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KALENDERGESCHICHTEN/057: 09-2015   Weggefährten - Ein Zufall mit Folgen ... (SB)


Das Kamel und der Junge stehen total erschrocken im Zimmer, die Gans stürmt angriffslustig zur offenstehenden Tür - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Was bisher geschah ...

Edith, Doro und der Junge Bataa hatten sich im alten Försterhaus versteckt, und die Gans berichtete dem Jungen ausführlich, was sie bisher erlebt hatten und dass Doro gerne wieder in ihre Heimat zurück möchte und dass sie am liebsten gemeinsam mit Bataa gehen würde ...


Bataa hatte aufmerksam zugehört. Er hatte sich schnell entschieden, Doro und Edith mitzunehmen, wusste aber nicht, wie er das bewerkstelligen sollte. Etwas ratlos saßen die drei um den Tisch, beziehungsweise auf dem Tisch, denn da hockte die Gans noch immer und grübelten vor sich hin. Das Kamel war wirklich ein Problem. Also, nicht das Kamel, sondern seine große und hierzulande ungewohnt auffällige Statur. Egal wo sie längs laufen würden, jeder würde sofort den Kopf nach ihm verdrehen und sich wundern. Vielleicht würden einige sogar die Polizei rufen, wer weiß?

"Wir könnten eine große Decke über Doro hängen, dann erkennt man ihre Höcker nicht und vielleicht geht sie so als riesiges Pferd durch", überlegte die Gans.

"Hmmm ?" Bataa wiegte seinen Kopf hin und her. "Ja, als ziemlich großes Pferd. Ich glaube, das kauft uns keiner ab, aber ich habe leider auch noch keine Idee", seufzte er. Doro stand auf und räkelte sich, hielt plötzlich inne und lauschte: "Hört ihr das auch?"

Bataa verstand zwar nicht die Worte, aber das brauchte er auch gar nicht. Er sprang mit einem Satz aus dem Sessel und horchte in die Stille. Entweder hatte das Kamel sehr gute Ohren oder es hatte sich getäuscht, denn er vernahm kein ungewöhnliches Geräusch. Alles blieb ruhig, oder ?! Aber nein, jetzt hörte er es auch. Aus weiter Ferne drangen laute Rufe an sein Ohr. Auch ein Schimpfen und Fluchen wurde deutlich hörbar. Wer auch immer da rief und fluchte, er kam näher - und es war nicht nur einer, es waren viele, die sich auf das Försterhaus zu bewegten.

"Was nun?", flüsterte Edith und sah Bataa Rat suchend an.

"Psst, leise, keiner sagt einen Pieps", zischte Bataa. Er stellte sich neben Doro und kraulte ihr die Mähne, um sie zu beruhigen. Der Schreck war ihr in die Glieder gefahren und sie zitterte leicht. Edith hingegen nahm Kampfposition auf dem Tisch ein, zum Sprung bereit, falls sie ihre kleine Reisetruppe verteidigen musste. Sie hörten nur noch ihr eigenes Ein- und Ausatmen. Draußen waren dumpf Schritte auf dem weichen Waldboden zu hören, die jetzt fast das Försterhaus erreicht haben mussten.

Mit einem Ruck und Rums wurde die Tür aufgestoßen und ein großer, kräftiger Mann in einem Overall - in der einen Hand ein Gewehr, in der anderen ein Seil - brüllte: "Ha! Wo ist der Löwe?"

Erschrocken stotterte Bataa: "Hier, hier, Löwe ... wieso, hier ist k k kein Löööwe!?"

"Oh, Mann, so ein Mist", der Mann drehte sich um und rief seinen Leuten zu: "Jungs, hier ist er nicht, wir müssen weitersuchen." Dann schritt er über die Türschwelle und schlug einen verärgerten Befehlston an: "Und ihr, ihr seht zu, dass ihr so schnell wie möglich wieder zum Zirkus zurückgeht, aber ein bisschen flott. Alle sind schon beim Packen, der Zug fährt bald, los beeilt euch!"

Bataa erhob keine Wiederworte und gehorchte, packte Doro an ihrem langen Fell und hievte Edith auf seinen Arm. Dann stratzte er los, einfach in die Richtung, aus der die Männer gekommen waren. Da, so vermutete er, müsste ja der Zirkus zu finden sein.

"Puuh, ein Löwe ist los, da haben wir aber Glück gehabt, dass wir dem nicht begegnet sind", stöhnte die Gans erleichtert auf. Jedenfalls konnten die drei sich nun unbehelligt entfernen, denn die Männer, die wohl zum Zirkus gehörten, waren vollauf mit der Suche nach dem entlaufenden Löwen beschäftigt.

"Weißt du was, Edith", Bataa setzte die Gans auf dem Boden ab, "wenn wir tatsächlich auf einen Zirkus treffen, dann mischen wir uns einfach unter die Menge. Wenn alle am Aufräumen, Abbauen und Packen sind, fallen wir bestimmt nicht auf. Wir klettern in einen Waggon und tun so, als gehörten wir dazu!"

Edith watschelte voraus. "Ach, wenn ich nur schon fliegen könnte", stieß sie hervor und schlug mit ihren Flügeln in die Luft, "ich wäre ein prima Kundschafter, könnte voraus fliegen und nach dem Zirkus Ausschau halten - oder vor dem Löwen fliehen ..."

"Ja, sicher, aber was hältst du von meinem Plan?"

"Oh, den finde ich prima und vielleicht haben wir Glück und der Zug fährt in Richtung, wie heißt dein Land nochmal ...?"

"... Mongolei"

"Ja, genau, vielleicht ist der Zirkus ja genau dahin unterwegs, wer weiß?"

Doro sagte gar nichts. Ihr saß der Schreck noch in den Knochen und sie war einfach nur froh, dass sie sich von den Männern entfernten. So trotteten sie eine Weile des Wegs, bis sich vor ihnen ein großes Tal auftat. Vorsichtig näherten sie sich dem ziemlich steil abfallenden Hang und blickten auf ein halb abgebautes, riesiges Zelt. Drum herum wuselten Menschen und Tiere hektisch hin und her, und doch wurden Kisten und Kästen zusammengefügt und ordentlich verladen, Elefanten, Pferde, Kamele, Lamas, Esel, Hunde und Raubtiere über Verladerampen in die Waggons gebracht.



Durch ein Blätterdach sind ein Zirkuszelt, Menschen und Zirkustiere, im Hintergrund mehrere Eisenbahnwaggons zu sehen - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Bataa erkannte ihre Chance. Dort hinunter mussten sie, aber schleunigst, sich einfach unter die Tiere mischen und in einen Eisenbahnwaggon steigen. Er wendete sich an Edith und erklärte ihr seine Idee. Edith war begeistert und sagte Doro genau, was sie vorhatten. Doro nickte und trabte los, bis sie merkte, dass der Abhang doch ziemlich steil verlief und sie lieber ganz langsam hinuntergehen sollte. Bataa folgte ihr und zog sie kräftig an ihrer Mähne nach hinten, um ihr Halt zu geben. Etwas ruckelig und wackelig gestaltete sich ihr Abstieg, aber schließlich erreichten sie das Tal. Edith hatte es sich einfacher gemacht - sie war auf ihrem Bauch hinab gerutscht und landete sicher an Doros Beinen. Niemand beachtete sie, alle waren sehr beschäftigt und hatten es immens eilig.

"Prima, wir fallen hier gar nicht auf", stellte Edith fest und Bataa schaute sich auf dem Platz um, bis er hinter dem Zelt die Eisenbahnwaggons entdeckte.

"Kommt, wir müssen da drüben hin!" Dann packte er Doro wieder an der Mähne und ging raschen Schrittes auf den nächsten offen stehenden Waggon zu, Edith watschelte und hüpfte hinterher. "Rennt doch nicht so schnell, ich komm ja gar nicht mit, verdammt!", schimpfte sie.

"Hey, Edith, wir müssen uns genauso beeilen wie die anderen, sonst fallen wir noch auf, verstehst du?", entschuldigte sich Bataa für seinen schnellen Gang.

"Klar, hast ja recht, ist schon gut, ich schaffe das schon ...", pustete die Gans und sputete sich.

"Geschafft", prustete Bataa und schnappte nach Luft, als Kamel, Gans und er sicher in einem Waggon angekommen waren. "Nun bleibt uns erstmal nichts weiter übrig als abzuwarten, bis der Zug losfährt", flüsterte Bataa.

"Ja, und dass er hoffentlich in die richtige Richtung fährt ?", wünschte sich Edith.

Fortsetzung folgt ...

zum 1. September 2015


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