Schattenblick → INFOPOOL → KINDERBLICK → GESCHICHTEN


GUTE-NACHT/3653: Im Advent - Verscheucht (SB)



Olgas Stoffschaf Molly liegt unter dem Kopf eines Mannes, der hier auf der Parkbank übernachtet. Er ist nur spärlich zugedeckt mit einer Regenjacke, und er hat keine Bleibe, kein Zuhause. So lebt er auf der Straße. Bei sonnigem Wetter mag das so manch einem spaßig erscheinen. Aber in Regen oder Schnee, in feuchter Luft und Kälte ist das Leben auf der Straße für niemanden angenehm. Und das schlimmste ist, noch nicht einmal hier auf der Parkbank, wo der Mann nachts doch niemanden stört, kann er bleiben.

Schon kommt ein Ordnungshüter mit einer Taschenlampe vorbei und weckt den schlafenden Mann auf. "Hier kannst du nicht bleiben. Das ist ein öffentlicher Park. Such dir eine andere Bleibe und laß dich hier nicht mehr von mir beim Schlafen erwischen", schimpft der Wächter und dutzt den Fremden. Obwohl er ihn doch gar nicht kennt, behandelt er ihn wie einen bösen Menschen, obwohl der Mann auf der Bank doch niemandem etwas getan hat.

Also schnappt sich der Mann seine wenige Habe, steckt heimlich Molly ein und verläßt den Park. Er hat es schon erlebt, daß ihm Dinge einfach weggenommen wurden, weil solch ein Ordnungshüter oder auch ein Polizist nicht glaubten, daß ihm diese Dinge gehörten. Der Polizist damals meinte, die Sachen seien sicher gestohlen, die wären noch zu neu und könnten gar nicht seine sein. Dabei hatte er sie auf der Straße beim Betteln geschenkt bekommen. Längst hat der Mann es aufgegeben, einen ihm drohenden Ordnungshüter zu bitten, ihn doch einfach auf der Bank schlafen zu lassen, er störe doch niemanden, keiner sei da, der sich jetzt auf der Bank erholen wolle, nur er. Schließlich sei der Park doch öffentlich. Der Mann hat schon lange gelernt, daß all sein Bitten nichts hilft. So ist er froh, das Stoffschaf eingesteckt zu haben. Wenigstens hat er sich hier ein Kissen ergattert.

Wo aber soll er jetzt hin? In den Obdachlosenheimen war heute Nacht schon alles belegt. In den Vorraum einer Bank gelangt er auch nicht, er hat keine Bankkarte mit der er die Tür öffnen könnte. Eine solche bekommt er nur, wenn er ein Konto eröffnet - doch ohne Wohnsitz kein Konto. Wenn er aber eine Wohnung hätte, bräuchte er nicht auf der Straße zu schlafen, was für ein Teufelskreis.

Auf dem Weihnachtsmarkt gehen ebenfalls Wächter herum, auch dort wird er keinen Schlupfwinkel finden. Vielleicht in irgendeinem Hauseingang in einer dunklen Gasse? Der Mann ist längst aus dem Park heraus und steuert in Richtung der Schrebergartensiedlung zu. Auch hier muß er sich in Acht nehmen. Aber zu dieser Stunde könnte er Glück haben, hier niemandem aufzufallen und vielleicht eine nicht versperrte Gartenlaubentür oder einen offenen Schuppen zu findet, in dem er für die nächsten vier Stunden bleiben kann. Dann aber muß er sich wieder auf die Socken machen, denn gegen Morgen kommen die ersten Schrebergärtner in ihre kleinen Areale zurück.

Unter der Jacke des Mannes versteckt, sieht Molly nicht, wohin es geht. Erst als es nach Heu riecht, holt der Mann das Stoffschaf aus dem Versteck heraus. In einem Garten hat er eine überdachte Ecke mit Strohballen und einem Bund Heu gefunden. Beides ist wohl für die Hasen bestimmt, die in den Käfigen hocken. Schön sehen die Käfige aus, wie richtige Häuschen mit Treppe und Balkon. Doch ein Käfig bleibt ein Käfig. Der Mann streckt sich auf dem Stroh aus, steckt sich Molly wieder unter den Nacken und schläft bald ein. Nur Molly schläft nicht. Olga hatte ihren Kopf nie so auf Molly geknetscht. Und Molly sehnt sich nach ihrem geliebten Zuhause.

Gute Nacht!

zum 4. Dezember 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang