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GUTE-NACHT/3665: Im Advent - Hinterher (SB)



Marlene und Simon kamen am Heilig Abend nicht wie geplant zu Oma und Opa, denn die Eltern waren bis zum Schluß noch im Laden beschäftigt gewesen und hatten dann auch noch zuhause einiges vorzubereiten. So traf sich Opa mit den Enkeln und ihren Eltern direkt in der Kirche. Oma blieb zuhause, um auf den Weihnachtsbraten aufzupassen und alles für den Schmaus gut vorzubereiten. Da war keine Gelegenheit Marlene von dem Schaf zu erzählen. Oma bleute Opa aber ein, nach dem Krippenspiel das Schaf wieder mit nach Hause zu bringen ...

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Die Kirche war schon randvoll gefüllt. "Das war zu erwarten", dachte der Pfarrer, "das ganze Jahr lassen sich meine Schäflein nicht blicken, nur an Weihnachten quillt die Kirche über. Und das liegt nicht nur an unserem Krippenspiel, sondern daran, daß die Gelegenheit genutzt wird, die Kinder aus dem Haus zu haben, damit der Weihnachtsmann oder die Weihnachtsfrau ihr Werk verrichten können." Bei diesen Gedanken schmunzelte der Pfarrer und wendete sich seiner Gemeinde mit den Worten zu: "Die Kinder können vorne bei der Krippe Platz nehmen. Da sehen sie besser. Wir haben dort Kissen ausgelegt."

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Marlene und Simon hatten diese Möglichkeit genutzt und bei den Kindern auf den Kissen Platz genommen. Noch immer trafen Besucher ein. Eine Frau verabschiedete sich von ihrer Tochter: "Dort drüben bei der Krippe ist Platz, hat der Pfarrer gesagt. Ich hole dich nach dem Krippenspiel gleich wieder ab. Ich könnte jetzt ja doch nicht bei dir sitzen." - "Mußt du wirklich nochmal ins Krankenhaus?", fragte Olga. "Ja, aber ich bin rechtzeitig zurück." Olga war traurig. Schon wieder hatte Mama nicht wirklich Zeit für sie beide. Aber Olga war das ja schon gewohnt und so richtete sie ihre Aufmerksamkeit ganz auf das, was gleich kommen würde. Zuerst aber suchte sie sich noch einen Platz zwischen den Kindern. Ein Junge belegte gleich zwei Kissen. "Darf ich auch eines haben?", fragte Olga. Doch der Junge rührte sich nicht. "Simon, nun gib schon eins ab", warf seine Schwester ein.

Murrend rückte Simon das zweite Kissen heraus. "Hier, du kannst dich neben mich setzen", schlug Marlene dem neu angekommenen Mädchen vor. "Ich heiße Marlene und du?" - "Ich bin Olga." Dann stockte das Gespräch. Olga setzte sich und besah sich die Krippe. Sie sah die verkleideten Kinder als Josef und Maria und auch die Puppe, die als Jesuskind in der Krippe lag. Vor ihnen knieten zwei der Heiligen drei Könige und etwas abseits standen die Hirten mit ihren Tieren. Der Esel war wohl echt und auch der Hund des Schäfers war ganz lebendig. Die anderen Tiere waren aus Stoff. So auch ein kleines weißes Schaf, das der Hirte über der Schulter trug.

"Marlene, schau mal, sieht das Schaf nicht aus wie unseres?", fand Simon und zeigte in die Richtung des Schäfers. Marlene fand, daß Simon Recht hatte. Jetzt wanderte auch Olgas Blick zu dem Schaf. "Oh, nein, das sieht ja aus wie Molly," entfuhr es Olga. "Wer ist denn Molly?", fragte Marlene verwirrt. "Na, mein Schaf, das ich verloren habe ..."

Da bat der Pfarrer um Ruhe, daß es endlich losgehen könne. "Vielleicht sieht das Schaf nur so aus wie deines", flüsterte Marlene Olga zu, "schließlich gleicht es ja auch unserem Schaf genau und das sitzt bei meiner Oma auf dem Sofa." Zumindest vermutete Marlene das. Bei all dem Weihnachtstrubel und den Vorbereitungen für den Schulbazar hatte Marlene gar nicht mehr nach dem Schaf geschaut und es auch nicht vermißt.

"Mein Schaf hat aber seinen Namen im Ohr stehen", flüsterte Olga zurück. "Dann können wir ja nachher nachschauen, ob es deines ist. Ich helfe dir", Marlenes Interesse war geweckt. "Pst", schalt die Frau in der ersten Reihe hinter den Kindern. Ruhe kehrte ein und das Krippenspiel begann.

Jetzt konnte Olga ihre Augen nicht mehr von dem Schaf auf der Schulter des Hirten abwenden. Sie versuchte den Namen auf dem Ohr zu erspähen, aber dafür hätte sie wohl Adleraugen gebraucht. Doch Olga war nicht die einzige, die Interesse an dem Schaf zeigte. Auch Opa blickte von den Bänken immer mal wieder zu dem Schaf hinüber. "Ich darf dich nicht vergessen wieder mit nach Hause zu bringen", flüsterte er sich selbst ab und an vor.

Aber noch ein dritter Geselle hatte deutliche Absichten dem Schaf gegenüber. Der Hirte war gut damit beschäftigt, mit der einen Hand das Schaf auf seiner Schulter und mit der anderen die Leine seines schwarzen Hundes, der ebenfalls ständig zu dem Schaf hinaufstarrte, fest im Griff zu halten.

"Wer hatte nur die blöde Idee gehabt, einen echten Hund mit in die Geschichte einzubeziehen", dachte der junge Hirte. Doch dann fiel ihm ein, daß er es eigentlich selber gewesen war. Er wollte Toni an Weihnachten nicht allein zuhause lassen, und so hatte er dem Pfarrer vorgeschlagen, seinen Hund doch einfach mitzubringen. Und wenn er noch eines seiner Stofftiere mitbrächte, sei Toni auch fromm wie ein Lamm.

Das Krippenspiel war beendet und die Predigt nur kurz. Der Pfarrer bat die Besucher noch ruhig auf den Plätzen zu bleiben, damit die Weihnachtsgesellschaft mit den Tieren zuerst die Kirche verlassen konnte.

"Olga, wenn wir wissen wollen, ob es dein Schaf ist, müssen wir hinter der Krippengesellschaft gleich hinterher. Und draußen fragen wir den Schäfer, ob du mal nachschauen kannst", gab Marlene Olga den Rat. "Ok," nickte Olga zurück.

Simon hingegen war auf den Kissen sitzen geblieben, so hatten sie es eigentlich mit Opa verabredet, daß er sie vorne abholen wollte. Schließlich mußte er ja auch noch das Schaf von dort mitnehmen.

Doch alles kam anders. Trotz der Worte des Pfarrers drängten verschiedene Besucher gleich mit den Krippenspielleuten zur Tür hinaus, dabei fiel dem Hirten zuguterletzt doch noch das Schaf von der Schulter, welches sich der schwarze Hund endlich schnappen konnte. Und weil dieser so an der Leine zog, hatte der Hirte Schwierigkeiten die Leine festzuhalten und sie entglitt ihm.

"Man Olga, der Hund hat dein Schaf. Hinterher!", rief Marlene. Sie dachte gar nicht mehr an ihren Bruder, die Eltern oder Opa. Sie lief einfach hinter dem Schäfer, der dem schwarzen Hund folgte, hinterdrein, selber verfolgt von Olga.

An der Kirchenpforte wartete Olgas Mama auf ihre Tochter. Sie erblickte die herausströmenden Besucher, allen voran ein schwarzer Hund mit einem weißen Stoffetwas im Maul. Dahinter lief ein Hirte und diesem folgten zwei Kinder. Das eine war doch Olga. "Olga", rief Mama. Aber Olga hörte nicht. So lief auch noch Mama in der Schlange mit, alle immer hinter dem schwarzen Hund her.

Nur ein Schaf und gleich so viele Verfolger?

Endlich legte sich der Hund nieder und plazierte seine Schnauze direkt auf dem Schaf. Der Hirte holte als erster den Hund ein und nahm die Leine wieder fest in die Hand. "Braver Toni!" Da näherten sich schon die beiden Mädchen. "Darf ich mal schauen, ob das Schaf einen Namen im Ohr hat?", fragte Olga. Der Hirte blickte verdutzt: "Ich glaube nicht, daß Toni sein geliebtes Schaf jetzt wieder hergibt. Und einen Namen trägt das Schaf gewiss nicht im Ohr. Ich habe es Toni nämlich zu seinem Geburtstag gekauft. Toni liebt Stofftiere."

Da liefen Olga die Tränen herunter. So sicher war sie, daß das Schaf Molly sei. Jetzt hatte Mama Olga eingeholt und nahm sie in die Arme. Gerade wollte sie ein Paket aus ihrer Tasche holen, die sie bei sich trug, da kamen Opa und Simon herangelaufen, ihnen folgten noch die Eltern und der Pfarrer.

"Wo läufst du denn einfach hin, Marlene?", rief Opa. "Ich wollte doch nur Olga helfen, ihr Schaf wiederzubekommen", verteidigte sich Marlene. Dann stutzte sie: "Opa! Wieso hast du denn ein Schaf auf dem Arm?" - "Tja", begann Opa, "ich mußte doch unser Schaf wieder mit nach Hause bringen, das Oma dem Herrn Pfarrer für das Krippenspiel ausgeliehen hatte. Oma hat mir ausdrücklich eingeschärft, es ja wieder mitzubringen."

"Aber, wo war denn unser Schaf bei der Aufführung, wir haben gar kein zweites gesehen?", meinte Marlene. "Nun ja, von eurem Platz aus konntet ihr nur ein Schaf sehen", erklärte Opa, "und ich bin froh, daß Wuffi hier sich schon mal sein eigenes geschnappt hat, da muß dieses hier ja wohl unseres sein."

Erneut begann Olga zu weinen: "Und wo ist mein Schaf?" Wieder wollte Mama das Päckchen aus der Tasche ziehen. Marlene nahm Opa das Schaf aus dem Arm und reichte es schweren Herzens Olga. "Wir haben das Schaf ja nur gefunden, vielleicht ist es ja deins. Also schau nach." Und bei sich dachte Marlene: "Bevor ich es mir anders überlege." Olga nahm zögerlich das Schaf in die Hände und blickte am Ohr nach dem Namen. "Da steht nicht Molly!", sagte Olga und wollte Marlene das Schaf zurückgeben. Marlene schaute nun selber nach: "Aber hier ist doch ein M und hier sogar ein Y. Wer weiß schon, was dein Schaf alles durchgemacht hat."

"Ja", dachte Molly, "vergessen zu werden auf dem Postkasten, als Fußballersatz herhalten müssen, Flucht unter die Parkbank, Kopfkissen spielen, sich wiederfinden zwischen Heu und Stroh bei Kaninchen, Karussel fahren in einer Waschmaschine und dann Tage lang im Garten vergessen werden, dann noch die Reinigung mit ihren scheußlichen Gerüchen, um dann als Krippenschaf in der Kirche zu landen ..."

Olga sah noch einmal genauer hin. Und sie erkannte, daß es Molly war. Jetzt traten Marlene Tränen in die Augen. Aber sie rollten nicht herunter. Aber Mama hatte sie gesehen. Endlich holte sie ihr mitgebrachtes Paket hervor und sagte: "Dann ist hier wohl einer zuviel." Und sie packte ein drittes Schaf aus, das Molly total glich, nur ein bißchen neuer war. Das reichte sie Marlene.

Selbst dem Hirtenhund Toni waren drei Schafe zuviel und er stöhnte auf.

Gute Nacht!

zum 28. Dezember 2018


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