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KALENDERGESCHICHTEN/096: 12-2018   Verkehrte Welt - ein Ort für die Tiere ... (SB)



Das Bauernhaus und die Scheune mit dem kaputten Dach, davor viele Tiere, die sich im Tierhotel eingefunden haben, wie Schwein, Kuh, Storch, Eichhörnchen - Buntstiftzeichnung © 2018 by Schattenblick

Die Tiere hatten den unangenehmen Herrn mit vereinten Kräften vom Hof gejagt, und er traute sich tatsächlich nicht, die Bauersfrau noch einmal zu belästigen. Alle waren zunächst sehr froh über ihren gelungenen Angriff, doch wie sollte es nun weitergehen? Um die Bauersfrau Svenja herum versammelten sich Fuchs, Entchen, Kater, Maus, Marderhund und die vielen Enten.

"Tja, ihr Lieben, was machen wir denn nun? Ich würde euch alle gern hier bei mir wohnen lassen. Aber ich fürchte, ich kann all das Futter, das ich für euch kaufen müsste, nicht bezahlen", seufzte Frau Svenja am Ende ihrer Rede. "Außerdem würde ich gern das Dach der Scheune reparieren lassen, damit es dort nicht durchregnet und ihr patschnass werdet, wenn ihr dort euer Lager aufschlagt. So ein nasses Bett ist ganz schön ungemütlich. Aber auch das kostet leider viel Geld. Im Moment habe ich keine Idee, aber noch ist es nicht zu kalt draußen, da könnt ihr euch unter freiem Himmel einen guten Schlafplatz suchen. Natürlich könnt ich auch in die Scheune gehen, ganz wie ihr wollt. Heute wird 's nicht mehr regnen." So sprach die Frau Svenja vor sich hin, wohl ganz froh darüber, dass sie so viele Zuhörer hatte. Dann begab sie sich zum Wohnhaus, warf noch einen Blick auf die Tierversammlung und ging hinein, um ihr Abendessen zu bereiten.

Gina, Mika, Henry und Lukas hörten nur das Seufzen und den Kummer aus der Stimme der Frau. Mika stöhnte: "Wir können nicht hierbleiben, ich hab 's ja geahnt, das wär' auch zu schön gewesen. Aber die Frau hat so geseufzt und war so traurig, dass sie bestimmt überlegt hat, wie sie uns wegschickt."

Gina war da anderer Meinung und behauptete: "Nein, nein, ich glaube sie ist traurig, weil sie allein ist und dann ist sie traurig-froh, weil wir nun da sind und sie nicht mehr allein ist."

"Hmm", machte Henry Maus, "also, wenn ihr mich fragt, ich denke, dass wir ihr einfach zu viele sind."

Lukas hatte nichts dazu zu sagen, er kannte sich mit Menschen überhaupt nicht aus, schließlich ist er ein Wildtier und hatte noch nie in einem Haus bei einem Menschen gewohnt. Mika, der Fuchs, auch nicht, aber er hatte sich stets in der Nähe der Menschen, besonders ihrer Hühnerställe, aufgehalten und sie beobachtet.

Nun meldete sich Chiko zu Wort: "Leute, kommt mal alle her, ihr Enten bitte auch. Durch das lange Zusammenleben mit Menschen habe ich doch so einiges von dem was Frau Svenja gesagt hat, verstanden. Sie möchte gern, dass wir bei ihr bleiben, aber sie hat kein Geld, um Futter für uns zu kaufen und sie wollte gern das Scheunendach reparieren, was aber auch Geld kostet, das sie nun mal nicht hat. Dann hat sie noch gesagt, wir könnten uns hier gern einen Schlafplatz suchen."

"Und wo kann man dieses Geld bekommen?", wollte Ente Gina wissen, "wir gehen los und holen ihr etwas, das kann doch nicht so schwer sein, oder?"

"Nun, ja", die Menschen gehen in eine Sparkasse und von dort bringen sie dann Geld mit", meinte Chiko sich zu erinnern.

"Na, dann los, dann lasst uns doch eine Sparkasse suchen und flugs viel Geld holen", zappelte Gina und wollte schon loslaufen.

"Haaalt, stopp", rief Henry Maus, "da können doch sicher keine Tiere hinein, oder Chiko?"

"Nein, wir dürfen da überhaupt nicht reingehen, und uns würden die Menschen auch nichts von dem Geld abgeben, nein, nein, das muss schon ein Mensch machen."

"Dann müssen wir jemanden finden, der das für uns erledigt", schlug Mika vor.

"Und wie willst du ihn fragen? Menschen verstehen uns doch gar nicht!", schimpfte Henry Maus.

Es wurde noch der eine oder andere Vorschlag besprochen, bis alle ziemlich niedergeschlagen und enttäuscht waren. Es dämmerte bereits und die Tiere beschlossen, sich einen Schlafplatz zu suchen und morgen weiter zu überlegen - und genau das taten sich dann auch.

*

In der Zwischenzeit hatte sich auch Frau Svenja Gedanken gemacht. Sie aß ihr Abendessen mit wenig Appetit, weil sie immerzu grübelte. Plötzlich hatte sie eine Idee, ließ die Gabel auf ihren noch halb vollen Teller fallen und kramte ihr Handy aus der Hosentasche. Wenig später hatte sie ihre Freundin Anja erreicht und berichtete ihr von ihren ungewöhnlichen Gästen und ihrem Wunsch, dass sie bei ihr bleiben sollten. Auch erzählte sie ihrer Freundin von dem Besuch des Herrn, der ihren Hof kaufen wollte, um ein mehrstöckiges Hotel zu bauen, mit Golfplatz und Swimmingpool und dass sie ihn abgewiesen hat. Da hatten beide auf einmal eine verrückte Idee: die Bauersfrau sollte selbst ein Hotel errichten, ein Tierhotel!

"Weißt du was, Svenja", begann die Freundin begeistert, "ich frage meine Tochter, ob sie uns hilft. Sie kennt sich gut mit Computern und dem Internet aus. Vielleicht kann sie einen Spendenaufruf entwerfen und ihn dort veröffentlichen. Ich habe keine Ahnung, ob das geht, aber meine Silke wird das schon wissen."

Gleich als ihre Tochter Silke nach Hause kam, wurde sie mit der Bitte überfallen und glücklicherweise war sie von der Idee, ein Hotel für Tiere zu eröffnen, begeistert. Sie setzte sich sogar sofort vor ihren Computer, entwarf eine schöne Website und einen Spendenaufruf, den sie auf Facebook und Instagram stellte.

*

Nachdem sich Frau Svenja herzlich bei ihrer Freundin bedankt und aufgelegt hatte, nahm sie ihre Jacke und verließ das Haus, um noch einmal nach ihren Gästen zu schauen, die sie allesamt schlafend in der Scheune fand. Leise schlich sie wieder zurück ins Haus und legte sich ebenfalls ins Bett. Morgen wollte sie den Tieren sofort von ihrem Plan erzählen.

Am nächsten Morgen streute die Bauersfrau Futter aus, stelle Schalen mit Wasser und Milch hin und wartete bis die Tiere aufwachten, was auch kurz darauf geschah. Sie machten sich über das köstliche 'Frühstück' her und versammelten sich dann vor Frau Svenja.

"Also, ich werde doch ein Hotel bauen!", begann sie und Chiko erschrak und gab diese schreckliche Nachricht sofort an seine Gefährten weiter. Da setzte ein aufgeregtes Schnattern, Knurren, Bellen und Piepsen ein. Einige der Enten liefen hin und her, Mika sprang mit den Vorderfüßen auf Frau Svenjas Knie, Henry Maus hockte sich vor sie hin und die kleine Ente Gina flatterte ungehalten auf und nieder.

"Halt, ihr Lieben, ich glaube ihr habt mich falsch verstanden. Wir errichten ein Tierhotel, nur für euch und für alle einsamen und verlassenen Tiere, na wie findet ihr das?" Chiko übersetzte sofort und da hielten alle in ihren Bewegungen inne und waren ganz still. Um der Frau zu zeigen, dass sie sich sehr über diesen Vorschlag freuten, kamen sie ganz nah, schmiegten sich an sie und waren froh. Als es regnete, durften sie sich in der Wohnstube aufhalten, bis der Regen nachließ. Drei Tage waren vergangen, als ein Auto auf dem Hofplatz hielt. Henry Maus knabberte gerade an einer Brotrinde, als er beobachtete wie zwei Menschen auf die Haustür zugingen, klingelten und im Haus verschwanden. Er ließ das Brotstückchen fallen und rief alle zusammen, um Bericht zu erstatten. "Was bedeutet das? Droht uns Gefahr?", ängstlich blickte Gina zu Henry hinüber.

"Ganz ruhig bleiben, ich kümmere mich darum. Das Stubenfenster steht offen, ich springe auf den Sims und lausche, was gesprochen wird", bestimmte Chiko und war auch schon verschwunden.

Frau Svenjas Freundin Anja und ihre Tochter Silke waren zu Kaffee und Kuchen eingeladen und bei der Gelegenheit wurden die Neuigkeiten ausgetauscht.

"Wir haben wirklich viele Mails erhalten, in denen uns Unterstützung zugesagt wurde. Dabei ist auch ganz schön viel Geld zusammen gekommen. Du kannst dir also Handwerker bestellen, die alles Notwendige reparieren oder umbauen. Auch wurden schon Pakete mit verschiedensten Futtersorten angekündigt, die müssten in den nächsten Tagen hier mit dem Lieferdienst eintreffen", berichtete die Freundin.

"Na, dann werd' ich ab jetzt nie mehr allein sein und langweilig wird mir bestimmt auch nicht!", lachte Frau Svenja.

Chiko hatte genug gehört, er sprang vom Fenstersims ins Gras und eilte mit der frohen Botschaft zu den anderen. War das eine Freude. Sie tollten, tobten, flatterten und hüpften vor Vergnügen. Sogar Lukas wälzte sich auf dem Rücken, jauchzte und streckte die Pfote mit dem Blätterverband in die Luft. Sie konnten hier zusammenleben und wer weiß, wer noch alles den Weg ins Tierhotel finden würde.

ENDE


zum 1. Dezember 2018


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