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GUTE-NACHT/3248: Der kleine Nachtwächter auf dem Geburtstagsfest (SB)


Gute Nacht Geschichten

Zwar sieht der kleine Nachtwächter noch immer kalkweiß im Gesicht aus und seine Stimme klingt heiser, aber sonst geht es ihm heute schon wieder besser, und Fieber hat er auch nicht mehr.

"Da ist frische Luft doch genau das Richtige für mich", denkt der kleine Nachtwächter und greift nach seinem Mantel. Aber dieser hängt nicht an seinem Haken.

"Ach, du liebes bißchen. Meinen Mantel hat ja noch der Herr Apotheker", stellt der kleine Nachtwächter fest, "was mach ich da bloß?" Nun, lange überlegt der kleine Nachtwächter nicht. Er zieht einfach an, was er finden kann. Eine weiße Pudelmütze und einen dazu passenden Schal. Ein zweites Paar Socken kann auch nicht schaden. Er greift nach den hellen Tennissocken. Nun findet der kleine Nachtwächter noch eine schneeweiße Decke. Die ist aus Wolle und wärmt schön.

Die Decke umgehängt, begibt sich der kleine Nachtwächter auf seinen Rundgang. Heute geht er allerdings nicht zuerst durch die Stadt, sondern nimmt den Rundweg auf der Stadtmauer. Den Ausblick ins weite Land von hier oben hat er bereits vermißt. Er blickt in die Ferne, aber irgendetwas lenkt ihn ab.

Von unten aus der Stadt dringt freudiges Lachen an sein Ohr. Der kleine Nachtwächter wird ganz neugierig und wendet sich der Stadt zu. Er steigt von der Stadtmauer herunter und beschleubigt seine Schritte. Nur noch um die Ecke biegen, dann ist er schon dort, woher das Lachen kommt.

Doch perdauz, was war denn das? Etwas oder jemand ist mit dem kleinen Nachtwächter zusammengestoßen. Dieser Jemand entschuldigt sich aber gar nicht, sondern läuft schreiend davon. Der kleine Nachtwächter meint in dem Schrei die Worte zu verstehen: "Ein Geist! Hilfe, ein Geist!"

Selbstverständlich zuckt auch der kleine Nachtwächter zuerst zusammen. Wer will schon mit einem Geist zusammentreffen. Doch dann siegt die Neugier und der kleine Nachtwächter blickt sich nach allen Seiten um, kann aber keinen Geist erblicken. So setzt er seine Schritte weiter in die Richtung aus der das Lachen kommt, fort. Da sieht er bereits die kleine Menschenansammlung. Noch herrscht fröhliches Treiben. Ein Geburtstagsständchen wird gesungen.

Der kleine Nachtwächter stimmt in das Lied mit ein. Leider singt er einige Töne äußerst falsch, sodaß sich mehrere aus der kleinen Menschentraube zu ihm umsehen. Merkwürdig. Plötzlich erklingt nicht nur sein Gesang verkehrt, sondern auch der Jubel der Menschenmenge. Sie stieben sogar auseinander. Einige scheinen einen Geist zu sehen, wie der Mann vor wenigen Minuten, der mit dem kleinen Nachtwächter zusammen gestoßen ist. Denn sie laufen kreischend fort und rufen: "Hilfe! Ein lebendiger Geist!"

Nicht alle Bewohner laufen fort und so kann der kleine Nachtwächter sie fragen, was denn eigentlich los ist. Aber niemand antwortet, Da sieht er auf einem mit Blumen geschmückten Stuhl ein Mädchen sitzen. Das Gesicht strahlt Freude aus. Mit der Hand zeigt das Mädchen auf den kleinen Nachtwächter und lacht. Der kleine Nachtwächter versteht nicht recht. Da winkt das Mädchen ihn herbei.

"Hallo wunderbarer Geist. Schön, daß du zu meinem Geburtstag gekommen bist. Aber du siehst gar nicht so aus wie in meinem Buch. Warum trägst du denn eine Pudelmütze? So kalt ist es doch noch gar nicht ..." Der kleine Nachtwächter zieht sich die Pudelmütze vom Kopf. Erst jetzt hält das Mädchen mit seinem Redeschwall inne. Doch dann fängt es erneut an, auf den kleinen Nachtwächter einzureden. "Ach, wie schade, du bist ja gar kein Geist."

"Nein, ich bin kein Geist. Ich bin der kleine Nachtwächter, aber ohne meinen Mantel." Da besinnt sich das Mädchen und sagt: "Das ist auch sehr schön, daß du, kleiner Nachtwächter, zu meinem Geburtstag gekommen bist. Denn ich habe dich noch nie gesehen. Ich schlafe immer schon, wenn du durch die Stadt gehst. Nur heute an meinem Geburtstag, da darf ich länger aufbleiben."

"Na, da will ich dir aber gleich einmal gratulieren", sagt der kleine Nachtwächter, "und wenn du magst, darfst du meine Laterne auspusten und dir etwas wünschen. Das geht bestimmt in Erfüllung, wenn du es niemandem verrätst und ganz fest daran glaubst." - "Aber brauchst du denn die Laterne nicht mehr?", fragt das Mädchen. "Ich finde meinen Weg durch die Stadt auch im Dunklen. Und wenn ich so hell erleuchtet durch die Straßen gehe, schrecken wohl noch mehr Menschen oder gar die Tiere vor mir zurück, weil sie mich für einen Geist halten."

Das Mädchen nickt verständnisvoll. Dann öffnet es die Tür der Laterne, denkt kurz nach und pustet sogleich die Laterne aus. "Danke, kleiner Nachtwächter", sagt das Mädchen. "Danke ebenfalls, daß ich bei deinem Fest sein konnte", entgegnet der kleine Nachtwächter, "doch jetzt muß ich gehen. Bis zum nächsten Wiedersehen." - "Hoffentlich bald!", wünscht sich das Mädchen.


27. August 2010

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