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GUTE-NACHT/3592: Der kleine Nachtwächter dreht sich um (SB)

Der kleine Nachtwächter dreht sich um

Gute Nacht - Geschichten vom kleinen Nachtwächter

Der kleine Nachtwächter sitzt auf der Bank im Burghof. Die Laterne und die Taschenlampe hat er bereits mitgebracht und neben sich auf die Sitzfläche gelegt. Rebell liegt zu seinen Füßen, blickt ihn aber nicht an, sondern hinüber zum Tor. Er lauscht.

Ein paar Krähen fliegen über die Mauer heran und hocken sich auf den Zinnen nieder. Fordernd krähen sie herüber. Der kleine Nachtwächter weiß, was das bedeutet. Die Vögeln fordern Futter ein. Denn manchmal wirft der kleine Nachtwächter ihnen getrocknetes Brot oder Brötchen zu. Er ist dann stets verwundert, wie die Vögel ein ganzes Brötchen in den Schnabel nehmen und damit weit über die Mauer hinweg fliegen können. In den Wiesen setzen sie sich nieder und verspeisen ihren Fang.

"Heute habe ich nichts für euch", ruft der kleine Nachtwächter hinüber, "Rebell und ich gehen bald los. Wir wollen nur noch ein wenig die Abendfrische genießen." Noch einmal geben die Krähen einen fordernden Laut von sich. Dann aber erheben sie sich in die Lüfte und fliegen davon.

Jetzt merkt der kleine Nachtwächter an: "Wo sind eigentlich die Schwalben geblieben. Ich habe heute noch keine einzige gesehen. Es ist doch erst Mitte August. Da werden sie doch noch nicht fortgeflogen sein?" Er steht auf und schaut sich um. "Nun ja, vielleicht kehren sie erst spät am Abend heim, dann sind wir längst unterwegs. Komm, Rebell!"

Der kleine Nachtwächter nimmt die Taschenlampe und die Laterne von der Bank und schlendert zum Burgtor. Rebell folgt ihm freudig springend, daß es endlich los geht. Noch einmal dreht sich der kleine Nachtwächter um und ruft zum Burgfried hinüber: "Halt die Stellung, morgen früh sind wir wieder zuhause." Verschmitzt über seine Worte lächelt der kleine Nachtwächter vor sich hin. "Wohin sollte die Burg schon verschwinden", denkt er bei sich, "so schwer wie sie aus den großen Steinen gebaut ist und seit Jahrhunderten an der gleichen Stelle steht?"

Doch wer weiß schon, was wirklich noch da ist, wenn wir uns umdrehen. Wir sehen die Burg ja gar nicht mehr. Ist sie vielleicht doch für einen Bruchteil einer Sekunde fort oder gar für ein ganzes Jahrhundert? Wer kennt sie nicht, die Geschichte von dem verwunschenen Ort, der nur alle hundert Jahre und nur für einen Tag auftaucht, um alles noch einmal zu erleben, was damals geschah, um dann wieder für die nächsten hundert Jahre zu verschwinden ...

Gute Nacht

zum 18. August 2012