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GUTE-NACHT/3300: Der einsame Pantoffel erinnert sich (SB)


Gute Nacht Geschichten vom einsamen Pantoffel


In der hintersten dunklen Ecke, unter dem großen Bett liegt ein einsamer Pantoffel und träumt von besseren Zeiten ...


... Damals war er nicht so allein. Mit seinem linken Kameraden konnte er viele Späße machen. Gemeinsam wärmten sie sich am Kamin und gaben die Wärme an die Füße ab, die in ihnen steckten. Es waren die Füße von Opa Konrad. Leider gab es den Linken nicht mehr und auch nicht mehr Opa Konrad. Er war schon vor dem Linken gestorben. Eines Morgens, die beiden Pantoffeln hatten schon auf die kalten Füße gewartet, die jeden Morgen in sie hineinschlüpften, da blieben sie einfach fort. Kein einziger Fuß ließ sich über die Bettkante zu ihnen herunter. Die Pantoffeln warteten geduldig, aber nichts geschah. Sie hörten wie Oma Erna weinte, aber sie verstanden nicht warum.

Erst als Opa Konrad in einem Kasten davongetragen wurde, da war klar, seine Füße würden sich nicht mehr in die beiden Pantoffel stecken. Was hatten jetzt die beiden Hausschuhe noch zu tun, gar nichts mehr. Keiner brauchte sie, um mit ihnen durch das Haus zu schlurfen, keiner zog sie mehr an, um sich in ihnen zu wärmen. Beinahe wären die beiden Pantoffel sogar in einen Sack gesteckt und zum Altkleidersammler gegeben worden.

Es war der Tag, an dem Opa Konrads Kinder alle seine Sachen durchsuchten und meinten, Oma solle sich doch von dem ganzen alten Kram trennen, den brauche sie doch nun nicht mehr. Doch Oma wollte nicht einfach Opa Konrads Sachen fortgeben. Wenn sie noch im Haus waren, war auch etwas von Opa noch bei ihr. Darum wurde sie so richtig wütend auf ihre Kinder, weil sie nicht verstanden, was sie fühlte.

Nach einigen Tagen aber hatte sich Oma Erna wieder gefaßt. Sie war zwar immer noch sehr traurig, das merkten auch die Pantoffeln, doch sie lebte einfach weiter, als sei Opa noch immer bei ihr. Das tat sie allerdings nur, wenn kein anderer in der Wohnung war. Ihre Kinder hätten sie womöglich für verrückt erklärt, und vielleicht sogar in ein Altersheim gesteckt.

Morgens holte Oma stets die beiden Pantoffel hervor und stellte sie vor den Sessel, der Opas Lieblingsplatz gewesen war. Am Abend nahm sie die beiden dann wieder mit vor den Kamin. Dort waren sie glücklich. Sie sahen schön knallig rot aus. Eigentlich waren es keine Männerpantoffeln. Aber Oma hatte sie ihrem Mann einmal zu Weihnachten geschenkt und dazu, fand sie, paßte die Farbe Rot am besten. Opa hatte gelacht und gesagt: "Das sind die richtigen Pantoffeln für einen Weihnachtsopa."

Die Tage vergingen. Ab und an bekam Oma Besuch, zuerst etwas öfter, dann immer seltener. Das fand sie gar nicht so schlimm. So störte sie wenigstens keiner, wenn sie mit Opa Konrad sprach. Zwar gab er laut keine Antwort, aber in Oma Ernas Kopf und in ihrem Herzen hörte sie ihn. So viele Jahre hatten die beiden zusammengelebt, daß sie sich ganz genau kannten. Oma waren Opas Angewohnheiten so vertraut, daß sie ihn sogar husten hören konnte, wenn es jetzt im Winter sehr kalt war. Mehrmals am Tag vernahm sie sein "Mm, mm!". Das allerdings hatte sie stets geärgert. Denn mit diesen beiden Tönen zeigte Opa an, daß er sich gerade etwas gedacht hatte, aber nicht darüber reden wollte.

Eines Tages, Oma hatte wieder die roten Pantoffeln vor Opas Lieblingsplatz gelegt und ihm auf das Tischchen auch eine Tasse bereit gestellt, da klingelte es an der Tür. Oma schaltete nicht sofort, sonst hätte sie die Pantoffeln unter den Sessel geschubst und die Tasse in der Spüle verschwinden lassen. Nun aber hatte sie das vergessen. Zu Besuch kam Tochter Annette. Die wollte sehen, wie es Oma so ging und ob sie ihr nicht vielleicht mit etwas Geld aushelfen könne, sie sei so knapp bei Kasse. Oma, noch ganz in Gedanken, suchte etwas im Schlafzimmer und sprach so vor sich hin: "Aber sie braucht es doch. Nun laß mal, das ist doch nicht so schlimm!"

Tochter Annette, die ihre Mutter im Schlafzimmer reden hörte, fragte durch den Türspalt, mit wem sie denn spräche. "Ach, ich red' halt manchmal mit mir selber", antwortete Oma, um Opa nicht zu verraten. Denn der war ziemlich sauer geworden und wollte Annette keinen Groschen geben, nicht einmal einen Pfennig. "Das heißt jetzt Euro und Cent", verbesserte Oma. "Das ist doch einerlei, ob Groschen oder Cent. Annette soll langsam mal lernen, mit ihrem Geld zu haushalten", sprach Opa Oma ins Gewissen, was Tochter Annette natürlich nicht gehört hatte. Oma aber hatte ein weiches Herz und steckte ihrer Tochter einen Geldschein heimlich zu, damit Opa es nicht sehen sollte. Eben so wie früher manchmal. Darüber wunderte sich die Tochter besonders. Denn ihr Vater war ja gar nicht mehr da.

Diese Begegnung brachte es mit sich, daß Tochter Annette am übernächsten Tag schon wieder vor der Tür stand. Nicht weil sie Oma das Geld zurückbringen wollte, das nicht. Sie brachte etwas ganz anderes mit - einen Hund. Es war ein Mops, nicht gerade so ein Exemplar von Hund wie Oma sich einen gewünscht hätte, wenn sie denn überhaupt einen hätte haben wollen. Doch Tochter Annette ließ nicht locker: "Ich habe doch gehört, wie du Selbstgespräche führst. Du bist viel zu viel allein. Deshalb habe ich dir Bello mitgebracht." Oma wollte nicht zustimmen. Da drückte Annette auf die Tränendrüse: "Ich muß doch jetzt so viel arbeiten, und da ist mein kleiner Bello viel zu viel allein." Oma erkannte, daß sie gegen diese Argumente nicht ankam. Also stimmte sie dem Dableiben von Bello zu und hoffte dadurch wieder mit Opa alleingelassen zu werden.

Bello war ein verwöhnter kleiner Mops, ein Schoßhund mit einem richtigen Dickkopf. Schoßhund, weil er ständig auf alle Sessel, das Sofa und sogar Omas Bett sprang, und ein Dickkopf deshalb, war er erst einmal obenauf, war er nicht wieder herunter zu bekommen.

"Wie hat meine Tochter dich doch nur verzogen", schimpfte Oma Erna. Es kostete sie all ihre Mühe, dem kleinen Racker Manieren beizubringen. Doch es lohnte sich. Denn Bello war sehr gelehrig und machte schon bald seinem Namen gar nicht mehr alle Ehre. In den ersten Tagen hatte er bei jeder Kleinigkeit gebellt. Doch mit der Zeit wurde er richtig geduldig. Anfangs wurde er von Oma ständig zurecht gewiesen. Er durfte nicht aufs Sofa, nicht auf die Sessel und ins Bett schon überhaupt nicht. Doch mit der Zeit, je mehr er gehorchte, eroberte er Oma Ernas Herz. So war es nicht verwunderlich, daß sie Bello bald wieder einige Privilegien einräumte. Allerdings durfte er nur auf die Möbel, wenn Oma zuerst eine Hundedecke hingelegt hatte. Am Abend kuschelten die beiden vor dem Fernseher auf dem Sofa und von nun an waren sie unzertrennlich. Keinen Gang unternahm Oma ohne Bello.

Bei dieser ganzen Geschäftigkeit mit dem Hund war es nicht verwunderlich, daß Oma ihre Selbstgespräche mit Opa fast völlig einstellte. Eines Tages, als aus Bello ein richtig netter Hausgenosse geworden war, fiel Oma auf, daß irgendetwas fehlte. Es war die Stimme in ihrem Kopf. "Es tut mir leid, daß ich dich vernachlässigt habe", sagte Oma, als sie erkannte, daß sie schon so lange nicht mehr an Opa gedacht und nicht mehr mit ihm gesprochen hatte. Darum setzte sie hinzu: "Das wird nicht wieder vorkommen!" So band Oma den verstorbenen Opa wieder in ihre Gedanken und in die Tagesgeschehnisse mit ein und fragte ihn auch wieder dies und das. Sie wollte beispielsweise wissen: "Was hältst du von unserem neuen Hausgenossen?" Eine Antwort kam nicht. Aber Oma war sich sicher, Opa mochte Bello auch.

Bello stand oft vor Opas Lieblingssessel und schien gar nicht verstehen zu können, warum Oma mit dem Sessel sprach. Irgendwas störte Bello, wenn Oma sich statt mit ihm zu beschäftigen, dem Sessel zuwandte. Ihr Verhalten regte ihn völlig auf. Ab und an versuchte er nun wieder, ohne Oma Ernas Erlaubnis alle Möbel zu ersteigen. Doch Oma ließ nichts durchgehen.

Als sie eines Tages wieder einmal Opas rote Pantoffeln an deren alten Lieblingsplatz stellte, sagte Bello ihnen den Kampf an. Vielleicht schlummerte in Bello ja etwas von einem Stier, den die rote Farbe eines geschwenkten Tuches dazu veranlaßt, sich auf den Stierkämpfer, den Torero, zu stürzen.

Es war an einem gemütlichen Morgen. Oma saß beim Frühstück und sprach in gewohnter Weise mal wieder zu Opa. Bello, mächtig irritiert, verzog sich ins Wohnzimmer zu Opas Lieblingssessel. Hier standen die roten Pantoffeln. Wie ein Blitz stürzte Bello sich auf sie, nahm den linken Pantoffel ins Maul und schüttelte ihn durch. Dann aber nicht genug damit, ließ er ihn wieder zu Boden fallen, um erneut in ihn hinein zu beißen. Der rechte Pantoffel schrie Zeter und Mordio. Doch es half nichts, Oma kam ihnen nicht zuhilfe. Da half nur eins, die Flucht. Der rechte rote Pantoffel machte sich aus dem Staub. Er verkroch sich in der hintersten Ecke unter dem Bett. Hier hoffte er nicht entdeckt zu werden.

Inzwischen hatte auch Oma die Aufregung von Bello mitbekommen und war ins Wohnzimmer gestürzt. "Was ist denn hier los?", schimpfte Oma und entdeckte den zerfetzten Pantoffel. Jetzt bekam Bello aber mächtigen Ärger, sodaß er sich am liebsten ebenfalls gleich unter dem Bett verkrochen hätte. Aber das Bett war dann doch zu niedrig, sodaß Bello es vorzog, sich hinter dem Sessel zu verstecken. Den linken roten Pantoffel ließ er lieber fallen. So geschimpft hatte Oma Erna noch nie mit ihm. Das merkte sich Bello, und von da an störte es ihn nicht mehr, wenn Oma mit dieser unsichtbaren Person sprach. Auch wenn Bello sie nicht sehen konnte, er hatte den Unsichtbaren ernst zu nehmen ...



26. November 2010

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