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PONYFREUND/011: Ein Fohlen ist kein Kinderpferd (SB)


Das erste Pony

Ein Fohlen ist kein Kinderpferd


Hallo Freunde,

heute will ich unseren Reitunterricht noch einmal zugunsten eines etwas ernsteren Themas unterbrechen, mit dem mir auch meine Kollegen immer wieder in den Ohren liegen. Der Traum vieler Eltern, die es sich leisten können, heißt nämlich: "Meine Kinder sollen mit Pferden aufwachsen." Daran ist eigentlich auch überhaupt nichts auszusetzen. Sicher gibt es für Kinder kaum etwas Schöneres, als in einer natürlichen Umgebung mit anderen Lebewesen aufzuwachsen, mit ihnen Freundschaft zu schließen und gemeinsam Erfahrungen zu sammeln. Doch manch allzu wohlwollendes Elternteil, zumeist Städter, die in ihrer Jugend immer nur davon träumen konnten, aber nie selbst ein eigenes Pferd besaßen, glauben nun, "ein goldiges kleines Fohlen" sei genau das richtige für ihren zwei- oder dreijährigen Irrwisch oder Istwan, "denn dann können sie miteinander groß werden und sich gegenseitig erziehen!" Na prima, dann sind die Eltern eine Sorge los ...

Keine Ahnung welchen Ponyroman diese Eltern dabei im Kopf haben, das Fachpferd kann hierbei nur die Hufe vors Gesicht schlagen: Nichts ist falscher, als Kinder, die nicht an Pferde gewöhnt sind, und Fohlen, die nicht an Kinder gewöhnt sind, aufeinander loszulassen. Schließlich, und das sage ich als einer, der es wissen muß, haben junge Fohlen die besagte Kinderstube auch erst noch vor sich und bekommen hin und wieder von ihren Müttern einen kleinen Nasenstüber oder eins auf die Hufe, wenn sie sich daneben benehmen. Fohlen brauchen also auch ihre Mütter, genauso wie die Menschenkinder ihre Mamis und Papis. Ein Fohlen wird in der freien Natur ungefähr 10 Monate lang von der Mutter gesäugt. Erst kurz vor der Geburt des nächsten Fohlens wird es von dieser nie versiegenden Quelle des Glücks von der eigenen Mutter verjagt. Sein einziger Trost sind dann noch die anderen Jährlinge, seine Spielkameraden, und der vertraute Herdenverband, dessen Geruch und Sprache es gut kennt.

Wie groß aber ist für so ein junges Tier der Schock, wenn es aus dem vertrauten Familienkreis gerissen wird, weil ein Züchter, also der Mensch, es so bestimmt. Das geschieht oftmals vor den "natürlichen" 10 Monaten, damit die Zuchtstute ihre ganze Kraft dem heranwachsenden neuen Fohlen geben kann. Für das Fohlen aber stürzt eine ganze Welt ein, sobald es in eine Menschenfamilie kommt: Der Mensch und sein seltsames Gebaren, sein Geruch, seine Sprache, sein freundliches Lächeln und, schlimmer noch, seine unausgesprochenen Wünsche und Erwartungen sagen ihm überhaupt nichts. Der plattnasige Zähnefletscher kommt ihm im Gegenteil eher wie ein Ungeheuer vor. Und Menschenkinder sind eben die kleinere, etwas weniger erschreckende Versionen dieser merkwürdigen Untiere.

So seltsam es aus einem Pferdemund vielleicht klingen mag, hier bedarf es eines einfühlsamen menschlichen Pferdefreundes, der viel Verständnis für so eine kleine Pferdeseele hat und der dem Fohlen langsam die Eigenarten des Menschen verständlich macht.

Läßt man jedoch auf das verängstigte Fohlen eine Schar Kinder los, "damit das Tier Gesellschaft hat", so reagiert es zunächst nach Pferdeart. Als erstes macht es seiner Angst mit Schlagen, Bocken und Beißen Luft. Doch hier findet es auch eine neue Herde vor, die zwar schlecht riecht, in der es jedoch nicht minder seinen Rang erkämpfen und behaupten will. Reagieren die Kinder, wie es für Kinder natürlich ist, in dem sie weinend davonlaufen oder dem Fohlen aus dem Weg gehen, wenn es die Ohren anlegt und die Zähne bleckt oder auch mal kurz zwickt, so ist zumindest das Fohlen bald davon überzeugt, der neue Chef der Weide zu sein. Und bildet es sich erstmal diese Position ein, dann kann es, wie jedes vernünftige Pferd, richtig sauer werden, wenn irgendein rangniederer Mensch etwas von ihm verlangt: Die Hinterhand pfeffert aus, drohend schießt das Maul vor, der spätere Reiter wird buckelnd abgeschüttelt. Alle diese Methoden, gehören zu den normalen Rangkämpfen zwischen Fohlen, die unter Pferden völlig harmlos sind. Ganz anders wirken sich die Blessuren jedoch auf zarter Menschenhaut, geschweige denn Kinderhaut aus.

Versucht ein Kind, sich entsprechend dagegen durchzusetzen, muß es rein kräftemäßig den Kürzeren ziehen und die lieben, aber über die Bosheit des goldigen Fohlens zutiefst entsetzten Eltern strafen das arme Tier möglicherweise für etwas, an dem es gar keine Schuld trägt. Im Gegenteil: Das Fohlen fühlt sich absolut im Pferde-Recht wenn es sich gegen ein schwächeres, rangniederes Kind durchgesetzt hat. Strafe ist ihm unbegreiflich, vor allem, wenn es selbst die Auseinandersetzung schon längst vergessen hat, und der erboste Vater es nach dem Abendessen im Familienkreis, bei dem ihm das Kind die Untaten seines Ponys gepetzt hat, mit Schlägen oder Futterentzug traktiert. Das ohnehin verstörte Pferdekind wird solche Behandlung überhaupt nicht einordnen können. Somit haben Erziehungsmaßnahmen wie diese überhaupt keinen Effekt, und der Kampf auf der Weide geht weiter.

Eins ist klar: Weder Kind noch Pferd wollen nach einer Weile noch etwas miteinander zu tun haben. Das Fohlen wird auch später immer ein Problempferd bleiben und das Kind mit Sicherheit kein Ponyfreund oder Reiter, wie sich das die ergeizigen Eltern doch so gewünscht haben.

Gerade vor Geburtstagen oder anderen Festen wie Weihnachten, wo sich viele niedliche Tierkinder zum Verschenken geradezu anbieten, möchte ich also noch einmal ganz ausdrücklich davor warnen: Fohlen sind kein Spielzeug.
Sie gehören in die Gesellschaft anderer junger Pferde, mit denen sie ihre Rangordnungskämpfe ohne Schaden austoben können, und unter die Aufsicht erfahrener Pferdefreunde.

Und noch eins: Man sollte nie einen kleinen Dreikäsehoch - "Och der wiegt ja nicht viel" - mal so zum Spaß auf ein unausgewachsenes Pferd setzen, weil der "Butscher ja so gerne mal Reiter, Reiter machen möchte". Selbst nicht wenn "das Pony ja schon fast ausgewachsen" ist und es den Erwachsenen noch so schwer fällt, dem ständigen Quengeln ihres pferdenärrischen Kindes nicht nachzugeben. Aus einem "Ach, einmal ist keinmal" ist schon bald ein "Ab und Zu" geworden, und wie sich das Gewicht eines Reiters auf einem untrainierten, noch nicht ausgewachsenen Pferderücken auswirkt, kann sich jeder Ponyfreundleser inzwischen sicher an den Hufen abzählen. Außerdem kann man mit Kindern, wie mit jedem anderen Lebewesen auch, sprechen und ihnen klarmachen, daß ihr verständliches Verlangen, reiten zu lernen, dem jungen Pferd nur schaden wird. Ein echter Pferdenarr wird das auch in jungen Jahren begreifen. Schließlich kommt es ja nicht nur auf das Reiten an, oder ...?

So, damit die jungen Leser nicht ganz frustriert sind, wird euch Sabine noch ein wenig darüber erzählen, welche Pferde sich für Kinder besonders eignen. Das ist mehr ihre Sache.


Das ideale Kinderpferd ist meist mit Gold nicht aufzuwiegen ("und mit Silver erst recht nicht ...", S.). Dazu kommt jedoch noch, daß weder Gold noch Silver ("Man dankt", S.) ausreichen, um so einen Schatz in unseren Breiten zu erstehen. Ein Tip sind Kleinpferde und Ponys aus Osteuropa, die zwar nicht so erstklassige Papiere besitzen, aber ausdauernd, geduldig, freundlich und auch nicht so teuer sind.

Lange Zeit war Reiten in Deutschland immer nur eine ernste Sache. Die Pferdezucht konzentriert sich vornehmlich auf den Pferdesport und das sportliche Freizeitreiten von Erwachsenen. Das deutsche Reitpony ist eine relativ neue Erscheinung, und auch bei diesem "Kinderpferd" handelt es sich hauptsächlich um die verkleinerte Großpferdeversion für den sportlichen Reiternachwuchs, d.h. Ponys und Kleinpferde für den Turniersport von Kindern und Jugendlichen. Bei diesen Tieren ist man jedoch immer von den Vorstellungen der Erwachsenen ausgegangen und hat temperamentvolle Dressur- und Springtalente geschaffen, jedoch sicher nicht das richtige Pony für ein Kind, das noch nie zuvor im Sattel saß.

Für Kinder ideal ist immer ein verläßliches, älteres Pony. Wenn es sich um jüngere Kinder oder Anfänger handelt, ist es ein geduldiger und gutmütiger Schulmeister, da es meist aus seiner Vergangenheit Kinder und ihre Dummheiten kennt und sie nicht mehr übelnimmt.

Ein jüngeres Pony zu finden ist zwar meist leichter, doch hier muß man immer mit plötzlichem Übermut rechnen oder auch mit unausgegorenen Eigenarten oder Mißverständnissen zwischen jungem Pferd und jungem Reiter.

Die Gelassenheit des Alters ist ein so beruhigender Pluspunkt, daß kluge Eltern ihn beim Kauf nie außer acht lassen sollten. Sind mit 12 Jahren die Beine noch »klar« ("d.h. es läuft noch wie geschmiert", S.), tritt ein Pferd munter, aber nicht zu heftig an, läßt es sich ohne Probleme aus jeder Gangart anhalten und ist es weder scheu noch eigensinnig, so hat es - rein vom Alter her gesehen - noch genügend gute Jahre vor sich, um einem Kind ein verläßlicher Kamerad zu sein. Mit Sicherheit hat man damit mehr Spaß als mit so manchem temperamentvollen und schönen Pferd, auf dem der junge Reiter vielleicht zunächst eine gute Figur macht, sich aber bald im nächsten Graben wiederfindet.


... du sprichst wohl aus Erfahrung, Sabine. Na wir haben auch so unsere kleinen Kabbeleien gehabt, nicht wahr? Nur bei uns war es anders, Sabine hat nämlich den größeren Dickschädel von uns beiden. Mit anderen Worten, sie ist der Chef. Doch nicht jedes Kind kann es mit einem Pferdeschädel aufnehmen, und so wird es mit einem älteren Pferd immer viel mehr Spaß haben, weil hier die Eltern auch nicht ständig befürchten müssen, daß etwas passiert. Während bei einem jüngeren Pferd grundsätzlich immer eine Aufsichtsperson dabei sein sollte, kann man mit seinem Oldie so manches Abenteuer in der freien Natur erleben, auch wenn alles vielleicht etwas gemütlicher abläuft. Ich denke da so an Picknicks am Strand, ein kleines Sandbad für den Silver ... Ach, davon kann ich nur träumen, bis meine Sabine endlich alt genug und vernünftig geworden ist.

Bis bald
Euer Silver

Erstveröffentlichung: im August 2000

18. September 2009