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GUTE-NACHT/2671: Nachtflug (SB)


Nachtflug

"Ich habe Hunger", sagt die Eule zum Glühwürmchen, das sich gleich weiter in seine hintere Ecke hinein verzieht. Die Eule hat das sofort bemerkt. "Dich kleinen Kerl werde ich bestimmt nicht verspeisen, wo du doch meine Lichtquelle bist." - "Aber was ist, wenn ich nicht mehr leuchten kann?", fragt das Glühwürmchen. "Du bist ein viel zu kleiner Happen", entgegnet die Eule, "davon werde ich nimmer satt, eher hungriger." Doch dieser Ausspruch beruhigt das Glühwürmchen nicht wirklich. Schließlich weiß es, daß Eulen Mäuse und sogar noch größere Tiere fressen, warum dann nicht auch kleinere, nur mal so als Vorspeise.

Hörbar knurrt der Eule der Magen. Da überlegt sie, was sie denn nun mal fressen könnte. An Mäusekindern mag sie sich nicht vergreifen, und die Mäuseeltern werden schließlich gebraucht. Aber auch die anderen Tiere wollen leben. Was also kann die Eule fressen?

"Ich werde mal meinen Rundflug starten", entschließt sich die Eule und bietet dem Glühwürmchen an, "du kannst mitkommen, um mir vielleicht zu leuchten, wenn es nötig wird. Setz dich nur auf meinen Rücken, dann brauchst du nicht die ganze Zeit selber zu fliegen."

Das Glühwürmchen überlegt, ob dies eine gute Gelegenheit zum Verschwinden ist. Doch wo soll es hin? Die anderen seiner Art sind längst auf und davon. Wo soll das Glühwürchen da anfangen zu suchen? "Ich werde eben so lange bei der Eule bleiben, bis ein anderes Glühwürmchen auftaucht. Dann kann ich es gleich warnen und mit ihm zusammen davonfliegen", denkt das Glühwürmchen bei sich.

Der gemeinsame Flug geht los. Nichts ist zu entdecken, was den Hunger der Eule stillen könnte. Dann aber steigt ein Geruch in die Flughöhe hinauf, der die Eule hinunter lockt. Der Geruch kommt von einem Gehöft herauf. Die Eule sucht, von wo genau der Geruch aufsteigt. Da entdeckt sie einen steinernen Topf. "Was ist denn das für ein Fressen?" grübelt die Eule, "da bewegt sich ja gar nichts. Glühwürmchen walte jetzt deines Amtes und leuchte mir in den Topf!"

Fleischklumpen erkennt die Eule nun, die einen besonders herzhaften Geruch abgeben. Die Eule nimmt sich einen Klumpen und befindet ihn für gut. Gleich wird der zweite und der dritte Fleischbrocken verschlungen. Da aber erschallen Rufe, die näher kommen. Der Eule ist sofort klar, daß es Zeit wird, zu verschwinden. Noch schnell einen letzten Fleischhappen zwischen die Krallen genommen und auf in die Nacht." Vom Hof her wird ein Schimpfen laut: "Wer stibitzt denn da dem Hund seinen Pansen! Das ist doch äußerst gemein!"

Von weit oben aus den Lüften entgegnet die Eule: "Wäre es den werten Herrschaften lieber, ich verspeißte ihren Hund?" Doch das hören die Bauersleute nicht. Aber das winzige Glühwürmchen hat die Frage vernommen, die wohl nur bestätigt, daß sich das Glühwürmchen bald aus dem Staub, nunja dem Gefieder der Eule verziehen sollte.

Die Eule hingegen ahnt von den Plänen des Glühwürmchen nichts. Schließlich ist sie ja kein Untier und tut nicht einmal mehr einer Fliege etwas zu Leide. Seit sie einmal eine riesige Spinne lebendig verschlungen hat und diese ihr dann wieder den Schlund hinaufgeklettert war, ist ihr der Appetit auf lebendiges Futter vergangen.

30. Juni 2008

Gute Nacht