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GUTE-NACHT/2637: Ein Pfennig auf Reisen - Im Land der Puppen (SB)


Ein Pfennig auf Reisen

Auf der Treppe genau gegenüber dem Versteck des kleinen Pfennigs sitzt das Mädchen aus dem ersten Stock. Die Puppe auf dem Schoß spielt es schon seit einer halben Stunde hier. Das Mädchen erzählt Lissy, so heißt ihre Puppe, alles was sie bedrückt. Die Mutter hat sie beide aus der Wohnung geworfen und nun weiß sie nicht wohin. Sollen sie sich auf den Weg begeben, den Vater von Rosa, so heißt das Mädchen, zu suchen? Oder sollen sie hier warten und Mutter bitten, es sich doch noch einmal anders zu überlegen.

Lissy hat da eine andere Idee. Sie erzählt von dem Land der Puppen. Dahin hat Lissy schon immer einmal gewollt. Doch nie hat sie jemand dort hingetragen. Für Menschen gibt es keinen Einlaß, außer wenn sie einer Puppe geholfen haben, indem sie die Puppe eigenhändig in dieses Land hineintragen.

Eine Weile überlegen Rosa und Lissy noch hin und her, was denn nun das Beste für sie ist. Da bekommt Rosa Hunger und meint, sie bräuchten noch beide Proviant. Lissy findet es keine gute Idee, wenn Rosa nun noch einmal in die Wohnung zurückläuft. Außerdem benötigt im Land der Puppen selbst Rosa nichts mehr zu essen. "Bis dahin wirst du schon nicht verhungern", meldet sich Lissy, "der Weg ins Puppenland ist ja nicht weit. Wir brauchen nur zur Haustür hinaus und dann immer geradeaus."

Rosa findet es unheimlich, ins Land der Puppen zu reisen. Besonders weil sie weiß, daß dort auch alle verlorengegangenen Puppen landen. Rosa hatte einmal eine Puppe, die hieß Olga. Rosa war nicht immer nett zu ihr. Im Land der Puppen wird sie ihrer alten Puppe sicher begegnen. Was Olga ihr dann alles sagen wird, möchte Rosa lieber nicht wissen.

Der kleine Pfennig hört aus seinem Versteck gespannt zu und ist schon drauf und dran, sich den beiden zu erkennen zu geben. Doch da geht plötzlich eine der beiden Wohnungstüren im ersten Stock auf und eine junge Frau tritt vor die Tür. "Da steckst du!" ruft sie aus, "ich habe dich schon in der ganzen Wohnung gesucht!" Schnell kommt sie die Treppe heruntergelaufen und nimmt das Mädchen und ihre Puppe in die Arme. "Du sollst doch nicht hier im Treppenhaus allein herumsitzen. Wer weiß, wer hier alles herumlungert!" "Aber ich bin doch nicht allein", protestiert Rosa, "Lissy ist doch bei mir." Froh die Kleine wieder zu haben, nimmt die Frau ihre Tochter auf den Arm und trägt sie zur Wohnung zurück. "Jetzt geht es aber ab in die Badewanne und dann ins Bett." - "Liest du mir noch eine Geschichte vor?" fragt Rosa. "Ja, aber danach wird geschlafen!"

Der kleine Pfennig ist ganz verwirrt, hatte er doch die ganze Geschichte, die das Mädchen und ihre Puppe erzählt haben als bare Münze genommen. "So kann man in die Irre geführt werden", denkt der Pfennig und ist ein bißchen beleidigt.


Erstveröffentlichung am 10. September 2003

24. Mai 2008

Gute Nacht