Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

ABENTEUER/007: Ferienende, der Himmel weint. Niederschläge (SB)

Leuchtturm, © 2010 by Schattenblick

Ferienende, der Himmel weint

Mit Anhang: Niederschläge


So einen Regen hatten die drei noch nie erlebt. Seit Stunden schüttete es wie aus Eimern. "Das Zelt ist undicht", weinte Kerstin. "Oh Mann, und wenn du nicht gleich zu heulen aufhörst, dann produzierst du hier deshalb eine Überschwemmung", grummelte Malte noch halb verträumt in seinem Schlafsack. "Es regnet aber rein", erwiderte Kerstin. "Na ja, du wirst irgendwie gegen die Plane gekommen sein, so ...", Malte hielt einen Finger gegen die Zeltwand und ein feines Rinnsal rann von dort hinab.

Ole kämpfte sich aus seinem Schlafsack und schlüpfte in die Regenklamotten, die wegen seines "Frühdienstes" schon parat lagen. "Ich geh' lieber mal nachsehen, vielleicht ist ja die Leinwandimprägnierung von den vielen harten Tropfen aufgeweicht", meinte er wichtig, "mir ist das nicht geheuer, es regnet schon so lange." Er nahm die Stablampe, ratschte den Reißverschluß hoch und stieg vorsichtig durch den Spalt. Doch kaum war er ganz draußen, als er jäh wieder rückwärts durch den Zelteingang plumpste und trotz der schützenden Luftmatratze empfindlich mit dem Steiß auf den Boden aufkam. "Hei-, heiliger Klabauter", stammelte er, und der Kiefer in seinem blassen Gesicht klapperte hörbar, "dadadda geheht ... einer um, ein Gespenst."

Im Schein des Leuchtfeuers zeichnete sich nun ein riesiger, unheimlicher, dunkler Schatten auf der Zeltwand ab, der offensichtlich einen langen Mantel und einen Südwester trug. "Heiliger Klabauter", wiederholte nun auch Malte.

"Iiiiii...", schrie Kerstin panisch und plötzlich schrumpfte der Schatten zusammen und ein regennasses, finsteres Gesicht erschien in der Zeltöffnung. "Ach, Opa, du?!", meinte Ole beinahe enttäuscht, "mußt du uns zu so später Stunde einen solchen Schreck einjagen?" - "Tja, Kinder, das hilft wohl alles nix, wir müssen das Zelt abbrechen, bevor ihr mir hier wegschwimmt. Lange hält der aufgeweichte Boden nämlich die Heringe nicht mehr und dann bricht das Zelt nachher noch über euch zusammen. Außerdem habe ich gerade ein Fax von euren Eltern erhalten. Sie kommen früher von der Geschäftsreise zurück und wollen den Rest der Ferien mit euch zusammen verbringen. Das ist doch schön, nicht? Wir müssen also ohnehin euer Lager aufheben, da können wir es ruhig schon heute Nacht tun." - "Ach Opa, wo wir uns doch gerade alle so gut eingelebt haben", schmollte Malte. "Und wer soll dann morgens die Daten aus der Wetterstation holen? Und überhaupt, wir haben noch keinen Wetterballon gestartet, wie du uns versprochen hast", trumpfte Ole auf. "Und du hast uns auch noch nicht die Geschichte von deinem Freund Eteo Ro zu Ende erzählt", maulte Kerstin dazwischen. "Das können wir doch alles verschieben, wenn ihr mich im nächsten Jahr wieder besuchen kommt. Oder habt ihr dazu keine Lust?" - "Opa, was für eine Frage, wir kommen auf jeden Fall wieder, ob du nun willst oder nicht!!!", war die dreistimmig-einstimmige Antwort.

"Na denn jetzt mal in die Klamotten und ab mit euch in den Leuchtturm, ehe euch die nächste Regenboe ins offene Meer spült." Das war natürlich ein Scherz, denn soviel hatte es doch noch nicht geregnet. "Wenn ihr euch beeilt, können wir vielleicht noch zusammen einen Kakao trinken." Inzwischen waren alle drei Kinder angezogen und packten im Eiltempo ihre Rucksäcke und Schlafsäcke zusammen. Auch das Zelt wurde naß abgebaut, und dann schleppten sie das inzwischen regenschwere Gepäck zum Leuchtturm. Dort oben versammelten sich alle in der gemütlichen Küche, während die schwarze Nacht weiter ihren nassen Segen über ihnen ausgoß. Die Tropfen trommelten gegen den Leuchtturm und an die Luke der Kombüse, daß sie sich wie in einer riesigen Blechdose vorkamen. Aber es war warm und gemütlich, und Opas Kakao duftete verlockend. "Wenn ihr zuhause seid, dürft ihr nicht vergessen, das nasse Zelt noch einmal gut zu trocknen, sonst werdet ihr im nächsten Jahr euer blauschimmeliges Wunder erleben."

"Komische Sache, das mit dem Regen", meinte Ole. "Naja, du hättest es eigentlich wissen müssen", erwiderte Opa. "Schließlich waren die Luftfeuchtigkeitsdaten in letzter Zeit ganz schön hoch." - "Dabei habe ich immer auf Regen gewartet, damit ich mal mit meinem eigenen Niederschlagsmeßgerät die Regenmenge ausrechnen kann, die hier fällt." - "Ach du lieber Herr Professor", mischte sich Malte ein, "meinst du etwa das alte Marmeladenglas, das du neulich an den Stock auf der Wiese gebunden hast? Bei dem Regen ist es sicher schon übergelaufen."

Raute

Für den unbedarften Leser sei hier nebenbei bemerkt, daß sich als Niederschlagsmeßgerät grundsätzlich jedes zylindrische Gefäß, also auch ein simples Marmeladenglas, wunderbar eignet. Darin kann man nämlich die Niederschlagsmenge direkt mit einem Lineal ablesen, da man davon ausgeht, daß in der unmittelbaren Umgebung überall gleichviel Niederschlag herunterkommt: Der Stand von 1mm entspricht 1 Liter Niederschlag pro Quadratmeter Fläche.

Verdunstungsverluste, die immer auftreten können, kann man durch das Aufsetzen eines Trichters verringern, der aber oben denselben Querschnitt (also die gleiche Oberfläche) haben muß wie das zylindrische Sammelgefäß. Man sollte den Trichter so tief wie möglich in das Gefäß drücken, damit die auf die Trichteroberfläche auftreffenden Tropfen nicht wieder herausspringen. Außerdem sollte man den Standort auf einer freien, aber dennoch windgeschützten Fläche wählen und mindestens so weit von Hindernissen entfernt, wie diese hoch sind. Das Gefäß selbst sollte etwa ein Meter über der Erde angebracht werden, deshalb ist ein Pfahl günstig.

Raute

"Na, das könnt ihr euch morgen noch ansehen, bevor ich euch mit dem Landrover zum Bahnhof bringe", meinte Opa. "Aber den Wetterballon wollte ich so gerne mal sehen", quengelte Kerstin. "Wetterballons kann man aber nicht bei Regen steigen lassen", erklärte Opa ihr jetzt. "Nur bei schönem, klaren Wetter läßt man sie hochgehen. Ach ja, das erinnert mich überhaupt wieder an eine Geschichte, wo uns das Regenwetter auch einen ganz schönen Strich durch die Rechnung gemacht hat." - "Ach Opi, bitte, bitte erzähl sie uns doch", bat Kerstin. "Na, erstmal will ich in Ruhe meinen Kakao trinken", erwiderte Opa und setzte sich zu den Dreien an den Küchentisch. Der Kakao war noch zu heiß, und so stopfte sich Opa zunächst seine Pfeife.

"Opa, woher kommt der Regen eigentlich", fragte Ole in die Stille hinein, weil er es wieder mal nicht abwarten konnte, denn die Wissenschaft war für ihn doch immer noch viel interessanter als die unglaublichen und erstaunlichen Geschichten des Klimatikers. "Oh, nein", dachte Malte. "Oh nein, Ole", sagte Kerstin. Denn beide wußten, daß Opa es sich nicht entgehen lassen würde, ihnen nun die Entstehung des Regens zu erklären. Und die Geschichte, auf die sie so gespannt waren, würde wieder warten müssen.

Aber Opa sagte nur: "Das kannst du ganz leicht selbst herausfinden, indem du gleich mal selbst ein bißchen Regen zauberst, während wir drei gemütlich weiter unseren Kakao schlürfen. Im Wasserkessel ist heißes Wasser, dann brauchst du nur noch eine Suppenkelle." Während alle anderen in trauter Runde um den Tisch saßen, scheuchte Opa Ole hin und her. Zunächst mußte er die Kelle eine Weile in das Gefrierfach legen. Während dessen sollte der Kessel noch mal auf die Flamme gesetzt werden, bis das Wasser kochte.

Sobald das Wasser im Kessel heiß war, fing es an zu dampfen. "Dampf ist normalerweise unsichtbar", dozierte Opa und sog an seiner Pfeife, "der weiße Dunst, den du über dem Kessel sehen kannst, entsteht erst, wenn der Dampf mit der Luft außerhalb des Kessel in Berührung kommt und dadurch abkühlt." - "Ach so, wie bei den Wolken und dem Nebel", meinte jetzt Ole.

"So, jetzt hol die Kelle aus dem Eisfach und halte sie in den weißen Dunst, der aus dem Kessel strömt, sobald das Wasser kocht." Nach ein paar weiteren Augenblicken "regnete" es tatsächlich in der Küche. Und selbst der aufgeklärte Malte staunte nicht schlecht.

"An dem kalten Löffel kühlt sich der Dunst, der aus dem Kessel entweicht, sehr rasch ab. Er kondensiert zu Wasser und tropft als Regen ab", klärte Opa auf, "so einfach ist das."

"Und in Wirklichkeit?" wollte Ole wissen. "Richtiger Regen entsteht genau wie dein selbstgemachter, nur viel langsamer. Wie ich euch schon bei den Wolken erklärt habe, muß in der Natur die Sonne die gesamte Heizarbeit übernehmen und das Wasser in den Flüssen, Seen, Meeren und sogar Pfützen erwärmen. Zum Glück ist sie kein Herd, der das Wasser wie in Oles Kessel zum Kochen bringt, sonst würden die Seen nur so von gargekochten Fischen, Fröschen oder - noch schlimmer - Kindern wimmeln. Aber die Kraft der Sonne reicht, um einzelne Wassermoleküle freizusetzen, die in die Höhe steigen, d.h. verdunsten und Wolken bilden. Während die warme, feuchte Luft hochsteigt, kühlt sie sich ab. Es bildet sich eine Wolke aus Dunst, ähnlich der, die du über deinem Wasserkessel gesehen hast.

Kalte Luft kann aber nicht so viel Wasser aufnehmen wie warme. Wenn die Luft also zu sehr abkühlt, wie an deiner eiskalten Kelle, kann sie den ganzen Dunst nicht mehr festhalten und ein Teil des Wassers fällt als Regen oder Schnee wieder zur Erde. Dann beginnt alles von neuem."

"Ach so", dachte Ole laut, "das hätte ich mir wirklich selbst denken können. Deshalb weist auch die hohe Luftfeuchtigkeit auf den nahenden Regen hin. Alles klar." - "Und so ein Regenschauer hat einmal deine und Eteos Pläne zunichte gemacht?", spann Kerstin schlau den Faden weiter, der endlich zu ihrer Geschichte führen sollte.

"Ja, ja", begann Opa nun gemütlich und schlürfte genüßlich an seinem Kakao. "Es war ein verregneter Sommer, der meine kühnsten Pläne immer wieder zunichte machte ..." Und ehe sie alle noch bis drei zählen konnten, hatte er mit ihnen wieder einen Zeitsprung von minus 50 Jahren getan, und sie fanden sich in demselben kleinen Ort wieder, als alles noch ganz anders war.


*


Um endlich eine Lösung für Eteo Ro's Rückkehr zu finden, hatte ich mich immer wieder umgetan und - wie ich euch schon erzählte - Kontakte zu allen möglichen Wetterstationen aufgenommen. Nur - man nahm mich nicht weiter ernst. Schließlich war das Glück einmal auf meiner Seite. An unserer Küste sollte nämlich eine Wetterstation errichtet werden, und zwar genau hier, in diesem Leuchtturm, in dem wir uns gerade befinden.

Damals war das eine ganz große Sache. Es gab ja noch keine Computer, und die Meßgeräte waren auch nicht von heutiger Qualität. Ein paar Jahre zuvor, genau 1927 hatte ein Mann namens Moltschanoff die Radiosonde erfunden, und jetzt wollte man ein regelrechtes Radiosondennetz über ganz Europa legen, mit dessen Meßwerten tägliche Höhenwetterkarten erstellt werden konnten. In Hamburg gründete ein gewisser Richard Scherhag 1934 an der dortigen Seewarte eine Art europäisches Hauptquartier für die regelmäßige Analyse aller Wetterdaten. Doch der ausgebrochene Zweite Weltkrieg verzögerte diesen Plan, denn schließlich waren die Deutschen plötzlich unsere Feinde. Und die Meßdaten sollten in Kopenhagen ausgewertet werden.

Im wesentlichen sollte hier eine Wetterhütte aufgestellt werden, um die Wetterdaten in Bodennähe zu dokumentieren. Zusätzlich wurden regelmäßig vom Boden aus Wetterballons gestartet, um die Wetterelemente bis in Höhen von 30 bis 40 Kilometer zu messen. Etwas später sollte dann der Leuchtturm auch noch mit einem Radarmeßgerät bestückt werden, mit dem ein Rundumblick der Wetterveränderungen möglich werden könnte. Was ein Radargerät ist, habt ihr ja sicher schon einmal gehört. Es sendet Wellen aus und empfängt das zurückkommende Echo. Auf diese Weise kann man getarnte Objekte sichtbar machen. Beim Wetterradar verwendet man Wellenlängen, mit denen man zum Beispiel die Tropfengröße oder die Größe von Hagelkörnern bestimmen kann und sogar die Windverteilung in der Atmosphäre. Doch das erkläre ich euch ein anderes Mal.

Ihr könnt euch vorstellen, daß mich die Tätigkeiten rund um den Leuchtturm sehr interessierten. Und so war ich dabei, als die Wetterhütte und das kleine Häuschen errichtet wurden, in dem die Radiosonde, die Gasflaschen und der Ballon gelagert wurden. Ich ließ mir auch keinen Ballonstart entgehen und konnte bald alle Handgriffe selber erledigen. Allmählich lernte ich die Leute kennen, die damit zu tun hatten und freundete mich schließlich mit dem Wächter der Wetterstation, Jens Holgerson, an. Ich hatte wirklich Glück, mal auf einen Erwachsenen zu treffen, der meine Interessen ernst nahm und mir gerne alles zeigte. Bald durfte ich unter seiner Anleitung morgens die Daten aus der Wetterhütte holen, ähnlich wie du, Ole, es diesen Sommer für mich getan hast.

Die ganze Zeit aber überlegte ich fieberhaft, wie ich Eteo Ro in den Ballon schmuggeln könnte, wenn wir ihn starteten.

Da war auch noch das nicht gelinde Problem der Ozonschicht. Der Ballon stieg mit der Sonde nämlich je nach Luftdruck höchstens 40 Kilometer hoch. Da wäre Eteo Ro noch mitten in der für ihn so gefährlichen Ozonschicht gelandet. Er mußte aber mindestens 50 Kilometer schaffen, um gefahrlos in ein Klimatikerraumschiff umsteigen zu können. Mir war also klar, daß ich an einem besonders schönen Tag mit geringem Luftdruck den Ballon mit besonders viel Heliumgas füllen würde (das war eine der Aufgaben, die mir Jens Holgerson vertrauensvoll übertragen hatte) und anschließend Jens Vertrauen mißbrauchen mußte, indem ich das Band durchschnitt, mit dem der Ballon an der Bodenstation festgehalten wurde. Die schwerste aller Aufgaben war allerdings, meinen lieben Freund Eteo Ro dazu zu bewegen, in den Ballon zu steigen.

Für ihn war das in etwa so, als würde man von euch verlangen, in einer echten alten Kirchenglocke nur mit einem Schlauch, durch den man mit der Wasseroberfläche verbunden ist und atmen kann, auf Tauchstation zu gehen. Das haben im Mittelalter tatsächlich die ersten "Taucher" so gemacht. Doch heute fände man das unzumutbar.

Nun ja, wie ihr euch vorstellen könnt, wehrte er sich mit Händen und Füßen, soweit man davon bei einem Klimatiker sprechen kann. Denn wenn wir uns trafen, bevorzugte er meistens seine Form als Schönwetter-Wölkchen, was bei seiner zunehmend schlechten Laune geradezu der blanke Hohn war. "Hallöchen, du sandiger Wetterfrosch", höhnte er, als er mich wieder einmal neben dem Wetterhäuschen brüten sah. "Hallo Eteo", sagte ich, "ich habe gerade an dich gedacht." Ich sah wie seine Wolkenformation an den Kanten ausfranste und schemenhaft wurde, was bei einer Cumuluswolke eigentlich nicht vorkommen würde. In letzter Zeit waren Eteo häufiger solche Fehler unterlaufen, und ich wertete sie als Zeichen einer ernsten Klimatikerdepression. Darüber half auch sein leichtfertiger Umgangston nicht hinweg.

"Na", meinte er, "wieder mal ein neues Attentat auf einen Klimatiker ersonnen, oder wie soll ich die Fluchtpläne sonst nennen, an denen du so rumfeilst. Sind doch alles mehr oder weniger Himmelfahrtskommandos." - "Eteo", erwiderte ich ernst, "ich kenne dich jetzt schon viele Jahre und du bist nie sehr respektvoll mit mir umgegangen, aber so wie du in letzter Zeit bist, wird es wirklich Zeit, daß du aus meinem Gesichtsfeld verschwindest, sonst kaufe ich dir bald eine Flasche Ozon." - "Höhöhö", kicherte Eteo, denn die Klimatiker haben einen wirklich seltsamen Humor, "der war gut, den muß ich mir merken." Sobald ich ernsthaft sauer auf ihn war, besserte sich seine Laune schlagartig. Also griff ich zu einer List und fuhr in dem gleichen beleidigten Tonfall fort: "Tja, für einen Klimatiker ist es natürlich viel zu schwierig, sich in die Gasphase zu versetzen. Dampf ist ja wohl das äußerste, was ihr zuwege bringt, deshalb willst du es wohl auch nicht auf einen Versuch mit dem Wetterballon ankommen lassen. Wahrscheinlich ist dir das viel zu unbequem, da würde dir ja ein Zacken aus der Krone fallen." - "Papperlapappapp", meinte Eteo, der plötzlich ganz zugewandt und freundlich wurde, "die Gasphase ist doch überhaupt kein Problem für mich. Nun ja, ein wenig eng würde es in dem Ballon schon werden, aber es ist ja nicht für ewig, denn ich vertraue dir ja, daß du den Ballon rechtzeitig kappst..." Auf einmal stockte er, denn er sah, daß er mir tatsächlich ein Zugeständnis gemacht hatte, von dem ein Klimatiker nicht mehr zurück konnte. Er hatte zugegeben, daß die Durchführung meines Plans durchaus Aussicht auf Erfolg hatte. Ich grinste siegessicher, was ihn wieder auf den Boden der Tatsachen und zu seiner notorisch schlechten Laune zurückbrachte: "Mist, verdammter, du schleimiger Erdenwurm hast mich reingelegt. Du Teufel du, verzischen willst du mich in der Ozonschicht! Oh, warum bin ich nur so schwach und kann deine Absichten nicht gleich durchschauen, verdammt!" Wie zur Bestätigung verwandelte er sich in eine Regenwolke und ließ schmutzige Tropfen auf mich herunterprasseln. Wieder ein Fehler und für mich ein weiteres Zeichen, daß Eteo wirklich nach Hause mußte. Nach und nach hätte er sich in seiner Fahrigkeit aufgelöst, denn Gefühle und Stofflichkeit sind für die Klimatiker ein und dasselbe.

Es blieb also nur noch, einen Termin auszumachen, und zwar je eher, desto besser. Bei der Benachrichtigung seines Volkes durfte Eteo kein Fehler unterlaufen und das konnte, wie gesagt, nur er selber tun.

Ich habe schon angedeutet, daß wir uns gerade im Zweiten Weltkrieg befanden. Das hieß für uns, daß wichtige strategische Anlagen, zu denen auch ein Leuchtturm und nun die kleine Wetterhütte zählten, ununterbrochen bewacht werden sollten. Es hätte ja sein können, daß sie einem Feind in die Hände fielen. Wann immer Jens Holgerson mal für längere Zeit weg mußte, übertrug er mir die Aufgabe, auf die Geräte aufzupassen - wohl mehr, damit niemand damit Unfug trieb, denn ausländische Feinde waren hier noch nicht gesichtet worden.

Schließlich kam der Tag, an dem Jens Holgerson dringend nach Kopenhagen gerufen wurde. Ich glaube, es ging um das Radar, mit dem man ihn immer wieder vertröstete, denn in Kriegszeiten wurden alle Mittel zurückgehalten und Jens Holgerson guckte in die Röhre, aber nicht in den Radarbildschirm. Ich hatte also ein paar Tage die Wetterstation ganz für mich. Und das war die Stunde Null und der Tag X, auf die Eteo und ich gewartet hatten. Nun ging alles sehr schnell. Eteo benachrichtigte sein Volk, damit ihn jemand abholen kam, und ich montierte die Radiosonde vom Ballon ab, damit er leichter wurde. Ich hatte mir außerdem überlegt, daß ich Jens dann "nur" den Verlust eines Wetterballons zu vermelden hätte, wenn er wiederkäme. Das war nicht so tragisch wie der Verlust der Radiosonde, für die wir mit Sicherheit nicht so schnell Ersatz bekommen hätten. Jens würde nun mit Sicherheit denken, daß ich eben doch noch ein kleiner Junge wäre, der gerne mit Ballons spielt. Aber Eteos Rettung war mir wichtiger als mein Ruf.

Alles war durchdacht - nur das Wetter spielte nicht mit. Die ganzen drei Tage, die Jens Holgerson fort war, regnete es in Strömen. Am letzten Tag sagte ich zu Eteo, der sich mir an diesem Tag in bizarr geformten Schneeflocken zeigte: "Also Eteo, Tiefdruck hin oder her, der Ballon muß heute steigen. Schade, daß du dich nicht gleichzeitig in Gas verwandeln und schönes Wetter machen kannst." - "Aber das ist doch gar kein Problem für mich, herzliebster Erdling, ich wollte mich nur nicht aufdrängen und habe darauf gewartet, daß du fragst", war die Antwort dieses unverschämten Klimatikers. "Na warte", murmelte ich mit knirschenden Zähnen und pumpte den Ballon in der Garage mit Gas auf, "dann zeig mal, was du kannst."

Als ich wieder herauskam, stand ich vor einem der seltsamsten Wetterwunder, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Der Regen hatte die Gegend in eine trübe Dämmerung getaucht, nur direkt über uns bildete sich ein lichter Kegel, durch den das gleißende Sonnenlicht drang. Und an den Rändern der Erscheinung rieselte feiner Pulverschnee.

Eteo war über mein anerkennendes, echtes Erstaunen beinahe gerührt und erklärte mir, nie einen besseren Erdenwurm gekannt zu haben. "Wie weiß ich denn, daß alles gut geklappt hat, Eteo?" fragte ich ihn. "Wenn ich mich nicht in der Ozonschicht aufgelöst habe und endlich, endlich in einem komfortablen Klimatikerraumschiff sitze, schicke ich dir einen Blitz, daß es sich gewaschen hat, okay?" - "Alles Gute, lieber Freund", sagte ich gerührt, "und vergiß es nicht vor lauter Wiedersehensfreude."

Auf einmal war ich sehr traurig, was Eteo logischerweise in seiner seltsamen Art von Klimatikerdepression in Hochstimmung versetzte. "Kopf hoch, alter Junge", meinte er jovial, "und halt' die Luft an. Ich mache mich jetzt gasförmig und möchte nicht in deiner Lunge landen." Dann verschwanden die Schneeflocken, und ich hörte seine fröhliche Stimme aus dem Ballon: "Ganz komfortabel für ein Steinzeitmodell, alle Achtung, zumindest echtes Aluminium ..."

Mit diesen letzten Worten stieg der Ballon langsam in der Mitte der Lichterscheinung auf, höher und höher, bis er meinem Blick entschwunden war. "Undankbarer Kerl", schniefte ich vor mich hin. Da spürte ich unregelmäßige Stöße in der Schnur, die ich immer noch festhielt. Lang-kurz-kurz, Pause, kurz-lang ... eine Botschaft. Ganz eindeutig sandte mir Eteo noch eine Nachricht in Morsebuchstaben zu:

Lang-kurz-kurz - ein "D", kurz-lang - ein "a", lang-kurz - ein "n", dann lang-kurz-lang ein "k" und zum Abschluß einmal kurz - ein "e" ... d_a_n_k_e, d_a_n_k_e, d_a_n_k_e, d_a_n_k_e, ... immer wieder, bis ich endlich die Schnur losließ. Kurz darauf verschwand der Lichtkegel, und ich stand allein im Regen und war froh, daß niemand sehen konnte, wie sehr ich weinte. Es dauerte noch eine lange Weile, bis Eteo endlich den Blitz schickte, denn auch ein Wetterballon braucht halt so seine Zeit.

Jedenfalls hat er es geschafft, und das ist das Ende der Geschichten von meinem Freund Eteo Ro und mir. So und nun nix wie in die Schlafsäcke, morgen müßt ihr früh aufstehen.


*


"Und was hat Jens Holgerson gesagt, als er zurückkam und der Ballon weg war?" - "Na, Ole, das solltest du mir lieber ersparen. Aber wenn du es wirklich hören willst, wie er gewettert hat, dann versuch ruhig mal eine ähnliche Dummheit mit meinem Wetterballon anzustellen. Ich rate es dir nicht ..." - "Hmmm, nee Opa, ich glaub, das versuch ich lieber nicht", klang es schon etwas müde aus Oles Ecke. "Das ist auch besser so. Gute Nacht, mien Jung." - "Gute Nacht, Opa", kam das dreifache Echo aus den Schlafsäcken. "Na, dann träumt was Schönes!"

Raute

ANHANG: Niederschläge

Wer in "ABENTEUER/004" den Anhang "Wolkenformen lesen" aufmerksam studiert hat, weiß jetzt eigentlich, wie Regen bzw. Niederschlag in seinen verschiedenen Beschaffenheiten als Eis, Schnee oder Dampf und Nebel entsteht. Zur Erinnerung, zunächst spielt der unsichtbare Wasserdampf eine wichtige Rolle, der bis zu 16 Kilometer Höhe einen Bestandteil der Luft (bzw. Atmosphäre) ausmacht. Wenn die Luft gerade kühl ist, so daß sie nicht mehr allen Wasserdampf aufnehmen kann, wandelt sich der überschüssige Dampf in jene kleinen Tröpfchen um, die zusammen eine Wolke bilden, die je nach Form, Höhe und Dichte dann abregnet, hagelt oder schneit bzw. einfach nur abzieht oder den Nebel bildet, in dem du morgens oft auf den Schulbus warten mußt.

Die Zuschauer und Hörer sind in den Wettervorhersagesendungen am meisten an der Temperaturkarte interessiert, dann folgen in der Beliebtheit die Ansage der Niederschläge und zuletzt die Entwicklung von Hoch- und Tiefdruckgebieten. Die Angabe von Wahrscheinlichkeiten, d.h. die Prozentzahlen des Niederschlagrisikos, sind im deutschen Wetterbericht selten, in vielen anderen Ländern jedoch seit Jahrzehnten Normalität. Meist muß man sich aus Umschreibungen wie "strichweise Regen" seinen Reim auf den Niederschlag der nächsten Stunden oder Tage machen. Manchmal kommt es auch bei der Angabe zu Mißverständnissen. So bedeutet etwa ein Regenrisiko von 25 Prozent für die kommenden zwölf Stunden nicht, daß ein Fünftel der Fläche des Vorhersagegebietes naß wird oder daß es drei von zwölf Stunden regnet. Gemeint ist, daß es während der angegebenen Zeit mit einer Chance von eins zu drei regnen wird - egal wie lange und wie heftig.

Am geläufigsten sind die Bezeichnungen:

Dauerregen, Landregen:
lang anhaltende Niederschläge
Schauer:
kurz dauernde Niederschläge
Regenguß, Platzregen, Wolkenbruch:
sehr starke Regenschauer

Heutzutage sind es Radarantennen, die an Regentropfen, Hagelkörnern oder Schneeflocken reflektierte Mikrowellen registrieren und im Umkreis von etwa 100 Kilometern jede Regenwolke aufspüren und die Intensität des Niederschlags messen.

Die Niederschlagshöhe wird in mm angegeben (die Niederschlagshöhe von 1 mm entspricht der Wassermenge von 1 Liter pro Quadratmeter). In der nachfolgenden Tabelle sind die von den Meteorologen verwendeten Begriffe zur Art, Verbreitung, Intensität und Dauer von Niederschlägen aufgelistet.


 N I E D E R S C H L A G


ART des Niederschlags

Sprühregen

sehr kleine Wassertropfen (0,1 - 0,5 mm)
Regen
mittelgroße bis große Wassertropfen (0,5 - 5 mm)
Eisregen
Regen bei Temperaturen unter 0 °C
Schnee

einzelne oder aneinanderhaftende Eiskristalle in
verschiedenen Formen, z.B. Sterne oder Plättchen
Schneegriesel
kleine weiße Körner aus verfestigten Schneekristallen (meist unter 1 mm)
Graupel
kleine Eiskugeln (1 - 5 mm)
Hagel

Eiskugeln (5 - 50 mm, in Extremfällen noch größer)

VERBREITUNG des Niederschlags

vereinzelt, örtlich

nur in sehr kleinen Gebieten (z.B. in einzelnen Stadtteilen)
strichweise, gebietsweise
Fläche entspricht der Größe eines Regierungsbezirks
vielfach
an vielen Orten, nicht unbedingt zusammenhängend (Schauerwetter)
verbreitet

an mehr als der Hälfte aller Orte im Vorhersagegebiet

INTENSITÄT des Niederschlags

trocken, niederschlagsfrei

kein Niederschlag
nur unbedeutender Niederschlag
unter 0,3 mm in 12 Stunden
leichter Niederschlag
0,3 bis 2,0 mm in 12 Stunden
mäßiger Niederschlag
2,0 bis 5,0 mm in 12 Stunden
starker Niederschlag

über 5,0 mm in 12 Stunden

DAUER des Niederschlags

gelegentlich

einzelne Niederschläge in größeren zeitlichen Abständen
zeitweise
Niederschlag in einem (oder mehreren) Zeitabschnitt(en)
wiederholt
mehrere aufeinanderfolgende Niederschläge
länger anhaltend
über mehrere Stunden

E N D E



Erstveröffentlichung im Schattenblick 10. November 1999

2. Februar 2011