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ADVENT - ERZÄHLT/006: Baumretter - vor lauter Wald ... (SB)



Langsam stapfte Timbo Pfote um Pfote weiter weg vom Ufer. "Bloß weg hier", dachte er, und dann rannte er los. Doch da hörte er hinter sich jemanden rufen: "Hey, bleib doch stehen. Komm wieder zurück!" Die Stimme klang so sanft und gutmütig, dass er tatsächlich stehen blieb und sich umdrehte. "Du bist bestimmt der kleine, mutige Hund, der den Regenwald retten will, stimmt 's?"

"Na ja, ich glaube schon ..." Timbo kam sich gar nicht besonders mutig vor. Aber das sagte er dem großen Kopf nicht, sondern fragte: "Und wer bist du? Ich habe noch nie so einen riesigen Kopf im Wasser schwimmen sehen."

Nun begannen die schwarzen Augen zu funkeln und ein lautes Lachen ertönte. Wild sprudelte das Wasser und der Kopf schoss hoch und immer höher. Vor Timbo erschien eine Schlange - die Seeschlange!

Er musste ganz schön weit nach oben schauen, sie war wirklich sehr lang. Aber schon nach wenigen Augenblicken schlängelte sie sich wieder unters Wasser. Nur ihr Kopf blieb draußen. Immer noch funkelten die schwarzen Augen ihn an. Timbo war gar nicht wohl zumute. "Vielleicht ist sie jetzt böse, weil ich sie doch etwas gefragt habe", überlegte er, "aber woher sollte ich denn wissen, dass der Kopf die Seeschlange ist!" Timbo war sauer und beschloss lieber erst mal gar nichts mehr zu sagen.

Die riesige Seeschlange schlängelt sich in die Höhe, der kleine Hund staunt - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Langsam näherte sich der Schlangenkopf dem Ufer. "Ganz ruhig, kleiner Hund, hab keine Angst. Ich werde dir bestimmt nichts tun, ich will dir doch helfen, den Weg zum Regenwald zu finden. Möchtest du, dass ich dir helfe?", erkundigte sich die Seeschlange freundlich.

"Oh ja, das wäre toll!" Beinahe hätte er sie gefragt, wie weit es noch bis zum Regenwald war, wie lange es noch dauern würde, bis er dort ankam und ob er den ganzen Weg laufen musste. Aber er schluckte all die Fragen hinunter und hielt lieber sein Maul.

"Komm bis ans Ufer, ganz nah, dann schwimme ich zu dir hin und du kletterst auf meinen Rücken und hältst dich an meinen Flügeln fest, ja?", wies Jette ihn an. Timbo nickte und hatte schon einen Schritt in Richtung Ufer getan, als er plötzlich erschrak: "Flügel, eine Schlange mit Flügeln? - Hoffentlich geht das gut." Tapfer schritt er vorwärts auf Ufer und Schlange zu. Es dauerte nicht lange, bis er ihren Rücken sehen konnte - einen sehr langen Rücken - aber wo waren die Flügel? Timbo wurde ganz unruhig. Am liebsten hätte er laut gebrüllt: "Wo sind denn deine Flügel?" aber das traute er sich nicht. Also beschloss er, einfach auf den Schlangenrücken zu springen und sich irgendwie festzuhalten. Seine Pfoten platschten ins Wasser und er versuchte gerade, den Seeschlangenkörper so gut es ging mit allen Vieren zu umarmen, als Jette plötzlich und ohne Warnung hinab ins tiefe Wasser tauchte. Er hatte noch nicht einmal Zeit, sich zu erschrecken - schwupp, waren sie wieder an der Wasseroberfläche, und einen Moment später breitete Jette ihre Flügel aus, die sich genau unter Timbos Vorderpfoten befanden, und flog Richtung Himmel. "Gut festhalten!", rief sie fröhlich. Das hätte sie nun wirklich nicht zu sagen brauchen. Timbo klammerte sich eng und mit zugekniffenen Augen an ihren Schlangenkörper.

Die Seeschlange fliegt über dem Regenwald, der kleine Hund klammert sich fest an ihren Körper - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

"Kannst du bitte nicht so hoch fliegen?", bat er mit zittriger Stimme, "mir ist ganz schwummrig zumute, ich glaube mir ist schwindelig."

"Fliegen, wieso fliegen? Mach lieber deine Augen auf und sieh dich mal um", erwiderte sein wunderliches Reittier munter.

Vorsichtig befolgte er ihren Rat. "Das kann doch gar nicht wahr sein! Wo sind wir? Das verstehe ich überhaupt nicht. Hey, Seeschlange, äh, Jette, sag mal, wo sind wir denn eigentlich? Das ist ja gar nicht das Ufer, von dem wir losgeflogen sind", rief Timbo aufgeregt, "wie sind wir bloß hierher gekommen? Wie hast du das gemacht?"

"Ganz schön viele Fragen, findest du nicht?", stoppte ihn die Seeschlange. "Oh je", dachte Timbo, "diesmal ist sie aber bestimmt wütend, weil ich sie so viel gefragt habe."

Aber Jette war nicht böse, im Gegenteil, sie amüsierte sich köstlich, weil die Überraschung total geglückt und es ihr gelungen war, den kleinen Hund zu verwirren. Timbo hingegen fand das nicht komisch. "Erst darf ich sie nichts fragen und dann, wenn ich es trotzdem tue, lacht sie sich kaputt - echt blöde!"

Die Seeschlange gluckste vergnügt vor sich hin, bis sie schließlich wieder ernst geworden war und sprach:

"So, Timbo, ich bringe dich jetzt noch bis zum Ufer, und dort kannst du wieder an Land gehen. Um deine Fragen zu beantworten, wir sind im Regenwald und ich habe dich auf meine Weise dorthin gebracht. Nenne es ruhig fliegen. Doch leider kann ich dir von jetzt ab nicht mehr helfen. Nun musst du allein sehen, wie du den Wald retten willst."

"Kannst du nicht bitte hier auf mich warten?", bettelte der kleine Hund. "Nein, tut mir leid, das geht nicht - aber ich komme wieder, versprochen." Timbo wünschte sich so sehr einen Gefährten. Wie sollte er sich so ganz allein hier zurechtfinden? Also versuchte er es noch einmal: "Bitte, Jette, bleib doch hier. Ich kenne hier doch gar niemanden."

"Es geht wirklich nicht, kleiner Hund. Aber ich passe die ganze Zeit auf dich auf, auch wenn du mich nicht sehen und hören kannst." Dabei leuchteten und glänzten ihre schwarzen Augen. "Danke", bellte Timbo leise und bewegte sich ganz langsam auf den riesigen Wald zu. "Hallo Wald, wie geht's so?", versuchte er einen Gruß und stapfte in das mächtige Grün hinein.

Timbo steht vor dem riesigen, dunklen Wald und grüßt ihn freundlich mit angehobener Vorderpfote - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Schon nach wenigen Augenblicken wurde es immer dunkler. Er schaute nach oben und suchte den Himmel. Was? Nichts da? Kein Himmel? Nur Blätter breiteten sich wie ein riesiges Dach über ihm aus - große, ganz ganz große und winzig kleine Blätter. Zu seinen Füßen wuchsen Gräser und viele verschiedene Pflanzen so dicht nebeneinander, dass er den Erdboden gar nicht entdecken konnte. Ganz vorsichtig setzte Timbo eine Pfote vor die nächste und tapste zögerlich voran. Er wunderte sich über den gewaltigen Lärm hier im Wald. Ihm war als würden die Vögel hier um die Wette kreischen oder beinahe brüllen. Das war kein leises Zwitschern wie er es von daheim in seinem Garten gewohnt war. Auch andere Stimmen hörte er. Doch er kannte weder die Laute noch die Tiere, die sie ausstießen. Timbo hoffte nur, dass keines dieser Tiere ihm Böses wollte. Ihm war nicht wohl, denn alles war so fremd um ihn herum. Außerdem wusste er immer noch nicht, wohin er eigentlich gehen sollte.

Als er schon ziemlich lange gelaufen war und der Wald immer noch gleich aussah, beschloss Timbo, sich ein Plätzchen zum Ausruhen zu suchen. Wo aber ruhte man sich hier denn aus? "Irgendwo muss es doch ein kleines Fleckchen ohne dieses viele Kraut geben!" Kaum hatte er das gedacht, da entdeckte er eine Stelle, an der saftiges, grünes Gras wuchs, beinahe so wie in seinem Garten zu Hause. Dort wollte er sich hinlegen. Er schnüffelte den ausgewählten Platz kurz ab und machte es sich gemütlich. Einschlafen konnte er aber nicht, dazu war es hier viel zu laut.

Fortsetzung folgt ...

12. Dezember


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