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GUTE-NACHT/2945: Frau Löwenzahn beherzigt den Rat der Schwalbe (SB)


Gute Nacht Geschichten


Was ist denn das? Ganz in der Nähe von Mutter Löwenzahn ist etwas vom Himmel gefallen. Ist es ein Stein? Nein, es bewegt sich. Aus dem kleinen runden Etwas taucht ein Schnabel hervor und beginnt auch schon gleich zu piepsen. Dieses kleine Ding scheint hier auf der Wiese nicht nach Futter zu suchen, wie vor ein paar Tagen der Herr Spatz, denn das Piepsen hört sich ganz weinerlich an.

Mutter Löwenzahn beobachtet den kleinen Kerl. Unter dem Schnabel ist er hellrosa, die Flügel sind dunkel, und er hat einen weißen Bauch. Sein Gepiepse klingt jämmerlich. Ob er damit um Hilfe ruft?

Diese Frage beantwortet sich für Mutter Löwenzahn schnell. Denn schon ist ein etwas größerer Vogel im Anflug. Er dreht eine Runde über dem Kleinen, landet aber nicht neben ihm, sondern etwas erhöht auf dem Dach des Schuppens. Der Kleine scheint sich zu freuen, daß er hier gefunden worden ist. Sein Gepiepse klingt nicht mehr so jammervoll, aber immer noch kläglich, als wollte er sagen: "Warum holst du mich nicht hier unten ab?"

Mutter Löwenzahn ist neugierig, und sie fragt den großen Vogel: "Na, ist das Ihr Kleiner?" Der größere Vogel mit dem spitz zulaufendem Schwanz wendet sein Köpfchen zu der Fragenden und antwortet höflich: "Ja, das ist unser Kind. Wir, mein Mann und ich, sind gerade dabei den Kleinen Flugunterricht zu geben. Das geht nicht immer gut, wie vogel sieht. Übrigens mein Name ist Schwalbe, wenn ich mich vorstellen darf." - "Ja, stellen Sie sich nur vor. Mein Name ist Löwenzahn!", führt Mutter Löwenzahn die Unterhaltung fort.

Frau Schwalbe wendet sich ihrem Kleinen zu: "Na, geht es wieder?" Doch der Kleine will noch ein bißchen verschnaufen. Mutter Löwenzahn blickt etwas neidvoll zu Frau Schwalbe hinüber und sagt: "Sie haben es gut, sie können immer hinter ihren Kindern hinterdrein fliegen. Unsereiner ist da einfach doch zu sehr an seine Wurzeln gebunden." Frau Schwalbe ist da nicht unbedingt der gleichen Ansicht: "Sie haben es doch gut! Bleiben den ganzen Sommer an einem Ort und können selbst im Winter sich hier verkriechen. Wir Schwalben aber müssen eine weite Reise unternehmen. So manch kleines Vogelkind ist dabei schon verloren gegangen." Mutter Löwenzahn bedenkt den leichten Vorwurf, doch was Frau Schwalbe vielleicht nicht weiß, ist folgendes: "Ja, sie haben recht, ich habe alles, was ich brauche hier, auch für den Winter. Doch kann ich nie meinen Kindern hinterher reisen. Wenn sie einmal aus dem Hause sind, ihre große Reise angetreten haben, kehren sie niemals wieder zurück. Ich weiß nicht, was aus meinen Kindern wird."

"Tja, ich glaube, Frau Löwenzahn, sie brauchen einen Grußüberbringer", rät da Frau Schwalbe. Dann erblickt sie die Löwenzahnkinder und fragt ungläubig: "Sind das alles Ihre?" Mutter Löwenzahn blickt auf ihre 200 Kinder oder auch ein paar mehr und sagt stolz: "Ja, das sind alles meine." Etwas traurig fügt sie hinzu: "Doch schon in ein paar Tagen werden sie mich verlassen, und ich werde nie mehr etwas von ihnen hören."

Mutter Schwalbe blickt auf ihr Kleines. Das braucht wohl noch ein paar Minuten Ruhe. Mutter Schwalbe hält es nicht lange sitzend aus. Sie fliegt deshalb eine Runde über die Wiese und den Kopf des Schwälbchens hinweg. Auch über Mutter Löwenzahn und ihre Kinder fliegt sie hinüber und ruft hinunter: "Hallo Löwenzahnkinder. Wie ich höre, geht bald die große Reise los. Eure Mutter ist darüber etwas traurig. Das kann ich verstehen. Ich wäre auch betrübt, wenn ich nichts mehr von meinen Kindern hören würde. Deshalb habe ich eine Idee. Wenn Ihr mich unterwegs irgendwann einmal trefft, dann gebt mir doch schöne Grüße für Eure Mutter mit auf den Weg. Ich komme jedes Jahr wieder hierher. Dort um die Hausecke herum ist ein Eingang. Da haben mein Mann und ich unser Nest gebaut. Das beziehen wir jedes Jahr wieder. Also merkt Euch gut. Ich bin Frau Schwalbe und richte Eurer Löwenzahnmutter gern Grüße von Euch aus. Jetzt muß ich aber los, mein Mann und meine drei anderen Vogelkinder werden schon auf mich und den kleinen Schwalbenbruder warten. Tschüß!"

Frau Schwalbe fliegt höher hinauf. Da schafft es auch der Kleine, sich wieder in die Luft zu heben. Mutter Löwenzahn freut sich über den Vorschlag der Schwalbe und wird sicher nicht vergessen, ihre Kinder noch einmal daran zu erinnern, wenn sie losfliegen. Doch jetzt ist es erst einmal Zeit für einen Gute-Nacht-Gruß!

Erstveröffentlichung im Jahr 2000

28. Mai 2009

Gute Nacht