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GUTE-NACHT/3601: Ohrwurm gefunden (SB)

Gute-Nacht-Geschichten

Ohrwurm gefunden

"Iiiiih", geht ein Schrei durch das Haus. Schon öffnen sich alle Türen auf den Flur hin. "Was ist passiert Enna, Kind?", fragt Oma Lucie besorgt und läuft aus der Küche herbei. Hinten im Flur lugt Uroma Kathie um die Ecke. Aus dem gegenüberliegenden Zimmer schaut Uroma Magda heraus und fragt ahnungsvoll: "Ist das Kind gestürzt? Hat es sich weh getan?"

"Alles in Ordnung", versucht Oma Lucie die aufgeschreckten Gemüter zu beruhigen, "es ist nur ein Ohrwurm. Enna hat einen Ohrwurm auf dem Fußboden entdeckt."

"Am besten gleich drauftreten", meldet sich da Opa Eggi, der eigentlich Egmont heißt, zu Wort, "sonst kriecht der Ohrkneifer unseren kleinen Enna noch in ihr Ohr hinein und beißt sie."

"Papperlapapp. Das ist doch bloß ein Gerücht", entgegnet Uroma Kathie. "Ohrwürmer haben sicher etwas besseres zu tun, als in die Ohren von kleinen Menschen zu kriechen. Sie haben viel zu viel im Garten zu tun. Bestimmt hast du mal wieder die Gummistiefel nicht draußen vor der Tür ausgezogen, sondern bist mit ihnen direkt in die Küche spaziert. Dabei hast du den Ohrwurm gleich mit ins Haus gebracht", tadelt sie ihren erwachsenen Sohn.

"Immer ich!", beleidigt wendet sich Opa Eggi wieder seiner Sportzeitung zu. Am liebsten mag er Boxen.

"Aber meine Tante", weiß nun Uroma Magda zu berichten, "die 108 Jahre alt geworden ist, die hat immer erzählt, daß wir uns vor den Zangen der Ohrwürmer in Acht nehmen sollen. Sie kämen nachts im Schlaf ..."

Oma Lucie geht auf ihre Mutter zu und unterbricht sie mit den Worten: "Du willst doch Enna keine Angst einjagen." Und zu beiden Müttern, ihrer eigenen und der Schwiegermutter sagt sie: "Es dauert noch ein Weilchen mit dem Abendbrot. Ich rufe euch, wenn es fertig ist. Und Kathie, kannst du dich vielleicht um den Ohrwurm kümmern?" Damit geht sie in die Küche zurück.

Uroma Kathie geht zu Enna hinüber und sagt: "Komm Enna, wir nehmen ein Blatt Papier, schieben den kleinen Kerl vorsichtig darauf und bringen ihn zurück ins Freie. Du mußt dich wirklich nicht fürchten."

Vorsichtig schiebt Uroma Kathie das Blatt unter den Ohrwurm. Zuerst will es ihr nicht gelingen. Aber mit einem zweiten Blatt fängt sie ihn ein. "Mach schnell die Haustür auf, Enna, sonst fällt er mir wieder vom Blatt herunter."

Direkt neben dem Hauseingang wächst ein Holunderstrauch. Auf seinem Stamm setzt Uroma Kathie den Ohrwurm ab. "Ich hoffe, du findest von hier aus zurück nach Haus", gibt sie ihm mit auf den Weg.

Enna fragt verwundert: "Versteht er dich?" Uroma Kathie lacht: "Weiß nicht, aber mit ihm zu sprechen, kann ja nicht schaden! Komm, es ist schon recht kalt am Abend." Uroma Kathie und ihre Urenkelin gehen zurück ins Haus. Enna fragt, ob sie die beiden Zettel aus Omas Hand haben kann. Uroma Kathie ist das recht. Sie geht zurück in ihr Zimmer, um sich auf das Abendessen vorzubereiten.

Enna hingegen holt sich ihre Mappe mit den Buntstiften und beginnt einen Ohrwurm zu zeichnen. Er wird riesengroß und füllt das ganze Blatt aus. Sie hat ihn sich gut angeschaut und zeichnet aus der Erinnerung seinen Körper mit dem Kopf und den Fühlern auf der einen Seite und den Scheren auf der anderen nach.

Beim Abendbrot zeigt sie stolz ihr Bild herum. Opa Eggi findet, daß der riesige Ohrwurm ein richtiges Monster geworden ist. Uroma Kathie lobt Ennas Talent zum Malen, während Uroma Magda beim Anblick des Wurms keinen Bissen herunter bekommt. "Leg ihn am besten auf den Stubentisch, da wird das Blatt Paier auch nicht fettig."

Enna folgt ihrer Uroma und bringt das Blatt in die Stube. Ohne daß jemand etwas bemerkt hat, hat Enna ein bißchen aus dem Inneren ihres Brötchens mitgenommen, knetet es nun zu einer Kugel und legt es dem Ohrenkneifer auf dem Papier direkt vor sein Maul. "Du hast bestimmt auch Hunger!", meint sie und kehrt zum Essen in die Küche zurück.

Gute Nacht

27. September 2012