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GUTE-NACHT/2566: Der Brief für das Häuschen am Hang (SB)


Der Brief für das Häuschen am Hang

Gähnend erwacht die Schläferin in ihrem Bett. Was noch immer müde? Den ganzen Tag hat sie geschlafen. Jetzt geht bereits die Sonne unter. Während bald die ersten Kinder wieder ins Bett geschickt werden, auch wenn sie noch gar nicht müde sind. Hedda, nennen wir die Schläferin mal so, zieht sich ihren Bademantel über und schlurft hinüber in die Küche. Hier holt sie sich Milch aus dem Kühlschrank und trinkt gleich aus der Flasche. Dann rülpst sie. Noch ein Gähnen, dann steigt sie hinab in den Keller, dorthin wo das Badezimmer ist.

Hedda fühlt sich noch immer müde. Auch das kalte Wasser, das sie sich ins Gesicht spritzt, kann nicht helfen. Noch immer ist sie müde und möchte am liebsten gleich wieder im Bett verschwinden. "Hab ich das nicht auch verdient?" fragt sie sich bei einem Blick in den Spiegel.

Nachdem sie am gestrigen Abend durch das Telefon geweckt wurde, fühlte sie sich nach einer Weile richtig tatendurstig. Der Anrufer hatte sich verwählt. Etwas ärgerlich kuschelte sich Hedda wieder unter die Decke und wollte weiterschlafen. Doch es gelang ihr nicht. Sie schaute auf die Uhr und nach einer Zeit, die ihr wie eine Stunde vorkam, blickte sie erneut zu den Zeigern hin. Konnte das sein? Waren seit eben erst fünf Minuten vergangen? Nach den nächsten acht Minuten blickte Hedda ein weiteres Mal zur Uhr. Noch immer konnte sie nicht wieder einschlafen. Das Ticken der Uhr nervte ebenfalls.

Plötzlich hatte Hedda eine Idee. Sie kletterte aus dem Bett und holte sich einen Stapel Zeitschriften und eine Schere. Unter dem Vorwand, doch noch müde zu werden, blätterte sie die Zeitschriften durch, schnippelte mal hier ein bißchen und dort einige Dinge heraus. Als Hedda dann alle Zeitschriften durchgesehen und wieder beiseite gelegt hatte, stellte sie fest, daß es hauptsächlich Uhren waren, die sie ausgeschnippelt hatte.

Erneut stieg Hedda aus dem Bett und holte sich eine Holzplatte, auf der sie arbeiten konnte und außerdem ein Blatt Papier und Klebstoff. Die Fotos waren nur grob ausgeschnitten, einfache Vierecke. Jetzt rückte Hedda jedem Foto mit der Schere auf die Pelle. Die Uhren wurden freigestellt, was bedeutete, daß alles, was nicht zu den Uhren zählte, vom Foto abgeschnitten wurde. Diese Uhren oder auch nur Zeiger und andere Ausschnitte klebte Hedda auf das Papier. Sie gab sich alle Mühe eine eindrucksvolle Collage zu erschaffen. Die Uhren bedeuteten Zeit. Was ist Zeit? Wieviel hat jeder Mensch zur Verfügung? Oder verrinnt sie wirklich wie der Sand in der Eieruhr beim Eierkochen?

Hedda schnippelte und klebte, überlegte, was es mit der Zeit wirklich auf sich hat und stellte fest, indem sie sich an viele Erlebnisse erinnerte, wie unterschiedlich Zeit doch verläuft. Als Mutter damals im Krankenhaus war und ein Baby erwartete. Da verging die Zeit unendlich langsam. Es war als wollte die Nacht gar nicht dem nächsten Morgen Platz machen. Vater hatte versprochen, daß Mutter am folgenden Tag wieder nach Hause kommen und dann das neue Geschwisterchen mitbringen würde. Hedda war gespannt auf das Schwester- oder Brüderchen. Am nächsten Tag kam Mutter endlich heim und hatte diesen Winzling dabei. Wie enttäuscht war Hedda damals, als das Baby nicht einmal lächelte und sie auch nicht ansah. Das Baby hatte eine ganz schrumpelige Haut und eine Beule auf dem Kopf. Es war nicht schön. Wie sollte Hedda das ihren Freundinnen beibringen. Keiner von denen hatte so einen häßlichen Zwerg als Schwester oder Bruder zuhause. Hedda lief in ihr Zimmer und schloß sich ein. Mit diesem Zwerg wollte sie nichts zu tun haben. Obwohl aus diesem Zwerg später ein wunderschönes Schneewittchen wurde, hielt Hedda für ihre Schwester an dem Namen Zwerg fest.

Wieder gähnt Hedda und steigt die Kellertreppe zum Parterre hoch. Noch schnell ein trockenes Brot aus der Küche geholt - was anderes ist nicht mehr da. Zielstrebig wendet Hedda sich nun in Richtung Schlafzimmer, da fällt ihr Blick auf den Brief am Boden vor der Eingangstür. Dieser Brief ist wohl heute durch den Schlitz in der Tür eingeworfen worden. "Soll ich ihn bis morgen da liegenlassen oder mich noch schnell bücken und ihn aufheben?" fragt sich Hedda. Da der Brief nicht wie ein amtliches Schreiben aussieht, sondern in einem bunten Umschlag steckt, ist die Neugier geweckt.

Hedda nimmt den Brief hoch und kuschelt sich in ihr Bett. Jetzt schaut sie auf den Absender. Außer ihrer eigenen Anschrift ist keine weitere Adresse zu entdecken. Konnte es sein, daß dieser Brief von ihrem Zwerg kam? Die Schere vom Uhrenausschneiden liegt noch auf dem Nachttisch. Hedda öffnet den Brief und liest. Dann überlegt sie. Konnte es wahr sein, was da in dem Brief steht? Oder probte ihre Schwester gerade einen Zwergenaustand? Hedda steckt ihren Kopf unter die Decke und will erst einmal über diese wunderlichen Neuigkeiten schlafen.

28. Februar 2008

Gute Nacht