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MEMORIAL/076: Juni 1993 - Wahlniederlage der Italienischen Kommunistischen Partei (Gerhard Feldbauer)


Wahlniederlage der IKP 1983

Ergebnis der Regierungszusammenarbeit mit der großbürgerlichen DC

von Gerhard Feldbauer, 22. Juni 2013



Bei den Parlamentswahlen am 26./27. Juni 1983 erlitt die IKP eine schwere Niederlage. Gegenüber 34,4 Prozent im Parlament 1976 sank sie auf 29,9 ab. Dieses 30 Jahre zurückliegende Ereignis berührt eine heute noch die Linke beschäftigende Kardinalfrage von Bündnis- und Parlamentspolitik: Die Zusammenarbeit mit großbürgerlichen Parteien in von ihnen geführten und damit eben bürgerlichen Regierungen. Die IKP-Niederlage 1983 war Ergebnis ihres mit der Democrazia Cristiana (DC) geschlossenen Regierungsbündnisses, das in die Geschichte als "Historischer Kompromiss" einging. Meine Korrespondententätigkeit in Rom (1973-1979) bot mir Gelegenheit, das Projekt und sein schließliches Scheitern vor Ort zu verfolgen.

Diese Bündnispolitik stand von Anfang an unter einem ungünstigen Stern, dem sogenannten Eurokommunismus, einer in den 1970er Jahren von einigen westeuropäischen KPs (Italiens, Frankreichs und Spaniens, der Linkspartei Kommunisten Schwedens u. a.) propagierten Konzeption, die sich in Grundfragen von Marxistisch-Leninistischen Fragen lossagte. Der Begriff wurde übrigens zunächst von bürgerlichen Ideologen in Medien lanciert und dann bedenkenlos von den betreffenden Parteien selbst übernommen. Während Spaniens PCE unter dem späteren Sozialdemokraten Santiago Carrillo kaum über Deklarationen hinaus kam und die von George Marcais geführte PCF bald zunehmend wieder auf Distanz ging, wurde die PCI unter Enrico Berlinguer zu ihrem Protagonisten.


12 Millionen Italiener wählten eine sozialistische Perspektive

Die IKP war zu dieser Zeit mit über 2,2 Millionen Mitgliedern und den bereits erwähnten 34 Prozent Wählern, das waren zwölf Millionen Italiener, die stärkste und politisch einflussreichste KP der kapitalistischen Industriestaaten. Im Parlament belegte sie mit knapp fünf Prozent Abstand hinter der DC den zweiten Platz. Die Verabsolutierung der Wahlerfolge hatte jedoch den Einfluss der in den 1960er Jahren entstandenen sozialdemokratischen Strömung in der IKP verstärkt, die sich dann als Wortführerin des Eurokommunismus durchsetzte.


Für Regierungsbeteiligung fundamentale Klassenpositionen aufgegeben

Berlinguers Begründung, gegen die nach dem Pinochet-Putsch in Chile Auftrieb erhaltende faschistische Gefahr ein breites Bündnis unter Einschluss auch der Christdemokraten zu bilden, stellte zunächst einen durchaus akzeptablen Ausgangspunkt dar. Zumal der PCI-Generalsekretär bei dem Begriff Compromesso storico sich auf Antonio Gramscis Definition des Historischen Blocks bezog. Während es Gramsci jedoch um ein antifaschistisches Bündnis mit den Volksmassen unter Führung der Arbeiterklasse ging, suchte die IKP jetzt die Klassenzusammenarbeit und den Kompromiss mit der großbürgerlichen DC. Für die in Aussicht gestellte Aufnahme in die Regierung der Bourgeoisie und das - niemals eingehaltene Versprechen - gewisse soziale und ökonomische Reformen einzuleiten, gab sie fundamentale Klassenpositionen auf und ging auf reformistische Positionen über. Damit entzog sie ihrer ursprünglich richtigen Zielsetzung den Boden und machte sie selbst unrealisierbar. Wesentliche Triebkraft ihrer Politik wurde zusehends der Drang zur "Koalitionsfähigkeit", um in bürgerliche Regierungen aufgenommen zu werden. Dem wurde alles untergeordnet.


NATO "Schutzschild" eines italienischen Weges zum Sozialismus

So sagte sich die IKP vom Leninismus los, vertrat Positionen antisowjetischer Propaganda und verkündete einen eigenen "Weg zum Sozialismus" auf der Grundlage der Anerkennung der kapitalistischen Marktwirtschaft und der Spielregeln der bürgerlichen Demokratie sowie ihrer Integration in deren Parteiensystem. Sie übernahm das bourgeoise Staatsmodell, für das sie lediglich eine "Demokratische Transformation" forderte. Den Gipfel des Revisionismus erklomm sie, als sie mitten im Kalten Krieg und angesichts der Blockkonfrontation die absurde Erklärung abgab, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als "Schutzschild" eines italienischen Weges zum Sozialismus.


Keine demokratische sondern Rechtswende

Ab März 1978 unterstützte die IKP im Parlament eine Große von der DC angeführte Regierungskoalition. Ihr direkter Regierungseintritt war nach einer Übergangszeit zugesagt. Die CIA brachte mit ihrer geheimen NATO-Armee stay behind, die in Italien Gladio hieß, unterstützt von den Faschisten und dem von der IKP unterstützten rechten Regierungschef Giulio Andreotti mit der Ermordung ihres Bündnispartners, des linksliberalen DC-Vorsitzenden Aldo Moro, die Regierungszusammenarbeit zu Fall. Im Januar 1979 trat die IKP aus der Parlamentskoalition aus. Der Historische Kompromiss war, wie Berlinguer eingestand, damit gescheitert. Die IKP hatte keines ihrer Ziele erreicht. Statt zu einer Zurückdrängung der faschistischen Gefahr kam es zu einer Rechtswende und einer Verschiebung der Regierungsachse nach rechts. Der politische Einfluss der IKP ging spürbar zurück, sie verlor in den folgenden Jahren etwa ein Drittel ihrer Mitglieder. Die Wahlniederlage von 1983 setzte sich fort und stieg 1987 auf acht Prozent an.

Berlinguer hatte die revisionistische Strömung noch in bestimmtem Maße gezügelt. Nach seinem plötzlichen Tod im Juni 1984 setzte diese sich als parteibeherrschende durch. Im März 1989 beschloss der Parteitag in Rom im Schatten des revisionistischen Gorbatschow-Kurses und in Anwesenheit des Politbüro-Mitgliedes der KPdSU Alexander Jakowlew offen die Sozialdemokratisierung der Partei. Der letzte IKP-Parteitag im Januar 1991 setzte mehrheitlich die Umwandlung in die sozialdemokratische Linkspartei PDS durch, womit die von Antonio Gramsci, Palmiro Togliatti und weiteren Linken 1921 gegründete IKP, wie Domenico Losurdo einschätzte, liquidiert wurde.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2013