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ELTERN/289: Karl-Josef Durwen - Sofies Spiegelwelt (SB)


Karl-Josef Durwen

Sofies Spiegelwelt

Ein Abenteuer ohne Grenzen

Ein Mädchenkopf mit geschlossenen Augen in einem ovalen Spiegel mit Goldrand - Cover: © 2019 by tredition GmbH

Karl-Josef Durwen: 'Sofies Spiegelwelt'
Cover: © 2019 by tredition GmbH

Jugendlichen Philosophie nahezubringen, scheint sich als ein nicht ganz einfaches Unterfangen zu erweisen. So versuchte bereits der Norweger Jostein Gaarder 1993 mit seinem Roman "Sofies Welt" in einer anfangs etwas holprig konstruierten Rahmenhandlung, die Neugier jugendlicher Leser auf philosophische Fragen zu wecken, wofür er 1994 mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde. Bei der Lektüre des nun vorliegenden Romans "Sofies Spiegelwelt" von Karl-Josef Durwen kann der Eindruck entstehen, der Autor sei etwas enttäuscht von Jostein Gaarders Werk gewesen, aber gleichsam auch inspiriert, einen eigenen Roman mit gleicher Idee zu verfassen. Man darf als Leser erfreut sein, dass er sich auf dieses Vorhaben eingelassen hat, denn Karl-Josef Durwen gelingt es in hervorragender Weise, eine aufregende Geschichte zu erzählen, in der seine Protagonisten sich mit Fragen konfrontieren, die aus ihrer besonderen Lebenssituation heraus erwachsen und die durchaus tiefsinniger, philosophischer Natur sind.

Kurz zum Inhalt: Zwei Schwestern, 15 und 13 Jahre alt, beide sind interessiert, eigene Geschichten zu schreiben und ebenso absolute Fans der Star Trek Serie "Enterprise" mit der Crew um Captain Jean-Luc Picard und Data. Elena, die jüngere der Schwestern, ist seit längerer Zeit erkrankt, was sie zu Fragen über Leben und Tod, über ihre Existenz und das Sterben, über Angst und andere Gefühle nachdenken lässt. Trost sucht sie immer wieder bei ihrem Meerschweinchen Kuschel. Iris, ihre große Schwester, erhält auf mysteriöse Weise eine Botschaft auf ihren Bildschirm: "Ich denke, also bin ich". Sie vermutet einen schlechten Scherz ihres Vaters dahinter, doch geht ihr dieser Satz nicht mehr aus dem Sinn. Von hier aus entwickelt sich eine spannende Reise in vorgebliche Computerspielwelten und in die kriminalistischen Untersuchungen von Iris, die wissen will, wer hinter diesen Inszenierungen steckt. Schließlich beginnen die beiden Schwestern am PC ihres Vaters einen Chat mit einem gewissen Heureka, der sie durch seine Antworten zu weiteren Fragen anregt und sie schlussendlich durch die Geschichte der Philosophie führt.

Das Bemerkenswerte daran ist, dass es dem Autor gelingt, sämtliche Philosophen und ihre Ideenwelten stets im Kontext zur deren damaligen Lebenssituation zu beschreiben. Von Thales, Sokrates, Leukipp, Demokrit sowie Platon und Aristoteles, Descartes, Galileo Galilei, Newton, Giordano Bruno, Hans Jonas und Hegel (man verzeih mir, falls ich einen nicht erwähnt habe) wird eine kleine Philosophiegeschichte mit ihren vielen Aufs und Abs beschrieben. Dabei wird deutlich, dass bestimmte Ideen favorisiert, andere verboten oder unter Verschluss gehalten wurden, orientiert an den jeweils vorherrschenden Gesellschaftsordnungen samt den kirchlichen Machteinflüssen. Denn entwarf man Weltbilder und äußerte Ideen, die den herrschenden Interessen entgegenstanden oder die Macht der Kirchenführer in Frage stellten, konnte das mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen oder einer Gefangennahme enden.

Karl-Josef Durwen bevorzugt einen ganzheitlichen Denkansatz und lässt das bei verschiedenen Gelegenheiten auch deutlich werden. Das verleiht dem Roman eine Richtung und einen Schwerpunkt, der bei der Fülle der aufgegriffenen und lebhaft erzählten Geschichten über Leben, Werk und Schicksal der vielen Philosophen, die über die Jahrhunderte hinweg bleibende Eindrücke hinterlassen haben, nicht nur hilfreich ist, sondern auch Orientierung und Reibungsfläche bietet. Ganz im Sinne dieser Betrachtungsweise vermittelt er Einsichten in die Geschichte der Biologie, Ökologie, Politik und Wirtschaft wie auch in die vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse, speziell in jene der christlichen Kirche, die eine besondere Rolle in der Verleugnung philosophischer Ideen spielt und sie sogar mitsamt ihren Denkern verteufelte.

Um der Rahmenhandlung noch einen fantastischen Reiz zu geben und die Fülle der möglichen Fragen auf zwei weitere Protagonisten zu verteilen, erscheinen in der Computerwelt die beiden "Spiegelschwestern" Siri und Alene, die sich als die letzten Schülerinnen der Philosophenschule von Ureda ähnlichen philosophischen Fragen widmen wie Iris und Elena. Zwischen ihnen kommt es zum Austausch und zu Überschneidungen, führt zu Zweifeln an Realität und Virtualität und zu der Frage, was real und was nur eingebildet ist.

Erfrischend frech, spontan, einfach und direkt stellen die beiden Schwesternpaare jeweils in ihren Welten ihre Fragen, was das Buch insgesamt zu einem lehrreichen und unterhaltsamen Lesevergnügen macht. Durch die verschiedenen Temperamente der Protagonisten und die wohl sehr ernste Erkrankung der kleinen Schwester, erscheinen die Probleme und die sich daraus ergebenden Fragen über das Sein, das Selbst, die Seele und vielem mehr durchaus der Situation erwachsen und dadurch glaubwürdig. Selbst die detektivische Kleinarbeit der großen Schwester, die herausfinden will, wer hinter Heureka, dem vermeintlichen Computerspiel oder dem Chatpartner "Data" steckt, ist durchdrungen von ihrer Wut, ihrem Ärger, ihrer Verzweiflung, was nicht selten zu Beschimpfungen und extrem zugespitzten Fragen führt und wirkt, wenn nicht realistisch, zumindest gut nachfühlbar.

"Sofies Spiegelwelt" wird von einer so dichten und vielschichtigen wie verwobenen Erzählweise getragen, die den Leser neugierig auf die Fortentwicklung macht. Die anfängliche Frage der großen Schwester mit dem kriminalistischem Interesse, wer denn nun hinter all diesen merkwürdigen Begebenheiten steckt, lässt auch den Leser nicht in Ruhe und man kann sich kaum erwehren, eigene Spekulationen anzustellen. Immerhin müsste dieser Jemand über ein reichhaltiges und umfassendes Wissen zumindest über die Kernaussagen der Philosophen verfügen. Vielleicht könnte er ein gewiefter Computerfreak sein, der geniale Spiele erdenkt, vielleicht aber könnte es sich auch um die besorgten Eltern handeln, die ihrer kranken Tochter bei ihren Fragen zum Sein, zu Werden und Vergehen, zu Leben und Tod eine Hilfestellung geben möchten. Auf jeden Fall kennt sich der Verdächtige erfreulich genau in der Star Trek Serie "Enterprise" aus, doch scheidet "Data" wohl als Täter aus.

Man sollte sich diesen Roman nicht entgehen lassen - auch für den erwachsenen Leser können sich ganz beiläufig Wissenslücken schließen. Die Frage, ob Jugendliche heutiger Zeit noch ebenso begeistert von der "Enterprise"-Serie sind, wie jene aus den 80er und 90er Jahren, spielt für die gesamte Erzählung auch keine entscheidende Rolle. Eine Figur wie "Data" kann sich jeder auch ohne weiteres gut vorstellen.

Nach der Lektüre von "Sofies Spiegelwelten" kann schon der Gedanke auftauchen, ein sehr persönlicher Beweggrund hätte für Karl-Josef Durwen den Anstoß für diesen Roman gegeben.

Über den Autor Prof. Dr. Karl-Josef Durwen ist nur wenig zu erfahren. Er sagt über sich, dass er eine Frau und zwei Töchter hat und an Parkinson leidet, so dass er nur langsam und mit einem Finger schreibt. Nürtingen ist sein Wohnort, wo er jetzt im Ruhestand lebt und zuvor als Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen arbeitete. Inspiriert zu seinem Buch wurde er durch den Roman "Sofies Welt" von Jostein Gaarder, aus dem er einige Szenen quasi als Spiegelwelt in seine Erzählung einflicht, so dass Iris und Elena sich mit der Protagonistin "Sofie" und deren Erlebnisse gelegentlich vergleichen können. Ebenso greift er Szenen aus "Das Licht der Phantasie", "Die Wunderwelt der Vierten Dimension", "Die unendliche Geschichte" auf und nutzt die Star Trek Figur wie den Maschinenmenschen "Data" als Chatpartner für Iris und Elena.

Ein prall gefülltes Buch voller anregendem Tiefgang, Fragen und Denkanstößen.

Karl-Josef Durwen
Sofies Spiegelwelt
Ein Abenteuer ohne Grenzen
Verlag und Druck: tredition, 2019
ab 12 Jahren
Paperback
300 Seiten
14,90 Euro
ISBN 978-3-7482-9623-2


11. Oktober 2019


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