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TIERGESCHICHTEN/015: Wieder gut mit Flügelmut ... (SB)



An einem warmen Sommertag tollten Birte und Birger im Garten wild herum, rannten quer über den Hof, durch den Kuhstall, obgleich das strengstes verboten war, und landeten vor dem Kaninchenpferch.

"Sieh mal, das ist Fritzchen", pustete und schnaufte Birte und zeigte ihrem Cousin, der die Ferien bei ihrer Familie verbrachte, ihr fast schwarzes Kaninchen. "Darf ich es mal in die Hand nehmen?", blickte er Birte fragend an. "Aber klar doch, aber du musst ganz vorsichtig sein. Es ist noch ziemlich klein und zerbrechlich."

Sie öffnete den Verschlag und hob Fritzchen aus der kleinen Geschwistergruppe heraus. Birger griff nach dem flauschigen Etwas und hielt es auf seinem Arm. Doch als er es streicheln wollte, fing Fritzchen an zu zappeln. Unsicher wie er sich verhalten sollte, tat er gar nichts, was das quirlige Tier nutze, um sich zu befreien und auf die Erde zu hüpfen. Birte war so überrascht, dass sie nicht schnell genug handen konnte und nur noch sah, wie ihr kleines Kaninchen die Flucht ergriff und den Weg mitten ins Gebüsch einschlug.

"Oh je, das tut mir leid, das wollte ich nicht", entschuldigte sich ihr Cousin, "was machen wir denn nun?" - "Nichts wie hinterher", brüllte Birte, "wir müssen es wieder einfangen. Allein kommt es nicht zurecht!"

Schon rannte sie los, bückte sich und krabbelte in die Büsche, wo sie dann auch wirklich das kleine zitternde Tier erblickte. "Was machst du denn für Sachen, Fritzchen? Das ist doch viel zu gefährlich für dich. Na, komm her", lockte sie ihren Liebling. Es gelang ihr, das Kaninchen zu greifen. Zartfühlend hob sie es an und drückte es leicht an sich. Sie streichelte das kleine Fritzchen, das sich schließlich beruhigte.

"Hast du es gefunden", rief Birger ängstlich. "Ja, mach dir keine Sorgen, ich hab ihn. Es ist nichts passiert. Ich krieche jetzt rückwärts wieder raus." Birte richtete sich auf: "Noch mal gutgegangen."

Gerade wollten die beiden sich auf den Weg zum Kaninchenstall begeben, als sie ein merkwürdiges Geräusch vernahmen, ein lautes, klägliches "Chrää chrää - chrää chraää" tönte aus genau der Richtung aus der Birte eben gekrochen kam.

"Ich seh mal nach, das hört sich an als sei ein Vogel verletzt", vermutete Birger und kroch sogleich unter den ersten Busch. Das Krächzen klang gar nicht gut. "Gib acht, dass du ihn nicht erschreckst", mahnte Birte und streichelte Fritzchen. "Ich sehe ihn, sein Flügel hängt irgendwie komisch an ihm runter", flüsterte Birger, "ich versuche mal ihn zu greifen, wir müssen ihm helfen." - "Ja, sicher, aber pass auf, dass du ihn nicht noch mehr verletzt", sorgte sich Birte. "Ich bin doch kein Grobian", zischte Birger leise zurück.

Den kranken Vogel in die Hand zu bekommen gestaltete sich recht schwierig, denn er war verängstigt und wollte flüchten, doch das Gestrüpp hinter ihm war zu dicht. Er hüpfte hin und her, kam aber nicht von der Stelle. Birger wollte dem Tier Zeit lassen, keine hastige Bewegung machen, so dass es merkte, dass keine Gefahr von ihm ausging. Schließlich gelang es Birger, den Vogel zu greifen. Er hielt ihn ganz vorsichtig in beiden Händen und rutschte auf seinen Knien rückwärts aus dem Gebüsch. Birte half ihm auf. Behutsam trug ihr Cousin den zitternden Vogel in seinem Arm in Richtung Haus. "Mama, Mamaaa! Schnell, komm, wir haben einen verletzten Vogel, Mama?"


Birger hält den Vogel und Birte das Kaninchen im Arm - Buntstiftzeichnung: © 2021 by Schattenblick

Birte und Birger mit Eichelhäher und Kaninchen
Buntstiftzeichnung: © 2021 by Schattenblick


"Hier, im Wohnzimmer, Birte", rief ihre Mutter und kam den beiden Kindern auch schon entgegen. "Tante Anni, siehst du ihn dir bitte einmal an? Kannst du ihm helfen?", Birger war ganz aufgewühlt.

Durch den Lärm und die Aufregung aufgeschreckt, sprang Theo, der Familienhund, auf und stürmte in den Flur, wo er an Birte hochsprang, die dabei mitsamt dem Kaninchen fast den Halt verlor. All das reichte aus, um den armen, verschreckten Vogel in Panik zu versetzten. Sein kleines Vogelherz pochte wie wild, das konnte Birger spüren. Sanft strich er über das Gefieder und sprach leise mit ihm.

"Birger, setz dich erst einmal in die Küche auf einen Stuhl. Wir warten, bis das Tier sich etwas beruhigt hat. Dann sehe ich, ob ich etwas für ihn tun kann", forderte Birtes Mutter den Jungen auf. "Du machst das ganz prima, Birger. Bleib nur ganz ruhig, das ist im Moment das Beste für den kleinen Kerl. Und du, Birte, sperrst Theo in dein Zimmer und bringst danach Fritzchen in den Kaninchenstall zurück!"

Birte eilte sich, beides umgehend zu erledigen, und kam flugs zurück, denn auf keinen Fall wollte sie verpassen, wie der Vogel verarztet wurde. Sie setzte sich mit ihrer Mutter still an den Küchentisch. Nach einer ganzen Weile flüsterte Birger: "Tante Anni, ich glaube, jetzt hat sich der Vogel beruhigt. Willst du ihn jetzt nehmen?"

"Nein, nein, halt du ihn nur gut fest, aber nicht drücken. Ich hebe seinen Flügel etwas an und fühle, ob etwas gebrochen ist." Gespannt und ohne einen Laut von sich zu geben, sahen beide Kinder zu, wie die Mutter mit sicheren Handgriffen ganz vorsichtig den kaputten Flügel befühlte.

"Tja, ein glatter Bruch, der muss geschient werden! Beib ruhig hier sitzen, bin gleich wieder da." Damit verließ sie die Küche und kam wenige Augenblicke später mit allem notwendigen Material zurück. Geschickt schiente sie den Flügel mit einem winzigen, glatten Holzstift und legte einen Verband an. Zum Schluss befestigte sie den bandagierten Flügel am Vogelleib. "So, mein Lieber, fliegen kannst du nun erst einmal nicht!", mahnte sie ihren Patienten.

"Birte, hole den alten Vogelbauer aus dem Schuppen, dann putzt ihn bitte, ja, Birger du hilfst doch mit, oder?" - "Klar doch", versicherte Birger. "Danach gebt etwas Vogelsand und Heu hinein und befestigt die Sitzstange möglichst weit unten", wies die Mutter die Kinder an. Passt auf, dass er gut an den Wasser- und den Fressnapf gelangen kann!" "Wird gemacht. Ich könnte mich auch um Futter für ihn kümmern, aber ich weiß gar nicht, was für einer Vogelart er angehört", unsicher blickte er seine Tante Anni an.

"Ihr beide habt einen Eichelhäher gerettet. Diese Vögel sind nicht so wählerisch, was die Nahrung angeht." - "Oh, das ist gut, aber, weißt du, was sie besonders gerne mögen?", wollte Birger von seiner Tante wissen. "Moment, lass mich kurz überlegen. Ah, ja, also auf jeden Fall Eicheln, Bucheckern und Haselnüsse. Wenn wir die nicht auftreiben können, frisst er auch Mais, Beeren, Steinfrüchte, Kernobst und sogar Hülsenfrüchte. Aber selbst Kartoffeln oder Pilze wird er fressen."

"Oh, prima, dann finde ich bestimmt etwas", strahlte Birger. "Mama, wo stellen wir den Käfig denn hin? Kann er in meinem Zimmer wohnen, bis er wieder ganz gesund ist? Er kann in der Nähe vom Fenster auf meiner Kommode stehen", schlug Birte vor. "Ja, ich denke, das wird gehen. Zunächst sollten wir den Käfig mit einer Decke etwas abdunkeln, damit er sich beruhigt. Ganz wichtig, Birte! Pass auf, dass Theo auf keinen Fall in dein Zimmer kommt, das würde unseren kleinen Gast erschrecken."

Schließlich hatte der Eichelhäher, den die beiden Kinder Robin getauft hatten, in Birtes Zimmer eine vorübergehende Unterkunft gefunden. Er wurde umhegt, gepflegt und gefüttert, sie lasen ihm vor und sangen Vogellieder. Aber es dauerte noch lange, bis sein Flügel wieder ganz verheilt war. Dann kam der große Tag. Die Mutter hatte die Verbände schon ein paar Tage zuvor entfernt und Robin war eifrig damit beschäftigt, seine beiden Flügel zu bewegen.

Birger und Birte standen auf einem Feld, etwas entfernt vom Haus. Birtes Mutter hatte den Vogel in ihren Händen. "So ihr beiden, nun verabschiedet euch von Robin."

"Mama, meinst du, er fliegt noch mal wieder zu uns zurück?", überlegte Birte voller Hoffnung. "Nun, das kann ich nicht sagen, aber ihr habt ihm geholfen, wieder gesund zu werden. Was glaubst du, was ein Vogel am liebsten mag?"

"Bestimmt nicht in einem Käfig sitzen!", lachte Birte und Birger stimmte mit ein. Dann ließen sie ihn frei. Er flog davon und setzte sich auf den Ast eines nahen Baumes. Die beiden Kinder winkten und riefen ihm gute Wünsche hinüber. Wenig später erhob Robin sich und flog in die Weiten des Himmels.

Ende


18. Oktober 2021


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