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MEMORIAL/187: Im Juli 1943 stürzte eine Palastrevolte Mussolini (Gerhard Feldbauer)


Im Juli 1943 stürzte eine Palastrevolte Mussolini

Im September schloss die Regierung Marschall Badoglios einen Waffenstillstand mit den Alliierten, mit dem Italien mit der faschistischen Achse brach. Im Oktober erklärte es Hitlerdeutschland den Krieg und trat auf die Seite der Antihitlerkoalition über.

von Gerhard Feldbauer, 24. Juli 2018



Bereits im Vorfeld der Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad erörterten führende Kapitalkreise ein Ausscheiden aus der Achse mit Berlin. Im November 1942 trafen sich dazu in Mailand in der Wohnung des Schwerindustriellen Enrico Falck, König der Eisen- und Stahlindustrie, führende Persönlichkeiten aus Industrie und Finanzwelt, darunter der Finanzgewaltige der Banca Commerciale, Giuseppe Volpi, der Chef des Gummikonzerns, Alberto Pirelli, und der Präsident der Montedison (des größten Bergbau- und Chemiekonzerns), Guido Donegani, mit Marschall Pietro Badoglio und Größen der faschistischen Partei. Badoglio hatte sich 1940 gegen den Kriegseintritt Italiens ausgesprochen und war danach am 6. Dezember als Generalstabschef des Heeres zurückgetreten. [1] Weitere Teilnehmer waren der Schwiegersohn des "Duce", Graf Galeazzo Ciano, der im Februar 1943 als Außenminister (seit 1936) abgesetzt worden war, und der Christdemokrat Alcide De Gasperi, der wegen antifaschistischer Aktivitäten zu mehrjähriger Kerkerhaft verurteilt worden war. Danach hatte er im Schutz des vatikanischen Exils die Reste der katholischen Volkspartei, die sich 1926 auf Betreiben des Vatikans aufgelöst hatte, um sich geschart und mit ihnen im Frühjahr 1943 die Democrazia Cristiana (DC) gebildet.

Die in Mailand versammelten Wirtschaftskreise beauftragten Ciano, zu den Amerikanern und Briten Kontakt aufzunehmen, um deren Haltung zu einem Bruch mit Deutschland zu sondieren. Die Alliierten bekundeten Bereitschaft. Mussolini beschlichen ebenfalls Zweifel am "Endsieg" der Wehrmacht an der Ostfront. Am 1. Dezember 1942 äußerte er gegenüber Göring in Rom, "dass auf die eine oder andere Weise das Kapitel des Krieges gegen Russland, der keinen Zweck mehr hat, abgeschlossen werden müsse", um Kräfte für den Kampf gegen die Anglo-Amerikaner im Westen und im Mittelmeerraum zu gewinnen. Ciano übermittelte Hitler am 18./19. Dezember im Führerhauptquartier "Wolfsschanze" den Standpunkt des "Duce", ob es zur Vermeidung eines Zweifrontenkrieges nicht möglich sei, mit Russland zu einer Lösung der Art "neuer Brest-Litowsk-Friede" zu kommen, um größere Truppenmengen von der Ostfront abziehen zu können. Hitler entgegnete, das strategische Hauptziel bleibe nach wie vor, "den bolschewistischen Koloss zu zerschlagen". [2]

Den Eindruck der Palastverschwörer, dass Hitler den Krieg nicht mehr gewinnen werde, verstärkte die Zerschlagung der Armata Italiana in Russia (ARMIR). Gemäß dem am 22. Mai 1939 zwischen Italien und Deutschland geschlossenen "Stahlpakt" musste Mussolini Hitler bei der Aggression gegen die UdSSR Hilfsdienste leisten. Im Juli 1941 stellte er ein Korps von vier Divisionen zur Verfügung. Im Sommer 1942 wurde es um weitere acht Divisionen (Hitler hatte 20 gefordert) zur ARMIR auf eine Stärke von 230.000 Mann aufgestockt, um die schweren Verluste der Wehrmacht in der Schlacht vor Moskau auszugleichen. Während der sowjetischen Gegenoffensive wurde die ARMIR zwischen dem 11. und 22. Dezember in die verschneite Donezsteppe getrieben, dort eingekesselt und größtenteils vernichtet. Nach Italien kehrten nur einige Tausend Soldaten zurück.

Ein Bericht des italienischen Generalstabes besagte, dass die Wehrmacht die Italiener während des schrecklichen Rückzuges erbarmungslos ihrem Schicksal überließ, die deutschen "Verbündeten" den "Italienern stets jegliche Hilfe versagten, sich aller verfügbaren Kraftfahrzeuge bemächtigten, unsere Verwundeten ohne Transportmittel, ohne Nahrungsmittel und ohne erforderliche Versorgung zurückließen." [3] Als das Schicksal der ARMIR in Italien bekannt wurde, trug das im Frühsommer 1943 zur wachsenden Antikriegsstimmung bei. Der verlorengegangene Mythos von der "Unbesiegbarkeit" der Hitlerwehrmacht bestärkte die Träger der faschistischen Diktatur Italiens, mit Hitler zu brechen.

Auf diesen Prozess wirkten die Niederlagen in Nordafrika ein. Für das deutsch-italienische Afrika-Korps konnten keine erforderlichen Verstärkungen herangeführt werden, da alle Kräfte gegen die Rote Armee gebraucht wurden. Britische Flugzeuge und Schiffe versenkten 30 bis 40 Prozent des ohnehin nicht ausreichenden Nachschubs. Im Oktober/November 1942 führte das zum Scheitern der Offensive Rommels zur Eroberung Ägyptens, die weiter in den Nahen und Mittleren Osten führen sollte. Mit der Niederlage bei El Alamein, in der Rommels Panzerarmee über 50.000 Mann und einen Teil ihrer Panzer und Geschütze verlor, trat die Wende auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz ein. Rommel führte Hitlers Befehl vom 2. November, "die Stellung bei El Alamein, 'koste es, was es wolle', zu halten" und "zu siegen oder zu sterben" nicht aus. Er zog sich mit den verbliebenen Panzer- und motorisierten Verbänden 1.200 Kilometer nach Westen zurück. Badoglio hielt fest, dass, wie an der Ostfront auch bei El Alamein, "sich die Deutschen aller unserer Beförderungsmittel zur Beschleunigung ihres Rückzuges (bemächtigten) und die italienischen Abteilungen vor unüberwindlichen Schwierigkeiten" zurückließen. [4] Die Eroberung von Tunis und Biserta durch deutsche Luftlandetruppen im November 1942 brachte nur vorübergehend eine Entlastung. Im März 1943 begannen die überlegenen anglo-amerikanischen Truppen ihre Offensive. Sie endete am 13. Mai 1943 am Kap Bon nahe Tunis mit der Kapitulation der zur Hälfte aus Deutschen und Italienern bestehenden, noch 250.000 Mann zählenden Heeresgruppe Afrika, von der Rommel vorher abberufen wurde.

Die Palastrevolte spiegelte den Realitätssinn der herrschenden Kreise Italiens wider, die über 20 Jahre Träger der faschistischen Diktatur waren, aber nun angesichts der sich abzeichnenden Niederlage der Wehrmacht sich in diese nicht hineinziehen lassen wollten. Gleichzeitig war ein ebenso wichtiges Moment des Handelns dieser Kräfte die Furcht vor einem Volksaufstand, der das faschistische Regime stürzen und eine antifaschistische Volksregierung hätte an die Macht bringen können.

In die Befürchtungen floss ein, dass die entscheidende innere Triebkraft dieses Prozesses die italienische Arbeiterklasse mit einer kommunistischen Partei an der Spitze war, die sich zur kämpferischen führenden Kraft des antifaschistischen Widerstandes entwickelt hatte. IKP und die Sozialistische Partei (PSI) handelten in Aktionseinheit. Die Politik der IKP zeichnete sich durch zunehmenden Masseneinfluss aus und war auf die Zusammenarbeit mit allen antifaschistischen Kräften der Nation gerichtet. Die Furcht vor einem Volksaufstand wuchs, als im März 1943 in der Industriemetropole Turin (Sitz des FIAT-Konzerns) mit über 10.000 Teilnehmern Antikriegsstreiks begannen, die auf Mailand und weitere norditalienische Städte übergriffen. Zeitgleich begannen Bomberverbände der Alliierten massive Angriffe auf Turin, Mailand und Genua, die auf keine Luftabwehr stießen. Badoglio schrieb: "Überall, in den Eisenbahnzügen, in den Straßenbahnen, auf den Plätzen und bei öffentlichen Versammlungen sprach man ohne jeden Rückhalt. Man verlangte das Kriegsende. Man verwünschte Mussolini." [5]

Am 2. Juli bildeten auf Initiative der IKP in Mailand Kommunisten, Sozialisten, Christdemokraten, Partei der Aktion (PdA), Republikaner und Liberale ein Komitee der Oppositionsparteien. Nach der Landung der Alliierten am 9. Juli auf Sizilien brach die Krise des faschistischen Regime offen aus. Am gleichen Tag vereinbarte Vittorio Emanuele III. mit Badoglio nach der Ausschaltung Mussolinis eine Militärregierung unter dessen Leitung zu bilden. Vorher, am 17. Juni, hatte der König von US-Präsident Franklin Delano Roosevelt über den apostolischen Nuntius in Italien, Francesco Borgongini Duca, die Zusicherung erhalten, dass Italien "im Falle eines Bruches der Allianz mit Deutschland eine wohlwollende Behandlung erhalten werde". [6]

Von Bedeutung für die Palastverschwörer war auch, dass in Moskau am 21. Mai 1943 beschlossen worden war, die Komintern aufzulösen. Damit sollte gegenüber den westlichen Partnern unterstrichen werden, dass die KPdSU im Kampf gegen den Faschismus nicht das Ziel verfolgte, die sozialistische Revolution voranzubringen. [7] Laut Georgi Dimitroff hatte Stalin bereits nach dem faschistischen Überfall auf die UdSSR die Parteien der Komintern mit Blick auf die Schaffung einer Antihitlerkoalition angewiesen, "die Frage der sozialistischen Revolution nicht aufzuwerfen." [8] In dem am 22. Mai in der "Prawda" veröffentlichten Beschluss hieß es nun weiter, durch die Auflösung würden ihr angehörende Parteien von dem Verdacht befreit, "Agenten eines fremden Staates" zu sein. Anlass für diese grundsätzlich zutreffende Begründung der von Stalin entschiedenen Auflösung war, dass es diesem darum ging, die im Kampf gegen das faschistische Deutschland entstandene Antihitlerkoalition zu festigen und die anglo-amerikanischen Partner zur Eröffnung einer zweiten Front in Westeuropa zu drängen. [9]

Am Nachmittag des 24. Juli 1943 begann auf einer Sitzung des faschistischen Großrates, die bis in die Morgenstunden des folgenden Tages dauerte, der Putsch gegen Mussolini. An der Spitze standen Graf Ciano sowie Justizminister Dino Grandi. Der Großrat forderte den Duce auf, angesichts der katastrophalen militärischen Niederlagen den Oberbefehl über die Streitkräfte abzugeben und als Ministerpräsident zurückzutreten. Von den anwesenden 28 Mitgliedern stimmten 19 für den Beschluss, sieben dagegen, eines enthielt sich. [10] Zu weiteren Entscheidungen kam es in Gegenwart Mussolinis nicht. Zur militärischen Absicherung der Revolte ließ der Chef des Generalstabes, Vittorio Ambrosio, die Heeresdivision Piave vor den Toren der Hauptstadt Stellung beziehen.

Am 25. Juli um 17 Uhr empfing Vittorio Emanuele Mussolini zur Audienz auf dem Quirinal und autorisierte die Entscheidungen des Großrates. Dem Monarchen war inzwischen bekannt, dass der Duce plante, ihn aus dem Weg zu räumen. [11] Mussolini wähnte sich als Führer der Partei weiterhin an den entscheidenden Machthebeln und fügte sich. Beim Verlassen des Quirinals erwartete ihn ein Hauptmann der Carabinieri und bat ihn unter dem Vorwand der besseren Sicherung seines Schutzes bei möglichen Unruhen, in einen Krankenwagen zu steigen. Von diesem Augenblick an war der Diktator verhaftet und landete nach verschiedenen Zwischenaufenthalten in einem Kurhotel auf dem etwa 150 Kilometer nordöstlich von Rom in den Abruzzen liegenden 2.914 Meter hohen Berg Gran Sasso.

Fünf Stunden nach der Verhaftung Mussolinis gab der Rundfunk bekannt, dass der König den Oberbefehl über alle bewaffneten Kräfte übernommen und Marschall Badoglio mit der Bildung einer Militärregierung mit "allen Vollmachten" beauftragt habe. Entgegen den Befürchtungen der Verschwörer regte sich seitens der faschistischen Partei und ihrer Gliederungen keinerlei Widerstand gegen die Entmachtung des "Duce". Sein Sturz wurde von der Bevölkerung jubelnd begrüßt. In einigen Großstädten des Nordens stürmten Gegner des Regimes faschistische Parteisitze und Zeitungsredaktionen, in Turin das deutsche Konsulat. Unüberhörbar wurde gefordert, die politischen Gefangenen freizulassen. Eine beträchtliche Zahl faschistischer Parteigrößen floh nach Deutschland. Von der Freilassung der politischen Gefangenen suchte Badoglio zunächst "Kommunisten und Anarchisten auszuschließen". Erst als Gewerkschafter, Kommunisten und Sozialisten dagegen mit einem Generalstreik drohten, wurden die Beschränkungen Mitte August aufgehoben.

Zur außenpolitischen Position seiner Regierung erklärte Badoglio, dass "der Krieg fortgesetzt" werde. Damit sollten jedoch nur die Deutschen beruhigt werden. Während der italienische Generalstabschef, General Roatta, bei einem Treffen dem Befehlshaber der deutschen Truppen in Italien, Feldmarschall Rommel, am 15. August der "Treue Italiens zu Deutschland" versicherte, traf vier Tage später General Giuseppe Castellano in der britischen Botschaft in Lissabon mit dem amerikanischen General Walter Bedell Smith zusammen, der ihm im Auftrag des angloamerikanischen Oberkommandierenden im Mittelmeerraum, General Eisenhower, den Text des Waffenstillstandsabkommens übergab. Als Bedingung war darin die "italienische Zusammenarbeit mit den Alliierten im Kampf gegen die Deutschen" festgelegt. Am 31. August traf Castellano beim angloamerikanischen Kommando in Cassibile auf Sizilien zu den geheimen Waffenstillstandsverhandlungen ein. Nach dem am 3. September mit General Eisenhower unterzeichneten Waffenstillstand brach die Badoglio-Regierung mit der faschistischen Achse. Die Hauptkräfte des italienischen Imperialismus schieden aus dem Krieg aus. Das waren im militärischen Bereich 3,5 Millionen Soldaten.


Anmerkungen:

[1] In 1920/30er Jahren war er Exponent der faschistischen Expansionspolitik, ließ als Befehlshaber im Kolonialkrieg gegen Libyen zehntausende Nomaden umbringen und setzte bei der Eroberung Äthiopiens auf Weisung Mussolinis das Giftgas Yperit ein.

[2] Andreas Hillgruber: Von El Alamein bis Stalingrad, München 1964, S. 13 ff.

[3] Roberto Battaglia/Giuseppe Garritano: Der italienische Widerstandskampf 1943-1945. Berlin/DDR, S. 15.

[4] Pietro Badoglio: Italien im Zweiten Weltkrieg, München/Leipzig 1947, S. 54; Hillgruber, a.a.O., S. 53.

[5] Badoglio, a.a.O. S. 55.

[6] I Giorni della Storia d'Italia. Novara 1997, S. 494.

[7] Dass der Beschluss auch den "großen Unterschieden der historischen Entwicklungswege eines jeden Landes" und der entsprechenden Politik ihrer KPs Rechnung trug, soll hier nur am Rande erwähnt werden.

[8] Dimitroff, Georgi: Tagebücher 1933 - 1945. Berlin 2000, S. 393.

[9] Am 16. März 1943 hatte Stalin gegenüber den Alliierten erklärt: "Heute wie auch früher erblicke ich in der schnellsten Errichtung einer zweiten Front in Frankreich die Hauptaufgabe." Valentin Falin: Zweite Front. Die Interessenkonflikte in der Anti-Hitler-Koalition. München 1995, S. 354.

[10] I Giorni, S. 494 f.

[11] Carlo Massini, La Maschera del Dittatore, Pisa 1999, S. 18.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2018

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