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MEMORIAL/085: 1. November 1968 - Ende des Luftkriegs der USA gegen Nordvietnam (Gerhard Feldbauer)


Der Luftkrieg der USA gegen Nordvietnam

Ende für das Pentagon mit vernichtender Niederlage
Am 1. November 1968 musste US-Präsident Johnson die Angriffe einstellen

von Gerhard Feldbauer, 26. Oktober 2013



Im Frühjahr 1964 hatte US-Präsident Lyndon B. Johnson die Demokratische Republik Vietnam (Nordvietnam) bezichtigt, US-Kriegsschiffe im Golf von Tongking in internationalen Gewässern angegriffen zu haben und das zum Vorwand der Eröffnung eines barbarischen Luftkrieges genommen. In klassischer Kolonialherrenmanier hatte General Curtis LeMay, Oberkommandierender des Strategic Air Command, das Ziel der Luftangriffe unverhüllt so angekündigt: "Zieht Eure Hörner ein, oder wir bomben euch in die Steinzeit zurück". In der politischen Übersetzung hieß das: Unterwerft euch unserer Herrschaft, macht Schluss mit dem Sozialismus, keinerlei Unterstützung dem Vietcong im Süden. LeMay hatte schon während der Kubakrise 1962 gefordert: "Greifen wir an, zerstören wir Kuba vollständig". Nach Erreichen des atomaren Patt durch die UdSSR hatte er noch bis Ende der 1950er Jahre einen präventiven massiven atomaren Erstschlag gegen Moskau gefordert.


Ungeheuerliche verlogene Behauptungen

Im Januar 1968 brachte eine Untersuchung des außenpolitischen Ausschusses des US-Senats, der sich unter dem wachsenden Druck der internationalen Öffentlichkeit und der Bewegung gegen den Vietnamkrieg mit dem von Johnson provozierten "Zwischenfall im Golf von Tongking" befassen musste, ans Licht, dass der US-Präsident mit "geradezu ungeheuerlichen verlogenen Behauptungen", die seine Geheimdienste stützten, dazu die Ermächtigung des Kongresses erschlichen hatte. Nebenbei sei hier festgehalten, dass sich US-Präsident Bush sen. zum Vorwand des Überfalls auf Irak 2003 ebenso verlogener und von seinen Geheimdiensten gestützter Behauptungen bediente, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen, mit denen die USA bedroht würden. Bis heute hat kein Senatsausschuss der USA so viel Demokratiebekenntnis aufgebracht, diese erwiesenermaßen ungeheuerlichen Lügen, die zu einer barbarischen, jedes Völkerrecht brechenden Aggression führten, zu untersuchen und zu verurteilen. Ein Beispiel des in den USA wie anderswo in der westlichen Welt vor sich gehenden Zerfalls der bürgerlichen Demokratie. 1968 zwangen die Enthüllungen des US-Senats, die weltweite Protestbewegung gegen den US-Krieg gegen die DRV wie zur Unterjochung Südvietnams unter das neokoloniale Joch und die schweren Verluste der US Air Force (USAF) sowie der Marineflieger in der Luftschlacht über Nordvietnam Johnson, am 1. November, die Einstellung der Luftangriffe zu erklären.


Mig-Jäger über Ham Rong

Im August 1964 verfügte die DRV noch über keine Luftabwehrraketen, aber bereits über moderne sowjetische Flak mit radargesteuerten Leitsystemen. Am 3. April 1965 setzte die DRV an dem strategisch wichtigen Verkehrsknotenpunkt, der Ham Rong-Brücke über den Ma-Fluss etwa 100 km südlich von Hanoi, erstmals ihre Mig-Jäger ein. Die in der Sowjetunion ausgebildeten nordvietnamesischen Piloten griffen, wie US-amerikanische Zeitungen berichteten, mit hohem taktischem Geschick und fliegerischem Können an und schossen 12 US-Flugzeuge ab, darunter mehrere F-105, die damals modernsten Jagdbomber der US Air Force. AP schrieb: "Es ist zur ersten Feindberührung mit der nordvietnamesischen Luftwaffe gekommen, bei der die Amerikaner eine Schlappe erlitten." Die Mig 21, das damals auch in den Warschauer Paktstaaten als Standart-Typ eingesetzte mordernste sowjetische Jagdflugzeug, erwies sich in Vietnam den vergleichbaren US-Maschinen als überlegen. Seit Ham Rong schnellten die Abschussziffern in die Höhe. Von bis dahin 103 stieg die Zahl bereits Ende April 1965 auf 263 an. Noch schneller stiegen die US-Verluste, als drei Monate später in Nordvietnam ein Netz sowjetischer Fla-Raketen installiert wurde.


McCain über Hanoi vom Himmel geholt

Ende Oktober 1967 berichteten die Parteizeitung "Nhan Dan" und andere Hanoier Blätter mit Fotos und Personalangaben über in den vorangegangenen Tagen nach Abschuss ihrer Maschinen gefangen genommene 15 US-Piloten. Unter ihnen befand sich John Sydney McCain, Enkel des gleichnamigen Befehlshabers der Pazifik-Flugzeugträger der USA im Zweiten Weltkrieg und Sohn des Chefs der US-Flotte in Europa. McCain gab zu, das Feuer der Luftabwehr sei, besonders über Hanoi, "sehr dicht und sehr präzise". Die Air Force verliere zehn und mehr Prozent ihrer Maschinen. Vom britischen Konsul in Hanoi verlautete einmal, das seien, verglichen mit den Abschussziffern, welche die Royal Air Force in der Luftschlacht über England gegen Görings Flieger erzielte, Ergebnisse, die sich sehen lassen könnten.

McCain stürzte in den Truc Bach-See von Hanoi, brach sich Arme und Beine und wäre ertrunken, wenn ihn nicht ein vietnamesischer Offizier gerettet hätte. Am Ufer hielt dieser wütende Hanoier, die nach einem schweren Bombenangriff gegen McCain handgreiflich werden wollten, zurück. Eine Krankenschwester leistete erste Hilfe. 1973 wurde McCaine entlassen. Er stieg zum Senator auf und bewarb sich 2000 und 2008 für die Republikaner um die Präsidentschaft. Die humane Rettungstat eines Offiziers der Volksarmee Vietnams passte nicht ins Konzept seiner Wahlkampfreden und so behauptete er, die Nordvietnamesen hätten ihn misshandelt.


Oberst Robin Olds: Furchterregende Raketen

Das Pentagon leugnete zunächst Abschüsse über der DRV, vor allem in der Anfangsphase des Luftkrieges und erst recht, dass es bereits am ersten Tag Verluste gegeben hatte. Bereits 1966 hatte die DRV diese Lügen Washingtons enthüllt und über 100 dieser Flieger durch die Straßen von Hanoi geführt. Peinlich war, dass sich die Piloten nicht immer an die ausgegebenen Parolen hielten. Zu ihnen gehörte auch der über Nordvietnam davongekommene Spitzenflieger Oberst Robin Olds, der auf einer Pressekonferenz in Washington warnte: "Nach meiner Ansicht hat sich die Luftabwehr Nordvietnams enorm verstärkt, sowohl durch Flakfeuer als auch Migs und Boden-Luft-Raketen". Zu letzteren gestand Olds: "Es sind furchterregende Raketen, wenn Sie es wissen wollen."

Das Pentagon bezichtigte die DRV der Geheimhaltung der Zahl der toten und lebenden abgeschossenen Piloten. Das entsprach nicht den Tatsachen. Fakt war, dass die DRV keine offiziellen Angaben dazu veröffentlichte. Dazu war sie auch nicht verpflichtet, denn bei den Luftangriffen gegen Nordvietnam handelte es sich um einen nichterklärten, völkerrechtswidrigen Krieg, mit dem Washington gegen die Haager Landkriegsordnung verstieß, die festlegte, dass die Eröffnung von Kampfhandlungen "eine vorausgehende unzweideutige Benachrichtigung, die entweder die Form einer mit Gründen versehenen Kriegserklärung oder die eines Ultimatums mit bedingter Kriegserklärung haben muss." Dem Luftkrieg der USA ging nichts dergleichen voraus. Daraus ergab sich, dass die gefangen genommenen Flieger keinen Anspruch auf eine Behandlung gemäß der Genfer Konvention als Kriegsgefangene hatten. Auch wenn die DRV ihnen diesen Status nicht zuerkannte, gewährte sie ihnen dennoch eine Behandlung, die den Ansprüchen der Konvention voll entsprach.


Pentagon verheimlichte Zahl der toten Piloten

Jeder Gefangene konnte seinen Angehörigen schreiben, wovon auch alle Piloten Gebrauch machten. Damit war dem Pentagon deren Anzahl bekannt. Aus der Differenz zwischen den Fliegern in den Gefangenenlagern der DRV und der Gesamtzahl der verlorenen Piloten ergab sich die Zahl der Toten, die das Pentagon jedoch geheim hielt. Während die Angehörigen der inhaftierten Flieger aufgefordert wurden, über den Erhalt von Briefen Stillschweigen zu bewahren, wurde behauptet, nur einige der Piloten dürften in Gefangenschaft schreiben, die meisten säßen in "Schweigelagern".


"Piloten im Pyjama" von H&S

Über die US-Piloten haben die DDR-Film-Dokumentaristen Walter Heynowski & Gerhard Scheumann (H&S) 1967 einen weltweit Aufsehen erregenden Streifen "Piloten im Pyjama" vorgelegt, in dem zehn in Gefangenschaft der DRV geratene Offiziere der US Air Force bzw. der Marine ihnen Interviews gewährten. 1968 veröffentlichten sie im Verlag der Nation Berlin zum Film das gleichnamige Buch. Die erste Reportage der Autoren über die interviewten Flieger wurde von den größten Illustrierten der Welt, darunter "Life", "Paris Match" und "Stern" übernommen. Die große US-Fernsehgesellschaft "NBC" strahlte Filmbilder in ihrer Abendsendung für ein 40-Millionen-Publikum aus. Der Film offenbarte in oft schockierender Weise die Gehorsamsmoral der Piloten zu ihren Einsätzen. Sie bezogen sich ohne Ausnahme darauf, dass sie bei ihrem "Job" Befehle ausführten, wozu sie ihrem Land gegenüber verpflichtet seien. Sie erhielten für je zehn Luftangriffe eine Verdienstmedaille. Der neunundzwanzigjährige Oberleutnant Edward Le Hubbard äußerte, "ich bin in ungefähr zwanzig Ländern gewesen, seit ich in den Luftstreitkräften diene, und das hat mir sehr viel Spaß gemacht."


Unbezwingbare DRV

In der Luftschlacht über Nordvietnam zeigte sich, dass die DRV nicht bezwungen werden konnte. Moskau lieferte nicht nur die erforderliche modernste konventionelle Militärtechnik, sondern bildete auch einen hohen Prozentsatz des vietnamesischen Militärpersonals bei sich im Lande, aber auch durch Spezialisten vor Ort aus. Ob sowjetische Piloten über Nordvietnam selbst am Steuerknüppel saßen, ist bis heute nicht bekannt geworden. Für Beobachter in Hanoi galt als sicher, dass nordkoreanische und auch kubanische Flugzeugführer vor Ort ihre Erfahrungen vermittelten. Mit Militärexperten war auch die VR China im Norden der DRV vertreten. Nie haben sich Truppen der UdSSR oder anderer sozialistischer Staaten in der DRV befunden. Vorschläge, darunter aus der DDR, Freiwillige nach dem Vorbild der Internationalen Brigaden in Spanien nach Vietnam zu entsenden, wurden aus Hanoi immer abschlägig beschieden. Man wollte den USA keinen Vorwand zur Rechtfertigung ihrer eigenen massiven Truppenpräsenz im Süden liefern.


Von Veteranen der sowjetischen Luftwaffe ausgebildet

Ein Großteil der sowjetischen Ausbildung für die Vietnamesen fand, zumindest in der Anfangsphase, in der Sowjetunion statt. Am 15. März 1966 berichtete Radio Moskau, dass fast 3.000 junge Vietnamesen und Vietnamesinnen zu dieser Zeit in der Sowjetunion militärisch ausgebildet wurden. Den bedeutsamsten Fall stellten, wie es hieß, die nordvietnamesischen Luftwaffenkadetten dar, die von Veteranen der sowjetischen Luftwaffe ausgebildet wurden, um Überschallbomber Mig 21 zu fliegen. Mitte Dezember 1966 hatte sich die Zahl der in Vietnam stationierten Migs nach Angaben in Washington auf 180 oder sogar 200 erhöht.

Die wirksame Luftverteidigung der DRV, die materielle Hilfe der sozialistischen Staaten, die wachsenden internationalen Proteste und die erwähnten Enthüllungen des Außenpolitischen Ausschusses des US-Senats über den tatsächlichen Verlauf des "Zwischenfalls im Golf von Tongking" zwangen Präsident Johnson, am 1. November 1968 die bedingungslose Einstellung der Luftangriffe zu erklären. Es war die faktische Kapitulation im Luftkrieg gegen die DRV. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte deren Luftverteidigung rund 3.240 Flugzeuge abgeschossen, darunter eine Anzahl Hubschrauber.


Pentagon fehlten Maschinen und Piloten

Bereits seit 1966 gelang es dem Pentagon nicht mehr, die Verluste an Maschinen und Piloten auszugleichen. "Der Spiegel" (43/1966) berichtete, "Die Amerikaner haben in Vietnam schon erheblich mehr Maschinen eingebüßt, als ihre offiziellen Verlustziffern besagen." Das Pentagon habe "etwa tausend Maschinen eingebüßt". Die Militärs hätten "nicht mit so hohen Verlustziffern" gerechnet. Die Produktion habe die entstandenen Lücken nicht schließen können. Außerdem fehlte es an Piloten". Allein die Marine-Luftwaffe habe "einen Fehlbestand von 1600 Flugzeugführern". Die Air Force habe die Zahl ihrer Piloten-Schüler 1966 auf 2.760 erhöhen müssen.


Folgen eines verheerenden Vernichtungskrieges

In dem vierjährigen Luftkrieg gegen die DRV führten die USA einen verheerenden Vernichtungskrieg. Sie zerstörten Wohnviertel, Krankenhäuser, Schulen, Betriebe, Kirchen und Pagoden, Straßen und Brücken, Bewässerungsanlagen der Reisfelder, legten ganze Städte in Trümmer. Eines der barbarischsten Verbrechen waren die Luftangriffe im Juni 1965 auf die Lepra-Station von Quynh Lap, in der 2.600 Kranke behandelt wurden. Das Institut, in dem eine für Südostasien beispiellose Forschungsarbeit zur Behandlung der Lepra als auch über die Rehabilitation verstümmelter Kranker stattfand, wurde dem Erdboden gleich gemacht. Patienten und Krankenhauspersonal wurden aus Bordwaffen niedergeschossen, 140 Patienten getötet. Schwer beschädigt wurde auch das mit Hilfe der DDR aufgebaute und ausgerüstete Tuberkulose-Forschungsinstitut in Thanh Hoa. Der Luftterror gegen die Zivilbevölkerung entlarvte Tag für Tag die Behauptungen aus Washington, es würden nur militärische Objekte angegriffen.

Nachdem die USA mit der DRV und der Regierung der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams am 27. Januar 1972 die Pariser Abkommen unterzeichnet hatten, erklärte US-Präsident Richard Nixon die Bereitschaft, "zum Wiederaufbau nach dem Krieg etwa 3.250 Millionen $ für einen Zeitraum von fünf Jahren als nichtrückzahlbare Hilfe" zu leisten. Davon ist nie auch nur ein Dollar geleistet worden. Eine Entschuldigung gegenüber dem vietnamesischen Volk hat es von offizieller Seite der USA nie gegeben.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2013