst in 2000 bis 4000 Meter Meerestiefe zu versenken. Sie wurden auf Schiffe verladen, die die vorgesehenen Gebiete ansteuerten, um beispielsweise 2000 Atommüllfässer in 4000 Meter Tiefe in das Iberische Becken im Nordatlantik zu kippen, so geschehen 1967. Doch nicht nur im Nordatlantik, sondern auch im Nordwestatlantik, im Pazifik und in der Arktischen See liegen tausende Fässer Atommüll. Dazu kommen allerdings noch die vielen illegal verklappten Fässer, einige gesunkene Atom-U-Boote, ja sogar ganze Atomreaktoren voller radioaktiver Substanzen. Außerdem wurde sich nicht immer an die vorgeschriebene Versenkungstiefe gehalten und auch nicht an die angegebenen Orte. So befinden sich im Ärmelkanal ebenfalls tausende Atommüllfässer in einer Tiefe von nur 60 bis 100 Metern. Heute kann nicht mehr sicher gesagt werden, wo sich in den Meeren überall derartige "Atommüllendlager" befinden und wie hoch die Konzentration an schwach-, mittel- oder hochradioaktiven Material am Meeresgrund ist.


Ein gelbes Fass mit dem Radioaktiv-Zeichen darauf - Grafik: © 2018 by Schattenblick

Grafik: © 2018 by Schattenblick


Bedenklich ist auch, dass die Fässer damals nicht dafür gedacht waren und also auch nicht so konstruiert wurden, dass sie wirklich den Atommüll dauerhaft einschließen. Heute werden die bekannten Verklappungsorte soweit es möglich ist, kontrolliert und dabei festgestellt, dass viele dieser Behältnisse verrostet und undicht geworden sind. Das bedeutet, dass stetig radioaktive Partikel ins Meer gelangen.


Sollte der Atommüll aus den Meeren geborgen werden?

Will man heute den Schaden begrenzen und die Fässer aus den Meeren herauf holen, um sie zu entsorgen, stellt sich abermals die Frage, ohin mit dem Atommüll? Es ist nicht erstaunlich, wenn Wissenschaftler zu dem unrühmlichen Schluss gelangen, dass es wohl besser sei, die Fässer in den Weltmeeren zu belassen, da man ohnehin nicht weiß, wohin mit ihnen. Außerdem könnte eine Rückholung große Gefahren mit sich bringen, beispielsweise wenn ein verrostetes Fass bei der Bergung ganz entzwei bricht und die Arbeiter verstrahlt werden, oder auch die Umgebung kontaminiert wird.

Deutschland will nicht mehr länger Atomstrom produzieren. Die Atomkraftwerke sollen nach und nach stillgelegt und schließlich ganz und gar abgebaut, sowie all das darin enthaltene radioaktiv belastete oder radioaktiv strahlende Material beseitigt werden. Das ist bestimmt richtig und gutzuheißen, doch auch hier bleibt das Problem bestehen - was heißt "beseitigen", was bedeutet "entsorgen"? Bis heute existiert kein sicherer Ort, an dem der gesamte Atommüll gelagert werden könnte! Auch fehlt es nach wie vor an Behältern für den Atommüll, die dauerhaft haltbar sind. Hätte unter diesen Voraussetzungen überhaupt jemals ein Atomkraftwerk in Betrieb genommen werden dürfen?

Eine Frage drängt sich auf: kann es tatsächlich sein, dass Wissenschaftler und Techniker nicht gewusst haben, dass bei dem Betrieb eines Atomkraftwerkes unvermeidbar auch Atommüll entsteht, der allein schon aufgrund der beständig zunehmenden Menge nicht im AKW selbst gelagert werden kann? Kann es wirklich sein, dass auch die Meeresbiologen, die Physiker, die Chemiker, die Materialkundigen, dass all diese Experten nicht gewusst haben, welche Gefahren es mit sich bringt, wenn Atommüll jeder Art, einfach im Meer versenkt wird?


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

https://globalmagzin.com/themen/natur/versenkt-und-vergessen-ueber-atommuell-vor-europaeischen-kuesten/

https://www.nwzonline.de/wirtschaft/weser-ems/das-endlager-auf-dem-meeresgrund-das-endlager-auf-dem-meeresgrund_a_6,2,222967477.html

https://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article115539849/faesser-mit-Atommuell-verrotten-im-Aermelkanal.html


2. Juli 2018


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