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HEINRICH BÖLL STIFTUNG/293: Iran-Report Nr. 6 - Juni 2013


Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung - Nr. 6 - Juni 2013
Eine Zusammenfassung aktueller Ereignisse im Iran

von Bahman Nirumand



Der Konflikt um das iranische Atomprogramm, die Wahlfälschung vom Juni 2009, die Verfolgung der Opposition und die Verletzung der Menschenrechte sind einige der wiederkehrenden Themen des Iran-Reports. Er wertet Nachrichten verschiedener Quellen aus, auch um die von den Mächtigen in Iran verfügten Behinderungen und Einschränkungen der journalistischen Arbeit auszugleichen. Der Iran-Report produziert keine Schlagzeilen sondern er erhellt die Meldungen, das Nichtgesagte dahinter. Der Iran-Report wird einem breiten Interessentenkreis aus Politik, Wissenschaft und Medien zur Verfügung gestellt.


INNENPOLITIK

• Die Präsidentschaftswahlen
• Strafanzeige gegen Ahmadinedschad
• Die zugelassenen Kandidaten
• Reaktionen auf die Kandidatenauswahl
• Zurückweisung zahlreicher Bewerber für die Kommunalwahlen
• Walayati nennt Irans Außenpolitik "sehr problematisch"
• Justizchef kritisierte Maschai
• Chatami beklagt die "erstickende politische Atmosphäre"
• Rafsandschani greift Ahmadinedschad scharf an
• Chamenei spricht vom Erwachen des Islam
• Schwere Vorwürfe gegen Vizepräsident Baghai
• Außenministerium bestätigt Festnahme eines Diplomaten
• Zahl der arbeitslosen Frauen seit Ahmadinedschad verdoppelt
• Abermals Erdbeben im Süden Irans
• Zwei Spione hingerichtet


DIE PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLEN

Die Registrierungsfrist für die Bewerber um das Amt des Präsidenten lief am 12. Mai ab. Die Bewerber hatten fünf Tage Zeit, um sich beim Innenministerium registrieren zu lassen. Insgesamt haben sich 686 Kandidaten eingetragen. Während es sich in den ersten vier Tagen vorwiegend um Kandidaten aus der zweiten und dritten Reihe handelte, die kaum Chancen auf einen Sieg hatten, kamen am letzten Tag kurz vor Toresschluss die wichtigsten Akteure, um die es bei den Wahlen eigentlich geht. Bis zuletzt war nicht klar, ob Ex-Staatspräsident Haschemi Rafsandschani und der engste Berater des Präsidenten Esfandiar Rahim Maschai antreten würden. Mit ihrer überraschenden Registrierung brachten sie eine große Spannung, ja man könnte sagen Dramatik, in die Wahlen hinein.

Maschai hatte sich in den Tagen und Wochen davor zu seiner möglichen Kandidatur nicht geäußert. Aber er reiste Seite an Seite mit dem Präsidenten durch das Land, wobei der Regierungschef bei Massenversammlungen mit Lobeshymnen auf seinen Wunschkandidaten nicht sparte. Eigentlich ist den Kandidaten vor ihrer Zulassung durch den Wächterrat keine Wahlwerbung erlaubt, ebenso wenig ist es dem Präsidenten gestattet, auf Kosten des Staates für einen Kandidaten zu werben. Aber Ahmadinedschad ignorierte solche Bestimmungen. Allgemeines Erstaunen erweckte er auch als er bei der Registrierung Maschai zum Innenministerium begleitete. Auf die Frage eines Journalisten, wieso er in seiner Eigenschaft als Präsident für einen Kandidaten Wahlkampf mache, sagte er, er habe nach acht Jahren pausenlosen Arbeitens für einen Tag Urlaub genommen. Maschai verkörpere alle Stärken der bisherigen Regierung und habe noch weitere Vorzüge. "Maschai bedeutet Ahmadinedschad und Ahmadinedschad bedeutet Maschai", sagte er.

Maschai ist seitens der Konservativen starken Anfeindungen ausgesetzt. Er gilt als der eigentliche Drahtzieher der so genannten "Abweichler". Das ist die Bezeichnung für den engeren Kreis um Ahmadinedschad. 2009 musste Ahmadinedschad die Ernennung Maschais zu seinem ersten Vizepräsidenten auf Anweisung Chameneis zurücknehmen. Es galt von vornherein als unwahrscheinlich, dass der Wächterrat Maschai zulassen würde. Ahmadinedschad hatte indirekt gedroht, unter keinen Umständen die Ablehnung seines Wunschkandidaten zu dulden.

Auch Rafsandschanis Kandidatur bedeutete eine große Herausforderung für die Konservativen, die sich nicht einigen konnten und mit mehreren Bewerbern antraten. Rafsandschani hatte sich bis zum Ende unschlüssig gezeigt. Zuletzt hatte er seine Teilnahme von der Zustimmung des Revolutionsführers abhängig gemacht. "Ohne Zustimmung des Revolutionsführers werde ich nicht antreten, denn sollte er nicht einverstanden sein, würde ich das Gegenteil von dem erreichen, was ich anstrebe", sagte der Ex-Staatspräsident wenige Tage vor seiner offiziellen Bewerbung.

Wäre Rafsandschani zugelassen worden, hätte er sicherlich die größten Chancen gehabt, gewählt zu werden. Er hat eine starke Rückendeckung bei den religiösen Instanzen, die Reformer um Ex-Präsident Chatami hatten ihm offiziell ihre Unterstützung zugesagt und breite Teile der Bevölkerung halten ihn zwar für einen korrupten, brutalen und Macht besessenen Politiker, sehen aber zugleich in ihm einen starken Pragmatiker, der das Land aus der wirtschaftlichen bzw. außenpolitischen Katastrophe retten könnte. Er ist ein Urgestein des Islamischen Staates, gehörte zu den engsten Weggefährten Ayatollah Chomeinis, er war acht Jahre lang Staatspräsident und bekleidete weitere wichtige Ämter. Er sah sich nach den Unruhen 2009 starken Anfeindungen ausgesetzt, weil er für die Protestbewegung Sympathie gezeigt, das Vorgehen der Sicherheitskräfte kritisiert und die Freilassung der politischen Gefangenen gefordert hatte. Aber seit einigen Wochen feierte er sein Comeback.

Ernstzunehmende Rivalen unter den Konservativen hatte Rafsandschani kaum. Die Konservativen konnten sich nicht auf einen Kandidaten einigen. Die größten Chancen werden dem früheren Außenminister Welayati, dem Teheraner Bürgermeister Ghalibaf, dem früheren Kommandanten der Revolutionswächter Mohsen Rezai und nicht zuletzt dem Atom-Chefunterhändler Said Dschalili ausgerechnet. Der 47-jährige Dschalili ist direkter Vertreter des Revolutionsführers bei internationalen Gesprächen über das iranische Atomprogramm. Zudem ist er Vorsitzender des Obersten Rats der Nationalen Sicherheit.

Auch 30 Frauen hatten sich um das Amt des Präsidenten beworben, darunter Akademikerinnen, Ärztinnen, Politologinnen und Hausfrauen. Sie hatten sich gemeldet, obwohl unter den Konservativen und der schiitischen Geistlichkeit die Wahl einer Frau für das zweithöchste Amt in der Islamischen Republik umstritten ist. Es war von vornherein klar, dass keine der Kandidatinnen die Zulassung erhalten würde. Am 17. Mai sagte der konservative Geistliche Mohammad Yasdi, Mitglied des Wächterrats, laut Nachrichtenagentur "Mehr": "Das Gesetz verbietet Frauen den Zugang zur Präsidentschaft." Diese Meinung schien auch der Wächterrat zu teilen.

Offenbar aus Furcht, aus der Wahl könnten seine Gegner als Sieger hervorgehen, sagte Revolutionsführer Chamenei am 15. Mai, "die Feinde" wollen, in dem sie eine Krise des Landes heraufbeschwören, jemandem zum Sieg verhelfen, der "das Land in die Vergangenheit führt". Chamenei betonte die Bedeutung der bevorstehenden Wahl und forderte, es müsse jemand gewählt werden, der fähig sei, Widerstand zu leisten, jemand, der "einen Stahlhelm trägt". Der Wächterrat werde diejenigen, die die Voraussetzung für das Amt des Präsidenten erfüllten, zulassen und alle müssten das Votum des Rats akzeptieren. Weiter sagte Chamenei, der "Feind" wolle erstens die Wahlbeteiligung so niedrig wie möglich halten und zweitens jemandem zum Sieg verhelfen, der "die Regierung und folglich das Volk in die Abhängigkeit vom Ausland bringt." Die Wähler sollten sich dessen bewusst sein, dass sich die Taten einer Regierung nicht nur in ihrer vierjährigen Amtszeit bemerkbar machten, sondern mitunter auch noch vierzig Jahre später. Die Äußerungen scheinen eine Warnung vor einer möglichen Wahl Rafsandschanis gewesen zu sein.

Wenige Tage vor der Entscheidung des Wächterrats beantragten rund hundert Parlamentsabgeordnete laut einem Bericht der Agentur "Mehr" vom 15. Mai, Rafsandschani und Maschai von der Liste der Kandidaten zu streichen. Rafsandschani warfen sie vor, bei der umstrittenen Wahl 2009 die Opposition unterstützt zu haben. Und Maschai wurde wegen seiner "unislamischen Haltung" als ungeeignet für das Amt des Präsidenten bezeichnet.

Am 17. Mai sagte der Vorsitzende des Wächterrats Ahmad Dschannati, der Rat werde Bewerber nicht zulassen, die eine Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit den USA befürworten. Es sei unmöglich, jemanden zu wählen, der glaube, der Streit um das Atomprogramm könne beigelegt werden, wenn die USA und Iran ihre Beziehungen wieder aufnehmen würden. "Man kann solche Ansichten wohl eher für einen Witz halten", sagte Dschannati. Doch genau dies hatte Rafsandschani in Aussicht gestellt.

Zu den Eigenschaften des Präsidenten gehöre "einfaches Leben, Absage an Überfluss und Reichtum, eindeutige Stellungnahme gegen Verschwörungen und Kampf gegen alles Verderbliche", sagte Dschannati weiter. Es könne nicht sein, dass ein Staatspräsident mit einem Mercedes herumfahre und ein imposantes Haus besitze, er müsse seine Aufmerksamkeit den ärmeren Schichten widmen und sich um sie sorgen. Auch diese Äußerungen scheinen auf Rafsandschani gemünzt gewesen sein. Rafsandschani gehört zu den reichsten Männer in Iran und fährt auch tatsächlich einen Mercedes. Gerade diese Äußerung forderte die Kritik des Abgeordneten Ali Mottahari heraus. Das sei nichts anderes als der reine Populismus, sagte Mottahari am 18. Mai. "Ich glaube nicht, dass der zwanzig Jahre alte Mercedes von Rafsandschani teurer ist als der neue Peugeot des Herrn Dschannati", spottete Mottahari vor Journalisten.

Der Wächterrat erhöhte die Spannung, indem er die eigentliche Frist für die Bekanntgabe der Überprüfung der Kandidaten um fünf Tage verlängerte. Endlich am 23. Mai wurde die Entscheiddung bekannt gegeben. Für Millionen in Iran glich sie einer kalten Dusche. Von den 686 Bewerbern erfüllten nach Meinung des Wächterrats lediglich acht Kandidaten die Voraussetzungen und besitzen die Fähigkeiten zum Staatspräsidenten. Rafsandschani und Maschai waren nicht unter den Auserwählten. Der Wächterrat braucht seine Entscheidung nicht zu begründen. Widerspruch dagegen ist erlaubt.


STRAFANZEIGE GEGEN AHMADINEDSCHAD

Dass Ahmadinedschad seinen Wunschkandidaten Maschai zur Registrierung ins Innenministerium begleitete, hat unter den Konservativen viel Kritik ausgelöst. Der Abgeordnete Nader Ghasipur sagte in einer öffentlichen Sitzung des Parlaments am 12. Mai, Ahmadinedschad habe mit seinem Auftritt das Amt des Präsidenten beschädigt. "Ist es nicht an der Zeit, dass wir über die Amtsunfähigkeit des Präsidenten diskutieren", fragte er die Abgeordneten. Und der Abgeordnete Ahmad Tawakoli forderte den Parlamentspräsidenten auf, auf den "offensichtlichen Amtsmissbrauch des Präsidenten" zu reagieren. Die Werbung für einen Kandidaten auf Kosten der Regierung bedeute nichts anderes als "Verrat und Machtgier".

Auch der Wächterrat kritisierte das Verhalten Ahmadinedschads, das er als ein Vergehen im Amt bezeichnete. Daher habe der Rat bei der Justiz Anzeige gegen den Präsidenten erstattet.


DIE ZUGELASSENEN KANDIDATEN

Von den acht zugelassenen Kandidaten gehören sechs zur treuen Gefolgschaft des Revolutionsführers Chamenei. Das sind folgende Politiker: Der 67-jährige Ali Akbar Welayati (s. S. 7/8), der mehrere Jahre als Außenminister tätig war und nun seit einigen Jahren Chamenei außenpolitisch berät. Er gehörte zu den Verdächtigen in einem Bombenanschlag auf ein Jüdisches Zentrum in Buenos Aires 1994, bei dem 85 Menschen ums Leben kamen. Auch wurde er im Prozess um das Mykonos-Attentat in Berlin von einem Berliner Gericht als einer der Auftraggeber verurteilt. Der 51-jährige Mohammad Bagher Ghalibaf war Befehlshaber in der Revolutionsgarde und ist Pilot. Zurzeit ist er Bürgermeister von Teheran. Said Dschalili ist seit 2007 Irans Chefunterhändler in den Atomgesprächen mit der internationalen Gemeinschaft. Der 47-jährige begann seine Karriere 1991 als Diplomat und war ein enger Vertrauter des erzkonservativen Geistlichen Mohammad Taghi Mesbah Yasdi. Dieser galt eine Zeitlang als Mentor von Ahmadinedschad. Dschalali ist auch der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats. Politische Beobachter schätzen, dass er der Favorit Chameneis ist. Bei seinem ersten Auftritt nach der Zulassung sagte er, er wolle Israel ins Visier nehmen. "Wir wollen die Wurzeln des zionistischen Regimes austrocknen", erklärte er am 24. Mai.

Gholam Ali Haddad Adel ist Mitglied des Schlichtungsrats und gilt als überzeugter Konservativer. Früher war er Parlamentspräsident. Die Tochter des 68-jährigen ist mit dem Sohn Chameneis verheiratet. Der älteste unter den Kandidaten ist der 71-jährige Mohammad Gharasi. In den 80er und 90er Jahren war er Abgeordneter im Parlament, eine Zeitlang war er auch Energie- und Kommunikationsminister. Der konservative Politiker bezeichnet sich selbst als Technokrat. Mohsen Resai hatte sich bereits vor vier Jahren um das Amt des Präsidenten beworben, war aber nur vierter geworden. Der 58-jährige war einst Oberbefehlshaber der Revolutionsgarde (Pasdaran). Derzeit ist er Sekretär des Schlichtungsrats. Resai übte scharfe Kritik nicht nur an Ahmadinedschad, sondern auch an den Ex-Präsidenten Chatami und Rafsandschani. Er kündigte einen "dritten Weg" an, will bei gleichzeitiger unbegrenzter Treue gegenüber dem Revolutionsführer mehr Mitbestimmung der Bevölkerung erreichen.

Hasan Rohani, 64, zählt eigentlich zu den gemäßigten Konservativen, zeigt aber gleichzeitig auch eine Nähe zu den Reformern. (s. S. 8). Der einzige unter den zugelassenen Kandidaten, der sich als Reformer bezeichnet, ist der 61-jährige Mohammad Resa Aref. Tatsächlich gehört er dem rechten Flügel der Reformer an. Er war in der Regierungszeit von Chatami Vizepräsident. Eine Zeitlang war er Kanzler der Universität Teheran. Hätte Chatami kandidiert, wäre er nach eigenen Angaben nicht angetreten. Ihm werden unter den acht Kandidaten die geringsten Chancen eingeräumt.


REAKTIONEN AUF DIE KANDIDATENAUSWAHL

Zwei Tage nach der Ablehnung seiner Bewerbung sagte Rafsandschani, er habe nicht kandidieren wollen, doch zahlreiche Menschen hätten ihn dazu gedrängt. "So habe ich mich, obwohl ich mir der Probleme bewusst war und ich auch wusste, dass die Denunzierungen gegen mich zunehmen werden, dazu entschlossen, um Gott gegenüber meine Pflicht zu erfüllen und mich vor den Menschen und der Geschichte verantwortlich zu zeigen. Ich habe dem Revolutionsführer eine Botschaft geschickt und meine Dienste angeboten. In der nun entstandenen Lage habe ich ein völlig ruhiges Gewissen."

Die neue Regierung werde die vergangenen Fehler korrigieren müssen. Sie habe die ungerechten Sanktionen sowie zahlreiche wirtschaftliche und politische Probleme zu bewältigen, sagte Rafsandschani. "Man muss nun demjenigen, der sich dazu fähig fühlt, all die Lasten der Verantwortung zu tragen und die Probleme zu lösen, dankbar sein und ihn unterstützen."

Er selbst habe genau gewusst, dass es besser gewesen wäre, wenn er nicht kandidiert hätte. Denn "niemand kennt diese Leute besser als ich". Nach der Registrierung habe er bis tief in der Nacht nicht einschlafen können. Er habe über all die Probleme, die sowohl im Inneren als auch außerhalb des Landes zu bewältigen seien, gegrübelt und sich über jene, die viel Lärm veranstalten würden, Gedanken gemacht. "Ich weiß ganz genau, wie diese Leute denken und was sie anstreben."

Zu seiner Ablehnung sagte Rafsandschani: "Ich möchte mich nicht mit diesen Leuten, ihren Äußerungen und Denunzierungen auseinandersetzen. Was mich jedoch quält, ist, dass sie nicht wissen, was sie tun." Rafsandschani appellierte an die Wähler, nicht zu resignieren und Ruhe zu bewahren. "Wir können jetzt nichts tun. Sie haben getan, was sie wollten. Unser Land braucht mit diesen Leuten keine Feinde mehr von außen. Denn die Probleme werden hausgemacht."

Zur Ablehnung Maschais sagte Präsident Ahmadinedschad am 22. Mai: "Ich habe Maschai vorgeschlagen, weil er ein frommer, ehrlicher Mensch mit besonderen Fähigkeiten und für das Land nützlich ist. Ihm ist aber Unrecht widerfahren." Er sei davon überzeugt, dass in einem Land, in dem ein Geistlicher die höchste Autorität habe, das Recht eines Menschen gerade auf dieser hohen Ebene nicht mit Füßen getreten werden könne. "Solange wir den Revolutionsführer haben, wird es keine Probleme geben. Ich werde mich bis zum letzten Augenblick mit Hilfe des Revolutionsführers um die Angelegenheit kümmern und hoffe, dass das Problem sich klären wird", sagte der Präsident. Seine Anhänger sowie Maschai bat er darum, Geduld zu haben und zu warten. Es werde sich alles dank der Güte des Revolutionsführers zum Besten wenden.

Maschai selbst sagte zu der Ablehnung seiner Bewerbung, er werde die Entscheidung juristisch anfechten. Er fühle sich für das Amt des Präsidenten kompetent genug, sonst hätte er sich nicht beworben. Er werde sich zur Wehr setzen. Das bedeute nicht, dass er Unruhe stiften wollen. "Denn Aufruhr bringt nichts", sagte er.

Der Parlamentsabgeordnete Ali Mottahari erklärte, die Ablehnung Rafsandschanis sei politisch motiviert gewesen. Sie sei genauso wie die Zulassung Dschalilis keine korrekte Entscheidung gewesen. Dies zeige, dass der Wächterrat parteipolitisch urteile und nicht nach politischen und religiösen Kriterien. Für die Ablehnung Rafsandschanis seien zwei Gründe genannt worden, die nicht haltbar seien, erstens Altersschwäche und zweitens Beteiligung an der Verschwörung (Proteste bei der Wiederwahl Ahmadinedschads 2009). "Ich schlage vor, zur Prüfung der körperlichen Fähigkeiten Rafsandschanis ein Wettrennen zwischen Rafsandschani und Dschalili, sowie einen Ringkampf zwischen Rafsandschani und Haddad Adel zu veranstalten. Mal sehen, wer von ihnen körperlich stärker ist." Auch der Vorwurf der Beteiligung an der Verschwörung lasse sich nicht aufrechterhalten, sagte Mottahari. Wieso dürfe ein Politiker vom Range Rafsandschanis nicht gewisse Vorgänge im Land kritisieren, fragte er.

Mottahari kritisierte auch die Zulassung von Dschalili. "Wieso wurde Dschalili mit derart geringen politischen Erfahrungen zugelassen", fragte er. "Reichen ein paar Treffen mit Catherine Ashton schon aus, um die Befähigung für das Amt des Staatspräsidenten zu erlangen?" Nach Einschätzung Mottaharis wird die Wahlbeteiligung weitaus geringer sein als der Revolutionsführer es sich wünscht. Eine hohe Wahlbeteiligung könne es nur dann geben, wenn die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sich durch die aufgestellten Kandidaten vertreten fühle. Eine Korrektur der Entscheidung des Wächterrats sei nun nur noch möglich, wenn der Revolutionsführer intervenieren und die Nominierung Rafsandschanis durch eine Anweisung an den Wächterrat durchsetzen würde, sagte Mottahari. In einem Brief an Chamenei schrieb Mottahari, hätte Ajatollah Chomeini sich unter Pseudonym um das Präsidentenamt beworben, wäre auch er abgelehnt worden, weil er manches kritisiert habe.

Mostafa Tadschsadeh, einer der prominenten Reformer, der seit den Unruhen von 2009 im Gefängnis sitzt, schrieb aus dem Gefängnis heraus, der Wächterrat habe Bewerber wie Rafsandschani und Maschai abgelehnt, um den Weg für den Wunschkandidaten des Revolutionsführers zu ebnen. Das herrschende System in Iran sei eine "absolute Monarchie". Nun werde die geringe Wahlbeteiligung die Regierung mehr als bisher schwächen, die bereits bestehende Probleme potenzieren, die Sanktionen verhärten und die verbreitete Unzufriedenheit in der Bevölkerung steigern. Gleichzeitig würden sich die Menschen im Land der herrschenden Lage bewusster werden und die Alleingänge des absoluten Herrschers weit mehr als bisher in Frage stellen. Den Reformern bliebe nach dem "Raub der freien Wahlen" keine andere Wahl, als ein Boykott.

Auch von amerikanischer Seite wurde die Entscheidung des Wächterrats kritisiert. Außenminister John Kerry bezeichnete das Auswahlverfahren als intransparent. Jeder müsse sich darüber wundern, dass in Iran ein nicht aus Wahlen hervorgegangener Wächterrat "hunderte von potenziellen Kandidaten auf Grundlage unklarer Kriterien" ausgeschlossen habe, sagte Kerry am 24. Mai bei einem Besuch in Tel Aviv. "Der Mangel an Transparenz macht es sehr unwahrscheinlich, dass die Kandidatenliste einerseits den breiten Willen des iranischen Volkes repräsentiert und andererseits einen Wandel darstellt", bemängelte der US-Chefdiplomat.

Der Wächterrat habe die Liste von 700 möglichen Präsidentschaftskandidaten stark beschnitten und dabei nur darauf geachtet, "wer die Interessen des Regimes vertritt", sagte Kerry bei einer Pressekonferenz.

Teheran wies die Kritik umgehend zurück. Außenminister Ali Akbar Salehi sagte laut Medienberichten vom 26. Mai, Iran sei "überaus sensibel" gegenüber Einmischungen in seine inneren Angelegenheiten. Außenamtssprecher Abbas Araktschi sagte, die Wahlen in Iran seien "frei und transparent" und entsprächen den nationale "Gesetzen und Regelungen".

Die Staatssekretärin im US-Außenministerium, Wendy Sherman, kritisierte vor dem Senatsausschuss "gezielte und unerbittliche" Repressionen im Vorfeld der Präsidentenwahl am 14. Juni in Iran. Der iranische Wächterrat, der über die Zulassung von Kandidaten entscheidet, verwende "vage Kriterien, um mögliche Kandidaten auszuschließen". Die Grüne Bewegung, die sich aus den Protesten gegen die aus ihrer Sicht manipulierte Präsidentenwahl 2009 gebildet hatte, sei nach der Inhaftierung hunderter Reformpolitiker, Journalisten und Unterstützer "praktisch nicht mehr vorhanden", sagte Sherman.


ZURÜCKWEISUNG ZAHLREICHER BEWERBER FÜR DIE KOMMUNALWAHLEN

Gleichzeitig mit der Präsidentschaftswahl finden in Iran am 14. Juni auch Kommunalwahlen statt. Wie am 14. Mai bekannt wurde, hat der Wächterrat, der bei sämtlichen Wahlen für die Zulassung der Bewerber verantwortlich ist, zahlreiche Bewerber zurückgewiesen. Die meisten von ihnen gehören der Fraktion der Reformer an, wie Masumeh Ebtekat, Vizepräsidentin unter Chatami, Fatemeh Rakei, ehemalige Parlamentsabgeordnete, oder auch Mohssen Haschemi, Sohn des Ex-Präsidenten Rafsandschani und früherer Geschäftsführer der Teheraner U-Bahn. Die Agentur ISNA berichtete von 203 Zurückweisungen. Die abgelehnten Bewerber können innerhalb von vier Tagen gegen die Entscheidung Protest einlegen.

Der Teheraner Stadtrat hat 15 Mitglieder. Es gab allein in Teheran mehr als 3000 Bewerber.


WALAYATI NENNT IRANS AUßENPOLITIK "SEHR PROBLEMATISCH"

Ali Akbar Welayati, früher Außenminister und gegenwärtig außenpolitischer Berater des Revolutionsführers, der als Kandidat für das Präsidentenamt zugelassen worden ist, kritisierte die iranische Außenpolitik, obwohl die wichtigsten außenpolitischen Entscheidungen von Chamenei getroffen werden. Chamenei hat die radikale iranische Außenpolitik stets gelobt. Vor einer Versammlung in der nordwestlichen Stadt Tabris sagte Welayati, "unsere Außenpolitik ist sehr problematisch", doch die Probleme ließen sich mit Klugheit lösen. Mit der Lösung außenpolitischer Probleme ließen sich auch viele wirtschaftliche und innenpolitische Probleme lösen, sagte er.

Welyati gehört zu den Kandidaten der konservativen "Prinzipientreuen", der sowohl dem Revolutionsführer als auch den geistlichen Instanzen nahe steht und der als einer der Favoriten bei der Wahl des künftigen Präsidenten gilt. Er war sechzehn Jahre lang als Außenminister unter Mir Hossein Mussavi und Haschemi Rafsandschani tätig. Danach übernahm er die außenpolitische Beratung des Revolutionsführers.

Kritik übte Welayati auch an der Wirtschaftspolitik der Regierung Ahmadinedschad. Konkret erwähnte er die rapide Zunahme der Inflation, die Arbeitslosigkeit, den Fall der Landeswährung und die steigende Armut. "Noch nie in der Geschichte der Islamischen Republik ist es so dringend und wichtig gewesen, eine machtvolle, fähige, kompetente Regierung zu wählen, die die Grundsätze der islamischen Revolution mit voller Überzeugung vertritt", sagte Welayati. Ohne ein Beispiel zu nennen, sagte er, es sei doch nicht nötig, wegen kleiner Probleme auf große Vorteile zu verzichten, die gute Beziehungen zu anderen Staaten für das Land bringen.

Obwohl die Atompolitik zu den Bereichen gehört, in denen jede Entscheidung der Zustimmung des Revolutionsführers bedarf und bei denen die Regierung kaum eine Rolle spielt, äußerte Welayati die Hoffnung, mit einer durchdachten Außenpolitik im Atomstreit gute Ergebnisse erzielen zu können.

Auch der ehemalige Atomunterhändler in der Regierung Chatami, Hassan Rohani, dessen Bewerbung um die Nachfolge Ahmadinedschads ebenfalls vom Wächterrat akzeptiert worden ist, will nach eigenen Angaben die iranische Außenpolitik ändern. Sein Wahlslogan ist "Besonnenheit und Hoffnung". Als Präsident wolle er ein Ende der internationalen Isolierung Irans erreichen. Der Kleriker war 29 Jahre lang Abgeordneter und Vizepräsident des Parlaments. 1989 wurde er zum Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats ernannt. 2003 bestimmte ihn Chatami im Atomstreit zum Chefunterhändler. Mit ihm hatte die Islamische Republik zwar Differenzen mit dem Westen, aber es gab weder eine Krise noch lähmende Sanktionen. Kurz nach dem Amtsantritt Ahmadinedschads im Sommer 2005 trat Rohani wegen diverser Meinungsverschiedenheiten mit dem Präsidenten zurück. Sein Buch über den Atomkonflikt gehört zu den besten Quellen, in denen der Konflikt und seine politischen und wirtschaftlichen Hintergründe detailliert beschrieben werden.

Rohani steht dem ehemaligen Staatspräsidenten Haschemi Rafsandschani nahe. Für seine Kampagne wählte er die Farbe Lila - die Opposition hatte sich vor vier Jahren für die Farbe Grün entschieden. Bereits in seiner ersten Rede nach Bekanntgabe der Bewerbung um das Prasidentenamt übte er harsche Kritik an Ahmadinedschads Atompolitik. Atomverhandlungen dürften nicht so geführt werden, dass das Land in eine politische und wirtschaftliche Krise gerate. Ahmadinedschad beherrsche die Kunst der diplomatischen Verhandlungen nicht, sondern verfolge nur Hetzrhetorik, die das Land an den Rand eines Krieges gebracht habe. "Jedes Mal ,Tod den USA' zu rufen, ist einfach, die Politik der USA sachlich zu neutralisieren, ist aber die wahre Kunst", sagte Rohani. "Man muss auch mal zuhören können und auch akzeptieren, wenn die Gegenseite etwas Richtiges sagt", fügte er hinzu. "In der Weltpolitik haben manche Fehler schwerwiegende und langfristige Folgen, deren Kosten dann letztendlich das Volk bezahlen muss", zitierte ihn die Nachrichtenagentur Mehr am 9. Mai.

Zur ökonomischen Lage bemerkte Rohani, obwohl das Land mit Öl und Gas gesegnet sei, müssten viele Menschen wegen der innen- und wirtschaftspolitischen Fehler des Präsidenten in Armut leben. "Warum sollten in einem Land mit so viel wirtschaftlichem Potenzial 3,5 Millionen Menschen, darunter 750 000 Akademiker, arbeitslos sein?", fragte Rohani. Er kritisierte außerdem den Wertverlust der einheimischen Währung, die innerhalb eines halben Jahres zwei Drittel an Wert verloren habe. "Es schmerzt einem das Herz", dass hoch qualifizierte Personen aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen müssen, statt dem Land in geeigneten Positionen weiterzuhelfen, sagte er.


JUSTIZCHEF KRITISIERTE MASCHAI

Für seine Äußerungen über eine Wende zum "iranischen Islam" wurde Esfandiar Rahim Maschai, der als engster Berater Ahmadinedschads gilt, von Justizchef Sadegh Laridschani scharf kritisiert. Auf einer Versammlung der Lehrer und Studenten sagte er, auch der Revolutionsführer habe vor islamischen Gelehrten diese aufgefordert, sich um die Verbreitung der islamischen Kultur zu bemühen (s. Bericht auf S.11 ff). Doch es gäbe Leute, die behaupteten, Iran könne sich ohne den Islam besser und schneller entwickeln. "Aber wir sind in erster Linie Muslime und dann Iraner", sagte Laridschani.

Maschai gilt als theoretischer und ideologischer Wegweiser Ahmadinedschads. Er präsentiert sich seit geraumer Zeit als Verteidiger und Bewahrer der Werte der altiranischen Kultur und predigt einen Nationalismus, mit dem er Teile der Gesellschaft, die keine Sympathien für die konservative Geistlichkeit aufbringen, für sich gewinnen will. Auf einer Versammlung vor Studenten sagte Maschai am 1. Mai, es zeichne sich eine Epoche der Wende zum Islam ab. Doch der Islam, allgemein genommen, "bringt uns nicht weiter". "Deshalb müssen wir für unseren Islam, der auf unserer iranischen Kultur basiert, werben. Das bedeutet nicht, dass wir den Islam beiseiteschieben."

Maschai wurde oft von Konservativen kritisiert, nicht nur weil er den iranischen Nationalismus predigt, sondern auch, weil er von der "Freundschaft zwischen Iraner und Israelis" sprach und vom Ende des Islamismus. Als er bereits vor Jahren eine Diskussion über "iranische Schule" und "islamische Schule" in Gang brachte, wurde ihm vorgeworfen, er habe die Absicht, die alte iranische Kultur als Alternative zum Islam darzustellen.

Den versammelten Studenten sagte er, er habe oft erläutert, was er mit dem Ende des Islamismus meine. Heute gebe es in Syrien Leute, die sich als zum Islam bekennen und gleichzeitig ihre Gegner köpfen. Er habe genau diesen Islam gemeint.

Maschai und seine Anhänger, die einen engen Kreis um Ahmadinedschad bilden, werden im Sprachgebrauch der Konservativen als "Abweichler" bezeichnet. Obwohl Maschai von den Anhängern Chameneis angefeindet wird und der Revolutionsführer seine Ernennung zum Vizepräsidenten per Dekret verhindert hatte, steht Ahmadinedschad fest an seiner Seite und hält ihm die Treue.


CHATAMI BEKLAGT DIE "ERSTICKENDE POLITISCHE ATMOSPHÄRE"

Ex Präsident Mohammad Chatami, der trotz großer Chancen nicht für das Präsidentenamt kandidierte, sagte vor einer Versammlung von Handwerkern am 4. Mai: "Das Vertrauen zwischen den Bürgern und dem Staat ist zerstört, die Werktätigen befinden sich in einer unerträglichen Situation, der Mittelstand und die Jugend haben ihre Hoffnungen verloren. All das muss wieder hergestellt werden."

Die Rückkehr zum "Nullpunkt", das heißt zum Stand vor der achtjährigen Regierung Ahmadinedschads, sei jedoch nur möglich, wenn es in der Staatsführung Kosens gebe. Ohne den Willen des Revolutionsführers und ohne eine Koordinierung der Pläne mit ihm ließen sich die Probleme nicht lösen. Es müsse jemand die Regierung übernehmen, dem all dies gelinge und der in der Lage sei, Einvernehmen in der Staatsführung herzustellen. Dieser müsse fähig sein, das Potenzial an menschlichem Kapital, dem nach dreißig Jahren Islamischer Republik bedauerlicherweise Schaden zugefügt worden sei - viele befinden sich im Gefängnis oder im Hausarrest, viele müssen starke Einschränkungen hinnehmen -, einzusetzen und damit eine allseitig starke und fähige Führung herzustellen.

"Wichtig ist zunächst, dass die Atomsphäre des Misstrauens, die in der erstickenden politischen Luft zum Ausdruck kommt, sowohl seitens der Regierung dem Volk gegenüber als auch umgekehrt, beseitigt wird", sagte Chatami.

Zu seiner möglichen Bewerbung um das Präsidentenamt sagte Chatami an jenem 4. Mai: "Ich mache mir Gedanken, ob ich die Möglichkeit haben werde, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen, ob man mich arbeiten lassen würde oder ob nicht vielmehr meine Regierung noch mehr Zwietracht zwischen den Fraktionen erzeugen würde." Ihn beschäftige auch die Frage, ob er sich überhaupt um die Regierungsübernahme bemühen könnte, während Mir Hossein Mussavi und Mehdi Karrubi (führende Politiker der oppositionellen Grünen Bewegung) unter Hausarrest stehen und zahlreiche wertvolle Menschen im Gefängnis weilen.

Während zahlreiche Gruppen und Verbände Chatami zu Teilnahme an dem Wettbewerb drängten, veröffentlichte die Tageszeitung Kayhan einen Schmähartikel gegen den ehemaligen Präsidenten. Der Beauftragte des Revolutionsführers und Herausgeber der Zeitung Hossein Schariatmadari bezeichnete Chatami als "Verderber auf Erden" und "Verräter" und meinte, dass der Wächterrat ihn niemals als Kandidat akzeptieren würde. Ein Mitglied des Wächterrats, Mohssen Esmaili, kritisierte den Artikel und sagte: "Mutmaßungen einzelner Personen haben keine rechtliche Grundlage und keinen Einfluss auf Entscheidungen des Wächterrats. Sie sind auch der politischen Atmosphäre nicht dienlich." Bislang sei über keinen Bewerber im Wächterrat gesprochen worden. Dies werde erst geschehen, wenn die Registrierungsfrist abgeschlossen sei.


RAFSANDSCHANI GREIFT AHMADINEDSCHAD SCHARF AN

Einem Bericht der Agentur Mehr zufolge sagte Ex-Präsident Haschemi Rafsandschani vor einer Versammlung von Journalisten und Studenten am 28. April, die künftige Regierung werde mit schweren Problemen zu kämpfen haben. Er habe bereits 2008 in einem Kreis von Mitgliedern des Expertenrats seine Kritik an der Regierung detailliert erläutert. Er habe seine Rede auf Band aufgenommen. Darin habe er alles prophezeit, was später tatsächlich eingetroffen sei. Die Regierung habe die fähigsten Kräfte unter dem Vorwand Jüngere einzusetzen, ausgeschlossen, sagte Rafsandschani. Auch in der Außenpolitik sei "schlecht gehandelt" worden. "Erst wurde provoziert und zum Streit herausgefordert und später wurde erklärt, die Sanktionen seien nicht mehr wert als ein Fetzen Papier." Die Außenpolitik müsse grundlegend reformiert werden, sagte der Ex-Präsident. "Wir wollen keinen Krieg gegen Israel. Aber wenn die Araber Israel angreifen sollten, werden wir sie unterstützen."

Die Regierung habe enorme Schulden angehäuft, sagte Rafsandschani. Ahmadinedschad sollte wissen, dass die Regierung im Dienste des Volkes stehe. Es könne nicht sein, dass jeder tut, was ihm beliebt und gleichzeitig jede Kritik verboten wird. Die Regierung gehöre dem Volk. "Wenn die Regierung sich dem Volk aufzwingt, werden ihr die Menschen in Zeiten der Not keine Unterstützung gewähren. Keine Diktatur kann letztendlich Erfolg haben."

Gerichtet an den Wächterrat sagte Rafsandschani: "Wir erwarten, dass kompetente Bewerber nicht ohne Grund abgewiesen werden. Die Wähler werden die Kandidaten beurteilen und nicht zulassen, dass ihr Land zerstört wird."

Geheimdienstminister Haidar Moslehi wies Rafsandschanis Kritik mit Schärfe zurück. "Wir haben genaue Information, dass dieser Herr an der Verschwörung beteiligt war", sagte er am 2. Mai. Mit Verschwörung sind die landesweiten Proteste gegen die Wiederwahl Ahmadinedschads 2009 gemeint. "Diese Person hat die naiven Führer der Verschwörung und deren Anhänger ermuntert und den Marsch zum Aufruhr geblasen. Heute steht er unter Beobachtung des Staates, der nicht eine Wiederholung der Ereignisse von 2009 zulassen wird." Ohne den Namen Rafsandschanis zu nennen, sagte Moslehi, derjenige, der zu den Drahtziehern der Verschwörung gehörte und den man unter Berücksichtigung gewisser Umstände nicht wie die anderen eingesperrt habe, sollte sich nicht täuschen und glauben, der Staat habe seine Rolle bei der Verschwörung vergessen.

Der konservative Abgeordnete Ahmad Tawakoli reagierte auf die Kritik von Moslehi mit der Bemerkung, der Informationsminister habe die Aufgabe für die Sicherheit des Landes zu sorgen und dürfe sich nicht in parteipolitische Angelegenheiten einmischen. Zudem stehe die Kritik an Rafsandschani nicht im Einklang mit den Stellungnahmen des Revolutionsführers. Auch der Abgeordnete Mohammad Resa Tabesch wies Moslehis Kritik zurück. Er wundere sich über die Angriffe gegen Rafsandschani und Chatami. Wozu die Aufregung und Befürchtung, wenn zugleich behauptet werde, dass die beiden keine Basis im Volk hätten. Er warnte davor, so leichtfertig mit dem "geistigen, gesellschaftlichen und personellen Kapital" des Landes umzugehen. Es gäbe Leute, die mit "beißenden zum Teil unbegründeten Worten" Persönlichkeiten, die an der Revolution Anteil haben und über eine breite Basis im Volk verfügen, angreifen und das "lodernde Feuer von Rache und Hass" schüren. "Damit verbreiten sie Hoffnungslosigkeit, was sicherlich auf das Schicksal der Wahlen nicht ohne Wirkung bleibt."


CHAMENEI SPRICHT VOM ERWACHEN DES ISLAM

In einer programmatischen Rede vor einer Versammlung von islamischen Gelehrten aus allen islamischen Ländern sagte Irans Revolutionsführer Ali Chamenei am 29. April, das Erwachen des Islam bilde eines der wichtigsten Themen nicht nur in der islamischen Welt, sondern auch international. Es sei ein Phänomen, das sich, wenn es gesund bliebe und sich fortsetzen würde, in nicht allzu ferner Zeit als Ideal der gesamten Menschheit herausstellen könnte, sagte Chamenei. Wir zitieren die wichtigsten Passagen der Rede, weil sie für die Denkweise und Vorstellungen der Führung der Islamischen Republik exemplarisch ist.

In Punkt 1 seiner Ausführungen hob Chamenei die gesellschaftspolitische Bedeutung des Islam hervor. Was heute keiner mehr leugnen könne, sei die Tatsache, dass der Islam gesellschaftlich und politisch längst nicht mehr eine Randerscheinung sei, sondern ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt sei. Dies sei angesichts der schweren Niederlage, die sowohl der Liberalismus als auch der Kommunismus erlitten hätten, ein höchst bemerkenswertes Phänomen. Das erste Signal dieser Entwicklung bilden die politischen und revolutionären Ereignisse in Nordafrika und im arabischen Raum, ein Signal, das auf weitaus größere Eruptionen in der Zukunft hinweist, erklärte der Revolutionsführer.

Das Erwachen des Islam, ein Begriff, den die Sprecher der "Front der Unterdrücker und Reaktionäre" fürchten und sogar in ihren Reden vermeiden, sei eine Tatsache, die man heute in der gesamten islamischen Welt beobachten könne. Dies zeige sich vor allem bei dem Bestreben der Jugend zur Wiederbelebung der Größe der islamischen Kultur sowie in der zunehmenden "Entlarvung des hässlichen Gesichts" der Staaten und Institutionen, die über zweihundert Jahre lang den islamischen und nichtislamischen Osten mit ihren "blutigen Krallen" unterdrückt und mit der Maske der "Kultur und Zivilisation die Völker erbarmungslos ihrer Machtgier geopfert haben", sagte Chamenei.

An dem Tag, an dem der Islam in Iran den Sieg davon trug und den Stützpunkt der USA und des Zionismus in einem der sensibelsten und wichtigsten Länder und Regionen der Welt erobern konnte, hätten die Weisen und Weitsichtigen wohl gewusst, dass sie Geduld aufbringen müssten, um weitere Siege zu erringen. Heute diene diese teure Errungenschaft als Vorbild für alle Völker, die sich gegen Unterdrückung und Despotie erhoben hätten und denen es gelungen sei verderbliche Regime, die als Lakai der USA fungiert hätten, zu stürzen, sagte Chamenei. Er wies darauf hin, dass diese neue Bewegung bereits beim Einzug der Kolonialisten in die islamische Welt unter der Führung von berühmten Geistlichen begonnen habe. "In der Gegenwart leuchtet der Name von Ayatollah Chomeini wie ein Stern am Himmel der Islamischen Revolution in Iran." Die Geistlichkeit habe schon immer als Vorhut der fortschrittlichen Bewegung gewirkt. Sie habe stets an vorderster Front gestanden und ohne Gefahren zu scheuen, die Führung innegehabt.

Gerade deshalb seien die Pfeile der Feinde in erster Linie auf die Geistlichkeit gerichtet. Es werde versucht, andere Instanzen als Alternative zu konstruieren. Diese Versuche stellten die standhafte Geistlichkeit vor schwere Aufgaben. Alle müssten wachsam sein, um solche Versuche zu vereiteln, meinte der Revolutionsführer.

Zweitens bedürfe es einer langfristigen Planung und Zielsetzung für die islamischen Länder. Dies könne nur auf der Basis der "leuchtenden Kultur des Islam" geschehen, das heißt auf der Grundlage einer vom Volk getragenen Regierung, einer islamischen Gesetzgebung, eines Kampfes für die vielfältigen Bedürfnisse der Menschen, einer gerechten Gesellschaft, eines allgemeinen Wohlstands. Die Wirtschaft müsse frei sein vom Wucher.

Drittens müsse die islamische Bewegung stets die bittere und schreckliche Erfahrung der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und moralischen Abhängigkeit vom Westen im Auge behalten. Die islamischen Länder hätten mehr als ein Jahrhundert lang die schädliche Wirkung dieser Abhängigkeit zu spüren bekommen. Armut, Rückständigkeit, moralischer und geistiger Niedergang seien die Folge gewesen. Diese Feststellung dürfe nicht als Feindschaft gegen den Westen verstanden werden. "Wir spüren keine Feindschaft gegen Menschengruppen, die in einem anderen Teil der Welt leben. Unser Kampf richtet sich gegen Unrecht und Unterdrückung, gegen moralischen und geistigen Niedergang", der von den Kolonialmächten verursacht worden sei. Sogar jetzt sei zu beobachten, wie die USA und ihre Verbündeten in der Region versuchen, ihre Interessen gerade in jenen Ländern, in denen das Erwachen des Islam stattfindet, den neuen Regierungen aufzuzwingen. Deren Versprechen dürfe führende Politiker nicht in die Irre führen und die Bewegung beeinflussen. Jenen, die den USA vertraut und sich in deren Abhängigkeit begeben hätten, sei es nicht einmal gelungen, auch nur ein Haus der Palästinenser vor der Zerstörung zu bewahren, sagte Chamenei.

Als vierten Punkt nannte Chamenei die Erzeugung von blutigen religiösen, ethnischen und nationalen Zwistigkeiten, die zu den Gefahren zählten, welche die islamische Bewegung am meisten bedrohen könnten. Heute würden solche Zwistigkeiten seitens westlicher und zionistischer Geheimdienste mit Hilfe von Petrodollars und einheimischen Politikern geschürt. Gelder, die den Völkern Wohlstand bringen könnten, würden nur für Bedrohungen, Denunzierungen und Terroranschläge ausgegeben. Heute seien Libyen, Ägypten, Tunesien, Syrien, Pakistan, Irak und Libanon, jeder auf einer besonderen Art von gefährlichen Flammen der Feindseligkeiten bedroht. Die westlichen Propagandaorgane stellten die Auseinandersetzungen in Syrien als Feindseligkeiten zwischen Schiiten und Sunniten dar. Dabei seien weder die syrische Regierung schiitisch noch ihre Gegner sunnitisch. Dort stehen sich die Anhänger des Widerstands gegen Zionismus und ihre Gegnern gegenüber. Die Kunst der Drahtzieher dieses katastrophalen Szenarios bestehe allein darin, Emotionen leichtgläubiger Menschen zu schüren und auf den blutigen Schauplatz zu lenken. Das treffe auch auf Bahrain zu. Dort habe sich die unterdrückte Mehrheit, die seit Jahren weder Wahlrecht noch andere Grundrechte besitze, zur Wehr gesetzt und ihre Rechte gefordert. Man könne doch diese Tatsache nicht als eine Feindschaft zwischen Schiiten und Sunniten darstellen, nur weil die Mehrheit schiitisch und der despotische Staat säkular ist und sich als sunnitisch darstellt, sagte Chamenei.

Die Richtigkeit des Weges der islamischen Bewegung zeige sich unter anderem in ihrer Position zu Palästina. Seit sechzig Jahren habe es für die Muslime keine größere innere Qual gegeben als die Okkupation von Palästina. Die Katastrophe in Palästina sei vom ersten Tag an verbunden gewesen mit Terror, Mord, Zerstörung, Besatzung und Angriffen gegen islamische Heiligtümer. Der Widerstand und Kampf gegen diesen aggressiven und kriegstreibenden Feind habe die gemeinsame Basis für alle islamischen Gruppen gebildet. Dies sei auch der Gradmesser für die Treue zum Islam, für Ehrlichkeit und Patriotismus.

Zum Schluss seiner Ausführungen ermahnte Chamenei die Anwesenden, die Rachegefühle der Feinde zu ignorieren. Die Erfahrungen der Islamischen Republik könnten diesbezüglich lehrreich sein. Das Land habe über dreißig Jahre Intrigen und Verschwörungen erlebt. Was jedoch die Pläne der Feinde vereitelt habe, seien die unbedingte Treue zu den Grundsätzen des Islam und die ständige Präsenz und Unterstützung des Volkes gewesen. Diese beiden Faktoren seien der Schlüssel zum Erfolg.


SCHWERE VORWÜRFE GEGEN VIZEPRÄSIDENT BAGHAI

Die iranische Finanzkontrollbehörde, die für die Kontrolle sämtlicher Ministerien und staatlichen Ämter zuständig ist und der Justiz untersteht, veröffentlichte am 7. Mai Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass Vizepräsident Hamid Baghai illegal einen Großauftrag ohne Ausschreibung vergeben habe. Zu den Unterlagen gehört auch ein Schreiben Baghais an einen anderen Vizepräsidenten, in dem er ihn bittet, ohne Beachtung der Ausschreibungsvorschrift den Auftrag zum Bau eines Kongresssaals auf der Insel Kisch im Persischen Golf an eine bestimmte Privatfirma zu vergeben. Das Auftragsvolumen beträgt 450 Million Euro.

Den Informationen der Behörde zufolge hatte Baghai den Auftrag 2010 erteilt. Die Privatfirma sei erst vier Tage vor der Auftragsvergabe gegründet worden. Der Leiter der Behörde, Mostafa Purmohammadi, der zu den Kritikern des Regierungschefs Ahmadinedschad gehört, hatte bereits vor Wochen im staatlichen Fernsehen den 450-Millionen-Auftrag erwähnt. Baghai hatte die Information als eine "glatte Lüge" bezeichnet und behauptet, ein solcher Auftrag habe nie existiert. Daraufhin hatte Purmohammadi mit der Veröffentlichung der Dokumente gedroht. Nun kündigte er an, dass der Fall gerichtlich geklärte werde. Einige Verdächtige seien in diesem Zusammenhang bereits vom Gericht vorgeladen worden.

Wie die Behörde mitteilte sollte zunächst der Kongresssaal für den Gipfel der blockfreien Staaten in Teheran gebaut werden, doch dann fiel die Entscheidung für die Insel Kisch. Aber der Bau wurde nicht rechtzeitig fertig.


AUßENMINISTERIUM BESTÄTIGT FESTNAHME EINES DIPLOMATEN

Das Außenministerium in Teheran hat am 2. Mai die Festnahme eines Diplomaten bestätigt, wie das staatliche Fernsehen berichtete. Zuvor hatte die Agentur Reuters die Verhaftung eines "ranghohen" iranischen Diplomaten, der der iranischen Vertretung bei der UNO angehörte, gemeldet.

Reuters hatte den Namen des Inhaftierten aus einer ungenannten Quelle erfahren. Bagher Assadi heißt der Diplomat. Er sei bereits im März in Teheran verhaftet worden, hieß es. Laut Reuters war der 61-Jährige auch Mitglied in einer Gruppe von acht Entwicklungsländern. 2003 war Assadi auf Anordnung des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan Mitglied in dieser Gruppe zur Koordinierung der Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Vereinten Nationen geworden. 2004 hatte er in einem Artikel für die New York Times die Ansichten des damaligen Staatspräsidenten Mohammad Chatami unterstützt und seine Sorge über eine mögliche Machtübernahme der Konservativen in Iran zum Ausdruck gebracht. Nicht klar ist, welche Position Assadi zur Zeit seiner Verhaftung innehatte.

Am 3. Mai sagte Außenminister Ali Akbar Salehi während eines Besuchs der Teheraner Buchmesse: "Es ist bedauerlich, dass im Falle von Assadi, der zu den erfahrensten und wertvollsten Mitarbeiter des Außenministeriums gehört und der in seiner diplomatischen Laufbahn stets zugunsten der Interessen seines Landes gehandelt hat, ein Missverständnis vorliegt." Salehi äußerte die Hoffnung, dass das "Missverständnis" bald geklärt werde, fügte aber hinzu: "Jede Institution hat ihre Verantwortung. Uns wurden von einer Institution Berichte vorgelegt, die wie ich hoffe, nicht zutreffen." Er lobte Assadi und sagte, "so wie wir ihn kennen, ist er ein gläubiger Mensch, er stammt aus einer ehrwürdigen Familie und hat als Diplomat einen guten Namen." Er äußerte die Hoffnung, dass Assadi bald freigelassen werde.

Den Namen der Institution, die die Verhaftung Assadis angeordnet habe, nannte Salehi nicht, ebenso äußerte er sich nicht zu den Vorwürfen gegen den Diplomaten. Reuters berichtete, dass die Verhaftung vermutlich im Zusammenhang stehe mit den bevorstehenden Präsidentenwahlen im Juni. Tatsächlich war Assadi während der Präsidentschaft Chatamis in der UNO beschäftigt und hat sich stets für die Fraktion der Reformer eingesetzt.

Einzelheiten über den Fall Assadi sind bislang nicht bekannt. Die in Teheran erscheinende Tageszeitung Bahar zitierte die Äußerungen des Parlamentsabgeordneten Ahmad Bachschajesch Ardestani zu dem Fall Assadi. Dieser wusste zunächst nichts von der Verhaftung, sagte lediglich: "Wenn ein Diplomat verhaftet wird, kann das entweder wegen eines Vergehens in dem Land sein, in dem er gearbeitet hat, oder es handelt sich um sein politisches Engagement zum Beispiel zugunsten der Reformer." Die Vermutung, Assadi könnte verhaftet worden sein, weil er 2009 an den Protestdemonstrationen teilgenommen habe, wies Ardestani zurück. "Die Sicherheitsorgane werden nicht nach vier Jahren einen Reformer in Haft nehmen."

In einem zweiten Gespräch mit der Zeitung sagte Ardestani, er habe sich erkundigt. Auch das Außenministerium habe keinerlei Kenntnis von dem Fall. "Ich denke, dass die Nachricht falsch ist, es ist eine Dreistigkeit von Reuters, solche Berichte zu veröffentlichen."


ZAHL DER ARBEITSLOSEN FRAUEN SEIT AHMADINEDSCHAD VERDOPPELT

Der Leiter des "Hauses der Arbeiter", Aliresa Mahdschub, gab am 30. April bekannt, dass sich die Zahl der arbeitslosen Frauen unter Ahmadinedschad im Vergleich zu den Jahren davor verdoppelt hat. Die Frauen seien die ersten Opfer der massenhaften Entlassungen, ungleicher Löhne und Ungleichheit der Geschlechter.

Die in Teheran erscheinende Tageszeitung Schargh zitierte Mahdschub, der mit dem Hinweis auf offizielle Statistiken sagte, die Zahl der beschäftigten Frauen bewege sich im Vergleich zu der Gesamtheit der Beschäftigten zwischen 15 und 17 Prozent. Dies zeige, dass die Teilnahme der Frauen am Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren nicht gestiegen sei.

Die Leiterin des Verbands der Arbeiterinnen in der Provinz Ostaserbaidschan, Sima Asghari, erklärte, Frauen seien die ersten Opfer am Arbeitsmarkt. Zudem erhielten Frauen, insbesondere bei privaten Betrieben, keine Zulagen, darunter auch kein Kindergeld und erhielten nur einen Grundlohn. Wie die Agentur ILNA berichtete, sagte Asghari bei einer Sitzung des "Hauses der Arbeiter", die Reduzierung der Arbeitszeit, die von der Regierung vorgeschlagen und vom Parlament bestätigt worden sei, sei gerade zur Zeit der Wirtschaftsflaute für beschäftigte Frauen ein schwerer Schlag.

Die Regierung Ahmadinedschad vermeidet klare Angaben über die Lage beschäftigter Frauen. Hassan Sadeghi, Stellvertreter von Mahdschub, sagte der Zeitung Schargh: "Die amtierende Regierung treibt ein Versteckspiel, was dazu führt, dass soziale Gruppen keine genauen Angaben über Arbeitslosenzahlen und deren Kategorisierung machen können."

ILNA zufolge schätzt das "Haus der Arbeiter", dass ein Trend hin zur Erhöhung der Arbeitszeit zu beobachten sei. Die Entlassung von Frauen habe zugenommen. Dies habe zur größeren Ausbeutung der Frauen geführt. In kleineren Betrieben würden oft Frauen keine feste Arbeit bekommen und lediglich mit Laufarbeiten und unbedeutenden Tätigkeiten beschäftigt. Daher sei die Ausbeutung von Frauen weit größer als die von Männern.

Asghari beklagte sich über weibliche Abgeordnete im Parlament, die sich kaum um die Belange der Frauen kümmern würden. Dies habe bei arbeitenden und arbeitslosen Frauen eine große Enttäuschung hinterlassen.

Unter den Akademikerinnen sei die Arbeitslosigkeit wesentlich größer als bei den Akademikern, obwohl die Zahl der Akademiker und Akademikerinnen in vielen Bereichen gleich ist.

Ein Problem sei die Schließung großer Betriebe, was die Frauen in die Kleinbetriebe treibt, in denen Arbeitsgesetze keine Geltung haben, sagte Asghari. Hier arbeiten oft Frauen unter unerträglichen Bedingungen zehn Stunden und mehr am Tag, sagte Parvin Mohammadi, ein Mitglied des "Hauses der Arbeiter". Etwa siebzig Prozent der Frauen arbeiteten unter "ungünstigen Bedingungen", sagte sie.

Das "Haus der Arbeiter" ist eine staatliche Vertretung der Arbeiterinteressen.


ABERMALS ERDBEBEN IM SÜDEN IRANS

Ein Erdbeben mittlerer Stärke hat am 6. Mai erneut die Region um den einzigen Atomreaktor Irans erschüttert. Der amtlichen Nachrichtenagentur IRNA zufolge gab es keine Angaben zu möglichen Folgen. Das Beben hatte eine Stärke von 5,1. Das Epizentrum befand sich bei Kaki, etwa 100 Kilometer südöstlich der Provinzhauptstadt Bushehr, wo sich der Atomreaktor befindet.

Bereits Anfang April hatte ein Erdbeben der Stärke 6,1 dieselbe Region erschüttert. Damals kamen mindesten 37 Menschen ums Leben. Das Unglück ließ Rufe nach mehr internationalen Sicherheitsinspektoren für den Reaktor laut werden. Iran hatte damals mitgeteilt, der Atomreaktor sei nicht beschädigt worden. 2003 waren bei einem verheerenden Beben der Stärke 6,6 im Südosten des Landes rund 26 000 Menschen getötet worden.


ZWEI SPIONE HINGERICHTET

Wie die Teheraner Staatsanwaltschaft am 19. Mai bekannt gab, wurden zwei Spione, die mit dem US-Geheimdienst CIA und dem israelischen Geheimdienst Mossad zusammen gearbeitet haben sollen, hingerichtet. Die beiden wurden als "Krieger gegen Gott" eingestuft, für die in der Gesetzgebung der Islamischen Republik die Todesstrafe vorgesehen ist. Das Urteil sei vom Obersten Gericht bestätigt worden.

Einer der Verurteilten, Mohammad Heidari, soll geheime Informationen an den israelischen Geheimdienst weitergeleitet und dafür Geld erhalten haben. Dem zweiten Verurteilten, Kurosch Ahmadi, wurde vorgeworfen, die CIA mit Staatsgeheimnissen versorgt zu haben. Über den Zeitpunkt der Festnahme und der Verurteilung erteilte der Staatsanwalt keine Informationen. Die Agentur Fars veröffentlichte lediglich eine kurze Videoaufnahme, in der die beiden Verurteilten Geständnisse ablegen. Auch das Informationsministerium veröffentlichte eine Erklärung, in der es heißt, "die unbekannten Soldaten des Imam Chomeini" hätten mit Hilfe von "Spezialmethoden", die sie im In- und Ausland verwendet hätten, zwei Spionagenetze der CIA und des Mossad entlarvt. In der zweiten Phase sei die Anklageschrift durch zusätzliche Informationen und Geständnissen der Angeklagten vervollständigt worden. Schließlich seien die beiden Angeklagten von einem ordentlichen Gericht wegen Landesverrat zum Tode verurteilt und am frühen Morgen hingerichtet worden, hieß es in der Erklärung des Geheimdienstministeriums vom 19. Mai. Zugleich kündigte das Ministerium an, demnächst detaillierte Informationen über den Fall zu veröffentlichen.

Auch in den vergangenen Jahren wurden eine ganze Reihe Iraner unter dem Vorwurf der Spionage für ausländische Geheimdienste verurteilt. Die Regierung in Teheran wirft westlichen Agenten vor, u. a. heimische Wissenschaftler, die mit dem Atomprogramm in Verbindung gebracht wurden, ermordet zu haben. Im vergangenen Jahr veröffentlichte das Außenministerium eine Warnung an die iranischen Bürger. Darin hieß es: "In Anbetracht der Erkenntnisse über westliche Geheimdienste und über Iraner, die in die Falle der Geheimdienste geraten sind, möchten wir unseren lieben Landsleuten, die eine Auslandsreise planen, empfehlen, finanzielle oder Handels- oder Arbeitsangebote bzw. Angebote zur Vergabe von Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltsgenehmigung durch Unbekannte abzulehnen und die Angelegenheit mit einem Anwalt oder der iranischen Botschaft bzw. den Konsulaten zu beraten."

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WIRTSCHAFT

• Atomkonflikt
• IAEA-Bericht: Kapazitäten der Urananreicherung ausgebaut
• Saudi-Arabien: Irans Atomprogramm gefährdet die gesamte Region
• Bunkerbrecher für Fordo
• Massenproduktion von Flugabwehrraketen gemeldet
• Deutsch-Iraner wegen Embargo-Verstoßes angeklagt
• USA wollen kein Gold mehr an Iraner verkaufen


ATOMKONFLIKT

Im Vorfeld der Atomgespräche in Wien und Istanbul äußerte Iran die Hoffnung auf "Fortschritt". "Wir hoffen, dass die Diskussion morgen (15. Mai) gute Fortschritte bringt, sagte der neue iranische Außenamtssprecher Abbas Araghtschi am 14. Mai mit Blick auf die Verhandlungen mit der Internationalen Atombehörde (IAEA) in Wien. Er betonte, dass "die Fragen und Erwartungen" der IAEA nicht über das hinausgehen dürften, wozu Iran durch den Atomwaffensperrvertrag verpflichtet sei. Zu den Gesprächen in Istanbul zwischen der 5+1-Gruppe (ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland), vertreten durch die Außenbeauftragte Catherine Ashton und dem iranischen Chefunterhändler Said Dschalali sagte Araghtschi: "Wir erwarten die Antwort von Frau Ashton und hoffen, dass die Reaktion der 5+1-Gruppe auf die Vorschläge Irans konstruktiv sein wird."

Der Sprecher versicherte, dass die Kandidatur Dschalilis zur Präsidentenwahl die Verhandlungen nicht beeinträchtigen werde. "Die künftige Regierung wird die grundsätzlichen Positionen Irans und die Rechte unserer Nation verteidigen", sagte Araghtschi.

Trotz der geäußerten Hoffnung scheiterte auch dieses Mal die Gesprächsrunde mit der IAEA in Wien. Wie die IAEA mitteilte, sei es nicht möglich gewesen, eine Vereinbarung über den geforderten freien Zugang zu iranischen Atomanlagen, Dokumenten und Wissenschaftlern zu treffen.

Der iranische IAEA-Botschafter Ali Asghar Soltanieh sprach von "intensiven Diskussionen", bei denen beide Seiten Vorschläge gemacht hätten, die nun studiert werden müssten. IAEA-Chefinspektor Herman Nackaerts sagte, der Wille seiner Organisation zum Dialog sei "unerschüttert". "Wir müssen erkennen, dass unsere bisherigen Bemühungen nicht erfolgreich waren." Laut IAEA gibt es glaubhafte Hinweise, dass Iran mindestens bis 2003 ein militärisches Atomprogramm hatte. Iran kritisiert jedoch, dass diese Hinweise von Geheimdiensten der USA und Israels stammen. Es war bereits die zehnte Gesprächsrunde mit Iran, die scheiterte.

In Istanbul warnte Dschalali vor falschen Hoffnungen auf einen Kurswechsel seines Landes in der Atompolitik nach der Präsidentenwahl. Das Atomprogramm sei eine Staatsangelegenheit und als solche überparteilich, sagte er nach seiner Ankunft. Teheran beharre auf dem Recht, ein ziviles Atomprogramm zu betreiben. Wie von politischen Beobachtern erwartet, ging auch diese Gesprächsrunde ohne Ergebnis zu Ende. "Wir hatten ernsthafte Diskussionen und neue Ideen, auf deren Basis man die Atomverhandlungen weiterführen kann", sagte Dschalali nach dem Treffen mit Ashton am 16. Mai. An einem neuen Termin werde gearbeitet. Ashton hatte bereits vor dem Gespräch mit Dschalili erklärt: "Dies ist kein Treffen für Verhandlungen, sondern eine Gelegenheit, um die von uns gemachten guten Vorschläge in Betracht zu ziehen."


IAEA-BERICHT: KAPAZITÄTEN DER URANANREICHERUNG AUSGEBAUT

Nach Darstellung der Internationalen Atombehörde (IAEA) baut Iran seine Kapazitäten zur Urananreicherung aus. Einen entsprechenden Bericht veröffentlichte die IAEA am 22. Mai. Teheran habe hunderte von neuen Zentrifugen installiert. Zudem treibe das Land den Bau eines Forschungsreaktors voran. Westliche Experten befürchten, dass darin später Material für eine Atombombe hergestellt werden könnte.

Anders als westliche Kommentatoren, die in dem IAEA-Bericht eine Warnung sehen, wird er in Iran als Beweis für den "friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms" gelesen. Der Vierteljahresreport der Atombehörde widerlege "die Propaganda der westlichen Medien" zitierte die Agentur Fars am 23. Mai den IAEA-Botschafter Irans, Ali Asghar Soltanieh. Seine Begründung hierfür blieb offen. Zugleich bekräftigte Soltanieh die Linie Teherans, dass die von der UNO erlassenen Resolutionen gegen Iran wegen der "fehlenden rechtlichen Grundlage" ignoriert würden.

Der Vierteljahresbericht der IAEA attestiert Iran erhebliche Fortschritte bei seinem Atomprogramm und schürt damit die Furcht vor einer nuklearen Aufrüstung Teherans. Seit Februar habe sich die Zahl der in der zentral gelegenen Atomanlage Natans installierten High-Tech-Zentrifugen zur Anreicherung von Uran auf nunmehr knapp 700 vervierfacht, heißt es in dem Report. In Natans gibt es rund 12.000 Zentrifugen älterer Bauart, von den neuen Modellen sollen etwa 3000 installiert werden.

Dem Bericht zufolge sind zudem Fortschritte beim Bau eines Reaktors im zentraliranischen Arak zu erkennen, der Teheran bei der Gewinnung von Plutonium helfen könnte. Das US-Außenministerium bezeichnete diesen Befund als "bedauerlichen Meilenstein".

Für Erleichterung im Westen dürfte indes sorgen, dass der IAEA-Bericht mit Blick auf die unterirdische Atomanlage Fordo keine besonderen Fortschritte verzeichnete. Diese Anlage bietet der internationalen Gemeinschaft wegen der höheren Anreicherungskapazität besonders viel Anlass zur Sorge.

Unterdessen verabschiedete in den USA der Kongressausschuss für Außenpolitik am 23. Mai einen Gesetzesentwurf, mit dem die US-Sanktionen gegen Iran auf den Automobil-und Bergbausektor sowie auf Devisenreserven ausgedehnt werden sollen. Sollten beide Kongresskammern und US-Präsident Barack Obama dem Gesetz zustimmen, kämen die iranischen Rohölexporte praktisch zum Erliegen.


SAUDI-ARABIEN: IRANS ATOMPROGRAMM GEFÄHRDET DIE GESAMTE REGION

Der saudische Außenminister Prinz Saud al-Faisal hat Iran vorgeworfen, mit seinem Atomprogramm die Sicherheit in der gesamten Region zu gefährden. Gleichzeitig rief al-Faisal am 25. Mai die Regierung in Teheran auf, seine Nachbarländer nicht zu bedrohen, da kein Land in der Region der Islamischen Republik gegenüber feindlich eingestellt sei. Eine Woche zuvor hatte Saudi-Arabien die Festnahme von zehn mutmaßlichen iranischen Spionen bekannt gegeben.


BUNKERBRECHER FÜR FORDO

Einem Bericht des Wall Street Journal vom 3. Mai zufolge haben die USA den bislang größten und schlagkräftigsten Bunkerbrecher hergestellt. Eingesetzt werden könnte er bei einem möglichen Angriff auf iranische Atomanlagen, vor allem auf die unterirdische Anlage in Fordo. Bunkerbrecher sind Bomben, die durch Betonflächen hindurch dringen und tief in der Erde detonieren. Die USA wollten mit der Herstellung dieser Bombe Israel zeigen, dass sie es mit einem Angriff auf iranische Anlagen im Falle des Scheiterns der Verhandlungen ernst meinen, schreibt die Zeitung. Dem Bericht nach hat die Bombe ein Gewicht von 13,5 Tonnen. Die USA und Israel seien nun davon überzeugt, dass sie mit dieser neuen Waffe in der Lage seien, iranische Atomanlagen aus der Luft zerstören zu können, schreibt die Zeitung. Dies könnte zu einem Erfolg bei den diplomatischen Verhandlungen beitragen.

2012 hatten Experten in den USA die Meinung vertreten, die vorhandenen Bunkerbrecher seien nicht stark genug, um die Anlage in Fordo zu zerstören. Doch nun zitierte Wall Street Journal einen hohen Militär mit den Worten: "Ich hoffe, dass wir nicht die Bombe einsetzen müssen, aber sollten wir dazu gezwungen sein, sind wir gewiss, dass sie die erwünschte Wirkung zeigen wird." Das Pentagon hat in die Entwicklung der Bombe 400 Millionen Dollar investiert.


MASSENPRODUKTION VON FLUGABWEHRRAKETEN GEMELDET

Iran hat nach eigenen Angaben mit der Massenproduktion eines neuen Flugabwehrraketensystems begonnen. Das Mobile System namens Herz-9 sei auch nachts einsetzbar und könne tief fliegende Objekte identifizieren und anpeilen, zitierte das Staatsfernsehen am 20. Mai Verteidigungsminister Ahmad Wahidi.

In dem Fernsehbeitrag wurde das neue Flugabwehrsystem vorgeführt: Zu sehen waren unter anderem zwei auf einem Lastwagen montierte Raketen.

Iran steht unter einem vom Westen verhängten Rüstungsembargo. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung in Teheran auf eigene Faust eine Reihe von Waffen produzieren lassen, darunter leichte U-Boote, Kampfjets, Torpedos und Raketen.


DEUTSCH-IRANER WEGEN EMBARGO-VERSTOßES ANGEKLAGT

Vier Männer stehen wegen der Verletzung des Iran-Embargos vor dem Hamburger Oberlandesgericht. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen versuchtes Verbrechen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz vor. Die vier Männer, drei Deutsch-Iraner im Alter von 25 - 80 Jahren sowie ein 78-jähriger Deutscher, sollen Bauteile für einen Atomreaktor nach Iran geliefert haben, teilte die Behörde am 29. April mit. Es handelt sich laut Anklage um spezielle Ventile, die für den Bau des vom Iran-Embargo betroffenen Schwerwasserreaktors in Arak bestimmt gewesen seien. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft besteht der Verdacht, dass dieser Reaktor zur Produktion von atomwaffenfähigem Plutonium eingesetzt werden soll. Die Lieferungen waren Teil eines Gesamtauftrags aus Iran im Wert von mehreren Millionen Euro. Zwei der Männer sitzen seit August vergangenen Jahres in Untersuchungshaft.


USA WOLLEN KEIN GOLD MEHR AN IRANER VERKAUFEN

Die US-Regierung kündigte an, den Verkauf von Gold an Iraner zu verbieten, um den Druck auf die Währung zu erhöhen. "Wir werden weiter nach Wegen suchen, Iran vom internationalen Finanzsystem zu isolieren", sagte der US-Finanzstaatssekretär David Cohen am 15. Mai vor dem Ausschuss des US-Senats. Vom 1. Juli an werde der Verkauf von Gold an die iranische Regierung sowie an iranische Privatpersonen verboten, um zu verhindern, dass es zur Stützung der bereits stark eingebrochenen Währung benutzt wird.

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AUSSENPOLITIK

• Die "rote Linie" beim Atomprogramm nicht überschritten
• Internationales Manöver im Persischen Golf
• Anschlag auf syrischen Regierungschef verurteilt
• US-Behörden befürchten iranische Cyber-Sabotage
• UN-Abrüstungskonferenz wegen Irans Vorsitz boykottiert
• Zwei Iraner in Kenia zu lebenslanger Haft verurteilt
• Agentur Reuters darf wieder aus Iran berichten
• Bahai protestieren in Berlin


DIE "ROTE LINIE" BEIM ATOMPROGRAMM NICHT ÜBERSCHRITTEN

Nach Meinung der israelischen Regierung hat Iran noch nicht die "rote Linie" hin zu Nuklearwaffen überschritten. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte am 29. April, Teheran komme dem Bau nuklearer Waffen zwar immer näher, sei aber noch davon entfernt.

Am selben Tag nahm Israel das fünfte von sechs der in Deutschland bestellten "Dolphin"-U-Boote in Empfang. Diese U-Boote können mit atomaren Sprengköpfen gerüstet und in einem möglichen militärischen Konflikt mit Iran eingesetzt werden.

Netanjahu hatte im vergangenen Herbst auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York in seiner Rede von einer "roten Linie" gesprochen, die Iran mit seinem Atomprogramm überschreiten könnte.


INTERNATIONALES MANÖVER IM PERSISCHEN GOLF

Marineschiffe aus 41 Staaten nehmen im Persischen Golf unter der Führung der Fünfte US-Flotte an einer Minenräumübung teil. Das Manöver begann am 6. Mai und soll bis zum 30. Mai andauern. Es ist das größte seiner Art in der Region, teilte die Fünfte Flotte mit. Sie hat ihren Sitz in Bahrain. Die Übung zur Beseitigung von Minen findet in unmittelbarer Nähe des iranischen Territoriums statt. Iran hatte mehrmals gedroht, im Falle eines Angriffs auf das Land die Straße von Hormoz, durch die ein Großteil der weltweiten Ölproduktion transportiert wird, zu blockieren.

Ziel des Manövers sei, "den internationalen Handel zu schützen" und "internationale Fähigkeiten zur Bewahrung der Freiheit der Seestraßen zu verbessern", erklärte die Fünfte Flotte. Das Manöver, das bereits im vergangenen Jahr in ähnlicher Form stattfand, begann zunächst mit allgemeinen Übungen. Danach fand ein Seemanöver unter Beteiligung von 35 Schiffen und 18 unbemannten U-Booten statt.


ANSCHLAG AUF SYRISCHEN REGIERUNGSCHEF VERURTEILT

Iran hat den Anschlag auf den syrischen Regierungschef Wael al-Halki verurteil. Al-Halki hatte den Anschlag vom 29. April unverletzt überlebt. Die Autobombe wurde im morgendlichen Berufsverkehr im Stadtteil Al-Messe in Damaskus gezündet. Laut Angaben des staatlichen Fernsehens kamen dabei sechs Menschen ums Leben, darunter ein Leibwächter des Regierungschefs. Sein Fahrer und ein weiterer Leibwächter wurden verletzt.

"Dieser Anschlag hat erneut das wahre Gesicht der Terroristen entlarvt, daher müssen hierfür auch die Länder, die in Syrien diese Terroristen unterstützen, die Verantwortung übernehmen", sagte Irans Außenamtssprecher Ramin Mehmanparast am 30. April. Laut der Agentur ISNA forderte der Sprecher alle internationalen Organisationen auf, auf eine politische Lösung des Konflikts in Syrien hinzuwirken.

Indes gab der Chef der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, an, die Milizen seiner Organisation seien an Kämpfen in Syrien beteiligt. Dabei gehe es um Dörfer, in denen Libanesen wohnen, sagte Nasrallah am 30. April im Hisbollah-Sender Al-Manar. "Eine große Zahl" von Kämpfern der syrischen Rebellen bereite sich darauf vor, diese Dörfer einzunehmen. Es sei "normal", dass seine Bewegung in dieser Situation die syrische Armee und regierungstreue Milizen unterstütze.

Nasrallah betonte, sowohl die Hisbollah als auch Iran stünden fest zur syrischen Führung um Präsident Baschar al-Assad. Syrien habe "echte Freunde, die es nicht erlauben werden, dass das Land in die Hände der USA oder von Israel fällt", sagte er. Derzeit sei das iranische Militär in Syrien nicht aktiv. Wenn aber die Lage "gefährlicher" werde, seien "Staaten, Widerstandsbewegungen und andere Kräfte dazu verpflichtet, auf effektive Weise in den Konflikt einzugreifen".

Mittlerweile hat Iran die Vereinten Nationen aufgefordert, bei einer Untersuchung zur Verwendung von Chemiewaffen im syrischen Bürgerkrieg auch einen möglichen Einsatz durch die Rebellen im Land zu prüfen. Auch für Iran stelle die Verwendung von chemischen Waffen eine "rote Linie" dar, egal wer diese einsetze, sagte Irans Außenminister Ali Akbar Salehi am 30. April der Nachrichtenagentur ISNA zufolge. Auch oppositionelle Gruppen hätten chemische Kampfstoffe einsetzten können, sagte er.

Iran gehört zu den wenigen Ländern, die Syrien und seinen Präsidenten al-Assad unterstützen, auch nach den Chemiewaffenvorwürfen. US-Geheimdienste hatten mitgeteilt, dass es Indizien gebe, die darauf hindeuteten, dass Regierungstruppen kleine Dosen des Nervengases Sarin gegen die Rebellen eingesetzt hätten.

Iran wird sowohl von den Rebellen als auch von Seiten westlicher Staaten vorgeworfen, auch militärisch zur Unterstützung des syrischen Regimes in dem Land tätig zu sein. Dies hat Teheran nach dem israelischen Luftangriff vom 4. Mai, der den Angaben westlicher Medien zufolge einer Lieferung von iranischen Waffen an die libanesische Hisbollah gegolten haben soll, dementiert. Iran verurteilte den Angriff.

"Das ist Propaganda und psychologischer Krieg, denn Syrien braucht keine militärische Unterstützung aus Iran und kann sich eigenständig verteidigen", sagte der Vizekommandeur der Streitkräfte, Masud Dschasajeri, in einem Interview des Nachrichtensenders Al-Alam am 6. April. Die Feinde Syriens versuchten die Verteidigungskapazität des Landes auf andere Länder zu lenken. "Tatsache ist aber, dass Syrien allein die Würde des Landes verteidigen kann und wird", sagte der General.

Ein Sprecher des Außenministeriums in Teheran rief die Länder der Region auf, weiter geschlossen gegen Israel zu stehen. Die arabischen Nationen "müssen ihren Brüdern in Damaskus beistehen", sagte Irans Außenminister Salehi am 7. Mai in der jordanischen Hauptstadt Amman. Sollte das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zusammenbrechen, würde das folgende politische Vakuum ernste Konsequenzen nach sich ziehen. Hinweise auf weiter reichende Reaktionen Teherans gab es jedoch nicht.

Iran hat inzwischen dem Regime in Syrien Ausbildungshilfe zugesagt, eine Beteiligung an den Kämpfen aber abgelehnt. "Wenn es einen Ausbildungsbedarf gibt, werden wir ihnen das Training liefern", zitierte die amtliche Agentur IRNA am 5. Mai den Kommandeur der Bodenstreitkräfte, General Ahmed Resa Purdastan. "Aber wir werden keine aktive Rolle in den Operationen haben."

Der türkische Ministerpräsident Reccep Tayyip Erdogan kritisierte die israelischen Luftangriffe als inakzeptabel. Die Attacken hätten Assad gestärkt. Zudem warf er Iran und der internationalen Gemeinschaft vor, die Augen vor Massakern in Syrien zu verschließen.

Indes forderte Russland, dass Iran an der geplanten internationalen Syrien-Konferenz zwingend teilnehmen müsse. Man könne ein Land wie die Islamische Republik nicht wegen "geopolitischer Vorlieben" von den Gesprächen ausschließen, erklärte Außenminister Sergej Lawrow in einem am 17. Mai auf der Internetseite seines Ministeriums veröffentlichten Interview. Er warf einigen seiner "westliche Kollegen" vor, die Gruppe der Teilnehmer einschränken und damit die Agenda und "vielleicht sogar den Ausgang" der Gespräche vorbestimmen zu wollen. Über die Teilnahme Irans sei noch keine Einigung erzielt worden.

Ein Sprecher der französischen Regierung erklärte, Iran könne nicht zu den Gesprächen eingeladen werden. Die Regierung in Teheran versuche immer, die Syrien-Frage mit dem Streit um das iranische Atomprogramm zu verbinden. Sollte Iran teilnehmen, würde Frankreich auf seine Teilnahme verzichten.


US-BEHÖRDEN BEFÜRCHTEN IRANISCHE CYBER-SABOTAGE

Laut einem Zeitungsbericht haben sich iranische Hacker Zugang zu Software verschafft, mit der sie amerikanische Öl- und Erdgasleitungen manipulieren können. Von Iran unterstützte Cyber-Angriffe gegen US-Unternehmen und insbesondere Energiekonzerne hätten zuletzt zugenommen, schrieb das Wall Street Journal am 25. Mai.

Während chinesische Hacker für Industriespionage bekannt seien, machten sich die US-Behörden mehr Sorgen um deren iranische Kollegen, weil sie von ihnen Sabotageakte befürchteten, hieß es unter Berufung auf frühere und heutige Staatsbeamte. Es gebe technische Hinweise auf eine Verwicklung Irans in die Online-Angriffe auf Energie-Unternehmen. Die iranischen Behörden weisen die Vorwürfe zurück.

Der Westen hatte in den vergangenen Jahren mehrere Cyberwaffen in Iran eingesetzt, um das Atomprogramm des Landes zu sabotieren. Der aufwendige Computerwurm Stuxnet wurde nach Einschätzung von Experten und Medieninformationen von westlichen und israelischen Geheimdiensten entwickelt und in iranische Atomanlagen eingeschleust. Er wurde mehrere Jahre später von IT-Sicherheitsexperten entdeckt und analysiert.


UN-ABRÜSTUNGSKONFERENZ WEGEN IRANS VORSITZ BOYKOTTIERT

Die USA kündigten am 14. Mai an, die UN-Abrüstungskonferenz während des turnusmäßigen iranischen Vorsitzes zu boykottieren. Irans Präsidentschaft, die vom 27. Mai bis zum 23. Juni dauert, sei "bedauerlich und in höchstem Maße unangebracht", sagte die Sprecherin der US-Vertretung bei den Vereinten Nationen, Erin Pelton, in New York. Ihr Land werde "während keinem der Treffen unter dem Vorsitz Irans auf Botschafterebene vertreten sein".

Die US-Regierung ist laut Pelton der Auffassung, dass alle Länder, gegen die wegen ihrer Waffenprogramme oder wegen massiver Menschenrechtsverletzungen UN-Sanktionen in Kraft seien, "von jeder formalen oder zeremoniellen Position in UN-Einrichtungen ausgeschlossen" werden müssten. Dass Iran, das mit seinem Atomprogramm seine in vielen UN-Resolutionen festgestellten internationalen Verpflichtungen verletze, der Abrüstungskonferenz vorstehe, laufe den Zielen des Forums zuwider.

Irans Vorsitz bei der Abrüstungskonferenz kommt durch die Rotation von 65 beteiligten Staaten nach alphabetischer Reihenfolge zustande. Derzeit hat Indonesien den Vorsitz, nach Iran übernimmt der Irak. Die Konferenz in Genf arbeitet an einem Abkommen gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen und will die Entwicklung weiterer Massenvernichtungswaffen eindämmen.


ZWEI IRANER IN KENIA ZU LEBENSLANGER HAFT VERURTEILT

Ein Gericht in Kenia hat am 6. Mai zwei Iraner wegen der Planung mehrerer Bombenattentate in verschiedenen Städten zu lebenslanger Haft verurteilt. Ahmad Abolfathi und Mansur Mussavi waren im Juni 2012 in der Hauptstadt Nairobi verhaftet worden. Nach ihrer Festnahme führten sie die Beamten zu einem Versteck von 15 Kilogramm Sprengstoff der Sorte RDX und hofften so auf mildere Strafen. Sie hatten die Absicht, Anschläge gegen Einrichtungen der USA, Israels, Großbritanniens und Saudi-Arabiens zu verüben und hatten der Polizei gegenüber gestanden, 30 Sprengkörper für den Einsatz gebaut zu haben.

Die Anwälte der beiden Angeklagten behaupteten, diese seien nach der Haft von israelischen Sicherheitsbeamten verhört worden, was von der Justiz bestritten wurde. Der Staatsanwalt hatte den Antrag der Verteidiger, die beiden gegen eine Kaution aus der Untersuchungshaft zu entlassen, abgelehnt, mit der Begründung, sie könnten noch mehr Sprengstoff versteckt haben und diese möglicherweise einsetzen.


AGENTUR REUTERS DARF WIEDER AUS IRAN BERICHTEN

Die Nachrichtenagentur Reuters darf ihren Betrieb in Iran nach mehr als einem Jahr wieder aufnehmen. Ein Gericht habe ein entsprechendes Verbot aufgehoben, zitierte die halbamtliche Nachrichtenagentur ISNA den stellvertretenden Kulturminister Mohammad Dschafar Sadeh am 11. Mai. Danach wurde die Entscheidung bereits an die Anwälte von Reuters übermittelt.

Die iranischen Behörden hatten Reuters die Arbeitslizenz entzogen, nachdem die Nachrichtenagentur im April 2012 einen Bericht über ein Kampfsporttraining von iranischen Frauen veröffentlicht hatte.


BAHAI PROTESTIEREN IN BERLIN

Gegen die Inhaftierung von Glaubensbrüdern in Iran hatte die Bahai-Gemeinde in Berlin zu einer Demonstration am 11. Mai aufgerufen. Der Protest am Brandenburger Tor war Teil einer weltweiten Kampagne unter dem Motto "5 Jahre ... zu viel!" Sie forderte die sofortige Freilassung von seit fünf Jahren inhaftierten sieben iranischen Bahai-Führungsmitgliedern. Sie sind den Angaben zufolge wegen Ausübung einer Religion zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. An der Demonstration mit Lesungen, Musik und Reden beteiligte sich auch die Gesellschaft für bedrohte Völker. Die Angehörigen der im 19. Jahrhundert in Iran entstandenen Bahai-Religion sind nach eigenen Angaben die größte nicht-muslimische religiöse Minderheit in Iran.

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Impressum:
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
Autor: Bahman Nirumand
Redaktion: Vera Lorenz
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12. Jahrgang

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Quelle:
Iran-Report Nr. 6/2013 - Juni 2013 / 12. Jahrgang
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2013