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GUTE-NACHT/2616: Felix als Matrose (SB)


Wenn der Tiger eine Reise macht

Uhuu, war mir schlecht. Das kam von dem mächtig schwankenden Schiff. Luisa schien es auch nicht besser zu gehen. Wie lasche Matrosen lagen wir in unserer Hängematte und wiegten uns hin und her, gerade so wie uns das Schiff von einer Seite auf die andere warf. Oh, war mir elend. Ich mußte wohl seekrank geworden sein. Am liebsten wäre ich an die frische Luft getrottet. Doch ich ahnte, daß es mir da oben noch schlechter ergehen würde. So blieb ich hier. Luisa hatte schon zweimal gekotzt. Zum Glück nahm sie mich immer mit in ihre Hängematte und legte mich nicht darunter, sonst wäre ein wochenlanges Bad im Meer wohl von Nöten gewesen. Aber sie hatte mich verschont, und jetzt war nichts mehr in ihrem Bauch drin.

Essen mochte sie aber nichts. Schon gar nichts von dem alten, harten Brot, das da in einem Netz am Haken hing. Das lag daran, daß Luisa öfters beobachtet hatte, wie die Matrosen jedesmal wenn sie sich ein Brotstück aus dem Netz herausholten, das Brot erst gegen einen Pfosten klopften, bevor sie es aßen. So tat sie es ihnen gleich. Sie sagte mir: "Bestimmt beruhigen wir so die Geister des Schiffes, vielleicht sogar der Meere. Wenn wir ihnen etwas abgeben, beruhigen wir sie, und sie tun uns nichts." Das war zwar eine schöne Erklärung, aber der Matrose, der Luisa zusah, wie sie nun ebenfalls ihr Brot an den Pfosten klopfte, meinte: "Ganz richtig, mein Dirn, Brot mit Beilage wollen wir nicht." Luisa wunderte sich und ich mich nicht minder. Was für eine Beilage? Luisa betrachtete sich ihr Brot genau, konnte aber nichts feststellen. Sie nahm sich ein neues Brot und klopfte es diesmal auf den Tisch. Oh Mann, da kamen lauter winzige, schwarze Käfer aus dem Brot. Seitdem holte sich Luisa nichts mehr aus dem Brotsack, aß lieber das schale Sauerkraut aus dem Faß in der Küche. Doch mir machte ja so ein Brot mit Käferbeilage nichts aus. Wenn unser Schiff nur nicht so doll geschwankt hätte. Mir war davon schlecht und ich versuchte zu schlafen.

Plötzlich schreckte ich hoch. Der Kapitän war in unsere Kajüte gekommen und rief: "Alle Mann an Deck! Marzipanberge in Sicht!" Marzipanberge? Hatte ich richtig gehört? Luisa gähnte und sprang aus der Hängematte - aber nicht ohne mich. Sie klemmte mich unter ihren Arm und stieg die steile Treppe hinauf an Deck. Alle Matrosen, die es geschafft hatten, hoch zu kommen, starrten in die Richtung, die der Kapitän wies. Ganz dicht in der Nähe erblickte ich weiße Berge. Das Schiff fuhr auf sie zu. Das Meer hatte sich etwas beruhigt. So konnte ein kleines Beiboot ausgesetzt werden, das auf die weißen Berge zusteuerte. Nach einer Weile kehrte es wieder um. Der Matrose reichte etwas nach oben. Einen riesigen Klotz. Inzwischen hatte sich das Meer völlig beruhigt. Der Kapitän brach sich ein Stück von dem Klotz ab und steckte es in den Mund.

Überrascht sagte er: "Das ist das beste Marzipan, das ich je gekostet habe." Alle Matrosen wollten nun etwas abbekommen. Es stieg ein Fest. Die Matrosen futterten den ganzen Klotz auf und konnten nicht genug bekommen. So fuhr noch einmal ein kleines Boot zum Berg hinüber. Diesmal brachte der Matrose eine noch größere Menge mit. In kurzer Zeit war auch dieses Marzipan verputzt. Trotz meiner Seekrankheit, machte ich es Luisa nach und kostete ebenfalls von dem zweiten Klotz. Es schmeckte so gut, daß ich mir genau wie die anderen den Bauch vollschlug. Das rächte sich. Mir war so schlecht wie nie zuvor...

Mit meiner Tatze griff ich nun um mich. "Wo bist du Luisa?" fragte ich. Dann öffnete ich ein Auge, nur einen Spalt, dann ganz. Nun das zweite Auge, damit ich besser sehen konnte. Doch hier war keine Hängematte, keine Kajüte, kein Schiff und keine Luisa. Hier lag ich noch immer auf dem Beifahrersitz im Auto. Meine Erinnerungen kehrten zurück. Luisa war doch zuhause und ich in Lübeck. Die Marzipanberge waren nur ein Traum gewesen. Irgendwie schade und auch wieder nicht, denn sonst hätte ich mich voll überfuttert an diesem guten Marzipan.

Vater Gustav fiel mir wieder ein. Er war von seinem Termin noch nicht zurück. So schloß ich erneut die Augen und schlief wieder ein. Hoffentlich kehrte ich nicht wieder zu dem Marzipanberg zurück. Von denen hatte ich genug.


Erstveröffentlichung am 17. Oktober 2001

28. April 2008

Gute Nacht