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KALENDERGESCHICHTEN/041: 05-2014   Der kleine Wolf - Wer brüllt denn da? (SB)


Der Rabe versucht eine Beere aufzufangen. Der Fuchs kommt aus hohem Gras hinzu. - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Der kleine Wolf

Wer brüllt denn da?


Der kleine Wolf wurde von etwas Unheimlichen in den Wald gezogen, und er hatte große Angst, nie wieder heraus zu gelangen. Krawell konnte ihm nicht, wie sonst, helfen, blieb aber bei ihm. Für den Wolf war es ein Wunder, dass er plötzlich wieder laufen konnte. Eiligst flohen die beiden aus dem Wald zurück auf die Wiese.

Der kleine Wolf war nach diesem Abenteuer in einen tiefen Schlaf gefallen. Der Schmetterling, dem er zuvor bis zum Waldrand gefolgt war, hatte es sich nun auf einer Blüte dicht neben dem träumenden Rudi bequem gemacht. Es schien beinahe, als wolle er über den kleinen Wolf wachen.

Krawells Magen meldete sich mit lautem Grummeln. Als er Rudi dort so ruhig schlafen sah, begab der Rabe sich auf die Suche nach etwas Essbarem. Er hüpfte über die Wiese und fand bald leckere Beeren. Gerade schnappte er sich eine große blaue, warf sie übermütig in die Luft, um sie dann mit weit aufgesperrtem Schnabel aufzufangen.

"Nicht schlecht, nicht schlecht!", rief ihm jemand aus dem hohen Gras vom Rand der Wiese zu. Krawell hätte sich beinahe verschluckt, drehte sich um und sah nur die Gräser, die sich auseinander bogen. "Wer ist da? Zeig dich, du Bewunderer meiner Kunst."

Da ertönte ein lautes Lachen und der Fuchs sprang dem Raben entgegen. Der Rabe war wirklich total überrascht: "Rufus, du hier? Hast du es doch noch geschafft uns zu folgen?! Prima, prima. Ich sorgte mich nämlich schon, dass ich noch einmal zurück ins kalte Schneeland fliegen muss, um dich abzuholen."

"Tja, und ich hatte Angst, dass du dein Versprechen nicht halten würdest", brummte Rufus. "Auf einmal ward ihr beide fort, wie vom Erdboden verschluckt, verdammt. Doch dann sah ich dich oben in der Luft mit dem strampelnden Rudi in deinen Krallen, und da bin ich dann hinterher gerannt. Puh, ich sage dir, ich war froh, als der Schnee weniger und weniger wurde!"

"Aber Rufus, ich habe dir versprochen, dass du bei uns bleiben darfst und ich halte meine Versprechen - nur Rudi weiß noch nichts davon."

"Meinst du, er hat etwas dagegen, wenn ich bei euch bleibe?"

"Hmmm, ich denke nicht ...", überlegte Krawell.

"Genau, wie kann er auch, schließlich bin ich ganz schön toll, ich meine, sieh mich an ...", prahlte Rufus selbstverliebt. Dann sah er zum schlafenden Wolf hinüber und wurde ernst: "Sag mal Krawell, irgendetwas stimmt doch nicht mit Rudi. Er ist so, so ängstlich, so verstört oder? Ich weiß nicht, vielleicht traurig?"

"Ja, das ist mir allerdings auch aufgefallen. Denn als die große Jägerschar auf ihren Pferden laute Schüsse abfeuerten, rannten alle Wölfe davon, alle Raben flogen fort. Dann sah ich dort unten ganz allein auf weiter Flur den kleinen Wolf hocken. Alle stoben auseinander, alle rannten um ihr Leben - aber Rudi saß da und bewegte sich nicht."

"Und was geschah dann?"

"Dann konnte ich nicht anders, als zu ihm hinab zu fliegen. Ich schrie ihn an, er solle seinem Rudel folgen, dort wäre er sicher. Aber es kam anders. Endlich lief er los, dann gelangten wir aber an einen Graben und wieder wollte er sitzenbleiben. Ich rief ihm zu, er solle über den Graben springen, leider schaffte er es nicht ganz und landete in dem stinkenden Grabenwasser. Na, ja, dann badete ich ihn erst mal und wir fanden vorerst Unterschlupf in einem Schuppen. Dann schneite es ... den Rest der Geschichte kennst du dann schon."

"Ja, ja, hab dich mächtig gut mit Schnee beworfen ...", erinnerte sich der Fuchs. Dann lachte er, machte plötzlich kehrt in Richtung Rudi und trabte los.

"Hey, was hast du vor?", rief Krawell ihm hinterher.

"Na, ihn aufwecken, er hat jetzt genug geschlafen, schließlich muss ich ihn etwas Wichtiges fragen!"

"Rufus, lass das, lass ihn schlafen, er ist noch klein und das alles war ein bisschen viel Abenteuer auf einmal für ihn. Lass ihn in Ruhe."

Der Fuchs blieb stehen und sah den Raben etwas verständnislos an, setzte sich ins Gras, ein paar Schritte vom kleinen Wolf entfernt und dachte einen Moment lang nach. "Gut, Krawell, warten wir, bis er von allein aufwacht. Aber wir können uns doch schon mal Gedanken machen, wo wir wohnen wollen, oder?"

"Klar, das ist eine gute Idee." Der Rabe hockte sich neben den Fuchs und beide grübelten vor sich hin. Ab und zu murmelte Rufus Unverständliches und Krawell drehte seinen Kopf bald hierhin bald dorthin und spähte hinaus in die Weite.

"Oh, oh, ich habe etwas entdeckt", rief Krawell lauter aus, als er eigentlich wollte. Dann flüsterte er weiter: "Dort, ganz hinten, siehst du die Baumreihe? Sieh, ganz oben in der Baumkrone befindet sich ein richtig großes Nest. Ich flieg mal hin und sehe nach, ob es bewohnt ist." Gerade breitete Krawell seine Schwingen aus, als Rufus ihn stoppte. "Halt, nein, bleib hier. Ich kann doch nicht in einem Nest wohnen, wie stellst du dir das vor? Soll ich auf Bäume klettern ... und der kleine Rudi erst, soll der etwa da ...?"

Rufus und Rudi sitzen im großen Nest und schauen hinunter. Der Rabe kommt angeflogen. - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

"Na, den schleppe ich da hoch, inzwischen habe ich ja Übung darin", unterbrach ihn Krawell.

"Und du meinst, da oben kann sich irgendjemand wohlfühlen? Dort ist es zugig, windig, kalt und schrecklich nass wird man dort auch, wenn es regnet!", protestierte Rufus.

"Tja, ich vergesse immer, dass ihr nicht fliegen könnt. Ganz schön blöd", seufzte der Rabe.

"Aber, wie wäre es mit einer Höhle, unter der Erde, du verstehst?", der Fuchs war begeistert.

Krawell schüttelte den Kopf und wollte gerade etwas sagen, als beide, Fuchs und Rabe, vor einem lauten Gebrüll erzitterten. Es hörte sich grausig an und irgendwie auch schmerzerfüllt. Rufus wollte sofort weg rennen, doch Krawell packte ihn am Schwanz und zerrte ihn zurück. "Wir werden Rudi hier nicht allein lassen! Verstanden!", befahl der Rabe mit strenger Stimme.

"Ja, klar, werden wir nicht ... nicht allein lassen, Rudi", stammelte der Fuchs etwas verlegen.

"Ich versuche herauszufinden, wer da so brüllt und ob er für uns eine Gefahr bedeutet. Du weckst den kleinen Wolf und passt auf ihn auf. Und beruhige ihn. Wenn Gefahr droht, kehre ich sofort zurück und dann ..."

Wieder dröhnte dieses merkwürdige, beängstigende aber auch leidende Gebrüll über die Wiese.

Rufus nickte dem Raben zu: "Gut, Krawell, ich werde ihn wecken und nicht von seiner Seite weichen ..."

Wecken musste der Fuchs den kleinen Wolf allerdings nicht mehr, denn er war auch von dem Gebrüll hochgeschreckt.

Fortsetzung folgt ...

1. Mai 2014