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GUTE-NACHT/2651: Ein Pfennig auf Reisen - Zu müde (SB)


Ein Pfennig auf Reisen

Mit frisch geputzten Zähnen liegt Emma in ihrem Bett und nimmt den abendlichen Gute-Nacht-Kuß entgegen. Mit den nun wie jeden Abend folgenden Wünschen für schöne Träume verläßt Mutter das Zimmer und schließt die Tür.

Wenn Emma jetzt keine Geräusche mehr verursacht, kommt Mutter erst am nächsten Morgen wieder, um sie zu wecken. Zwar sagt Mutter stets, sie würde nachts immer noch einmal nach Emma schauen, doch Emma weiß es besser. In letzter Zeit, seit Mutter wieder arbeiten geht, ist sie am Abend stets so müde, daß sie oft in ihrer Tageskleidung auf dem Sofa im Wohnzimmer einschläft. Manchmal schaltet Emma sogar morgens noch den Fernseher aus. Schade, daß Mutter jetzt immer so müde ist. Nicht einmal mehr eine Gute-Nacht-Geschichte liest sie ihr vor. Wenn doch, dann schläft sie schon nach der dritten Zeile ein. Deshalb möchte Emma nun gar keine Geschichte mehr hören. "Ich bin doch schon viel zu groß dafür", hat sie ihrer Mutter gesagt. Im Grunde aber möchte sie gern Geschichten hören und auch nicht auf die lustigen Späße von Mutter verzichten, so wie sie sie früher immer vorgetragen hat.

Nunja, jetzt erzählt sich Emma, die lieber Eulalia heißen möchte, weil sie dann von ihren Freunden Eule gerufen werden könnte, selber Gute-Nacht-Geschichten. Ihre Bettdecke streicht sie glatt. Dann faßt sie unter ihr Kopfkissen und holt all die Dinge hervor, die sie am Nachmittag in ihrer Hosentasche verstaut hat. Sie fragt den goldenen Knopf, woher er stammt und wie er in das hohe Gras gelangt ist. "Du hieltest bestimmt das schönste Kleid einer Prinzessin zusammen und da sie zwar schön, aber ganz gemein war und stets alle Leute um sich herum anmeckerte, bist du auf und davon. So war es doch, oder?" Der Knopf kann nicht antworten. Denn seine Worte würde Emma nicht verstehen. Außerdem weiß er besser, wohin er gehört hat und beginnt an alte Zeiten zu denken.

Jetzt ergreift Emma das zerknüllte Taschentuch und putzt sich die Nase, wobei der Popel wieder zum Vorschein kommt. Das Taschentuch knüllt Emma zusammen und steckt es unter das Kopfkissen. Es kann ja sein, daß sie das Taschentuch noch einmal gebrauchen kann.

Nun ergreift Emma das winzige Fingerskateboard und setzt die kleine Figur darauf. Damit fährt sie einige Runden über die Bettdecke. Anschließend nimmt Emma den Pfennig in die Hand und putzt ihn. "Du kommst etwas spät zu mir", sagt sie, "aber da ich dich nicht ausgeben kann, kannst du immer bei mir bleiben. Du bist bei mir sozusagen in Rente." Bei diesen Worten, denkt Emma an ihre Oma, die auch schon in Rente ist und viel freie Zeit hat. Leider wohnt sie sehr weit weg. Emma kann sie nur in den Ferien besuchen. Wenn ihre Oma hier bei ihnen wohnen könnte, dann läse sie Emma sicher jeden Abend eine lange, lange Gute-Nacht-Geschichte vor.

Mit diesen Gedanken schläft Emma, Eulalia, Eule ein.


Erstveröffentlichung am 26. September 2003

7. Juni 2008

Gute Nacht